Auszug
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Aus: 
Österreichische außenpolitische Dokumentation - Sonderdruck
Erste Präsidentschaft Österreichs in der Europäischen Union – 
1. Juli – 31. Dezember 1998

 
 
 

Rede des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten, 
Vizekanzler Dr. Wolfgang Schüssel, 
vor dem EU-WEU-Forum, Rom, am 16. November 1998



 

F. Sicherheitspolitik
Dokument 28

„Ich habe den Vorschlag meines Freundes und Amtskollegen Lamberto Dini, aus Anlaß des WEU-Ministerrates in Rom ein Diskussionsforum zu organisieren, das durch prominente Vertreter des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung der WEU gestaltet werden soll, von Anbeginn mit Nachdruck unterstützt.

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Wochen halte ich diese Idee für besonders glücklich:

Die führenden Sicherheitsexperten der parlamentarischen Körperschaften unserer beiden Organisationen beschäftigen sich seit Jahr und Tag mit Entwürfen für die europäische Sicherheit und Verteidigung der Zukunft. Einige der interessantesten Stellungnahmen der vergangenen Jahre tragen die Namen unserer heutigen Referenten; ich nenne hier nur Leo Tindemans, Tom Spencer, Gary Titley, Armand De Decker und Robert Antretter. Sie alle werden uns mit Recht daran erinnern, wie oft ihre Berichte zur Zukunft der europäischen Verteidigung von sogenannten „Realisten“ als weltfremd und utopisch abgetan worden sind. Seit dem informellen EU-Gipfel von Pörtschach und der Wiener Konferenz der Verteidigungsminister der Union hat es freilich den Anschein, daß jetzt auch die „Realisten“ beginnen, sich ernsthaft mit den Ideen dieser sicherheitspolitischen Pioniere auseinanderzusetzen.

(...)

Ich begrüße es auch, daß es uns in den vergangenen Monaten – im engen Zusammenwirken mit dem WEU-Vorsitz – erstmals gelungen ist, die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Organisationen auch in operationeller Hinsicht mit Leben zu erfüllen.

So gibt es inzwischen konkrete – an die WEU gerichtete – Ersuchen der Union, in Kroatien eine spezifische Aktion im Bereich der humanitären Minenräumung durchzuführen und das WEU-Satellitenzentrum in Torrejon für Verifikationsaufgaben im Kosovo einzusetzen. Ein Ersuchen, den WEU-Polizeieinsatz in Albanien zu verstärken, dürfte in Bälde folgen. Jeder, der mit diesen Arbeiten befaßt war, weiß allerdings wie schwierig und umständlich diese Verfahren der Zusammenarbeit sind und wie viel Mühe es gekostet hat, diese relativ bescheidenen Ergebnisse zu erzielen. Auch angesichts dieser Erfahrung halte ich es für richtig, daß wir die Umsetzung des Bestehenden mit einer substantiellen Diskussion über unseren weiteren sicherheitspolitischen Weg verbinden.

In einer Zeit, in der Teile Europas von immer neuen ethnischen und nationalen Konflikten heimgesucht werden, kann sich die praktische Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Organisationen doch nicht durch Monate auf die Frage konzentrieren, ob eine Polizeioperation in Albanien um einige Dutzend Polizisten verstärkt oder 12 Entminungsexperten nach Kroatien geschickt werden sollen!

Nach meiner Meinung geht es um viel Grundsätzlicheres: Erfahrungen wie jene in Bosnien und Kosovo – aber auch die jüngsten Entwicklungen im Irak – haben doch gezeigt, daß Außenpolitik in Krisensituationen nur dann Wirkung zeigt, wenn sie notfalls auch auf glaubwürdige militärische Instrumente abgestützt werden kann.

Was ich jetzt sage, mag manchen nicht gefallen, ist aber leider wahr: Auch in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union muß von Anbeginn ein stählerner militärischer Faden eingewoben sein; ansonsten wird sich unser außenpolitisches Handeln in europäischen Krisenfällen auch künftig allzu oft auf tönerne Deklarationen beschränken, der Einhaltung bestenfalls von anderen gesichert werden kann.

Ich meine aber, daß wir Europäer die Verpflichtung haben, künftige europäische Krisen und Konflikte notfalls auch selbst unter Kontrolle bekommen können, bevor ganze Landstriche verwüstet, Hunderttausende Menschen ermordet und Millionen in die Flucht geschlagen worden sind.

Ich bin mir natürlich bewußt, daß wir auch nach Pörtschach erst am Anfang einer schwierigen – und komplexen – Diskussion stehen. Der Ausgang dieser Debatte hängt im übrigen auch von wichtigen Entwicklungen ab, die außerhalb des eigentlichen EU-Rahmens verlaufen.

Ich denke hier vor allem an die – in der NATO im Vorfeld des Washingtoner Gipfels unternommenen – Bemühungen zur Entwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität. Es sind dies zweifelsohne Arbeiten, deren Ergebnis für den Aufbau eines funktionierenden europäischen Krisenmanagements und einer tragfähigen gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von ganz entscheidender Bedeutung ist.

Ziemlich offenkundig ist freilich auch, daß sich die Verhandlungen, die wir im Rahmen der EU-Regierungskonferenz über den Vertrag von Amsterdam geführt haben, anders gestaltet hätten, wenn manche der Standpunkte, die heute geäußert werden, schon damals vertreten worden wären. Auch deshalb glaube ich, daß es legitim und sinnvoll ist, die in Pörtschach begonnene Diskussion engagiert fortzuführen.

Darum danke ich dem italienischen WEU-Vorsitz für seine dynamischen Bemühungen, diesen Meinungsaustausch auch hier in Rom fortzusetzen. Im Rahmen der Union haben wir die Absicht, die neuen Ideen auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit und Verteidigung zum Gegenstand einer informellen Orientierungsdebatte der Außenminister zu machen. Was die österreichische Haltung zu diesen Frage anlangt, werde ich den anderen WEU-Nationen – wie schon beim WEU-Ministerrat in Rhodos – heute nachmittag im übrigen mitteilen, daß wir an der Verwirklichung der Perspektive einer gemeinsamen europäischen Verteidigung aktiv mitwirken wollen und auch bereit sind, die Integration der WEU in die Union solidarisch mitzugestalten.

Als österreichischer Außenminister möchte ich außerdem betonen, daß mein eigenes Land bereit ist, in diese Diskussion ohne vorgefaßte Meinungen, offen und vorbehaltlos einzutreten – und daß wir das selbe von unseren Partnern erhoffen.

Zugleich halte ich es aber auch für wichtig, daß sich das Europäische Parlament und die Parlamentarische Versammlung der WEU so aktiv wie bisher in diese wichtige Zukunftsdiskussion einbringen. Sie sind und bleiben gerade auch im Bereich der Sicherheitspolitik unser unverzichtbares „parlamentarisches Gewissen“. Sie sind und bleiben wesentliche Garanten dafür, daß sich das gemeinsame Europa in Zukunft auch als Europa der gemeinsamen Sicherheit versteht!“