FriedensJournal
Nr. 2 / März 2008


Nuklearwaffensicherheit in Pakistan

von Otfried Nassauer

Pakistan ist ein Pulverfass. Die Regierung unter Pervez Musharraf ist unbeliebt. Dessen Partei hat gerade die Parlamentswahlen deutlich verloren. Musharraf konnte sich zuletzt nur noch mit einer Politik der eisernen Faust an der Macht halten und rief zeitweilig den Ausnahmezustand aus. Niemand weiß, wie lange er sich noch halten kann. Die Kontrolle über die paschtunischen Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan hat die Zentralregierung längst verloren. Radikalislamistische Kräfte gewinnen an Einfluss. Benazir Bhutto wurde ermordet. Anschläge auf führende Politiker ereignen sich immer wieder. Und zu allem Überfluss ist das Land auch noch Nuklearmacht - das einzige islamische, das die Bombe besitzt. Seit 1998 liefert sich Pakistan einen atomaren Rüstungswettlauf mit Indien. Rund 60 Nuklearsprengköpfe und atomare Bomben soll Pakistan derzeit besitzen, so vermuten vorsichtige Experten. Andere gehen sogar von bis zu 120 Waffen aus. Selbstgebaute Kurz- und Mittelstreckenraketen, F-16 Kampfflugzeuge und künftig wohl auch Marschflugkörper können diese Waffen ins Ziel bringen. Drei U-Boote aus Deutschland, die HDW liefern will, könnten zu Trägersystemen umgebaut werden, so wird befürchtet. Pakistan baut seine militärisch-nukleare Infrastruktur weiter aus.

Obwohl Pakistan als wichtiger Verbündeter im amerikanischen "Krieg gegen den Terror" gilt, werden in Washington Schreckensszenarien durchgespielt. Was tun, wenn Pakistan die Kontrolle über sein Nuklearpotenzial verlieren sollte? Wenn die Militär- und Sicherheitskräfte der Führung nicht mehr gehorchen? Wenn Musharraf abdanken muss? Wenn das Land zerfällt? Wie kann man verhindern, dass radikalislamische Kräfte in den Besitz einer Atomwaffe oder nuklearwaffenfähigen Materials gelangen?

Neu sind solche Fragen nicht. Auch während des Zerfalls der Sowjetunion wurden sie gestellt. Generalleutnant Carter Ham vom US-Generalstab äußerte sich vor wenigen Monaten sichtlich besorgt über die Situation in Pakistan: " Immer, wenn ein Land mit nuklearen Waffen sich in einer Lage befindet wie Pakistan dieser Tage, dann ist das ein Grund vorrangiger Besorgnis. Wir werden das genau beobachten und ich denke, das ist wahrscheinlich alles, was ich darüber jetzt sagen sollte."

Deutlicher kann der Hinweis kaum ausfallen, dass das Pentagon sich auch mit geheimen Planungen für den Notfall befasst.

Schon kurz nach den Terroranschlägen des 11. September kursierten erste Berichte über eine geheime Vereinbarung zwischen Washington und Islamabad. Im Fall einer schweren Krise werde das pakistanische Militär es den USA erlauben, die pakistanischen Atomwaffen zu sichern oder gar auszufliegen. Bis heute ist unklar, ob es eine solche Vereinbarung wirklich gibt. Allerdings ist immer wieder zu hören, dass Washington Transportmaschinen vom Typ C-17 für diesen Zweck bereithält. Flugzeuge dieses Typs werden von der Transportflotte für Nuklearwaffen, der Prime Nuclear Airlift Force, genutzt. Im 62. Lufttransportgeschwader der USA hat die 4. Staffel diese Aufgabe. Sie stellt eine kleine Zahl speziell ausgebildeter Besatzungen bereit. Doch diese Option hat einen Haken: Sie setzt voraus, dass das pakistanische Militär und der Geheimdienst ISI bereit wären, mit den USA zu kooperieren. Pakistans Machthaber müssten glauben, dass sie die Waffen nach Ende der Krise zurückbekommen. Dass sie dies glauben, ist keinesfalls sicher. Was also tun, wenn man nicht weiß, ob Pakistan im Fall der Fälle kooperationsbereit wäre?

Über zwei Wege wurde in Washington nachgedacht. Die erste Möglichkeit setzt darauf, Pakistan zu helfen, seine Atomwaffen vor einem nichtautorisiertem Zugriff zu schützen. Diskutiert wurde, ob man Islamabad den Zugang zu moderner amerikanischer Sicherheitstechnik für Nuklearwaffen eröffnen sollte. Die USA haben ihre Atomwaffen, die sie außerhalb des eigenen Landes stationieren, mit so genannten Permissive Action Links, kurz PALs, ausgestattet. Es handelt sich um eine Art elektromechanisches Schloss. Nur wenn mehrere Teile eines Codes in der richtigen Reihenfolge, in einer bestimmten Zeit und innerhalb einer erlaubten Zahl von Versuchen eingegeben werden, kann die Waffe scharf gemacht werden. Scheitert die Eingabe, wird die Waffe automatisch unbrauchbar. Das soll den Missbrauch durch Unbefugte verhindern. Umgesetzt wurde dieses Vorhaben mit Pakistan allerdings nicht. Rechtliche Bedenken in den USA sprachen dagegen. Das Atomenergiegesetz der USA verbietet einen solchen Technologietransfer. Auch in Pakistan war man wenig begeistert. Man fürchtete, Washington könnte sich über die technische Hilfe eine Möglichkeit verschaffen, Pakistan im Ernstfall am Einsatz seiner Nuklearwaffen zu hindern. Unter größter Geheimhaltung umgesetzt wurde deshalb etwas anderes. Pakistan verlegte seine Nuklearwaffen Ende 2001 in neue Depots, um sie sicherer als bisher zu lagern. In Anlehnung an die Zusammenarbeit mit Russland unterstützten die USA dieses Vorhaben mit mehr als 100 Millionen US-Dollar aus einem geheimen Etatposten. Pakistan erhielt Sicherheitstechnik für Gebäude und Lager, Nachtsichtgeräte, Hubschrauber und Geräte zum Aufspüren nuklearen Materials. Pakistanische Experten wurden in den USA ausgebildet. Der Aufbau eines Zentrums für Nuklearsicherheit in Pakistan wurde begonnen.

Parallel dazu aber befasste sich Washington aber insgeheim auch mit einer zweiten Option: US-Spezialkräfte und Nuklearwaffenexperten des Pentagons sowie des Energieministeriums könnten im Fall einer ernsten Krise in Pakistan intervenieren und die Nuklearwaffen oder deren wichtigste Komponenten unter ihre Kontrolle und außer Landes bringen – auch gegen den Widerstand Pakistans. Zuständig für solche Pläne ist das Central Command in Tampa, Florida. Geheime, aber nicht offiziell von der Regierung Bush initiierte Planspiele wurden durchgeführt, um zu prüfen, ob sich solche Pläne umsetzen ließen. Daran darf gezweifelt werden, denn nach Angaben eines Teilnehmers waren die durchgespielten Szenarien ein einziger "Alptraum". Es gebe einfach kaum gute militärische Optionen.

Von der pakistanischen Führung müssen solche Planspiele allerdings als Zeichen amerikanischen Misstrauens und der Bereitschaft, die Souveränität Pakistans zu missachten, wahrgenommen werden. Warum sollte Islamabad dann mit den USA kooperieren und den USA überhaupt Hinweise geben, wo es seine Nuklearwaffen lagert?

Pakistan versucht deshalb, mehrere Fliegen mit einem Schlag zu treffen. Für den Fall eines Krieges mit Indien möchte es seine Nuklearwaffen einsatzbereit und unter voller nationaler Kontrolle wissen. Es will sie so zugleich so sicher wie möglich lagern, damit sie nicht in die Hände von Terroristen fallen. Technische und finanzielle Hilfe der USA wird zu diesem Zweck angenommen. Zugleich aber versucht Pakistan, Washington möglichst wenig Informationen zu geben, die die USA militärisch nutzen könnten, sollten sie versuchen, die pakistanischen Sprengköpfe unter US-Kontrolle zu bringen. Pakistan lagert deshalb seine Trägersysteme, die nuklearen Komponenten und die Raketensprengköpfe wahrscheinlich getrennt. Darin sind sich die meisten Experten einig. Möglicherweise werden sogar die Zündmechanismen gesondert aufbewahrt. Terroristen müssten also mehrere Depots unter ihre Kontrolle bringen, um auch nur einen funktionsfähigen Sprengkopf in die Hand bekommen zu können. Aber auch amerikanische Spezialkommandos hätten es viel schwerer: Um alle Atomwaffen unter ihre Kontrolle zu bringen, müssten sie zumindest all die Depots finden und stürmen, in denen nukleare Komponenten lagern. Pakistan lässt die USA deshalb über die Zahl seiner Atomwaffen und die Orte, wo sie lagern, im Unklaren – trotz der Kooperation in Sachen Atomwaffen-Sicherheit. Die Kontrolle über die pakistanischen Waffen wurde auf den Präsidenten, das Militär und den Geheimdienst aufgeteilt. Die Sicherheitsüberprüfungen für Personal mit Zugang zu den Waffen sind äußerst streng. Die Zuständigkeiten und Strukturen für die Lagerung der Nuklearwaffen werden immer wieder verändert, um sie vor Spionageversuchen zu schützen. Erst vor wenigen Monaten ordnete Präsident Musharraf erneut Änderungen an. Konservative Realpolitik im nationalen Eigeninteresse – so würde man ein solches Vorgehen bei uns im Westen nennen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS