südostasien – Zeitschrift für Politik Kultur Dialog
3/2008


"Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt"

Deutsche Waffenlieferungen nach ganz Südostasien lösen Besorgnis aus

von Roman Deckert

Der oben genannte Slogan, der dem Geist der 1968er-Bewegung entsprungen ist, klingt zwar platt, trifft aber, zumindest was die Waffen angeht, für die meisten Krisengebiete der Welt zu - auch für Südostasien:

Die vielfältigen Konflikte in der Region haben bei aller Komplexität eines gemeinsam: sie wurden und werden vor allem mit den so genannten Kleinwaffen ausgetragen: Maschinen-pistolen, automatischen Sturmgewehren und Maschinengewehren. Unter diesen gelten welt-weit die Modelle der Firma Heckler & Koch (H&K) gleichsam als der „Mercedes“ schlecht-hin.

Die Produkte der schwäbischen Waffenschmiede zeichnen sich durch höchste Präzision, Be-lastbarkeit und Durchschlagskraft aus. Konkret bedeutet dies, dass eine Kalaschnikow ver-gleichsweise kleine und „saubere“ Verletzungen bei den getroffenen Opfern verursacht, während Kugeln aus H&K-Waffen große Wunden reißen und damit viel tödlicher sind. So rühmt der aktuelle H&K-Katalog die neue MP7-Maschinenpistole damit, dass ein Schuss noch aus 200 Metern Entfernung eine NATO-Schutzweste durchschlägt. Die Feuerkraft be-trägt dreißig Schuss pro Sekunde (!). Die beiden letzten Bundesregierungen, von deren Ver-tretern viele der 1968er-Generation angehören, haben den Export solcher MP7 an Malaysia und Indonesien erlaubt.

Seit einem halben Jahrhundert heizen Waffen aus dem idyllischen Oberndorf am Neckar – dort hat auch die Firma Mauser ihren Sitz, die in beiden Weltkriegen mit ihren Karabinern groß wurde – gewaltsame Auseinandersetzungen in der „Dritten Welt“ an. In den 1950er Jahren finanzierte das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) H&K die Entwicklung des G3-Sturmgewehrs, in der Bundeswehr „Die Braut des deutschen Soldaten“ genannt. Die offizielle Festschrift zum fünfzigsten Jahrestag der Firmengründung preist die folgende Ent-wicklung: „Wie ein Samenkorn in fruchtbarem Boden entwickelte sich die Konstruktion des G3 zu einem weitverzeigten Modellangebot.“

Auf der Basis der G3-Technik entstand eine ganze Waffenfamilie“: Das HK33-Gewehr mit kleinerem Kaliber, die Maschinenpistole MP5 und das Maschinengewehr HK21 mit jeweils eigenen Ablegern. Um neue Märkte zu erschließen, vergab H&K im Zusammenspiel mit dem BMVg, das die Rechte am G3 hielt, zahlreiche Lizenzproduktionen, so nach England, Frank-reich, Iran, Türkei, Pakistan und Kolumbien. Dokumente aus dem britischen Nationalarchiv belegen, dass die Oberndorfer damit die deutschen Exportbeschränkungen umgehen wollten. Auf diese Weise wurden etwa zehn Millionen G3 verbreitet. Ähnliches droht sich nun mit dem G3-Nachfolger G36, dem Standardgewehr der Bundeswehr, und anderen neuen Modellen zu wiederholen – nicht zuletzt in Südostasien:


Deutscher Standard in den Philippinen

Die Philippinen sind ein traditioneller Abnehmer von H&K-Waffen. Das G3 war nach An-gaben des renommierten Informationsdienstes Jane’s bis vor kurzem eines der Standard-gewehre der Armee. Anscheinend stammen diese G3 aus einer begrenzten Eigenfertigung. Dem Friedensforscher Jürgen Grässlin zufolge ist es unstrittig, dass das Marcos-Regime eine Lizenz erhielt. Darüber hinaus bezogen die philippinischen „Sicherheitskräfte“ MP5 aus ver-schiedenen Quellen. 1999 gaben die Pakistan Ordnance Factories (POF) Lieferungen aus eigener Herstellung bekannt. Eine Reportage des „Manila Standard“ belegt den Kauf von MP5 aus englischer Fertigung. Über korrupte Offiziere sind zahlreiche dieser Waffen auf den Schwarzmarkt gelangt, wie Presseberichte über die Verhaftung eines Ex-Generals im Juli 2008 zeigen. Obwohl Amnesty International etliche außergerichtliche Hinrichtungen von Oppositionellen dokumentiert hat, erlaubte der deutsche Staat in den vergangenen Jahren wiederholt die Ausfuhr von Kleinwaffen in das Krisengebiet. Laut dem Rüstungsexport-bericht der Bundesregierung gab Berlin seit 2004 grünes Licht für die Ausfuhr von 61 Ge-wehren und 67 Maschinenpistolen. Photos von Paraden zeigen, dass Spezialeinheiten mit dem G36 ausgerüstet sind. Womöglich stammen weitere G36 von der ehemaligen Kolonialmacht Spanien, denn H&K hat eine Lizenz an die Waffenschmiede General Dynamics Santa Bárbara Sistemas in La Coruña vergeben.


Indonesiens Waffenschmiede

Auch Indonesien ist „Heckler and Koch country“, wie das Asian Defence Journal festgestellt hat. Dokumente aus dem Archiv des Auswärtigen Amtes (AA) belegen, dass 1961 ein erster Transfer von 12.500 G3 erfolgte. Im gleichen Jahr begann die indonesische Firma PT Pindad mit Hilfe des bundeseigenen Unternehmens Fritz-Werner den Aufbau von Fabriken für die Herstellung von G3, MP5 und der entsprechenden Munition. In ihrer Endphase waren der Suharto-Diktatur diese Kapazitäten indes nicht mehr genug. Nach amtlichen Agenturberichten nahmen die Militärs Geschäftskontakte u.a. mit der pakistanischen Waffenschmiede POF auf. 1997 identifizierte ein britischer Dokumentarfilm die H&K-Niederlassung in Nottingham als MP5-Lieferanten. Und zwei Jahre später enthüllte die Channel4-Reportage „Licensed to Kill“, dass der türkische Rüstungskonzern MKEK noch während der schlimmsten Massaker in Ost-Timor 500 MP5 an die berüchtigten Kopassus-Einheiten lieferte. Zwar hat sich die Menschenrechtslage seit der Ära Suharto, in der nach Schätzungen 180.000 Timoresen getötet wurden, erheblich gebessert. Amnesty beklagt jedoch weiterhin unrechtmäßige Tötungen durch „Sicherheitskräfte“, besonders in Papua. Dennoch hat die rot-grüne Bundesregierung 2005 den Export von 242 Maschinenpistolen, offenbar MP7, und 16 Gewehren genehmigt, die anscheinend auch an Kopassus gingen.


HK-Schwund in Osttimor

Osttimor, das 2002 unabhängig wurde, leidet derweil weiterhin unter der Verbreitung von Kleinwaffen, wie nicht zuletzt der Anschlag auf den Präsidenten und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta im Februar 2008 demonstrierte. Australische Zeitungen meldeten 2006, dass mehr als die Hälfte der HK33-Polizeigewehre verschwunden ist. Im selben Jahr be-richtete eine Caritas-Reportage, dass marodierende Killerkommandos mit HK33 bewaffnet waren. Laut Jane’s hatte Osttimors Regierung die HK33 aus Malaysia bezogen.


Lizenz für Malaysia

Malaysia erhielt der offiziellen H&K-Festschrift zufolge ebenfalls eine eigene G3-Lizenzproduktion. Nach Erkenntnissen von Dr. Edward Ezell, der als der „Papst“ der Klein-waffenforscher gilt, lieferte H&K überdies rund 50.000 HK33 sowie große Mengen an Maschinengewehren (HK21, HK11). All diese Typen sind laut Jane’s noch immer Standard-waffen des malaysischen Militärs. Doch obwohl Amnesty International massive Menschen-rechtsverletzungen kritisiert und selbst Staatsmedien über H&K-Waffen in den Händen von Kriminellen berichten, haben die deutschen Exportkontrolleure seit 2002 die Ausfuhr von 1.550 Maschinenpistolen, darunter MP7, und 234 Gewehren erlaubt.


Singapur und Brunei sind auch dabei

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Singapur gleichfalls seit Jahrzehnten auf MP5 „Made in Germany“ zählt. Zwischen 2002 und 2006 hat der autoritär regierte Stadtstaat 562 Maschinenpistolen aus Oberndorf bezogen, darunter womöglich der MP5-Nachfolger MP7.
In Brunei ist das G3 laut Jane’s nach wie vor das Standardgewehr der Militärs. Unlängst hat es sich der Sultan höchstpersönlich bei einem Besuch im Ausbildungszentrum der Armee nicht nehmen lassen, eine H&K-Waffe auszuprobieren.


Verheerende Wirkung in Burma

Die verheerendsten Wirkungen haben H&K-Waffen in Burma hinterlassen. Das BMVg ver-kaufte bereits 1960 die Lizenz zur Herstellung des G3 dorthin. Die betreffende Fabrik baute die bundeseigene Firma Fritz-Werner auf. Bis die Produktion anlief, bezogen die birmanischen Militärs 22.000 fertige G3. Weder der eskalierende Guerillakrieg noch die blutige Niederschlagung friedlicher Proteste beeindruckten die Bonner Exportkontrolleure. 1976 stimmten sie dem Antrag von Fritz-Werner zu, die burmesischen Munitionswerke zu modernisieren. Dies änderte sich auch zunächst nicht, als die Armee im August 1988 Tausende Demonstrant/innen niedermetzelte - mit G3, wie etliche Photos dokumentieren. Ungerührt genehmigte die Regierung in Bonn im September 1988 die Ausfuhr weiterer Munitionsmaschinen. Fritz-Werner – 1989 vom Bund an den Essener Konzern MAN Ferrostaal verkauft – ist noch immer in Burma aktiv: Über eine Niederlassung und ein Joint-Venture mit dem Industrieministerium. MAN Ferrostaal behauptet allerdings, dass das En-gagement seit 1990 ausschließlich zivile Projekte umfasst, die der Bevölkerung zugute kommen. Unstrittig ist, dass G3-Gewehre nach wie vor im Einsatz sind. So wurde der japanische Photograph Kenji Nagai bei den Protesten Ende 2007 von einem Soldaten mit einem H&K-Gewehr erschossen.


Vollstreckung der Todesstrafe in Thailand

Weil es „unbillig“ erschien, Thailand zu verweigern, was man Birma gewährte, durfte auch der rivalisierende Nachbarstaat eine H&K-Lizenzproduktion aufbauen. Das AA genehmigte den Oberndorfern 1971 die Ausfuhr einer Fabrik für den G3-Ableger HK33. Glaubt man thailändischen Presseberichten, so zahlte H&K massive Schmiergelder an Entscheidungs-träger in Bangkok. Kurz darauf stellte die burmesische Armee bei Rebellen HK33 sicher. Darüber hinaus lieferte H&K MP5, die unter anderem zur Vollstreckung der Todesstrafe be-nutzt wurden, wie der frühere Henker Chavoret Jaruboon in seinen Memoiren bestätigt. Bezeichnenderweise ist der Sitz von H&Ks Verkaufsbüro für die südostasiatische Region noch immer in Bangkok. Ungeachtet schwerer Konflikte im Süden des Landes und notorisch häufiger Putsche hat die Regierung in Berlin seit 2001 die Ausfuhr von Kleinwaffen im Wert von über 11 Millionen Euro genehmigt, darunter zahlreiche G36.


Vietnam, Kambodscha und Laos

Selbst Vietnam, das traditionell mit Waffen aus dem früheren Ostblock ausgestattet ist, setzt neuerdings auf H&K-Technik: Jane’s hat Mitte 2007 über den Kauf von 100 MP5 aus pakistanischer Produktion berichtet.

Kambodscha hat zwar bislang keine direkten Lieferungen von H&K-Waffen erhalten. Dem Waffenexperten Ezell zufolge waren jedoch dereinst die Rebellen der Khmer People’s National Liberation Front mit MP5 und dem HK33-Ableger HK53 bewaffnet, offenbar aus thailändische Beständen. Im Juli 2008 wurden der Journalist Khim Sambor und sein Sohn in Phnom Penh laut Asian Human Rights Commission mit einer H&K-Maschinenpistole er-schossen.

Laos ist schließlich der einzige Staat in Südostasien, aus dem es keine Meldungen über Vor-kommen von H&K-Waffen gibt. Es scheint jedoch nur eine Frage der Zeit, bis sich dies ändert.


Fazit:

Nachdem Südostasien während des Kalten Krieges mit deutschen Kleinwaffen hochgerüstet wurde, besteht die akute Gefahr, dass sich diese Entwicklung mit der jüngsten Generation von H&K-Modellen fortsetzt. Verhindern kann dies nur energischer Druck einer kritischen Öffentlichkeit – im Geiste der 68er-Bewegung.


 

arbeitet als Kleinwaffen-Analyst im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und ist Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros Freiburg i.Br. (RIB).