"Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt"
Deutsche Waffenlieferungen nach ganz Südostasien lösen Besorgnis
aus
von Roman Deckert
Der oben genannte Slogan, der dem Geist der 1968er-Bewegung entsprungen
ist, klingt zwar platt, trifft aber, zumindest was die Waffen angeht,
für die meisten Krisengebiete der Welt zu - auch für Südostasien:
Die vielfältigen Konflikte in der Region haben bei aller Komplexität
eines gemeinsam: sie wurden und werden vor allem mit den so genannten
Kleinwaffen ausgetragen: Maschinen-pistolen, automatischen Sturmgewehren
und Maschinengewehren. Unter diesen gelten welt-weit die Modelle der Firma
Heckler & Koch (H&K) gleichsam als der „Mercedes“ schlecht-hin.
Die Produkte der schwäbischen Waffenschmiede zeichnen sich durch
höchste Präzision, Be-lastbarkeit und Durchschlagskraft aus.
Konkret bedeutet dies, dass eine Kalaschnikow ver-gleichsweise kleine
und „saubere“ Verletzungen bei den getroffenen Opfern verursacht, während
Kugeln aus H&K-Waffen große Wunden reißen und damit viel
tödlicher sind. So rühmt der aktuelle H&K-Katalog die neue
MP7-Maschinenpistole damit, dass ein Schuss noch aus 200 Metern Entfernung
eine NATO-Schutzweste durchschlägt. Die Feuerkraft be-trägt
dreißig Schuss pro Sekunde (!). Die beiden letzten Bundesregierungen,
von deren Ver-tretern viele der 1968er-Generation angehören, haben
den Export solcher MP7 an Malaysia und Indonesien erlaubt.
Seit einem halben Jahrhundert heizen Waffen aus dem idyllischen Oberndorf
am Neckar – dort hat auch die Firma Mauser ihren Sitz, die in beiden Weltkriegen
mit ihren Karabinern groß wurde – gewaltsame Auseinandersetzungen
in der „Dritten Welt“ an. In den 1950er Jahren finanzierte das Bundesverteidigungsministerium
(BMVg) H&K die Entwicklung des G3-Sturmgewehrs, in der Bundeswehr
„Die Braut des deutschen Soldaten“ genannt. Die offizielle Festschrift
zum fünfzigsten Jahrestag der Firmengründung preist die folgende
Ent-wicklung: „Wie ein Samenkorn in fruchtbarem Boden entwickelte sich
die Konstruktion des G3 zu einem weitverzeigten Modellangebot.“
Auf der Basis der G3-Technik entstand eine ganze Waffenfamilie“: Das
HK33-Gewehr mit kleinerem Kaliber, die Maschinenpistole MP5 und das Maschinengewehr
HK21 mit jeweils eigenen Ablegern. Um neue Märkte zu erschließen,
vergab H&K im Zusammenspiel mit dem BMVg, das die Rechte am G3 hielt,
zahlreiche Lizenzproduktionen, so nach England, Frank-reich, Iran, Türkei,
Pakistan und Kolumbien. Dokumente aus dem britischen Nationalarchiv belegen,
dass die Oberndorfer damit die deutschen Exportbeschränkungen umgehen
wollten. Auf diese Weise wurden etwa zehn Millionen G3 verbreitet. Ähnliches
droht sich nun mit dem G3-Nachfolger G36, dem Standardgewehr der Bundeswehr,
und anderen neuen Modellen zu wiederholen – nicht zuletzt in Südostasien:
Deutscher Standard in den Philippinen
Die Philippinen sind ein traditioneller Abnehmer von H&K-Waffen.
Das G3 war nach An-gaben des renommierten Informationsdienstes Jane’s
bis vor kurzem eines der Standard-gewehre der Armee. Anscheinend stammen
diese G3 aus einer begrenzten Eigenfertigung. Dem Friedensforscher Jürgen
Grässlin zufolge ist es unstrittig, dass das Marcos-Regime eine Lizenz
erhielt. Darüber hinaus bezogen die philippinischen „Sicherheitskräfte“
MP5 aus ver-schiedenen Quellen. 1999 gaben die Pakistan Ordnance Factories
(POF) Lieferungen aus eigener Herstellung bekannt. Eine Reportage des
„Manila Standard“ belegt den Kauf von MP5 aus englischer Fertigung. Über
korrupte Offiziere sind zahlreiche dieser Waffen auf den Schwarzmarkt
gelangt, wie Presseberichte über die Verhaftung eines Ex-Generals
im Juli 2008 zeigen. Obwohl Amnesty International etliche außergerichtliche
Hinrichtungen von Oppositionellen dokumentiert hat, erlaubte der deutsche
Staat in den vergangenen Jahren wiederholt die Ausfuhr von Kleinwaffen
in das Krisengebiet. Laut dem Rüstungsexport-bericht der Bundesregierung
gab Berlin seit 2004 grünes Licht für die Ausfuhr von 61 Ge-wehren
und 67 Maschinenpistolen. Photos von Paraden zeigen, dass Spezialeinheiten
mit dem G36 ausgerüstet sind. Womöglich stammen weitere G36
von der ehemaligen Kolonialmacht Spanien, denn H&K hat eine Lizenz
an die Waffenschmiede General Dynamics Santa Bárbara Sistemas in
La Coruña vergeben.
Indonesiens Waffenschmiede
Auch Indonesien ist „Heckler and Koch country“, wie das Asian Defence
Journal festgestellt hat. Dokumente aus dem Archiv des Auswärtigen
Amtes (AA) belegen, dass 1961 ein erster Transfer von 12.500 G3 erfolgte.
Im gleichen Jahr begann die indonesische Firma PT Pindad mit Hilfe des
bundeseigenen Unternehmens Fritz-Werner den Aufbau von Fabriken für
die Herstellung von G3, MP5 und der entsprechenden Munition. In ihrer
Endphase waren der Suharto-Diktatur diese Kapazitäten indes nicht
mehr genug. Nach amtlichen Agenturberichten nahmen die Militärs Geschäftskontakte
u.a. mit der pakistanischen Waffenschmiede POF auf. 1997 identifizierte
ein britischer Dokumentarfilm die H&K-Niederlassung in Nottingham
als MP5-Lieferanten. Und zwei Jahre später enthüllte die Channel4-Reportage
„Licensed to Kill“, dass der türkische Rüstungskonzern MKEK
noch während der schlimmsten Massaker in Ost-Timor 500 MP5 an die
berüchtigten Kopassus-Einheiten lieferte. Zwar hat sich die Menschenrechtslage
seit der Ära Suharto, in der nach Schätzungen 180.000 Timoresen
getötet wurden, erheblich gebessert. Amnesty beklagt jedoch weiterhin
unrechtmäßige Tötungen durch „Sicherheitskräfte“,
besonders in Papua. Dennoch hat die rot-grüne Bundesregierung 2005
den Export von 242 Maschinenpistolen, offenbar MP7, und 16 Gewehren genehmigt,
die anscheinend auch an Kopassus gingen.
HK-Schwund in Osttimor
Osttimor, das 2002 unabhängig wurde, leidet derweil weiterhin unter
der Verbreitung von Kleinwaffen, wie nicht zuletzt der Anschlag auf den
Präsidenten und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta
im Februar 2008 demonstrierte. Australische Zeitungen meldeten 2006, dass
mehr als die Hälfte der HK33-Polizeigewehre verschwunden ist. Im
selben Jahr be-richtete eine Caritas-Reportage, dass marodierende Killerkommandos
mit HK33 bewaffnet waren. Laut Jane’s hatte Osttimors Regierung die HK33
aus Malaysia bezogen.
Lizenz für Malaysia
Malaysia erhielt der offiziellen H&K-Festschrift zufolge ebenfalls
eine eigene G3-Lizenzproduktion. Nach Erkenntnissen von Dr. Edward Ezell,
der als der „Papst“ der Klein-waffenforscher gilt, lieferte H&K überdies
rund 50.000 HK33 sowie große Mengen an Maschinengewehren (HK21,
HK11). All diese Typen sind laut Jane’s noch immer Standard-waffen des
malaysischen Militärs. Doch obwohl Amnesty International massive
Menschen-rechtsverletzungen kritisiert und selbst Staatsmedien über
H&K-Waffen in den Händen von Kriminellen berichten, haben die
deutschen Exportkontrolleure seit 2002 die Ausfuhr von 1.550 Maschinenpistolen,
darunter MP7, und 234 Gewehren erlaubt.
Singapur und Brunei sind auch dabei
Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Singapur gleichfalls
seit Jahrzehnten auf MP5 „Made in Germany“ zählt. Zwischen 2002 und
2006 hat der autoritär regierte Stadtstaat 562 Maschinenpistolen
aus Oberndorf bezogen, darunter womöglich der MP5-Nachfolger MP7.
In Brunei ist das G3 laut Jane’s nach wie vor das Standardgewehr der Militärs.
Unlängst hat es sich der Sultan höchstpersönlich bei einem
Besuch im Ausbildungszentrum der Armee nicht nehmen lassen, eine H&K-Waffe
auszuprobieren.
Verheerende Wirkung in Burma
Die verheerendsten Wirkungen haben H&K-Waffen in Burma hinterlassen.
Das BMVg ver-kaufte bereits 1960 die Lizenz zur Herstellung des G3 dorthin.
Die betreffende Fabrik baute die bundeseigene Firma Fritz-Werner auf.
Bis die Produktion anlief, bezogen die birmanischen Militärs 22.000
fertige G3. Weder der eskalierende Guerillakrieg noch die blutige Niederschlagung
friedlicher Proteste beeindruckten die Bonner Exportkontrolleure. 1976
stimmten sie dem Antrag von Fritz-Werner zu, die burmesischen Munitionswerke
zu modernisieren. Dies änderte sich auch zunächst nicht, als
die Armee im August 1988 Tausende Demonstrant/innen niedermetzelte - mit
G3, wie etliche Photos dokumentieren. Ungerührt genehmigte die Regierung
in Bonn im September 1988 die Ausfuhr weiterer Munitionsmaschinen. Fritz-Werner
– 1989 vom Bund an den Essener Konzern MAN Ferrostaal verkauft – ist noch
immer in Burma aktiv: Über eine Niederlassung und ein Joint-Venture
mit dem Industrieministerium. MAN Ferrostaal behauptet allerdings, dass
das En-gagement seit 1990 ausschließlich zivile Projekte umfasst,
die der Bevölkerung zugute kommen. Unstrittig ist, dass G3-Gewehre
nach wie vor im Einsatz sind. So wurde der japanische Photograph Kenji
Nagai bei den Protesten Ende 2007 von einem Soldaten mit einem H&K-Gewehr
erschossen.
Vollstreckung der Todesstrafe in Thailand
Weil es „unbillig“ erschien, Thailand zu verweigern, was man Birma gewährte,
durfte auch der rivalisierende Nachbarstaat eine H&K-Lizenzproduktion
aufbauen. Das AA genehmigte den Oberndorfern 1971 die Ausfuhr einer Fabrik
für den G3-Ableger HK33. Glaubt man thailändischen Presseberichten,
so zahlte H&K massive Schmiergelder an Entscheidungs-träger in
Bangkok. Kurz darauf stellte die burmesische Armee bei Rebellen HK33 sicher.
Darüber hinaus lieferte H&K MP5, die unter anderem zur Vollstreckung
der Todesstrafe be-nutzt wurden, wie der frühere Henker Chavoret
Jaruboon in seinen Memoiren bestätigt. Bezeichnenderweise ist der
Sitz von H&Ks Verkaufsbüro für die südostasiatische
Region noch immer in Bangkok. Ungeachtet schwerer Konflikte im Süden
des Landes und notorisch häufiger Putsche hat die Regierung in Berlin
seit 2001 die Ausfuhr von Kleinwaffen im Wert von über 11 Millionen
Euro genehmigt, darunter zahlreiche G36.
Vietnam, Kambodscha und Laos
Selbst Vietnam, das traditionell mit Waffen aus dem früheren Ostblock
ausgestattet ist, setzt neuerdings auf H&K-Technik: Jane’s hat Mitte
2007 über den Kauf von 100 MP5 aus pakistanischer Produktion berichtet.
Kambodscha hat zwar bislang keine direkten Lieferungen von H&K-Waffen
erhalten. Dem Waffenexperten Ezell zufolge waren jedoch dereinst die Rebellen
der Khmer People’s National Liberation Front mit MP5 und dem HK33-Ableger
HK53 bewaffnet, offenbar aus thailändische Beständen. Im Juli
2008 wurden der Journalist Khim Sambor und sein Sohn in Phnom Penh laut
Asian Human Rights Commission mit einer H&K-Maschinenpistole er-schossen.
Laos ist schließlich der einzige Staat in Südostasien, aus
dem es keine Meldungen über Vor-kommen von H&K-Waffen gibt. Es
scheint jedoch nur eine Frage der Zeit, bis sich dies ändert.
Fazit:
Nachdem Südostasien während des Kalten Krieges mit deutschen
Kleinwaffen hochgerüstet wurde, besteht die akute Gefahr, dass sich
diese Entwicklung mit der jüngsten Generation von H&K-Modellen
fortsetzt. Verhindern kann dies nur energischer Druck einer kritischen
Öffentlichkeit – im Geiste der 68er-Bewegung.

arbeitet als Kleinwaffen-Analyst
im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS) und ist
Vorstandsmitglied des RüstungsInformationsBüros Freiburg i.Br. (RIB).
|