Es geht auch ohne nukleare Teilhabe
von Otfried Nassauer
Thomas Kossendey hatte es nicht leicht. Vergangene Woche musste der
Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium dem Bundestag
erklären, was nur schwer zu erklären ist. Warum halten sein Minister und
die CDU an der Lagerung atomarer Waffen in Deutschland fest? Warum müssen
deutsche Tornados mit Bundeswehrpiloten bereitgehalten werden, um im
Ernstfall amerikanische Atomwaffen abwerfen zu können? Warum muss
Deutschland an der nuklearen Teilhabe der Nato festhalten? Komplexe
Materie und ein schwerer Stand im Bundestag. Die CDU ist die einzige
Partei, die dies vertritt.
Der eloquente Kossendey las seine Rede vorsichtshalber vom Blatt. Er
warnte: Wer wolle, dass die in Deutschland gelagerten Atomwaffen abgezogen
werden, stelle "einen Kernbestand der Atlantischen Allianz
infrage" und wolle "letztendlich die Beziehungen zwischen
Nordamerika und Europa dauerhaft schwächen". Er sehe "keine
Perspektive, die in absehbarer Zeit eine Änderung" der Strategie der
nuklearen Abschreckung erlaube. Wer die nukleare Teilhabe beenden wolle,
gebe damit das Recht auf Mitsprache beim Einsatz von Atomwaffen auf.
"Deutschland wäre dann nicht mehr in den beschlussfassenden Gremien
der Nato repräsentiert."
Starker Tobak - und schlicht falsch. Wenn ein Nato-Staat aus der
nuklearen Teilhabe ausscheidet, keine Trägerflugzeuge mehr bereitstellt
oder keine Atomwaffen mehr auf seinem Territorium lagert, verliert er
weder seine Mitspracherechte noch seinen Platz in den beschlussfassenden
Nato-Gremien. Kanada gab die Teilhabe kurz nach Ende des Kalten Krieges
auf, Griechenland vermutlich 2001, die Türkei wohl wenige Jahre später.
Diese Länder können weiter in der Nuklearen Planungsgruppe mitarbeiten -
genauso wie all die Nato-Staaten, die nie Atomwaffen gelagert oder bei der
nuklearen Teilhabe mitgemacht haben, und die neuen Nato-Mitglieder, auf
deren Boden keine Atomwaffenlager eingerichtet werden dürfen, weil
Washington das Moskau verbindlich zugesagt hat. Die Nato kennt keine Zonen
ungleicher Sicherheit. Für alle Mitglieder gelten die gleichen
Sicherheitsgarantien. Trägerflugzeuge für US-Nuklearwaffen stellen
derzeit nur noch Deutschland, Belgien, die Niederlande und -
möglicherweise nur noch für kurze Zeit - Italien.
Das Ende der nuklearen Teilhabe ist auch nicht gleichbedeutend mit
einem Ende der nuklearen Abschreckung. Im Ernstfall stehen der Nato
Atomwaffen auf britischen und amerikanischen U-Booten zur Verfügung. Die
in Europa gelagerten Atomwaffen leisten keinen Abschreckungsbeitrag, der
nicht auch von diesen Waffen abgedeckt würde.
Die USA haben alle Nuklearwaffen aus Deutschland und England abgezogen,
die für ihre eigenen Flugzeuge vorgesehen waren. Schon vor Jahren sagte
der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, es sei Sache der
Europäer, zu entscheiden, ob sie weiterhin US-Atomwaffen lagern wollen.
Rund 60 Prozent der Lagerstätten, die die Nato Anfang der neunziger Jahre
nutzte, sind inzwischen geräumt. Das Signal lautet: Die nukleare Teilhabe
und die Lagerung substrategischer Atomwaffen in Europa sind ein
Auslaufmodell.
Wenn die Bundesregierung sich in naher Zukunft entscheiden würde, auf
die technisch-nukleare Teilhabe und die Lagerung atomarer Waffen zu
verzichten, so wäre das ein Signal: Die Mittelmacht Deutschland fühlt
sich sicher - auch ohne Nuklearwaffen. Deutschland würde einen
eigenständigen Beitrag zur nuklearen Abrüstung leisten. Es würde die
Bemühungen um Nichtverbreitung stärken. Nichts tun heißt, auf diese
positiven Signale zu verzichten. Der Atomwaffensperrvertrag trat morgen
vor 40 Jahren in Kraft. Das wäre ein schönes Datum, um ein Zeichen zu
setzen.

ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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