Auf der Suche nach einer neuen Weltordnung - Europäische Versuche und amerikanische Antworten von Otfried Nassauer "Gibt es noch den Westen?" so lautet die Frage, die Sie mir für den heutigen Vortrag gestellt haben. Eine Frage, die in Mode gekommen ist. Im vergangenen Herbst wurde sie verblümter in etwas anderer Weise gestellt: Damals fragten fast gleichzeitig die Heinrich Böll-Stiftung, Thomas L. Friedman, der berühmte Kolumnist der New York Times und der ehemalige Leiter der UNO-Inspekteure im Irak Hans Blix: Entwickeln sich Europa und die USA unaufhaltsam auseinander, weil in Europa nunmehr der 9. November 1989, das Ende des Kalten Krieges, das identitätsstiftende Bezugsdatum ist, während für die USA der 11.September 2001, der Tag der Terroranschläge in New York und Washington, diese Funktion hat? Damals wurde argumentiert, nun gebe es im Gegensatz zu den Zeiten des Kalten Krieges kein gemeinsames identitätsstiftendes Bezugsdatum mehr, wie dies mit dem Jahr 1945 früher der Fall war. Mithin: Ich interpretiere, die Frage, die Sie mir für heute gestellt haben als die Frage nach der Zukunft des transatlantischen Verhältnisses. Lassen Sie mich zunächst eine Gegenfrage stellen: Gab es jemals "den Westen"? Oder gab es mit der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt nur eine von Westeuropa und den USA gemeinsam identifizierte Hauptbedrohung? Dafür spricht, daß damals wie heute eine Ursache transatlantischer, sicherheitspolitischer Differenzen in Bedrohungsperzeptionen lag, die ähnlich, aber nicht identisch waren. Während des Kalten Krieges hieß es: Ja, ein Nuklearkrieg zwischen Ost und West würde möglicherweise alle NATO-Staaten einer absoluten Existenzgefährdung aussetzen. Zugleich aber gab es immer wieder Diskussionen, über An- und Abkopplung, über die Möglichkeit eines auf Europa begrenzten Atomkrieges und damit deutliche Anzeichen dafür, daß es diesseits und jenseits des Atlantiks auch Unterschiede in der Bedrohungsperzeption gab. Diese unterschiedlichen Perzeptionen führten zugleich zu unterschiedlichen sicherheitspolitischen Interessen: Westeuropa wie übrigens auch Mitteleuropa war daran interessiert, daß sich die USA und die Sowjetunion eine nukleare Konfrontation nicht auf Europa begrenzen konnten; für beide Supermächte dagegen wäre eine vorläufige, gegenseitige Verschonung der eigenen Territorien durchaus eine bedenkenswerte Option gewesen. Und übrigens: Was für die Sicherheitspolitik des Kalten Krieges galt, galt auch in anderen Bereichen: Westeuropa und die USA hatten während der und aus Gründen der Systemkonkurrenz überwiegend ähnliche, aber nie identische nationale Interessen. Betrachten wir nun die Lage nach dem Ende des Kalten Krieges: Mittlerweile gibt es das Gefühl einer grundsätzlichen Bedrohung selbst der staatlichen Existenz nicht mehr. In Europa zumindest. Für die USA dagegen hat der 11.9.2001 eine neue Erfahrung impliziert. Das Ende des Traums von der Unverwundbarkeit Amerikas wurde eingeläutet. Terrorismus und die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen werden in den USA als Bedrohungen betrachtet, denen mit asymmetrischer Abschreckung begegnet werden muß. Von manchen werden sie sogar als so existenzgefährdende Bedrohungen betrachtet, daß zu ihrer Eliminierung jedes Mittel recht ist, sogar der Bruch bestehenden Rechts, des Völkerrechts wie individueller Rechte und Menschenrechte. Anders in Europa: Hierzulande werden Terrorismus und Proliferation auch als bedeutende Risiken eingeschätzt nicht jedoch als existentielle Bedrohungen. Man kann Terrorismismus- und Proliferationsrisiken eindämmen und reduzieren, aber eliminieren kann man sie nicht so die Einschätzung der meisten europäischen Fachleute und Politiker. Diesbezüglich sind sie mit den Risiken vergleichbar, die jede Industriegesellschaft zur Risikogesellschaft machen. So, wie ein Atomkraftwerk letztlich nicht 100prozentig gegen einen GAU geschützt werden kann, kann eine hochindustrialisierte Gesellschaft nicht mit 100 prozentiger Sicherheit gegen einen Terroranschlag geschützt werden. Es bleibt ein Restrisiko. Und übrigens: Was während des Kalten Krieges galt, gilt auch weiterhin: Westeuropa und die USA haben auch in anderen Bereichen überwiegend ähnliche, aber so gut wie nie identische nationale Interessen. Die Systemkonkurrenz findet ohne als solche bezeichnet zu werden heute zwischen verschiedenen Ausprägungen des Kapitalismus statt. Betrachten wir also die Zukunft der transatlantischen Beziehungen und die strategischen Entwicklung in den vergangenen Jahren unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten.
1. Die Neuen Rahmenbedingungen Militärische Einsätze zur Verteidigung nationaler Territorien gegen einen klassischen, staatlich geführten, militärischen Angriff von außen sind auf absehbare Zukunft unwahrscheinlich. Die Bundesrepublik ist von Bündnispartnern umzingelt. Weder den NATO- noch den EU-Staaten droht angesichts ihrer weit überlegenen militärischen Fähigkeiten ein solcher Angriff durch einen Staat oder eine Staatenkoalition, der erfolgversprechend sein könnte. Frühere potentielle, potente Gegner wie Rußland haben heute ein wohlverstanden genuines Eigeninteresse an sicherheitspolitischer Kooperation, da sie von Kooperation z.B. im Energiesektor lebenswichtig profitieren, unter Konkurrenzbedingungen aber eher viel zu verlieren hätten. Mithin konzentriert sich die Debatte über die Zukunftsaufgaben von Militär und Sicherheitspolitik in Deutschland, Europa und der NATO zunehmend auf verbleibende sicherheitspolitische Risiken anderer Art. Drei Risikokategorien und den möglichen Kombinationen aus ihnen wird dabei immer wieder besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dies sind erstens Risiken, die sich im weitesten Sinne aus Staatszerfall und der teilweisen bzw. vollständigen Aneignung von Funktionen des staatlichen Gewaltmonopols durch nichtstaatliche Akteure ergeben. Es sind zum zweiten Risiken, die sich aus dem Handeln nichtstaatlicher, transnational tätiger, bewaffneter Akteure, wie z.B. Terroristen, religiöser Extremisten oder auch transnationaler Konzerne ergeben können. Und es sind schließlich Risiken, die aus der Proliferation von Massenvernichtungswaffen an staatliche oder nicht-staatliche Akteure erwachsen könnten, da diesen Waffen ein extraordinäres Schadenspotential inhärent ist. Hinsichtlich aller drei Risikokategorien wird von asymmetrischen Risiken gesprochen, da sie keine klassische Kriegsherausforderung, wohl aber probate Formen der gewaltförmigen Auseinandersetzung zwischen höchst ungleich gerüsteten Gegnern darstellen können. Aus Sicht der potentiellen Opponenten: David sucht seine Chance gegen Goliath. Für all diese Risiken gilt dass
Die Sicherheitsstrategie der EU und deren Entwurf machen darüberhinaus deutlich, daß auf weitere Risiken zu achten ist, die in der US-amerikanischen Debatte deutlich weniger Beachtung finden. Dies sind u.a. Risiken, die sich aus dem globalen Klimawandel (und damit auch aus der Energiepolitik) ergeben; es sind Risiken die sich aus der organisierten Kriminalität ergeben und es sind Risiken, die aus Ressourcenkonflikten, z.B. um Trinkwasser oder künftigen Migrationsströmen resultieren könnten. Hinsichtlich der Eintrittswahrscheinlichkeit dürften abgesehen von kleinen Einsätzen z.B. zu humanitären oder Evakuierungszwecken - drei Szenarien die kurz- und mittelfristige Zukunft europäischer Streitkräfteeinsätze bestimmen. Dies sind zum einen friedenserhaltende und friedenserzwingende Maßnahmen, also längere, ressourcenintensive Einsätze, die im wesentlichen von einem niedrigen oder mittleren Gewaltniveau gekennzeichnet sind und die der Befriedung aus humanitären Gründen bzw. dem Wiederaufbau in ehemaligen Kriegsregionen dienen. An solchen Einsätzen werden europäische Streitkräfte gleichberechtigt oder auch in führender Rolle teilnehmen. Zweitens dürften europäische Streitkräfte realistischerweise gelegentlich bei harten Interventionseinsätze zum Einsatz kommen, wenn eine Unterstützung der USA aufgrund übereinstimmender Interessen oder eines drohenden, inakzeptabel großen Schadens im transatlantischen Verhältnis politisch geraten erscheint. Hier ist zumeist von einer unterstützenden, nicht-gleichberechtigten Rolle und von einem hohen Gewaltniveau im Rahmen vergleichsweise kurzer Kriegshandlungen auszugehen. Drittens dürften sie ebenfalls aus eher politisch - opportunistischen Gründen - dann zum Einsatz kommen, wenn nach U.S.-geführten Interventionen das seitens der USA ungeliebte Nation-building ansteht. Dabei ist je nach Konfliktlage von einem zunächst eher niedrigen oder mittleren Gewaltniveau auszugehen, wobei sich aber erst im Laufe der Zeit zeigt, ob sich die Lage im Einsatzgebiet stabilisiert oder die Auseinandersetzungen erneut eskalieren. Auch hier ist mit einer zumeist längeren oder gar sehr langen Einsatzdauer zu rechnen. Kennzeichnend für dieses Spektrum wahrscheinlicher, militärischer Einsätze ist es zudem, daß zielbedingt sehr unterschiedliche Fähigkeiten gefordert und gefragt sein werden: Zum einen sind zur Deeskalation beitragende, die Lage stabilisierende militärische Fähigkeiten (quasi polizeilicher Natur) gefragt, zum anderen unter allen Bedingungen durchsetzungsfähige überlegene, dominanz- und eskalationsfähige Interventionsfähigkeiten. Mögliche militärischer Einsätze dürften von äußerst unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen begleitet sein. Für militärische Stabilisierungsmaßnahmen in und im direkten Umfeld Europas und europäische Beteiligungen an Maßnahmen der Vereinten Nationen oder der OSZE, die der politischen Interessenslage Europas entsprechen, ist mit politischem Rückhalt zu rechnen. Die europäische Mitsprache und Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Frage, wie mit einer aufkommenden Krise umgegangen werden soll, darf in den meisten Fällen als gesichert gelten. Mit dem Vorliegen einer Mandatierung darf gerechnet werden. Ganz anders bei der Unterstützung US-geführter Interventionen und bei Nation-Building-Aufgaben nach US-Interventionen. Von Fall zu Fall dürfte sich in diesem Kontext entscheiden, ob die USA Europa ein Mitspracherecht bei Entscheidungen über potentielle Interventionen gewähren oder nicht. Bei Nation-Building-Aufgaben nach Interventionen Washingtons wie z.B. im Irak träfe Europa auf eine vorgegebene Lage. Es stünde die Frage, ob sich Europa beteiligt oder ob es sich einer Beteiligung überhaupt entziehen kann. Die Umstände, unter denen Europa über seine Beteiligung an militärischem Krisenmanagement wird entscheiden müssen, sind also voraussichtlich nicht nur durch die je aktuelle Krise selbst bestimmt, sondern auch durch Anforderungen Washingtons im Kontext der je aktuellen politischen und militärischen Interessenslage der USA.
2. Die Antwort Washingtons - Außen- und Sicherheitspolitik unter George W. Bush Die Außen und Sicherheitspolitik der Bush-Administration wird bislang
von Neokonservativen dominiert, die argumentieren, daß die USA sich ihrer Rolle als
alleinige Supermacht erst noch bewußt werden und daraus die Konsequenzen ziehen müssen.
Es gelte, die Weltordnung so neu zu gestalten, daß diese die Aufrechterhaltung der
alleinigen amerikanischen Führung erleichtere und die Herausbildung regionaler
Konkurrenten erschwere. Eine deutliche Flexibilisierung der amerikanischen
machtpolitischen Handlungsmöglichkeiten sei vonnöten. Ein verstärkter Rückgriff auf
naturrechtliche Vorstellungen, das Recht des Stärkeren sei angemessen, weil das
Verhältnis der Staaten untereinander anarchisch sei. Nicht Legalität und Recht, sondern
Legitimität und Rechtfertigbarkeit rücken in den Vordergrund. Flexiblere Optionen zur
Ausübung von Macht werden durch eine aktive Deregulierung der internationalen
Beziehungen erreicht. Diese nimmt verschiedene Formen an:
Die Deregulierung der internationalen Beziehungen ist kein Selbstzweck, sondern Schritt und Phase auf dem Weg zu einer den neuen Risiken und Gefährdungen angepaßten Ordnung unter dauerhafter Führung der USA. Richard N. Haass, bis vor wenigen Monaten Planungsdirektor im US-Außenministerium, spricht davon, eine "Doktrin der Grenzen nationaler Souveränität" zu entwickeln, also ein Set von Werten, an das sich Regierungen halten müssen, wenn sie vor Interventionen der internationalen Staatengemeinschaft oder der USA sicher sein wollen. Regierungen müssen Werte wie Demokratie, Menschenrechte, freie Marktwirtschaft, Nichtunterstützung von Terrorismus oder Proliferation gewährleisten. Tun oder können sie das nicht, so darf und muß "Regime Change" erzwungen werden können. Die internationalen Organisationen müssen entweder Instrumente der Implementierung dieser neuen Weltordnung werden oder aber wenn sie sich dazu unfähig bzw. unwillig zeigen - durch neue, unter Führung Washingtons zu gründende Institutionen abgelöst werden. Ähnliches gilt für das internationale Recht. Es muß angepaßt werden oder es verliert seine Bindungskraft. Ob auf die Phase der Deregulierung der internationalen Beziehungen auch wirklich eine solche Phase der Rekonstruktion folgen wird, läßt sich nicht abschließend beurteilen. Zweifel sind möglich. Zum einen, weil Glaubwürdigkeit und Konsistenz für die Wertebasierung einer neuen Weltordnung unabdingbare Voraussetzungen sind. Beides steht in Frage, seit die partiell parallele Eskalation der Konflikte um die Massenvernichtungswaffen Nordkoreas und des Iraks Washingtons Politik vor der Frage "Viele Kriege oder viele Standards?" stellte. Auch hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung gilt ähnliches. Zum anderen darf bezweifelt werden, daß die USA über die wirtschaftlichen und militärischen Ressourcen verfügen, um die angedachte neue Ordnung im Alleingang und wo immer nötig militärisch durchzusetzen - das Phänomen der Gefahr der imperialen Überdehnung. Würde nur eine Deregulierung der internationalen Beziehungen vollzogen, der Aufbau einer neuen Weltordnung auf veränderter Wertebasis aber scheitern, so wäre ein deutliches Weniger an Stabilität und ein deutliches Mehr an zwischenstaatlicher Anarchie die wahrscheinliche Folge. Als Kollateralschaden könnte eintreten, was vorgeblich verhindert werden soll ein mehr an Terror und Proliferation. Zumindest ersteres deutet sich ansatzweise im Irak möglicherweise bereits an. Zweiteres ist schwerer abzuschätzen, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Dies hätte für Washington schwerwiegende Folgen mehr aber für ein Europa, das noch kein einheitlicher Akteur ist, der schnell genug agieren könnte. Es bleibt abzuwarten, ob Washington eine solche Entwicklungsoption als ein Ziel seiner Politik zu erkennen gibt bzw. sie als Mittel einsetzt, um dem Entstehen eines regionalen, europäischen Konkurrenten vorzubeugen.
3. Europäische Antwortversuche Der Europäische Rat in Thessaloniki billigte am 19. Juni 2003 erstmals Grundzüge einer sicherheitspolitischen Strategie für die Staaten der Europäischen Union (EU). Diese wurden wenig aber entscheidend - verändert anläßlich des nächsten Gipfeltreffens der EU während des Europäischen Rates in Brüssel am 12. Dezember 2003 endgültig verabschiedet. Das Dokument ist Ausdruck der Tatsache, daß die sicherheitspolitische Diskussion in Europa weiter in Bewegung bleibt. Dies verdeutlicht ein Zitat aus dem von Javier Solana verantworteten Papier mit dem Titel Ein sicheres Europa in einer besseren Welt: "Als Zusammenschluß von 25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozialproduktes weltweit erwirtschaften, ist die Europäische Union, der zudem ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung steht, zwangsläufig ein globaler Akteur. (...) Europa muß daher bereits sein, Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt zu tragen." Deutlich wird, daß nichts Geringeres als eine Bestimmung der sicherheitspolitischen Rolle Europas Gegenstand der Debatte ist. Im Kern gehe um Europa als global wirkenden sicherheitspolitischen Akteur. Erneut ausgelöst wurde diese Debatte zum einen durch die Nachwirkungen der Terroranschläge vom 11. September 2001. Andererseits aber und viel nachhaltiger wirkt die Neuformulierung der US-Außen- und Sicherheitspolitik unter George W. Bush. Nach acht Jahren demokratischer Präsidentschaft setzt Bush wieder dort an, wo sein Vorgänger und Vater, George H.W. Bush, 1992 gezwungenermaßen aufhören mußte: Bei der Ausgestaltung einer neuen Weltordnung für die Zeit nach der Bipolarität des Kalten Krieges, einer Weltordnung unter Führung Washingtons als einzig verbliebener Supermacht mit im nationalem Interesse distanziert-skeptischer, wenn nicht sogar ablehnender Haltung gegenüber der sicherheitspolitischen Integration Europas. Verkörpert wird die inhaltliche Kontinuität durch den damaligen Verteidigungsminister und heutigen Vizepräsidenten Dick Cheney. Die EU-Staaten versuchen nun mit einer eigenen Europäischen Sicherheitsstrategie trotz für die nahe und mittlere Zukunft absehbar erschwerter Rahmenbedingungen eine aktuelle Standortbestimmung. Europa wendete sich der Debatte über eine Anpassung der Weltordnung nach dem Ende des Kalten Krieges und der Frage nach seiner eigenen sicherheitspolitischen und militärischen Rolle außerhalb Europas nur schrittweise und vergleichsweise langsam zu. Frankreich unternahm zunächst mit der Reaktivierung der WEU und der Initiative zu den "Petersberger Aufgaben" von 1992 einen Versuch, Europa mit friedensunterstützenden, militärischen Maßnahmen in Unterstützung der UNO und der OSZE ein eigenständiges Handlungsfeld und Profil zu erschließen. Dieser Versuch wurde jedoch durch die Öffnung der NATO für das gleiche Aufgabenfeld und durch technische Abkommen zur Anbindung der WEU und des Eurokorps an die NATO binnen weniger Jahre wieder eingehegt. Fortan galt, daß sich die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität innerhalb der NATO herausbilden solle. Erst die Erweiterung der sicherheitspolitischen Befugnisse der EU durch den demnächst in Kraft tretenden Amsterdamer Vertrag und die in diesem Kontext initiierte Idee einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), die letztlich in einer Europäischen Verteidigungspolitik münden soll, bot Ende 1998 erneut Anlaß, über Europa als potentiell eigenständigen, sicherheitspolitischen Akteur erneut nachzudenken. Parallel zur Eskalation der Kosovo-Krise zum Krieg entwickelte die EU auf intergouvernementaler Ebene Grundlagen eines Konzept für ein autonomes europäisches Krisenmanagement im Rahmen der Petersberg-Aufgaben. Diese wurden erstmals während des informellen Treffens der EU-Außenminister in Reinhardtshausen unmittelbar vor Beginn des Krieges gebilligt, fanden in ihrem Kern überraschenderweise Eingang in das Abschlußkommunique des Washingtoner NATO-Gipfels im April 1999 und wurden während der Sitzung des Europäischen Rates in Köln im Juni 1999 endgültig verabschiedet. Sechs Monate später fielen in Helsinki erste Beschlüsse, dieses Konzept durch entsprechende militärische und später auch nicht-militärische Fähigkeiten zu unterfüttern. Washington versuchte in der Folge letztlich erfolgreich, auch diese Initiativen, soweit von militärischer Bedeutung über technische Abkommen zwischen der EU und der NATO einzuhegen und politisch für sich über Mitspracherechte der NATO kontrollierbar zu machen. Die EU soll zwar autonome Beschlüsse zum Krisenmanagement fassen können, nicht aber über gesicherte autonome Planungs- und Kommandostrukturen sowie Durchführungsmöglichkeiten für entsprechende militärische Aktionen verfügen. Nach den Anschläge des 11.9.2001 drängten die USA zudem verstärkt auf ein erweitertes, globales Engagement der NATO bei Interventionen zur Bekämpfung des Terrorismus und der Proliferation. Mit dem Vorschlag der NATO-Response Force, einer primär europäischen Eingreiftruppe zur Unterstützung solcher US-geführter Interventionen, soll Europa zudem veranlaßt werden, die Modernisierung seiner Streitkräfte nach US-Vorbild zu beschleunigen und sich auf die politische Debatte über die Notwendigkeit und Legitimität solcher Interventionen einzulassen. Da solche Einsätze bislang noch außerhalb der europäischen Konzeption für das Krisenmanagement angesiedelt waren 2, wurde so zugleich eine sicherheitspolitische Refokusierung auf die NATO eingeleitet. Der beschleunigte Ablauf des politischen Prozesses verstärkt für die europäischen Staaten zudem die Notwendigkeit, sich auf nationaler und nicht auf europäischer Ebene zu den rechtlich und politisch problematischen Aspekten der veränderten Strategie Washingtons zu verhalten: Für entscheidende Fragen wie jene, ob ein Mandat der UNO Voraussetzung einer Intervention sein sollte oder ob präventives oder präemptives militärisches Handeln zulässig sein sollte, müssen statt einer europäischen viele nationale Antworten gesucht werden; Antworten, die eine spätere gemeinsame europäische Antwort erschweren, aber auch präjudizieren könnten. Dieser Prozeß impliziert zudem eine Reorientierung der europäischen Diskussion auf die seitens der USA präferierte militärische Seite der Sicherheitspolitik. Das unterscheidet die Vorgänge in der NATO von der Herangehensweise in der EU - der parallelen, wenn auch ungleich gewichteten Entwicklung eines zivilen und eines militärischen Instrumentariums für das Krisenmanagement, das letztlich konsekutiv, ergänzend oder auch integriert angewendet werden kann. Solanas Grundzüge einer europäischen sicherheitspolitischen Strategie und die vom Europäischen Rat im Dezember 2003 verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie spiegeln die geschilderte Entwicklung bzw. Gemengelage: Die Autoren versuchen, eine Balance zwischen der Vision eines auch gegenüber Washington eigenständigen, europäischen Ansatz und der ihnen (unter)bewußt bekannten, bereits erfolgten Einhegung europäischer Autonomie-Ambitionen durchzuhalten. Einhegungserfolge versuchen sie so gut wie möglich zu kaschieren, indem ihre Aussagen zu den militärischen Aspekten der Sicherheitspolitik ausgesprochen vage und allgemein bleiben. Ersteres wird wo immer möglich betont, so, wenn die EU bereits als glaubwürdiger und handlungsstarker Akteur im globalen sicherheitspolitischen Kontext beschrieben wird. Das Ergebnis ist wie könnte es anders sein - zwiespältig. In der Analyse der Sicherheitsrisiken folgt die Europäische Sicherheitsstrategie in weiten Teilen der Tonlage Washingtons - allerdings mit leicht anderen Gewichtungen. Terrorismus, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Regionalkonflikte und das Scheitern von Staaten, die Organisierte Kriminalität aber leider nicht mehr wie im Entwurf jene Risiken, die sich z.B. aus dem drohenden Klimawandel ergeben ´- werden als "Hauptbedrohungen" dargestellt. Sodann benennt sie drei strategische Ziele europäischer Sicherheitspolitik: Die Abwehr der Hauptbedrohungen, Europas Interesse an einer Stabilisierung und Stärkung der Sicherheit in seiner weiteren Nachbarschaft (Balkan, Nahost, Südkaukasus, Mittelmeerraum), sowie eine "Weltordnung auf Grundlage eines wirksamen Multilateralismus", zu der u.a. die Stärkung der Vereinten Nationen, der Welthandelsorganisation und regionaler Organisationen gehört. Der von Washington abgelehnte Internationale Strafgerichtshof im Entwurf noch explizit erwähnt fehlt. Eine auffällige Veränderung gegenüber dem Entwurf besteht auch darin, daß sich nunmehr die Reihenfolge der Ziele verkehrt hat. Die Bedrohungsabwehr rangiert vor Stabilisierung und Multilateralismus. Im Juni rangierte die Stabilisierung vor der Stärkung multilateraler Institutionen und der Abwehr der Bedrohungen. Schließlich formuliert das Dokument "Auswirkungen auf die Europäische Politik", die man auch Anforderungen für eine verbesserte Handlungsfähigkeit in der Zukunft nennen könnte. Verglichen mit dem Dokument von Thessaloniki haben hier weitere Veränderungen stattgefunden. Die Forderung nach einer strategischen Kultur, die frühzeitiges, rasches und robustes Eingreifen fördert, steht nunmehr nicht mehr im Kontext militärischer Einsätze, sondern im Kontext des zivil-militärischen Mittelmixes, den es möglichst wirksam einzusetzen gilt. Die Option präventiven Eingreifens wurde scheinbar entmilitarisiert, d.h. sie bezieht sich nunmehr als "präventives Engagement" auf politische Wirkinstrumente, impliziert militärisches Engagement aber letztlich doch im Rahmen jener Kultur frühzeitiger "wenn nötig robuster Interventionen". Ausgerichtet soll das präventive Engagement auf "humanitäre Krisen" und "Anzeichen der Proliferation" sein. Unter der Überschrift: "Mehr Handlungsfähigkeit" fordert die Strategie mehr Ressourcen für die Verteidigung, sowie deren effizientere Nutzung, verbesserte Möglichkeiten, zivile Krisenmanagementmittel zu Einsatz zu bringen, sowie eine verbesserte Zusammenarbeit im diplomatischen und geheimdienstlichen Bereich. Unter dem Stichwort "Mehr Kohärenz" wird eine verbesserte Integration der verschiedenen politischen Handlungsoptionen der EU sowie deren Ausrichtung auf gemeinsame politische Zielsetzungen gefordert. Neu hinzugekommen sind in diesem Abschnitt ebenso wie in einer Passage über Zusammenarbeit mit Partnern verstärkende Formulierungen zur Kooperation mit der NATO. Janusköpfig ist das Dokument vor allem, wenn es um die künftige militärische Rolle der EU, insbesondere jene jenseits von friedensunterstützenden Maßnahmen geht. Es stellt fest, angesichts der neuen Risiken liege die erste Verteidigungslinie immer häufiger im Ausland. Gefordert wird eine strategische Kultur für frühzeitige, schnelle und wenn nötig robuste Interventionen. Aber eine erkennbare, klare Konzeption für Voraussetzungen, Ziel, Art und Charakter europäischer militärischer Interventionen fehlt. Es wird kein Versuch unternommen, zu klären, unter welchen Bedingungen Europa Streitkräfte einsetzen sollte und unter welchen nicht. Manch wichtige Frage ist einfach ausgeblendet. Zum Beispiel jene nach der Finalität der ESVP oder jene nach dem künftigen Verhältnis von innerer und äußerer Sicherheit. Vor allem aber die Frage nach den Kriterien, die angelegt werden sollten, wenn über ein militärisches Engagement der EU entschieden werden muß, bleibt unbeantwortet. Soll dies entlang des kleinsten gemeinsamen Nenners nationaler Interessenslagen geschehen? Oder entwickelt die EU verbindliche Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, wenn ein militärisches Eingreifen erwogen werden soll? Sind beispielsweise ein UN-Mandat oder klare militärische und politische Zielvorgaben für einen Einsatz zwingend? Bedarf es klarer Vorgaben für eine Exit-Strategie? Also einen Abbruch der Mission, wenn diese sich als undurchführbar erweist? Sollen präventive oder präemptive militärische Schläge zulässig oder unzulässig sein? Damit bleiben für die Grundausrichtung der europäischen Sicherheitspolitik entscheidende Fragen vorläufig vertagt oder bewußt unbeantwortet, weil eine Einigung unter den Mitgliedern der EU derzeit nicht möglich ist. Es bleibt offen, ob Europa seine Sicherheitspolitik letztlich an die Washingtons anpassen oder auf Basis seiner eigenen Interessen eine eigenständige Politik formulieren will. Wunsch und Wirklichkeit klaffen zudem in Europa nicht zuletzt deshalb oft weit auseinander, weil nicht rechtzeitig über entscheidende Fragen diskutiert wird. Oft werden notwendige Debatten blockiert, weil schon das Diskutieren als Präjudiz hinsichtlich des Zieles oder Zeitplans erachtet werden könnte oder dazu zwänge, Positionen zu beziehen, die die tagespolitische Flexibilität nationaler Regierungen einschränken könnte. Die Stärkung der intergouvernementalen Zusammenarbeit gegenüber der vergemeinschafteten, die sich im Verfassungsentwurf des Europäischen Konventes spiegelt, wird diese Tendenz voraussichtlich weiter verstärken. Schließlich muß angemerkt werden, daß die neue Europäische Sicherheitsstrategie nicht immer kohärent ist. Sie plädiert zwar deutliche für eine Integration außen- und sicherheitspolitischer Wirkinstrumente der EU und erkennt an, daß die Risiken der Zukunft nicht vorrangig mit militärischen Mitteln eingedämmt werden können. Jedoch weist sie was den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Sicherheit betrifft, eine seltsame Einäugigkeit auf: "Sicherheit" sei, so das Dokument, "eine Vorbedingung für Entwicklung". Die zweite Seite der Medaille, daß Entwicklung eine Vorbedingung für Sicherheit sein könnte, sucht man dagegen vergebens und mit ihr den Versuch, in der Strategie präzise und kohärent zu beschreiben, wie wirtschaftliche Zusammenarbeit, Entwicklungspolitik oder Handels- und Zollpolitik präventiv zur Verhinderung potentiell militärisch relevanter Konflikte beitragen können.
4. Aktive Assymmetrie - Eine europäische Sicherheitspolitik aus einem Guß Betrachten wir nun partiell unabhängig von den kurzfristigen machtpolitischen Realisierungschancen die Frage, wie eine europäische Sicherheitspolitik der Zukunft eigentlich aussehen müßte gerade dann, wenn sie gemeinsam, wirkungsvoll und unter Rückgriff auf Europas breites Ressourcenpotential erfolgen würde. Europa ist wenn die bereits erreichte Integration nicht wieder zur Disposition gestellt werden soll - langfristig auf dem Weg, ein einheitlicher Staat und vielleicht schon zuvor - ein einheitlicher Akteur in der Außen- und Sicherheitspolitik zu werden. Dies erfordert es, daß die EU hinsichtlich aller Souveränitätsfragen bereits heute agieren so muß, als sei das Endstadium der Integration bereits erreicht. Souveränitätsverzicht darf nur auf Gegenseitigkeit geübt werden auch gegenüber der NATO oder den Vereinigten Staaten. Europas Interessen sind mit denen der Vereinigten Staaten nicht identisch. Übereinstimmung und Gemeinsamkeiten überwiegen, es gibt aber auch gravierende Unterschiede. So muß Europa an Multilateralismus und kooperativer Multipolarität ebenso interessiert sein wie an einer zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen 3 und an einer Stärkung internationaler Regime und Institutionen. Dies ergibt sich quasi "natürlich" schon daraus, daß Europa nicht "der Stärkste" ist, der von Regelverletzungen profitieren könnte. Europa muß zudem ein Interesse daran haben, daß auf Krisen frühzeitig und mit vorrangig nichtmilitärischen Mitteln reagiert wird, nicht aber spät und mit zumeist militärischen Instrumenten. Im Gegensatz zu Washington verfügt Europa primär über nichtmilitärische Ressourcen zum Konfliktmanagement. Europa muß darüber hinaus ein Interesse haben, darüber wie auf Krisen und Konflikte reagiert wird, auch gegenüber Washington, ein Mitentscheidungsrecht zu haben. Dies setzt voraus, daß Europa bei der Gestaltung von Weltordnung verantwortlich mitwirkt und glaubwürdige Fähigkeiten besitzt, um mitwirken zu können. Sicherheitspolitik ist eine Gestaltungsaufgabe. Die Stärken der europäischen Fähigkeiten zum Krisenmanagement liegen im zivilen Bereich, in der Fähigkeit zu sozialer, politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Intervention. Diese sind das europäische Standbein. Die militärischen Fähigkeiten sind dagegen auf absehbare Zeit Europas Spielbein. Um seine Stärken trotzdem zur Geltung und Wirkung bringen zu können, muß Europa sich frühzeitig in Krisen engagieren. Damit Europa seine Stärken ausspielen kann, darf die EU nicht länger darauf verzichten, die globale Tagesordnung mitzubestimmen. Sie muß Zukunftskonflikte und Zukunftsrisiken benennen, Wege und Mittel zum Umgang mit ihnen vorschlagen. Der Früherkennung von gewaltförmigen Konflikten und der Gewaltprävention muß aus europäischer Sicht Vorrang vor deren Eindämmung und Einhegung zukommen. Der Gewalteindämmung und -einhegung wiederum muß Vorrang vor der Bekämpfung von Gewalt mit Gewalt, d.h. vor Interventionen zukommen. Glaubwürdige militärische Mittel können Europa als letztes Mittel dienen, um andere Formen des Konfliktmanagements abzusichern, sind aber kein Selbstzweck und sollten aufgrund des Charakters der sicherheitspolitischen Restrisiken auch keine prioritären Mittel sein. Sie können weder diese Risiken, noch die Ursachen für deren Entstehung ausschalten. Prävention und Präemption müssen feste Bestandteile einer künftigen europäischen Sicherheitspolitik sein mit nichtmilitärischen Mitteln. Europa muß von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgehen und ebenso von einem erweiterten Begriff der Lastenteilung im transatlantischen Verhältnis. So sind beispielsweise Europas entwicklungspolitische Transferleistungen ebenso wie seine Zahlungen zur Stabilisierung Südost- oder Osteuropas zweifelsohne Beiträge zur Sicherheit. Ein Mitentscheidungsrecht über den Umgang mit künftigen Krisen und Konflikten wird sich Europa in Washington trotzdem nur sichern können, wenn es begrenzte, aber glaubwürdige eigene Mittel zur Mitwirkung auch bei militärischen Handlungsoptionen besitzt. Solche Mittel zu besitzen, heißt nicht, sie auch immer einzusetzen. Es impliziert, sie als letztes Mittel einsetzen zu können. Es impliziert aber auch die Möglichkeit, deren Einsatz abzulehnen und damit dem Drängen auf eine politische, nicht-militärische Lösung höhere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Mithin: Wenn Europa seine Stärken wirklich zur Geltung bringen will, dann steht es vor der Herkulesaufgabe einer dreifachen Integration auf dem Wege zu einer wirksamen gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik: Integriert werden müssen erstens die nationalen Sicherheitspolitiken, zweitens die vergemeinschafteten und intergouvernementalen Aspekte der europäischen Zusammenarbeit und drittens die möglichen Gestaltungsmittel und Wirkungsinstrumente einer europäischen Sicherheitspolitik aus einem Guß: Von humanitärer Hilfe und Sanktionen über Entwicklungspolitik, Außenwirtschaftspolitik, internationale Finanzpolitik, Rüstungsexporten, Diplomatie, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung bis hin zu den Mitteln des zivilen und militärischen Krisenmanagements. Denn all diese Instrumente "sollten derselben Agenda folgen. In einer Krise ist eine einheitliche Führung durch nichts zu ersetzen", so bemerkte Javier Solana in seinem Entwurf der Europäischen Sicherheitsstrategie zurecht.
5. Schlußfolgerungen Niemand konnte erwarten, dass es der EU aus dem Stand gelingen würde, innerhalb weniger Monate ein stimmiges Gegenstück zur Nationalen Sicherheitsstrategie der USA zu entwickeln. Um dieses Dokument zu schreiben, benötigte Condoleezza Rice mit ihrem Team rund 20 Monate. Es setzt klar und deutlich auf die nationalen Interessen Washingtons und dessen überlegene militärische Fähigkeiten auf. Die Europäische Union braucht daher eine ureigene, an den eigenen Stärken und Fähigkeiten orientierte Sicherheitsstrategie. Ein Anfang mag mit Solanas Sicherheitsstrategie gemacht sein. Weitere Schritte müssen folgen. Sicherheitspolitik ist eine Gestaltungsaufgabe, d.h. auch ein immer neu zu gestaltender Prozeß. Europa wird dabei nicht umhin kommen, seine eigenen Interessen zu definieren - als europäische Interessen und nicht als den kleinsten gemeinsamen Nenner der Interessen der europäischen Nationalstaaten. Es wird nicht umhinkommen, seine Interessen in Relation zu den schon vorhandenen und zu für die Zukunft wünschenswerten sicherheitspolitischen Wirkinstrumenten zu setzen. Dabei darf Europa nicht in den Fehler verfallen, ausschließlich die Ansätze Washingtons zu kopieren. Es muss vielmehr asymmetrisch auf den jeweils vorhanden Fähigkeiten und Stärken Europas aufsetzen. Nur so kann es Washington ein (ge)wichtiger Partner sein. In jedem anderen Fall würde Europa schlicht Standbein und Spielbein verwechseln oder glauben, daß europäische Fußballer auch beim amerikanischen Football eine gute Figur machen können.
ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
Fußnoten: 1 Hinzuweisen ist zudem auf eine Nebenwirkung dieser
Entwicklung: Humanitäre Interventionen sind für Regierungen oft Ressourcenverschwendung
und mindern die Flexibilität des eigenen Handelns im Sinne des nationalen Interesses,
weil sie Ressourcen binden. Zudem kommen sie unliebsamerweise oft auf Druck einer
Öffentlichkeit Stichwort CNN-Faktor zustande; beides gilt für
Interventionen zur Bekämpfung des Terrorismus und der Proliferation von
Massenvernichtungswaffen nicht. Die Legitimation solcher Interventionen erfolgt zumeist
auf Basis (politisch instrumentalisierbaren) Herrschafts- und Geheimdienstwissens, das
auch eine informierte Öffentlichkeit nur selten in der erforderlichen Kürze der Zeit als
ggf. unzulänglich oder falsch nachweisen kann. Mithin, beide Legitimationsmuster haben
gegenüber der Begründung von Interventionen mit dem Ziel eines Regimewechsels noch
einmal erhebliche Vorteile im Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit.
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