Atombomben in Deutschland
Und tschüss!
von Otfried Nassauer
Deutschland könnte bald atomwaffenfrei sein: Die neue Regierung
will sich für einen Abzug der letzten amerikanischen Atombomben einsetzen.
Damit verzichtet Deutschland erstmals seit 40 Jahren auf die technisch-nukleare
Teilhabe - und setzt ein Zeichen.
CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag ein hehres Ziel vereinbart:
Sie wollen sich im Zusammenhang mit der Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages
und der Ausarbeitung einer neuen NATO-Strategie 2010 “im Bündnis
sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen,
dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden”. “Unmittelbar
in dieser Amtszeit”, so Außenminister Guido Westerwelle, aber ohne
“einseitiges Handeln”, wie Kanzlerin Angela Merkel betonte.
20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und 40 Jahre nach der Unterzeichnung
des Atomwaffensperrvertrages ist erstmals eine Bundesregierung bereit,
über jeden Zweifel erhaben als nicht-nukleares Mitglied des Vertrages
zu agieren. Sie will eine Praxis beenden, die seit jeher gegen den Geist,
wenn nicht gegen den Buchstaben des Vertrages verstößt: die
technisch-nukleare Teilhabe, also die Bereitstellung deutscher Kampfflugzeuge
und Piloten als Trägersystem amerikanischer Atomwaffen im Kriegsfall.
Eine Praxis, deren Zulässigkeit die nicht paktgebundenen Staaten,
also die große Mehrheit der Vertragsstaaten, seit Jahren hinterfragt
und die seit Jahren an der Glaubwürdigkeit westlicher Nichtverbreitungspolitik
kratzt.
Nun also sollen die letzten zehn oder zwanzig Atomwaffen aus Deutschland
abgezogen werden. Die letzten von ehemals Tausenden. Doch warum erst jetzt,
Jahre nachdem die USA die Waffen für ihre eigenen Kampfflugzeuge
aus Deutschland abgezogen haben?
Nur wer mitmache, könne auch mitentscheiden
Die Bundesrepublik hatte sehr lange ein gespaltenes Verhältnis zu
jenem Vertrag, der in Deutschland Atomwaffensperrvertrag heißt,
international aber als nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (NVV) bezeichnet
wird. Schon der Unterschied im Namen signalisiert: Aus deutscher Sicht
verwehrt er der Bundesrepublik etwas – atomare Waffen. Als er ausgehandelt
wurde, formulierte die Bonner Republik massive Vorbedingungen: Sie setzte
sich vehement dafür ein, dass den nicht nuklearen Mitgliedern ein
uneingeschränkter Zugang zur zivilen Nutzung der Atomtechnik garantiert
wurde. Auch zu jenen Technologien, die den Zugriff auf die Rohstoffe für
den Bombenbau ermöglichen: Urananreicherung und Wiederaufarbeitung.
Zudem forderte sie nukleare Sicherheitsgarantien seitens der Nuklearmächte
in der NATO, nukleare Mitsprache im Bündnis, also eine politische
nukleare Teilhabe, und die Möglichkeit zu massiver, praktischer Mitwirkung,
sollte die NATO je Nuklearwaffen einsetzten. Also die Beibehaltung technisch-nuklearer
Teilhabe. Nur wer nuklear mitmache, so lautete das deutsche Credo, könne
auch mitentscheiden.
Obwohl Bonn seine Forderungen weitgehend durchsetzen konnte, agierte
es weiter zögerlich. Als der NVV am 1. Juli 1968 zur Unterzeichnung
ausgelegt wurde, blieb die deutsche Unterschrift zunächst aus. Erst
ein Jahr später, fast fünf Monate nach dem Kanzlerwechsel zu
Willy Brandt, wurde er unterschrieben. Bis zur Hinterlegung der Ratifizierungsinstrumente
gingen noch einmal fünfeinhalb Jahre ins Land. Erst drei Tage vor
der ersten Überprüfungskonferenz im Mai 1975 war es so weit.
Bonn wollte seine Interessen als stimmberechtigtes Mitglied wahren. Der
Vertrag selbst blieb jedoch auch in den Folgejahren ein eher ungeliebtes,
teils sogar vernachlässigtes Kind.
Erst nach dem Ende des Kalten Krieges, der Vereinigung der beiden deutschen
Staaten und dem erneuten Verzicht auf Nuklearwaffen im Zwei-plus-Vier-Vertrag
setzte sich schrittweise die Auffassung durch, der NVV offeriere Deutschland
mehr Chancen, als dass er schaden könne. Peu à peu nahm die
Bundesrepublik ihre Rolle als nicht nukleares Mitglied positiv an und
bemühte sich nun auch aktiv, den Vertrag in seinen beiden Kernelementen
– nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung – zu stärken und weiter
auszugestalten. Deutschland trat 1995 aktiv für eine unbegrenzte
Verlängerung des bis dato auf 30 Jahre befristeten Vertrages ein.
Seither gilt der NVV der deutschen Politik als Eckpfeiler der nuklearen
Rüstungskontrolle und Abrüstung. Sakrosankt blieb jedoch weiterhin
die technisch-nukleare Teilhabe. Forderungen, sie aufzugeben und so ein
Signal zu setzen, dass auch eine regionale Mittelmacht ohne nukleare Einsatzmittel
in Sicherheit leben könne, verhallten ungehört oder wurden zurückgewiesen.
Erst die Wiederbelebung der Vision einer nuklearwaffenfreien Welt durch
US-Präsident Obama und die von ihm angeregte Resolution des UN-Sicherheitsrates,
mit der sich alle etablierten Nuklearmächte erneut zu ihrer nuklearen
Abrüstungsverpflichtung bekennen, gaben 2009 einen neuen Anstoß.
Die Bundesregierung erklärt nun ihre Bereitschaft, auf die technisch-nukleare
Teilhabe und die US-Nuklearwaffen bei der deutschen Luftwaffe zu verzichten.
Der Anstoß kommt gerade noch rechtzeitig, um konstruktiv auf die
Überprüfung des NVV und die neue NATO-Strategie einwirken zu
können. Allerdings muss er schnell umgesetzt werden. Schon die NATO-Ministertreffen
im Dezember müssen erste Weichen stellen. Nur dann kann die Anregung
in die künftige Nuklearplanung der USA, den im Februar 2010 fälligen
Nuclear Posture Review, aufgenommen werden. Nur dann werden bereits anlaufende
Planungen zur Modernisierung der Nuklearwaffen und der Trägersysteme
in Europa überflüssig (B-61 Modell 12 und Joint Strike Fighter).
Nötig sind schnelle Signale auch, damit sie die NVV-Überprüfungskonferenz
im April 2010 noch positiv beeinflussen können. Abrüstungsbereitschaft
kann helfen, eine Stärkung der Nichtverbreitungsregeln durchzusetzen.
Die NATO tagt erst im Juni erneut.

ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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