Flugleiter Nr. 4 / 2004
Juli 2004


Der Kompromiß in Sachen Galileo:
Compromise heißt sich einigen, aber auch kompromittieren und auf´s Spiel setzen

Von Susanne Härpfer

Verhindern die Europäer den nächsten Krieg? Indem sie das Signal des global positioning systems (gps) stören und so Raketen, Bomben und Marschflugkörper ihre Ziele nicht mehr finden? Diese Möglichkeit soll bestehen, wenn man ein Mitglied der europäischen Delegation beim Wort nimmt, die den Kompromiß zwischen den USA und Europa ausgehandelt hat. Im Juni unterzeichneten US-Präsident George W. Bush und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi in Irland auf Schloß Dromoland die Verträge über die Satellitennavigationssysteme Galileo und gps. Der Experte des europäischen Verhandlungsteams betonte, ein Teil des Kompromisses bestehe darin, daß nicht nur die Amerikaner gps und Galileo in Kriegs- und Krisenzeiten teilweise ausschalten oder verändern könnten, sondern auch die Europäer.Doch im Vertrag klingt dies gestelzter. Da ist davon die Rede, daß beide Vertragsparteien "nicht unangebracht" (zivile) Satellitensignale stören dürften und es sollten generell "nicht akzeptable Interferenzen vermieden" werden. Was das heißt, wer festlegt, was "unangebracht" ist und wer im Konfliktfall entscheidet – alles nicht geregelt. Von "jammen" (stören) oder "spoofen" (umlenken) steht auch nichts im Vertrag. Auch wenn die Europäer es den Amerikanern formal gleich tun dürfen: sie sind nicht weltweit vertreten. Europäische Streitkräfte sind im Zweifel nicht vor Ort, am kommenden Kampfgeschehen, um Signale zu stören. Und genau dies ist eine Voraussetzung für jammen und spoofen. Damit aber gäbe es zwar formal eine Gleichheit zwischen amerikanischen und europäischen Streitkräften, faktisch jedoch nicht. Einmal ganz abgesehen von der Bereitschaft zum Konflikt. Fazit: Die Amerikaner dürfen und können beide Systeme stören, die Europäer dürfen auch, sie können es begrenzt, ob sie auch tun, ist fraglich.

Einen Ausblick, worauf sich die Europäer auch in Zukunft einstellen müssen, gab die Übung "Northern Edge" in Alaska. Ausgerechnet zum Vertragsabschluß im Juni testeten die US-Militärs dort Anti-Jammer-Techniken. Und legten die zivile Nutzung von gps gleich mit lahm. Camper und Biker konnten sich nicht mehr auf die Angaben ihrer Geräte verlassen. Besonders gravierend aber konnte der Ausfall für Piloten sein. Denn nicht jeder Privatpilot würde ausreichend gewarnt, kritisierte Jeff Meyers von der "Aircraft Owners and Pilots Association. Wenn gps oder in Zukunft Galileo ausfällt, dann brauchen Piloten Ausweichsysteme für die Navigation. Die Idee des amerikanischen Verkehrsministeriums aus den 90 er Jahren, gps könne zum einzigen Navigationsmittel (sole means of navigation) werden, wäre gefährlich, verschwand daher in den Schubladen von Ministerien und bleibt dort hoffentlich auch.

Bislang werden schwache Signale von den gps-Satelliten benutzt, die relativ einfach unterbrochen werden können und so falsche Angaben machen – besonders fatal, wenn sich Piloten darauf verlassen. Von der Zivilmaschine bis zum Stealth Bomber, sie alle hängen vom gps ab. Im Kosovokrieg sollen jammer eingesetzt worden sein. Nach Angaben der konservativen Washington Times sollen auch während des Irakkriegs russische Jammer gegen amerikanische Waffensysteme eingesetzt worden sein. Allerdings sollen sie keinen Einfluß auf die amerikanische Kriegführung gehabt haben, wird der General der US-Luftwaffe Lance W. Lord zitiert. Dennoch soll das Pentagon Millionen für Anti-Jamming Technik ausgegeben haben, meint der Verteidigungsexperte John Pike vom Think Tank Global Security. Außerdem haben die Angriffe gezeigt, daß die Satelliten-Signale verstärkt werden müßten, um nicht leichte Beute von jamming zu werden.

Die Frage, wie stark Signale sein dürfen, war ein weiterer strittiger Punkt der Verhandlungen zwischen Amerikanern und Europäern. Lange hatten die Amerikaner verlangt, das Galileo-Signal solle abgeschwächt werden. So wollten sie sich für die kommerzielle Anwendung lästige Konkurrenz vom Leib halten. Dies ist mit dem Vertrag eindeutig vom Tisch. Gerade die zivile Nutzung wird für die Vermarktung immer wichtiger. Satellitenortung wird inzwischen vor allem zur Überwachung eingesetzt. Neue Anwendungen dienen dem Schutz von Kindern, Alten, Haustieren und Autos. So wird Akzeptanz in der Bevölkerung geschaffen. Sicherheitsrelevant ist das Projekt der sogenannten "no fly zones". Daten von besonders gefährdeten Objekten wie Atomkraftwerke und Regierungsgebäude sollen in die gps-Systeme von Flugzeugen eingespeist werden und verhindern, daß Terroristen, die eine Maschine entführen, sie in eine solche Anlage steuern. Fatal aber wäre es, wenn nun ausgerechnet die Satellitendaten solcher "no fly zones" gestört würden. Unabhängig davon, ob es sich um gps oder Galileo handelt.

Die Europäer haben in der Frequenzfrage nachgegeben. Der europäische öffentliche Service sollte sich ursprünglich mit dem verschlüsselten militärischen Code des US-amerikanischen gps überschneiden. So wollten die Europäer sicherstellen, daß automatisch das amerikanische System gestört würde, wenn die Amerikaner Galileo abschalten oder verändern würden. Doch dies führte zum Eklat, bereits im vorigen Jahr gaben die Europäer nach und damit die Garantie für ihre Unabhängigkeit auf. Die Investitionen in Galileo wurden aber ursprünglich einmal damit begründet, daß Galileo die Autonomie der Europäer ohne jegliche Einschränkung garantieren würde. Diese Behauptung ist durch den Vertrag nicht gedeckt.

Immerhin hat man sich darauf geeinigt, daß beide Systeme kompatibel sein sollen. Im Vertrag steht allerdings nicht, wie künftig der parallele Betrieb von gps oder Galileo z.B. in der Luftfahrt geregelt werden soll.

Ein Hintertürchen haben sich die Europäer erkämpft. Die USA haben kein Vetorecht, wenn die Europäer aus technischen Gründen in Zukunft doch andere Frequenzen nutzen wollen als die, über die man sich jetzt im Vertrag geeinigt hat. Theoretisch könnten die Europäer nun ihre ursprünglichen Pläne wahr machen und Galileo doch auf den M-Code der Amerikaner legen. Wahrscheinlich scheint dies allerdings nicht, da bislang Prof Dr. Günter Hein von der Universität der Bundeswehr als Unterhändler für die Europäer eingesetzt wurde, aber stets amerikanische Positionen vertrat.

Geeinigt haben sich Europäer und US-Amerikaner auf eine Nicht-Diskriminierungsklausel. Beim Auf- und Ausbau beider Systeme darf kein Unternehmen wegen der Herkunft ausgegrenzt werden. So soll sichergestellt werden, daß die USA weder ein formales noch ein faktisches Vetorecht gegen Galileo haben.

Gewonnen haben durch den Vertrag vor allem die Wirtschaftsunternehmen, denn es soll keine Beschränkung für den Export von Galileo-Lizenzen geben. So setzt der Kompromiß zwar die Sicherheit auf´s Spiel. Militärisch relevante Technik kann so ganz legal in die Hände von potentiellen zukünftigen Gegnern fallen. Zumindest umstritten sind die Beteiligungen von Indien und Israel an Galileo. Als es um die Frequenzen und die Signalstärke von Galileo ging, war Sicherheit ein Argument. Aber wenn es um´s Verkaufen geht, gibt´s solche Bedenken offenbar nicht mehr. Möglicherweise denken US-Militärs, daß sie immer noch die Signale stören können, wenn der Einsatz von Galileo in anderen Ländern ihre Interessen gefährdet.


Susanne Härpfer ist freie Fernseh-Journalistin.