Frankfurter Rundschau
28. April 2007


Scharfe Warnung vor Washingtons Atomwaffenplänen

von Otfried Nassauer

Das US-Vorhaben, das eigene Atomwaffenarsenal zu modernisieren, löst international große Sorgen aus. Damit ist die nukleare Rüstungskontrolle gefährdet, mahnt eine Studie im Auftrag des Pentagon.

Die Nuklearwaffenpolitik der USA wird im Ausland mit größter Skepsis betrachtet. Sie werde als Ausdruck amerikanischen "Unilateralismus und des Bemühens um absolute Sicherheit und militärische Überlegenheit" wahrgenommen. Das ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten 350-seitigen Studie, die das Beratungsunternehmen SAIC für das Pentagon erstellte.

Weit verbreitet ist demzufolge im Ausland die Sicht, dass die USA ihren Nuklearwaffen ein wachsendes Gewicht beimessen, ihr Nuklearwaffenpotenzial von "Abschreckung auf Kriegführung, wenn nicht gar Präemption" umstellen und "absichtlich oder unabsichtlich die Schwelle zum Einsatz nuklearer Waffen absenken". Washington versuche "aus von der Abschreckung geprägten Beziehungen auszubrechen". Selbst China und Russland sind laut der Studie unsicher, ob das nur für Schurkenstaaten wie Nordkorea und den Iran gelte oder auch für diese beiden Atommächte.

Die erweiterte Abschreckung, also der US-Nuklearschirm für Verbündete, werde zwar von Ländern wie der Türkei, Japan, Australien und einigen neuen Nato-Mitgliedern weiter als "essenziell" angesehen. Für andere Verbündete - namentlich Deutschland - habe die erweiterte Abschreckung jedoch deutlich an Bedeutung verloren. Die allermeisten Verbündeten seien "gegen die Entwicklung neuer, an neue Aufgaben angepasster Nuklearwaffen niedriger Sprengkraft". Diese seien "politisch spaltend und von negativer Wirkung für Nichtverbreitungsbemühungen". Die Autoren machen starke Befürchtungen aus, dass die Nuklearpolitik Washingtons "negative Auswirkungen auf die nukleare Nichtverbreitung" habe. Selbst engste Freunde raten demnach Washington, die Sicht anderer Staaten stärker zu beachten. Eine größere Bereitschaft der USA, sich in Sachen nukleare Abrüstung zu engagieren, könne zu einer "größeren Bereitschaft Dritter" führen, die Ziele der US-Nichtverbreitungspolitik zu stützen.

Die Studie empfiehlt der US-Regierung dringend, ihre Kommunikationsstrategie zu ändern. Es gelte Missverständnissen häufiger und früher zu begegnen und die Ziele der US-Nuklearprogramme präziser darzustellen. Mit Moskau müsse bald ein Dialog über die Zukunft der strategischen Rüstungskontrolle nach dem Auslaufen des Start-I-Vertrages 2009 aufgenommen werden. Die künftige Rolle nuklearer Waffen in der Nato müsse neu bestimmt werden. Die Chancen, den Atomwaffensperrvertrag zu stärken, könnten deutlich steigen, wenn Washington wieder ein Interesse an Debatten über nukleare Abrüstung zeige und sich wieder aktiv zum Ziel des Vertrages bekenne, letztlich alle Atomwaffen abzurüsten.

Für das Pentagon kommt diese Kritik zu einem ungünstigen Zeitpunkt. In Wien beginnen die Vorbereitungen für die nächste Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages, in Washington laufen die Etat-Verhandlungen für 2008. Im von den Demokraten beherrschten Kongress regt sich Widerstand gegen die Pläne der Regierung Bush. Diese will nicht nur die Trägersysteme der US-Atomwaffen modernisieren, sondern auch gleich in die Entwicklung einer neuen Generation atomarer Waffen einsteigen und dafür bis 2030 eine völlig neue Infrastruktur zu Herstellung nuklearer Sprengköpfe aufbauen - den "Complex 2030". Das kostet viele Milliarden.

William Perry, der letzte demokratische Verteidigungsminister, warnte, die Entwicklung neuer Sprengköpfe werde "unsere Fähigkeit, die internationale Gemeinschaft im Kampf gegen die Weiterverbreitung anzuführen, substanziell unterminieren". Er forderte, die Pläne für neue Atomwaffen "für viele Jahre" auszusetzen. Der einflussreiche Ex-Senator Sam Nunn schlug vor, Geld für die Entwicklung neuer Atomwaffen solle es nur geben, wenn die Regierung den ungeliebten Atomteststopp-Vertrag endlich ratifiziere. Selbst der Kommandeur des zuständigen Strategischen Kommandos der US-Streitkräfte, James E. Cartwright, regte an, den künftigen Bedarf an Atomwaffen noch einmal zu überprüfen.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS