Der neue Feind der Libanesen
von Otfried Nassauer
Die Waffen schweigen in Libanon. Aber zivile Opfer gibt es auch in der
Feuerpause. Denn die israelische Armee hat offenkundig Waffen eingesetzt, durch die
hochexplosive Streumunition zurückblieb.
Die Waffenruhe im Libanon war gerade erst in Kraft getreten, als sich bereits
zehntausende Flüchtlinge auf den Heimweg machten. Doch auf die Heimkehrer wartet im
Süden ein anonymer und tückischer Feind: UXO. "Unexploded Ordnance" - nicht
explodierte Munition. Oft handelt es sich um so genannte Sub- oder Streumunitionen oder
auch "Tochtergeschosse", kleine Sprengkörper, die zu Hunderten oder Tausenden
mit Artilleriegranaten, Raketen und Streubomben gegen Flächenziele eingesetzt wurden. Auf
Jahre gefährden sie Zivilisten und vor allem Kinder.
Diese Submunitionen eignen sich gut, um Katjuschas und Raketen auf ihren Werfern zu
bekämpfen, "weiche Ziele", deren Position oft nur ungefähr bekannt ist.
Katjuschas waren die Hauptwaffen der Hisbollah in diesem Krieg. Zu Tausenden wurden sie
gegen Ziele in Nordisrael eingesetzt.
Wenige Stunden nach Beginn der Waffenruhe wurden bereits erste Opfer gemeldet. Ein totes
Kind in Habbouche, 15 Verletzte in Kfar Roumane und Nabatiyeh - alle Opfer von
Blindgängern. Die libanesische Regierung, die UN, etliche Hilfsorganisationen und selbst
die israelische Armee warnten. Flüchtlinge sollten erst in ihre Häuser oder deren Ruinen
zurückkehren, wenn die libanesische Armee dort nach nicht explodierter, scharfer Munition
gesucht habe.
Israels Streitkräfte verfügen über eine Vielzahl von Bomben und Geschossen für den
Einsatz von Streumunitionen. Die Luftwaffe besitzt ATAP-Bomben, die oft bündelweise
abgeworfen werden und je 320, 512 oder 900 kleine Sprengsätze beinhalten. Ein Sprengsatz
hat einen Durchmesser von nur 4,2 Zentimetern und ist gerade mal 5,5 Zentimeter lang. Die
"Bomblets" wiegen weniger als 300 Gramm und können von Kindern leicht zur
Explosion gebracht werden. Ihre Sprengkraft reicht, um mehr als 10 Zentimeter Panzerung zu
durchschlagen, aber auch, um 1200 Schrapnellsplitter in alle Himmelsrichtungen zu
verschießen. Opfer haben kaum eine Chance.
Auch mit Hubschraubern und Artilleriewerden Bomblets zum Einsatz gebracht. Die israelische
Armee verfügt zudem über den Raketenwerfer MLRS, den auch die Bundeswehr nutzt. Der
verschießt mit einer Salve bis zu 12 Raketen und verteilt dabei fast 8000 Submunitionen
über Hunderttausende Quadratmeter. Selbst Mörsergeschosse werden von israelischen Firmen
mit Submunitionen befüllt. Werbematerial für eines der modernsten Bombletgeschosse nennt
den Grund, warum sie bei Militärs so beliebt sind: "Je nach Art des Zieles"
seien "Granaten mit Submunitionen fünf bis acht Mal so kosteneffizient" wie
normale Artilleriegeschosse des gleichen Kalibers.
So "kosteneffektiv" Bomblets aus militärischer Sicht auch sein mögen, so haben
sie doch einen entscheidenden Makel: Der Prozentsatz der Submunitionen, die beim Aufprall
auf die Erde nicht explodieren, ist hoch. Die amerikanische Menschenrechtsorganisation
Human Rights Watch, die schon während des Krieges Israel wegen der Verwendung solcher
Geschosse kritisierte, spricht von einer Fehlerquote von 14 Prozent. Manchmal ist sie noch
höher. Bei Versuchen mit der Submunition der MLRS-Raketen funktionierten in Einzelfällen
bis zu 40 Prozent nicht korrekt. Als Israel während des Krieges von den USA weitere
MLRS-Raketen mit Submunitionen haben wollte, protestierten selbst Washingtoner
Parlamentarier. Friedens- und Menschenrechtsgruppen sowie Entwicklunghilfeorganisationen
wollen schon lange ein Verbot dieser Waffen. Sie halten deren Einsatz für
völkerrechtswidrig, weil die Waffen unterschiedslos gegen Soldaten und Zivilisten wirken
- ein Verstoß gegen die Genfer Konvention.
Doch ein explizites und effizientes Verbot des Einsatzes von Streumunition gibt es noch
nicht. Bislang haben nur einige wenige Staaten ein neues Zusatzprotokoll unterzeichnet,
das denjenigen, der solche Waffen einsetzt, wenigstens verpflichtet, die getroffenen
Gebiete zu markieren. So konnten Israels Streitkräfte die Vorwürfe von Human Rights
Watch während des Krieges noch kontern: Es seien keine verbotenen Waffen zum Einsatz
gekommen.
Doch der Druck wächst. "Mit Belgien hat ein erstes Land beschlossen, ganz auf solche
Waffen zu verzichten", berichtet Thomas Gebauer von Medico International. Auch auf
die Bundesregierung wachse der Druck, auf solche Munitionen völlig zu verzichten.
Die Munitionshersteller reagieren auf die wachsende öffentliche Kritik - auch in Israel.
Neuere Submunitionen haben einen Selbsterzerstörungsmechanismus, der sie 15 Sekunden nach
dem Aufschlagen noch einmal zündet. Damit, so behauptet der israelische Hersteller IMI,
werde die Fehlerquote auf weniger als ein Prozent gesenkt. Die US-Streitkräfte testeten
den Selbstzerstörungsmechanismus mit MLRS-Raketen, weil sie auf diese Munitionsart nicht
verzichten wollen. Das Ergebnis war eindeutig: Testabbruch wegen zu hoher Fehlerquote.
Auch für die Soldaten der künftigen Friedenstruppe sind die Blindgänger eine Gefahr.
Doch die UN-Resolution, die der Waffenruhe zugrunde liegt, hat eine entscheidende Lücke:
Sie fordert Israel zwar auf, Karten über verminte Gebiete zur Verfügung zu stellen,
nicht aber Informationen über Ziele, die mit Streumunition angegriffen wurden.
Derzeit ist noch unklar, wie viele der rund 7000 Ziele, die allein die israelischen
Luftwaffe nach eigenen Angaben angriff, bestreut wurden. Mehr als einige wenige waren es
sicher. Das lassen auch die warnenden Flugblätter erahnen, die die Kampfflugzeuge Israels
jetzt anstelle weiterer Submunitionen auf den Libanon herabregnen lassen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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