Freitag
15.September 2000


Kniefall als Breitensport

Otfried Nassauer

Grün ist die Farbe der Hoffnung und diese vielleicht nur noch ein Prinzip. Fast zwanghaft beschleicht den politischen Beobachter dieser Gedanke. Gleich zwei Kernfragen grüner, politischer Identität stehen derzeit zur Debatte und – womöglich – zur Disposition: Der Bundessicherheitsrat hat den Export einer Fabrik für Gewehrmunition in die Türkei gebilligt – trotz neuer Rüstungsexportrichtlinien, die jüngst Menschenrechte und Gewaltprävention als Entscheidungskriterien einführten. Und Siemens hat – mit Aussicht auf Erfolg - die Voranfrage an die Bundesregierung gerichtet, ob die nie in Betrieb gegangene Hanauer MOX-Brennelementefabrik nach Majak in Russland exportiert werden darf. Rüstungs- und Atomexport – beides sind Kernthemen grüner Politik, grünen Profils und grüner Glaubwürdigkeit.

Die Ausfuhrgenehmigung für die Munitionsfabrik in die Türkei, die die Standardmunition für Gewehre des Typs HK 33E, ein Kohl‘sches Lizenzprodukt der Türkei aus deutschen Landen, herstellen soll, ist mehr als problematisch. Sie ist ein Skandal. Vorgeblich will die rot-grüne Bundesregierung die Rüstungsexportpolitik restriktiver handhaben, Menschenrechten und Gewaltprävention eine besonderes Gewicht zumessen. Da muß sie sich schon fragen lassen: Was, wenn nicht Gewehrmunition, kommt wohl bei innerer Repression, Menschenrechtsverletzungen und Konflikten niedriger Intensität zum Einsatz? Mit welchem Argument will sie morgen Panzerexporte ablehnen, wenn sie heute die Standardmunition für jeden türkischen Soldaten liefert?

Die Bundesregierung sieht in der Munitionsfabrik eine Altlast der Regierung Kohl. Seit 1997 seien Voranfragen positiv beschieden worden. Eine Genehmigung sei aufgrund der Bindewirkung dieser Bescheide unumgänglich. Politisch dagegen stellt sich die Frage anders: Wieviel ist der Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit in Sachen Menschenrechte und restriktive Exportpolitik wert? Warum riskiert sie keinen Rechtsstreit? Dessen Ergebnis könnte im schlechtesten Fall den Staat zum Schadensersatz verpflichten. Die Fritz Werner AG könnte Akquisitionskosten und entgangene Gewinne geltend machen, viel weniger als den Gesamtumfang des Projektes von 90 Mio DM. Kleingeld, angesichts des sonst üblichen Umgangs der Politik mit Steuergeldern. Und doch zuviel für die Glaubwürdigkeit einer “restriktiven”, rot-grünen Rüstungsexportpolitik?

Um die Glaubwürdigkeit der Politik der Bundesregierung geht es auch im zweiten Fall. Berlin will jene Fabrik für nukleare Mischoxid-Brennelemente, die Joschka Fischer als hessicher Umweltminister für nicht genehmigungsfähig hielt, nunmehr nach Rußland exportieren. In der Bundesrepublik wird die Kernenergie zum Auslaufmodell erklärt, in Russland mitgeholfen, daß sie auch in 30 oder 50 Jahren noch benötigt wird – für Abrüstungszwecke, vertraglich bindend vorgeschrieben.

Dier MOX-Fertigungsanlage soll in Majak genutzt werden, um zunächst 34 Tonnen Waffenplutonium einer zivilen Verwendung als Brennstäbe für die Energiegewinnung zuzuführen. Auf den ersten Blick ein vielleicht bestechender Gedanke: Überschüssiges Waffenplutonium aus Zeiten des Kalten Krieges wird zur Energieproduktion genutzt; durch seine Einbindung in stark strahlende und unhandliche MOX-Brennstäbe wird zugleich die Gefahr reduziert, daß das Plutonium entwendet und auf dem Schwarzmarkt für Nuklearmaterialien auftauchen könnte.

Doch halten viele Experten die Lagerung des Waffenplutoniums, vermischt mit anderem hochstrahlenden Atommüll, die Immobilisierung, für den besseren Weg. Hier fällt während der Verarbeitung kein pulverförmiges Plutoniumoxid an, müssen keine russischen Reaktoren sicherheitstechnisch nachgerüstet werden, muß kein neuer Nuklearkreislauf in Russland aufgebaut werden, kein Weg gefunden werden, wie mit abgebrannten MOX-Brennelementen umgegangen werden soll, muß nicht entschieden werden ob russische MOX-Elemente nach einer Europareise in deutschen AKWs zum Einsatz kommen sollen.

Das implizite Argument, mit dem MOX-Option durchgesetzt wird, erschreckt: Das Interesse, Rußlands gefährliches atomares Erbe so schnell wie möglich abzurüsten überwiegt umweltpolitische, proliferationspolitische Einwände und Sicherheitsbedenken. Hau weg den Scheiß, Nur schnell! Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Die Immobilisierung kommt nicht zum Zuge, da Rußland sein Waffenplutonium als Wertstoff betrachtet, mit dem sich Energie herstellen und viel Geld verdienen läßt. Ernsthafte Offerten an Rußland, sein Waffenplutonium auf anderem Wege in Wert zu setzen – z.B. durch eine Kopplung der Immobilisierung an einen dem Fortschritt bei der Abrüstung entsprechenden stufenweisen Erlaß russischer Auslandsschulden wurde von den westlichen Industrienationen offensichtlich gar nicht erst ernsthaft in Erwägung gezogen. Auch nicht durch die rot-grüne Bundesregierung, die einmal mehr eine klare Entscheidung hinsichtlich des Verhältnisses von Moral und Geschäft zu treffen gewillt scheint – und sei es drum, daß der Joschka Fischer, der grüne Außenminister, sich im Bundesssicherheitsrat – wie es scheinbar zur Regel wird – einfach überstimmen läßt.

Auffällig ist aber trotzdem: Kritik und Medieninteresse konzentrieren sich allein auf den Streit innerhalb der Bündnisgrünen. Wann, so die künstlich gespannte Frage, erleiden sie ihre nächste Grundsatzniederlage. Das verwundert schon. Nicht die zur Entscheidung stehenden Sachfragen, sondern die politisch-phänomenologische Meta-Ebene – werden die Prinzipien der Grünen auf dem Abfallhaufen der Geschichte entsorgt? – scheint das eigentlich Interessante zu sein. Oder lautet das eigentliche Thema doch wieder: Tabubruch um des Tabubruchs willen? Andere wichtige Fragen kommen so nicht in den Blick – zum Beispiel diese: Wo bleiben eigentlich jene Sozialdemokraten, die aufgrund ihrer Position grünen Rüstungs- und Atomexportgegnern Unterstützung geben müßten? Was macht sie so schweigsam, wenn nicht gar taubstumm? Innerparteiliche Disziplin? Die Angst vor der Mehrheit in der eigenen Partei? Die Bequemlichkeit, die ein streitender Koalitionspartner ermöglicht? Ihr Schweigen müßte Anlaß geben, verschärft darüber nachzudenken, was eigentlich noch geschehen und was getan werden muß, damit auch die SPD wieder in der Sache diskutiert. Ohne dies läßt sich nicht regieren – zumindest nicht auf Dauer.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).