Es geht darum, seltener Feuerwehr zu spielen und sich mehr darum zu kümmern, warum es immer wieder brennt. Chris Patten, EU-Kommissar für Außenbeziehungen und Großbritanniens letzter Gouverneur von Hongkong gilt als Mann der klaren Worte. Wir müssen Wege finden, unseren immensen wirtschaftlichen Einfluß strategisch einzusetzen, wenn es darum geht das Entstehen neuer Brände zu verhindern und zuallererst die Ursachen dafür anzugehen, daß sie immer wieder entstehen. Europa braucht nicht nur die Fähigkeit zum (militärischen) Krisenmanagement, sondern vor allem ein Politik der Vorbeugung gegen das Entstehen militärischer Konflikte. Klare Worte und eine klare Warnung an die Adresse der Europäischen Union. Diese bewegt sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in die gegenteilige Richtung. Binnen nur eines Jahres hat die Europäische Union deutlich gemacht, daß sie bei künftigen Krisen eigenständige Fähigkeiten zur politischen Entscheidungsfindung und eigene Mittel zum militärischen Krisenmanagement aufbauen will. Im Eiltempo fielen die Beschlüsse bei den EU-Gipfeln von Köln und Helsinki. Die Union schafft sich, teilweise unter Rückgriff auf Fähigkeiten der Westeuropäischen Union, politische und militärische Entscheidungsstrukturen, ein Lagezentrum, einen Militärausschuß, einen integrierten militärischen Stab und einen politisches Gremium, um Einsatzentscheidungen zu treffen, wenn die NATO nicht aktiv werden will. Bis zum Jahr 2003 soll alles bereitstehen. Beschließt die EU dann einen Einsatz, so sollen binnen zwei Monaten bis zu 50-60.000 Soldaten am Einsatzort angekommen sein. Sie sollen dort für mindestens ein Jahr operieren können. Das setzt voraus, daß die EU-Staaten zwischen 100.000 und 150.000 Soldaten für solche Einsätze bereithalten. Adäquate Kräfte sollen auch durch die Luftwaffen und Marinen der EU-Mitglieder bereitgestellt werden. Ein europäisches Lufttransportkommando soll beim Beheben eines besonders dringlichen Problems helfen der Frage: Wie schaffen wir das alles zumn Einsatzort. Javier Solana, der ehemalige NATO-Generalssekretär bekommt die Aufgabe, all dies als Hoher Repräsentant der EU und WEU-Generalsekretär zu koordinieren und aufzubauen. Im Geschwindschritt soll es auch in diesem Jahr weitergehen. An den Strukturen für die Beteiligung von Nicht-EU-Mitgliedern aus der NATO, aus dem Kreis der EU-Beitrittskandidaten und aus Osteuropa, wird gearbeitet. Die Regierungskonferenz, die die Struktur und Vertrag der Union auf die Erweiterung im Jahre 2003 vorbereiten soll, bekam die Zusatzaufgabe, für die neuen politisch-militärischen Strukturen eventuell erforderliche Vertragsänderungen gleich mit zu erarbeiten. Bis zum Herbst sollen die EU-Staaten mitteilen, welche militärischen Kräfte sie im Einzelnen bereitstellen wollen und können. Dann soll auch entschieden werden, ob die WEU vollständig in die EU integriert oder vorläufig als eigene Institution erhalten wird. Überlegungen über europäische Aufklärungssatelliten, Kommunikationssatelliten und Befehlssysteme werden angestellt. Schon spricht Romani Prodi, der Präsident der Europäischen Kommission, bei einem Besuch im Baltikum davon, daß ein Angriff auf ein Mitglied der Union als Angriff auf die Union und alle ihre Mitglieder gewertet werde. Er benutzt damit jene klassische Formel, mit der in der NATO die Verpflichtung zu kollektiver Verteidigung, die Beistandsverpflichtung zum Ausdruck gebracht wird. Viele Kenner der Europäischen Union reiben sich verwundert die Augen. Die als Inkarnation der Langsamkeit bekannte Union bewegt sich und sie bewegt sich erstaunlich schnell. Fast scheint es, als habe sie nur darauf gewartet, daß sie endlich auch das heikelste Thema anfassen könne, daß einem einheitlichen europäischen Staat noch bevorsteht die Integration der europäischen Armeen, der wichtigsten verbliebenen Symbole nationalstaatlicher Souveränität im sich einigenden Europa. Schon während der Vorbereitung auf den Gipfel in Helsinki wurde das Mißverhältnis zwischen der Stärkung ziviler und militärischer Fähigkeiten augenfällig. Die finnische Ratspräsidentschaft achtete peinlich genau darauf, die Kölner Gipfelbeschlüsse über die Stärkung des zivilen und des militärischen Krisenmanagements gleichberechtigt umzusetzen und entsprechende Beschlußvorlagen für den Gipfel in Helsinki vorzubereiten. Doch die großen Mitgliedsstaaten der EU lehrten ihre finnischen Kollegen schnell eine andere Sprache. In den letzten Wochen vor dem Gipfel wurden eindeutige Schwerpunkte gesetzt - beim militärischen Krisenmanagement. Dem Idiom des Europas der zwei Geschwindigkeiten wuchs gleichsam eine neue Bedeutung zu. Während die finnische Präsidentschaft sich ernsthaft mühte, einen Aktionsplan zur Stärkung des zivilen Krisenmanagements in der Union auszuarbeiten, setzten Briten, Deutsche, Franzosen und Italiener ein wahres Feuerwerk von Vorschlägen in Gang, die auf einen möglichst klaren Vorrang der Herstellung einer militärischen Handlungsfähigkeit zielten. Auch eine zeitweilige Drohung Schwedens, die Vorlagen zum Krisenmanagement zu blockieren, wenn zivile und militärische Seite nicht gleichwertig behandelt würden, half nicht mehr. Der Gipfel faßte Beschlüsse, mit denen vor allem das militärische Krisenmanagement gestärkt wird, im zivilen Bereich wurden viele der guten finnischen Ideen blockiert, verwässert oder weniger verbindlich gestaltet. Allenfalls ihre Vertagung in die portugiesische Präsidentschaft sicherte mancher dieser Ideen das Überleben - mit ungewissen Zukunftsaussichten. Die EU, der Inbegriff einer Zivilmacht, auf dem Wege zu einer Militärmacht? Europa bei seinen ersten Schritten, sich die der eigenen wirtschaftlichen Macht entsprechenden militärischen Mittel zuzulegen? Die Frage ist grundsätzlicher Natur. Welche Ausrichtung gibt die Europäische Union ihrer Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik im Prozeß der Vergemeinschaftung? Orientiert sie sich an den Mustern klassischer nationalstaatlicher Machtpolitik und entwickelt eine an de Durchsetzung der nationalen Interessen der EU-Mitglieder bzw. an noch zu definierenden Europäischen Interessen orientierte Politik? Geschieht dies, so muß die EU entscheiden, wie sehr sie sich bei der Ausgestaltung dieser Politik an die USA und deren Instrument der Ausgestaltung europäischer Sicherheit, die NATO, anlehnen will. US-Verteidigungsminister William Cohen hat bereits unmißverständlich zu verstehen gegeben: Eine Stärkung des europäischen militärischen Beitrags zur NATO ist hochwillkommen, der Aufbau einer Fähigkeit zu echter europäischer militärischer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von der NATO dagegen wird von den USA als Kampfansage aufgenommen. Die bisherigen Schritte der Europäischen Union sind ianusköpfig. Noch lassen sie sich trotz Duplizierung bei der NATO bereits vorhandener Strukturen und künftig wohl auch militärischer Fähigkeiten in diese mühelos einpassen oder auch als erste Schritte auf dem Weg zu wirklicher Eigenständigkeit betrachten. In welche Richtung der Zug fährt, entscheidet sich später. Allerdings fährt er in Richtung NATO oder Konkurrenz zur NATO, so fährt er auf dem militärischem Gleis. Der EU steht aber auch ein anderer Weg offen. Die Union kann die Vergemeinschaftung der Außen und Sicherheitspolitik nutzen, um eine kluge Balance nicht-militärischer und militärischer Mittel des Krisenmanagements zu suchen. Für einen solchen Weg wäre sie gut gerüstet. Als wirtschaftlich stärkste Macht der Erde, als größter Binnenmarkt, als diplomatisches Schwergewicht und als wichtigster Geber von Entwicklungshilfe besitzt die EU schon heute wesentliche Instrumente der Konfliktfrühwarnung, der Prävention militärischer Konflikte und des nicht-militärischen Konfliktmanagements. Würden diese zielgerichtet ausgebaut, erweitert, auf effektive Anwendungsmöglichkeiten untersucht und mit militärischen Mitteln nur soweit abgestützt, daß das nicht-militärische Krisenmanagement der EU im Extremfall nicht des militärischen Schutzes durch die USA oder die NATO bedarf, so könnte die Zivilmacht Europa weitgehend andere Formen des Umgangs mit werdenden oder schwelenden Konflikten entwickeln als heute üblich. Deren vorrangiges Kennzeichen wäre es präventiv zu handeln, dem Ausbruch militärischer Konflikte zuvorzukommen und damit Situationen in denen militärisches Handeln nötig werden könnte zu verhindern. Zu einer solchen Politik würde es auch gehören, daß die EU ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten in den Dienst von Vereinten Nationen und OSZE stellt, z.B. indem sie signifikante personelle und finanzielle Fähigkeiten vorhält, mit denen sie sich an zivilen Maßnahmen des Krisenmanagements im Rahmen oder im Auftrag von UNO oder OSZE beteiligen kann. Die dritte Alternative, die Beibehaltung, Stärkung und systematische Entwicklung der EU als Akteur des ausschließlich zivilen Krisenmanagements, wird zunehmend zu einer theoretischen Option. Etlichen europäischen Regierungen scheint dies die eigentliche Lehre aus dem Kosovo-Krieg zu sein.
Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
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