Rüstungsexporte und Große Koalition
Lieber Sand in die Augen als Sand ins Getriebe
von Otfried Nassauer
CDU/CSU und SPD haben sich geeinigt. Mit dem
Koalitionsvertrag haben sie eine Absichtserklärung zur
künftigen Rüstungsexportpolitik der großen
Koalition vorgelegt. "Mehr Transparenz" werde es geben,
kündigte die SPD per Pressemeldung an und die
Rückkehr zu einer restriktiven Auslegung der
Rüstungsexportrichtlinien. Die Beteiligten sprachen von einem
"wichtigen Kompromiss" bei dieser "in der Öffentlichkeit
kontrovers diskutierten Frage".
Man darf gespannt sein, ob den starken Worten aus der SPD auch starke
Taten folgen. Denn die SPD stellt die Minister in beiden
Häusern, die bei Rüstungsexporten
federführend sind: Im Auswärtigen Amt amtiert Frank
Walter Steinmeier und im Wirtschaftsministerium Sigmar Gabriel.
Das kann eine Chance sein, beinhaltet auf jeden Fall aber ein hohes
Risiko. Für jeden genehmigten Rüstungsexport
trägt in den nächsten vier Jahren
federführend die SPD die Verantwortung. Angela Merkel und die
CDU wird Kritik erst in zweiter Linie treffen.
Richtig ist, dass über deutsche Rüstungsexportpolitik
öffentlich sehr kontrovers diskutiert wird. Die Versprechen
des Koalitionsvertrages können sich aber auch leicht als Sand
erweisen, der der Öffentlichkeit in die Augen statt ins
Getriebe kontroverser Rüstungsexportvorhaben gestreut werden
soll.
"Mehr Transparenz" bei Rüstungsexporten
Der Bundestag soll künftig über die
"abschließenden Genehmigungsentscheidungen im
Bundessicherheitsrat unverzüglich unterrichtet" werden, so der
Vertrag. Wer genau unterrichtet wird, das soll der Bundestag
entscheiden. Damit, so die Chefunterhändler, Thomas de
Maiziére und Frank Walter Steinmeier, werde es "deutlich
mehr Transparenz und demokratische Kontrolle geben" - für den
Bundestag und für die Öffentlichkeit. Doch dann
folgte die entscheidende Einschränkung: "Mit Blick auf die
schutzwürdigen Interessen Dritter sind bloße
Voranfragen davon nicht betroffen."
Das versprochene "Mehr" an Transparenz wird weitgehend wieder
aufgehoben, denn es sind meist die sogenannten Voranfragen, die zu den
politisch relevanten und kontroversen Entscheidungen des
Bundessicherheitsrates führen. Diese Einschränkung
findet sich nur in der gemeinsamen Erklärung der
Koalitionäre, ist also nicht im Koalitionsvertrag nachzulesen.
Mit dem politischen Willen zu echter Transparenz kann es nicht allzu
weit her sein.
In der Sache wird sich wenig ändern: Auf die "bloßen
Voranfragen" für geplante Geschäfte hin befasst sich
der Bundessicherheitsrat erstmals mit diesen und muss eine grundlegende
Entscheidung treffen. Firmen fragen regelmäßig in
dieser Form an, ob ein potentiell kontroverses Exportgeschäft
genehmigungsfähig wäre - meist bevor sie sich
ernsthaft um einen Auftrag bemühen oder gar einen Vertrag
abschließen. Sie wollen wissen, ob es lohnt, in die
Auftragsakquisition Geld zu investieren, erfahren, ob sie
später mit einer Genehmigung rechnen dürfen. Die
Antwort der Bundesregierung erfolgt schriftlich.
Ist sie positiv, so spricht man von einem "grünen Licht".
Diese Antwort hat verwaltungsrechtlich eine Bindewirkung für
die Bundesregierung. Die Firma kann sich darauf verlassen, dass die
Antwort noch gilt, wenn sie später den endgültigen
Ausfuhrantrag vorlegt. Würde die Bundesregierung dann trotz
des "grünen Lichts" den Antrag ablehnen, könnte die
Firma erfolgversprechend auf Schadensersatz klagen, weil die
Bundesregierung die Ablehnung begründen und beweisen muss,
dass veränderte Umstände keine Genehmigung mehr
zulassen. Die Beweislast kehrt sich also um.
Den endgültigen Ausfuhrantrag stellen Firmen in aller Regel
deutlich später: Dann, wenn sie den Auftrag bekommen, einen
Vertrag abgeschlossen und das bestellte Rüstungsgut so weit
fertig gestellt haben, dass es in absehbarer Zeit auch
tatsächlich ausgeführt werden kann. Zu diesem
Zeitpunkt haben sie bereits viel Geld in die Akquise, die Bestellung
von Gütern, Komponenten und Fremdleistungen sowie in die
Arbeit investiert. Ihnen würde also tatsächlich ein
erheblicher Schaden entstehen, käme jetzt noch ein "Nein". Der
Koalitionsvertrag kündigt an, dass diese letzte Entscheidung
des Bundessicherheitsrates dem Bundestag unverzüglich
mitgeteilt werden soll.
In der Konsequenz bedeutet dies, dass den Abgeordneten viele
größere Rüstungsexportgeschäfte
wohl erst dann mitgeteilt werden, wenn sie diese bereits aus der Presse
kennen. Die Industrie selbst gibt viele Exportgeschäfte dann
bekannt, wenn sie einen Vertrag in der Tasche hat, also einen Erfolg
vermelden kann. Meldungen über kleinere Geschäfte,
die die Industrie nicht bekannt gegeben hat, könnten auch neu
sein, vorausgesetzt, der Bundessicherheitsrat hat diese auch beraten.
Das ist häufig nicht der Fall, denn dieser Kabinettsausschuss
befasst sich natürlich nicht mit allen 15.000 oder 20.000
Ausfuhranträgen, die in einem Jahr gestellt werden. Er
entscheidet nur über Vorhaben, die auf der Kriegswaffenliste
stehen und/oder in Länder außerhalb der NATO, der EU
und der Gruppe der Gleichgestellten gehen sollen, sowie über
den Export sonstiger Rüstungs- und Dual-Use-Güter,
wenn dieser besonders kontrovers oder von der bisherigen Praxis
abweichend sein könnte. Das wiederum sind oft Fälle,
für deren Beurteilung ein so großes Maß an
technischer und juristischer Detailexpertise Voraussetzung ist, wie es
im Büro von Bundestagsabgeordneten kaum erwartet werden kann.
Problematische Exporte zu erkennen wäre auch dann nicht immer
leicht. Durch ihre Kenntnisnahme aber werden die Abgeordneten in eine
gewisse Mithaftung genommen.
Unklar lassen die Koalitionsunterhändler, ob sie bei
Kriegswaffen bereits die Beschlüsse des Bundessicherheitsrates
zur Genehmigung nach dem KWKG oder erst die spätere,
endgültige Entscheidung über den Ausfuhrantrag als
"abschließende Genehmigungsentscheidung" ansehen, die eine
Information des Bundestages zur Folge haben soll.
Die Abgeordneten werden erst informiert, wenn die endgültige,
positive Endentscheidung der Exekutive bereits gefallen ist, und die
Forderung, diese zurückzunehmen, mit dem Hinweis auf einen
drohenden Schadensersatz gekontert werden könnte. Für
die öffentliche Debatte über kontroverse
Rüstungsexporte bedeutet das so gut wie keinen Fortschritt.
Kontrovers und mit offenem Ausgang streiten kann man nur über
Exportvorhaben, über die noch nicht entschieden wurde. Also
oft nur zwischen dem Eingang der Voranfrage und der Zusage eines
"grünen Lichts". In dieser Phase soll es aber wegen der
schutzwürdigen Interessen von Industrie und
Empfängerland bei vollständiger Geheimhaltung bleiben.
Die Absicht, den Bundestag selbst entscheiden zu lassen, welche
Abgeordneten künftig informiert werden sollen, bietet
angesichts der erdrückenden Mehrheit von CDU/CSU und SPD im
Bundestag weitere Möglichkeiten, der Opposition die Diskussion
schwer zu machen. Die Rüstungsexportberichte Die
große Koalition will, dass die Vorlage "des
jährlichen Rüstungsexportberichtes noch vor der
Sommerpause des Folgejahres" erfolgen und dass es künftig
einen "zusätzlichen Zwischenbericht" geben soll.
Auch das bedeutet nur eine terminliche Änderung, das
grundsätzliche Defizit aber bleibt weiter bestehen. Es
manifestiert sich im Titel des Jahresberichtes. Dieser lautet "Bericht
der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für
konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 20XY".
Der Bericht befasst sich vor allem mit der Genehmigungspolitik der
Bundesregierung, bis auf wenige Ausnahmen aber nicht mit den
tatsächlich ausgeführten
Rüstungsgütern. Die Ausnahmen ergeben sich aus
internationalen Berichtspflichten zum Beispiel gegenüber den
Vereinten Nationen. Kommt der Rüstungsexportbericht
künftig ein halbes Jahr früher, so ist das nett,
schafft aber per se kein Mehr an Transparenz. Gleiches dürfte
für den angekündigten Zwischenbericht gelten, da
keine zusätzlich Transparenz schaffenden Inhalte
angekündigt wurden.
Manch Kritiker der bisherigen Rüstungsexportberichte
hält diese bereits heute für eine Verschwendung von
Steuergeldern bzw. für eine irrelevante Fleißarbeit
gut besoldeter Ministerialbeamter. Künftig wird er fragen, ob
diese Arbeit sinnvoller wird, wenn sie häufiger
anfällt. Auf ähnliche Gedanken könnten auch
die zuständigen BearbeiterInnen im Wirtschaftsministerium
kommen.
Politische Richtlinien
"Bei Rüstungsexportentscheidungen in sogenannte Drittstaaten
gelten die im Jahr 2000 beschlossenen strengen `Politischen
Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern`, die für unser
Regierungshandeln verbindlich sind." So die zentrale Formulierung des
Koalitionsvertrages, die manche SPD-PolitikerIn von einer
Rückkehr zur Genehmigungspraxis aus Zeiten von
Rot-Grün schwärmen ließ.
Diese Bewertung wird sich wohl eher als blauäugig oder gar als
bewusste Augenwischerei erweisen. Seit 2000 haben drei unterschiedliche
Koalitionen bewiesen, wie man trotz oder mithilfe dieser Richtlinien
auch die kontroversesten Exportgeschäfte genehmigen und den
deutschen Rüstungsexport deutlich ausweiten kann. Zum anderen
gilt: "Pacta servanda sunt." Auch die künftige Bundesregierung
ist an die grünen Lichter und Genehmigungen ihrer
Vorgängerinnen gebunden. Mit anderen Worten: Das Kind ist
bereits im Brunnen und so mancher Konzern wird sich auf
Präzedenzfälle berufen, wenn es in seinem Interesse
liegt, noch ein zweites Kind hinterherzustoßen. Gespannt darf
man sich zum Beispiel fragen, wie die große Koalition
künftige Voranfragen hinsichtlich der Lieferung von
gepanzerten Fahrzeugen wie dem Boxer oder dem Puma auf die arabische
Halbinsel reagiert, wenn sie doch bereits der Lieferung von
Kampfpanzern im Einzelfall zugestimmt hat. Substantielle Zweifel sind
angebracht.
Die Grundsatzentscheidung, über Exporte solcher Fahrzeuge auf
die arabische Halbinsel im Einzelfall zu entscheiden, geht auf die
große Koalition 2005 - 2009 zurück.
Europäische Harmonisierung
Als bedeutsam könnte sich noch eine weitere
Ankündigung erweisen: "Wir setzen uns für eine
Angleichung der Rüstungsexportrichtlinien innerhalb der EU
ein. Europäische Harmonisierungen müssen so umgesetzt
werden, dass sie die Mindestanforderungen des Gemeinsamen Standpunkts
der EU aus dem Jahr 2008 nicht unterschreiten." Das klingt, als
müsse die künftige Bundesregierung darum
kämpfen, dass die EU ihren Gemeinsamen Standpunkt nicht
aufweicht. Da inzwischen mit dem Arms Trade Treaty (ATT) ein
rechtsverbindlicher Text zu Rüstungsexporten mit weltweitem
Gültigkeitsanspruch vorliegt, kann man damit rechnen, dass in
der EU Stimmen laut werden, die fordern, den restriktiveren Gemeinsamen
Standpunkt der EU an den liberaleren ATT anzupassen, damit
europäische Firmen nicht unter Wettbewerbsnachteilen leiden.
Die Formulierung im Koalitionsvertrag könnte das erste
Menetekel an der Wand sein, das eine solche Entwicklung vorzeichnet.
Ein ceterum censeo zu Schluss: Der Koalitionsvertrag spricht lediglich
von Rüstungsexporten in Drittstaaten. Über Exporte in
die wachsende Gruppe der EU-, NATO- und gleichgestellten
Ländern verliert er kein Wort. Kriegswaffenexporte in diese
Staaten werden nur in besonderen Ausnahmefällen untersagt.
Exporte in andere EU-Staaten werden durch die Umsetzung der sogenannten
Verbringungsrichtlinie sogar weiter erleichtert. Damit wird die
praktische Handhabung des Gemeinsamen Standpunktes durch die
Länder, in denen die Endfertigung eines Waffensystems erfolgt,
bedeutsamer. Dort wird letztlich der Export in Drittländer
genehmigt, mal laxer, mal etwas strenger. Die Gefahr, dass
europäische Harmonisierung letztlich eine liberalere
Rüstungsexportpolitik zur Folge hat, ist nicht von der Hand
zuweisen.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS.
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