Friedensforum 05/99

 

Kleinwaffen in Somaliland
Vor-Ort-Kontrolle könnte ein erster Schritt sein

Ekkehard Forberg und Ulf Terlinden

 

"Kleinwaffen" finden international stetig steigende Beachtung. Das Beispiel der "Republik Somaliland" (der "ehemalige" Nordwesten Somalias) zeigt die Komplexität der Thematik auf und weckt zugleich Zweifel an der Wirksamkeit der bisherigen Ansätze zur Eindämmung des "Kleinwaffenproblems", die sich vor allem auf das Einsammeln der Waffen selbst und die Beschränkung des Handels mit ihnen konzentrieren. Der vorliegende Artikel basiert auf den Ergebnissen eines Forschungsaufenthaltes im Jahre 1998, die auch in umfassender Form als Bericht veröffentlicht wurden.

Die heutige Verbreitung von Kleinwaffen in Somaliland geht vor allem auf den Krieg zurück, der zum Sturz der Zentralregierung Somalias und der Unabhängigkeit Somalilands im Jahre 1991 führte. Ab Mitte der achziger Jahre mobilisierte die "Somali National Movement" (SNM) Milizen gegen die Armee des Diktators Siad Barre und bewaffnete sie. Noch erheblich mehr Waffen wurden dadurch freigesetzt, dass die Milizen und auch Zivilisten die Waffenlager der Somalischen Nationalen Armee plünderten, die es damals in Somaliland gab. Als die Kämpfer nach dem Sieg zu ihren Familien heimkehrten, nahmen sie ihre Waffen mit. Insgesamt dürften heute mehrere hunderttausend Kleinwaffen verschiedener Typen, vor allem aber Schusswaffen, unter den eine Millionen Einwohnern Somalilands verbreitet sein. Der Großteil dieser Waffen sind verschiedene Versionen der Kalaschnikow (AK-47, AK-74, AKM u.a.), vorwiegend aus sowjetischer Produktion, aber auch aus der DDR. Die Liste der anderen Waffenlieferanten ist lang und beinhaltet auch die Bundesrepublik. G3-Gewehre von Heckler & Koch sieht man häufig in Somaliland. 

"Normalität" nach dem Krieg

Heute sind Waffen in Somaliland Alltagsgegenstände. 70% der erwachsenen Männer des Landes verfügen unseren Schätzungen zufolge über eine oder mehrere Schusswaffen. Wer eine Waffe in den Städten jener Landesteile trägt, die sich unter Kontrolle der "Regierung" Somalilands befinden, tut dies nicht offen. Eine Polizeitruppe ist im Aufbau und bemüht sich um Anerkennung in der Gesellschaft. Sie hat immerhin erreicht, dass die bewaffnete Bevölkerung eher kleine Waffen wie Pistolen trägt, und diese im Hosenbund verdeckt mit sich führt. Die meisten Menschen in diesen Städten lassen ihre Waffen sogar zu Hause, was nicht nur auf drohende Strafen der Polizei, sondern auch auf die verbesserte Sicherheitssituation zurückzuführen ist.

Das "Kleinwaffen-Problem"

Kleinwaffen bestimmen heute nicht mehr die gesellschaftliche Dynamik Somalilands. Es kommt sporadisch zu bewaffneten Zwischenfällen, bei denen z.B. persönliche oder lokalpolitische Streitigkeiten mit Waffengewalt ausgetragen werden, ihre Zahl scheint jedoch - soweit sich dies angesichts nicht vorhandener Statistiken und fragwürdiger Vergleichsmaßstäbe überhaupt beurteilen lässt - nicht ungewöhnlich hoch zu sein. Die Polizei Somalilands argumentiert, es handele sich um "gewöhnliche Verbrechen", deren Anzahl weit unterhalb der Raten liege, die in Westeuropa bestehen.

Das "Problem Kleinwaffen" muss vor allem auf einer anderen Ebene gesucht werden: Sie stellen ein Potential für größere bewaffnete Auseinandersetzungen in der Zukunft dar. Die Kämpfe, die zwischen einzelnen Fraktionen innerhalb Somalilands nach der Unabhängikeitserklärung von 1991 stattfanden, illustrieren, dass es sich hier um eine reale Gefahr handelt. Die Praxis bewaffneter Straßenblockaden/-überfälle, die bis vor wenigen Jahren noch weit verbreitet war, zeigt ebenso die potentiellen Probleme der Kleinwaffen-Verbreitung auf.

Die "gesellschaftlichen Kosten" vergangener Kampfhandlungen lassen sich auch heute noch in Krankenhäusern sowie Projekten zur physischen und psychischen Rehabilitation beobachten. Auffällig ist besonders die große Zahl von Amputationen, die auf Schussverletzungen zurückzuführen sind.

Die "Nachfrage" nach Kleinwaffen

Doch weshalb behalten die meisten Menschen in Somaliland ihre Waffen, obwohl der innersomalische Krieg schon seit acht Jahren vorüber ist und auch der letzte Krieg innerhalb Somalilands mehr als drei Jahre zurückliegt? Ein Kalaschnikow-Gewehr hat zur Zeit einen Marktwert von rund 200 US$ - Grund genug, es zu verkaufen, sobald es nicht mehr gebraucht wird. - Jedoch:

  • Das Vertrauen in die Institutionen öffentlicher Sicherheit ist weder in den Regierungsgebieten, noch in Sool und Sanaag so groß, dass die Menschen auf ihre Möglichkeiten der Selbstverteidigung verzichten möchten. Mit den Worten eines Clanältesten: "Jeder ist hier sein eigener Polizist."

  • Mit dem Mangel an öffentlichen Sicherheitsstrukturen geht der teilweise Verlust gewaltfreier gesellschaftlicher Mechanismen der Konfliktaustragung einher. Die Politik muss sich seit der Eigenständigkeit Somalilands erst das Vertrauen der Bevölkerung erarbeiten und ihre zumindest nominell demokratischen Strukturen etablieren. Auch das System der traditionellen Herrschaft innerhalb der Clanstrukturen war - u.a. durch die politische Dominanz der Clan-Milizen - geschwächt und gewann in den vergangenen Jahren erst wieder an Gewicht.

  • Sicherheit ist in der somalischen Gesellschaft schon lange eher ein privates als ein öffentliches Gut. Dies hängt mit vielen Faktoren zusammen, zu denen auch die Wirtschaftsweise zählt: Hirten und Nomaden leben mit ihren Herden weitab vom Einzugsgebiet der Polizei, das auf die urbanen Zentren und Landstraßen beschränkt ist. Die Hirten und Nomaden haben ihre einfachen Waffen zur Selbstverteidigung, wie z.B. Speere, durch moderne Feuerwaffen ersetzt. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser "Aufrüstungsprozess" rückgängig gemacht werden kann.

Auch die Clans als soziale Struktur bedeuten in punkto Sicherheit tendenziell eine Organisation von unten nach oben, von den kleinsten gesellschaftlichen Zellen (Individuen und Familien) bis hin zum Clan insgesamt. Der "Schutz" wird bei Bedarf auf der Basis beliebig kleiner Zellen organisiert. Dies spricht gegen freiwillige Entwaffnung und Verlass auf kollektive Sicherheit.

  • Es ist eine "Waffenkultur" entstanden, in der Waffen zu den Statussymbolen von Männern gehören.


Die ökonomischen Anreize für den Besitz von Waffen haben heute nicht mehr so großes Gewicht. In den ersten Jahren der Eigenständigkeit Somalilands bedeuteten Waffen die Möglichkeit der Wegelagerei, aber auch der Beschäftigung als Wächter für internationale Organisationen oder NGOs. Zudem war der Waffenbesitz die "Eintrittskarte" für Demobilisierungsprogramme und (bescheidene) Militärpensionen.

Waffenhandel

Die Haltung der Bevölkerung Somalilands in Bezug auf Kleinwaffen lässt sich am besten mit "abwarten und beobachten" beschreiben. Dies zeigt auch der Markt für Kleinwaffen. Der o.g. Preis von ca. 200 US$ für eine gewöhnliche Kalaschnikow ist für somalische Verhältnisse relativ hoch. Dies ist - neben den Interviewaussagen verschiedener "Insider" - ein weiteres Indiz dafür, dass der Markt in Somaliland nicht mit großen Mengen Waffen überflutet ist, wie dies im Falle eines akuten Konfliktes (durch massive Zulieferung von außen) sehr schnell der Fall wäre. Zugleich ist die Nachfrage nicht so hoch, dass der Preis weit über den realen Wert der Waffen hinaus steigt. Dies ist auch damit zu erklären, dass der Markt "gesättigt" ist. Insgesamt gibt es innerhalb des Landes relativ wenig Marktaktivität, und es fließen derzeit eher Waffen in benachbarte Konfliktregionen ab, wie z.B. den Süden Somalias, als dass sie importiert würden.

Das Horn von Afrika, zu dem neben Somaliland und Somalia (je nach Definition) auch Äthiopien, Eritrea, Djibouti, Sudan, Uganda und Kenia gerechnet werden, ist durch kaum kontrollierte, durchlässige Grenzen und großen Mengen verbreiteter Waffen in der Zivilbevölkerung gekennzeichnet. Munition und Waffen können in diesem Umfeld nahezu ungehindert zu jedem Nachfrager transportiert werden.

Innerhalb Somalilands wird der formal verbotene Handel meist durch ein informelles Brokering auf lokaler Ebene abgewickelt. Dagegen sind Händler, die Waffen und Munition über lange Strecken zwischen den Regionen Somalilands und Somalias transportieren mittlerweile höheren Risiken ausgesetzt, da zahlreiche Checkpoints der Polizei eingerichtet wurden, an denen Kontrollen drohen. Dieser regionale Handel findet unserer Einschätzung zufolge - wenn überhaupt - eher mit kleinen Mengen und nur unregelmäßig statt.

Bewaffnete Einheiten

Neben der Bevölkerung verfügen die "Nationale Armee Somalilands", die Polizei und den Clans zugeordnete Milizen in Sool und Sanaag über Kleinwaffen. Die Kontrolle über ihre Arsenale ist in bedauerlicher Verfassung. Es gibt kaum eingeübte und klar definierte Regeln für die Registrierung der Waffen- und Munitionsausgabe.

Nachfragereduktion

Wir plädieren für einen Handlungsansatz, der sich zunächst um die Reduktion der Nachfrage nach Kleinwaffen bemüht und zugleich auf vielen Ebenen Sanktionen und Beschränkungen für den Besitz, das Tragen, das Handeln und den Gebrauch dieser Waffen in den Vordergrund stellt. Eine solche Strategie setzt auf Meinungs- und Verhaltensänderung bei Waffenbesitzern und in der Gesellschaft insgesamt. Erst in einem zweiten Schritt können die dann "überflüssig gewordenen" Waffen aus der Bevölkerung abgeschöpft werden. Bemühungen, die den Entzug von Waffen durch die Bereitstellung materieller Anreize oder mit Druckmitteln von vorneherein zum Hauptziel erklären, sind unter den Bedingungen der fast unbegrenzten Verfügbarkeit von Waffen in der Region - und in Ermangelung von Möglichkeiten, dies zu ändern - zum Scheitern verurteilt

Die Akteure, die in einen Prozess der Nachfrage-Reduzierung und der Kontrolle über Kleinwaffen eingebunden werden, sollten ein möglichst breites gesellschaftliches Spektrum repräsentieren. Nur wenn nicht-staatliche Institutionen wie die Ältestenräte, religiöse Führer, Frauen- und Veteranenorganisationen eingebunden sind, kann ein gesellschaftlicher Konsens zur Ächtung von Kleinwaffen gefunden werden. Finanzielle und Projektinterventionen von außen sollten diese interne Konsenssuche unterstützen und sich an ihren Ergebnissen orientieren, um nicht Gefahr zu laufen, westliche Modelle auf Somaliland zu übertragen. Denn schließlich muss die Suche nach und Stärkung von gewaltfreien, innergesellschaftlichen Konfliktaustragungsverfahren Teil der Strategie zur Nachfragereduzierung sein - und diese Verfahren sind der Kern der politischen Ordnung einer Gesellschaft.

Zwischen staatlichem Gewaltmonopol und traditionellem Recht

Der gesuchte Konsens wird auch die künftige Organisation öffentlicher Sicherheit und ihre Institutionen umfassen müssen. Der Staat sollte dabei nicht von vorneherein den exklusiven Bezugpunkt bilden, denn in der Gesellschaft Somalilands gehören bisher sowohl die Polizei mit den staatlichen Gesetze (zumindest in den regierungskontrollierten Landesteilen) als auch die Ältesten mit dem "Xeer" zu den Trägern öffentlicher Sicherheit. Diese Kombination könnte ein Modell der gesellschaftlichen Organisation sein bzw. werden, das staatlich garantierte Sicherheit als öffentliches Gut "von oben" mit gesellschaftlich getragener, partizipativer Sicherheit "von unten" verbindet.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Die Schaffung und Stärkung von Kontrollen über Kleinwaffen sollte zwar in ähnlichem Maße von der Gesellschaft selbst getragen werden, wie die Nachfragereduzierung, externe Akteure können aber in größerem Umfang eigene Aktivitäten starten, ohne sich in Legitimationsprobleme zu verwickeln.

Damit die Institutionen, die im Verlauf der o.g. Konsenssuche identifiziert werden, überhaupt eine Rolle bei der Kontrolle über Kleinwaffen spielen können, muss ihr eigener Umgang mit Waffen vorbildhaft sein: Ein klares, transparentes und striktes Management von Waffen und Munition bei z.B. der Polizei, aber auch bei der Armee oder den Clanmilizen, ist nötig, um glaubwürdig sein zu können.

Die Befehlshaber der Polizei berichteten, dass sie gern die bestehenden Gesetze, die den unlizensierten Besitz und den Handel von Waffen verbieten, strikt anwenden würden. Doch ihre Truppe ist schlecht ausgerüstet, es fehlt vor allem an Kommunikations- und Transportmitteln. Zudem sind die Ordnungshüter schlecht oder gar nicht ausgebildet. Hier könnten externe Akteure unterstützend eingreifen.

Die Ältesten könnten motiviert werden, ihre Autorität bei der Kontrolle über Kleinwaffen auszubauen. In öffentlichen Versammlungen können sie das Bewusstsein in der Gesellschaft für die Problematik verbessern. Ihre Rechtsprechung, die auch Verstöße wie die Drohung mit Waffen ahnden kann, sollte strikt angewandt werden, etc. Auch solche Aktivitäten können NGOs als "Facilitator", also mit Transportmitteln, Posten und der Organisation von Dialogen unterstützen.

Einsammeln von Waffen durch kollektive statt individuelle Anreize

Wenn in einer weiteren Stufe Kleinwaffen aus der Bevölkerung Somalilands "abgeschöpft" werden sollen, zum Beispiel, weil sie eines Tages vermehrt verkauft werden und in benachbarte Konfliktregionen abzuwandern drohen, so sollte dies mit direkten Re-investitionen in die öffentliche Sicherheit und die soziale und ökonomische Entwicklung der jeweiligen Orte verbunden werden. Statt Waffen von Einzelnen "zurückzukaufen" oder "Selbst-Demobilisierte" demobilisieren zu wollen, können öffentliche Ausschreibungen gemacht werden: Wenn innerhalb einer festen, kurzen Frist eine bestimmte Zahl von Waffen freiwillig abgegeben wird, werden z.B. Fahrzeuge für die Polizei zur Verfügung gestellt. Wenn eine größere Zahl zusammen kommt, wird eine Schule wiederaufgebaut und die Gehälter der Lehrer für einen Übergangszeitraum finanziert, usw.. Flankiert werden müssten solche Vorhaben mit Integrationsmaßnahmen für arbeitslose Ex-Milizen. Die eingesammelten Waffen sollten zudem in einer öffentlichen Zeremonie zerstört werden.


Ekkehard Forberg und  Ulf Terlinden ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS und studiert Politika an der FU Berlin.