Kleinwaffen in Somaliland
Vor-Ort-Kontrolle könnte ein erster Schritt sein
Ekkehard Forberg und Ulf Terlinden
"Kleinwaffen" finden international stetig
steigende Beachtung. Das Beispiel der "Republik Somaliland" (der
"ehemalige" Nordwesten Somalias) zeigt die Komplexität der Thematik auf und
weckt zugleich Zweifel an der Wirksamkeit der bisherigen Ansätze zur Eindämmung des
"Kleinwaffenproblems", die sich vor allem auf das Einsammeln der Waffen selbst
und die Beschränkung des Handels mit ihnen konzentrieren. Der vorliegende Artikel basiert
auf den Ergebnissen eines Forschungsaufenthaltes im Jahre 1998, die auch in umfassender
Form als Bericht veröffentlicht wurden.
Die heutige Verbreitung von Kleinwaffen in Somaliland geht vor allem auf den Krieg
zurück, der zum Sturz der Zentralregierung Somalias und der Unabhängigkeit Somalilands
im Jahre 1991 führte. Ab Mitte der achziger Jahre mobilisierte die "Somali National
Movement" (SNM) Milizen gegen die Armee des Diktators Siad Barre und bewaffnete sie.
Noch erheblich mehr Waffen wurden dadurch freigesetzt, dass die Milizen und auch
Zivilisten die Waffenlager der Somalischen Nationalen Armee plünderten, die es damals in
Somaliland gab. Als die Kämpfer nach dem Sieg zu ihren Familien heimkehrten, nahmen sie
ihre Waffen mit. Insgesamt dürften heute mehrere hunderttausend Kleinwaffen verschiedener
Typen, vor allem aber Schusswaffen, unter den eine Millionen Einwohnern Somalilands
verbreitet sein. Der Großteil dieser Waffen sind verschiedene Versionen der Kalaschnikow
(AK-47, AK-74, AKM u.a.), vorwiegend aus sowjetischer Produktion, aber auch aus der DDR.
Die Liste der anderen Waffenlieferanten ist lang und beinhaltet auch die Bundesrepublik.
G3-Gewehre von Heckler & Koch sieht man häufig in Somaliland.
"Normalität" nach dem Krieg
Heute sind Waffen in Somaliland Alltagsgegenstände. 70% der erwachsenen Männer des
Landes verfügen unseren Schätzungen zufolge über eine oder mehrere Schusswaffen. Wer
eine Waffe in den Städten jener Landesteile trägt, die sich unter Kontrolle der
"Regierung" Somalilands befinden, tut dies nicht offen. Eine Polizeitruppe ist
im Aufbau und bemüht sich um Anerkennung in der Gesellschaft. Sie hat immerhin erreicht,
dass die bewaffnete Bevölkerung eher kleine Waffen wie Pistolen trägt, und diese im
Hosenbund verdeckt mit sich führt. Die meisten Menschen in diesen Städten lassen ihre
Waffen sogar zu Hause, was nicht nur auf drohende Strafen der Polizei, sondern auch auf
die verbesserte Sicherheitssituation zurückzuführen ist.
Das "Kleinwaffen-Problem"
Kleinwaffen bestimmen heute nicht mehr die gesellschaftliche Dynamik Somalilands. Es kommt
sporadisch zu bewaffneten Zwischenfällen, bei denen z.B. persönliche oder
lokalpolitische Streitigkeiten mit Waffengewalt ausgetragen werden, ihre Zahl scheint
jedoch - soweit sich dies angesichts nicht vorhandener Statistiken und fragwürdiger
Vergleichsmaßstäbe überhaupt beurteilen lässt - nicht ungewöhnlich hoch zu sein. Die
Polizei Somalilands argumentiert, es handele sich um "gewöhnliche Verbrechen",
deren Anzahl weit unterhalb der Raten liege, die in Westeuropa bestehen.
Das "Problem Kleinwaffen" muss vor allem auf einer anderen Ebene gesucht werden:
Sie stellen ein Potential für größere bewaffnete Auseinandersetzungen in der Zukunft
dar. Die Kämpfe, die zwischen einzelnen Fraktionen innerhalb Somalilands nach der
Unabhängikeitserklärung von 1991 stattfanden, illustrieren, dass es sich hier um eine
reale Gefahr handelt. Die Praxis bewaffneter Straßenblockaden/-überfälle, die bis vor
wenigen Jahren noch weit verbreitet war, zeigt ebenso die potentiellen Probleme der
Kleinwaffen-Verbreitung auf.
Die "gesellschaftlichen Kosten" vergangener Kampfhandlungen lassen sich auch
heute noch in Krankenhäusern sowie Projekten zur physischen und psychischen
Rehabilitation beobachten. Auffällig ist besonders die große Zahl von Amputationen, die
auf Schussverletzungen zurückzuführen sind.
Die "Nachfrage" nach Kleinwaffen
Doch weshalb behalten die meisten Menschen in Somaliland ihre Waffen, obwohl der
innersomalische Krieg schon seit acht Jahren vorüber ist und auch der letzte Krieg
innerhalb Somalilands mehr als drei Jahre zurückliegt? Ein Kalaschnikow-Gewehr hat zur
Zeit einen Marktwert von rund 200 US$ - Grund genug, es zu verkaufen, sobald es nicht mehr
gebraucht wird. - Jedoch:
Das Vertrauen in die Institutionen öffentlicher Sicherheit ist weder
in den Regierungsgebieten, noch in Sool und Sanaag so groß, dass die Menschen auf ihre
Möglichkeiten der Selbstverteidigung verzichten möchten. Mit den Worten eines
Clanältesten: "Jeder ist hier sein eigener Polizist."
Mit dem Mangel an öffentlichen Sicherheitsstrukturen geht der
teilweise Verlust gewaltfreier gesellschaftlicher Mechanismen der Konfliktaustragung
einher. Die Politik muss sich seit der Eigenständigkeit Somalilands erst das Vertrauen
der Bevölkerung erarbeiten und ihre zumindest nominell demokratischen Strukturen
etablieren. Auch das System der traditionellen Herrschaft innerhalb der Clanstrukturen war
- u.a. durch die politische Dominanz der Clan-Milizen - geschwächt und gewann in den
vergangenen Jahren erst wieder an Gewicht.
Sicherheit ist in der somalischen Gesellschaft schon lange eher ein
privates als ein öffentliches Gut. Dies hängt mit vielen Faktoren zusammen, zu denen
auch die Wirtschaftsweise zählt: Hirten und Nomaden leben mit ihren Herden weitab vom
Einzugsgebiet der Polizei, das auf die urbanen Zentren und Landstraßen beschränkt ist.
Die Hirten und Nomaden haben ihre einfachen Waffen zur Selbstverteidigung, wie z.B.
Speere, durch moderne Feuerwaffen ersetzt. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser
"Aufrüstungsprozess" rückgängig gemacht werden kann.
Auch die Clans als soziale Struktur bedeuten in punkto Sicherheit
tendenziell eine Organisation von unten nach oben, von den kleinsten gesellschaftlichen
Zellen (Individuen und Familien) bis hin zum Clan insgesamt. Der "Schutz" wird
bei Bedarf auf der Basis beliebig kleiner Zellen organisiert. Dies spricht gegen
freiwillige Entwaffnung und Verlass auf kollektive Sicherheit.
Die ökonomischen Anreize für den Besitz von Waffen haben heute nicht mehr so großes
Gewicht. In den ersten Jahren der Eigenständigkeit Somalilands bedeuteten Waffen die
Möglichkeit der Wegelagerei, aber auch der Beschäftigung als Wächter für
internationale Organisationen oder NGOs. Zudem war der Waffenbesitz die
"Eintrittskarte" für Demobilisierungsprogramme und (bescheidene)
Militärpensionen.
Waffenhandel
Die Haltung der Bevölkerung Somalilands in Bezug auf Kleinwaffen lässt sich am besten
mit "abwarten und beobachten" beschreiben. Dies zeigt auch der Markt für
Kleinwaffen. Der o.g. Preis von ca. 200 US$ für eine gewöhnliche Kalaschnikow ist für
somalische Verhältnisse relativ hoch. Dies ist - neben den Interviewaussagen
verschiedener "Insider" - ein weiteres Indiz dafür, dass der Markt in
Somaliland nicht mit großen Mengen Waffen überflutet ist, wie dies im Falle eines akuten
Konfliktes (durch massive Zulieferung von außen) sehr schnell der Fall wäre. Zugleich
ist die Nachfrage nicht so hoch, dass der Preis weit über den realen Wert der Waffen
hinaus steigt. Dies ist auch damit zu erklären, dass der Markt "gesättigt"
ist. Insgesamt gibt es innerhalb des Landes relativ wenig Marktaktivität, und es fließen
derzeit eher Waffen in benachbarte Konfliktregionen ab, wie z.B. den Süden Somalias, als
dass sie importiert würden.
Das Horn von Afrika, zu dem neben Somaliland und Somalia (je nach
Definition) auch Äthiopien, Eritrea, Djibouti, Sudan, Uganda und Kenia gerechnet werden,
ist durch kaum kontrollierte, durchlässige Grenzen und großen Mengen verbreiteter Waffen
in der Zivilbevölkerung gekennzeichnet. Munition und Waffen können in diesem Umfeld
nahezu ungehindert zu jedem Nachfrager transportiert werden.
Innerhalb Somalilands wird der formal verbotene Handel meist durch ein informelles
Brokering auf lokaler Ebene abgewickelt. Dagegen sind Händler, die Waffen und Munition
über lange Strecken zwischen den Regionen Somalilands und Somalias transportieren
mittlerweile höheren Risiken ausgesetzt, da zahlreiche Checkpoints der Polizei
eingerichtet wurden, an denen Kontrollen drohen. Dieser regionale Handel findet unserer
Einschätzung zufolge - wenn überhaupt - eher mit kleinen Mengen und nur unregelmäßig
statt.
Bewaffnete Einheiten
Neben der Bevölkerung verfügen die "Nationale Armee Somalilands", die Polizei
und den Clans zugeordnete Milizen in Sool und Sanaag über Kleinwaffen. Die Kontrolle
über ihre Arsenale ist in bedauerlicher Verfassung. Es gibt kaum eingeübte und klar
definierte Regeln für die Registrierung der Waffen- und Munitionsausgabe.
Nachfragereduktion
Wir plädieren für einen Handlungsansatz, der sich zunächst um die Reduktion der
Nachfrage nach Kleinwaffen bemüht und zugleich auf vielen Ebenen Sanktionen und
Beschränkungen für den Besitz, das Tragen, das Handeln und den Gebrauch dieser Waffen in
den Vordergrund stellt. Eine solche Strategie setzt auf Meinungs- und Verhaltensänderung
bei Waffenbesitzern und in der Gesellschaft insgesamt. Erst in einem zweiten Schritt
können die dann "überflüssig gewordenen" Waffen aus der Bevölkerung
abgeschöpft werden. Bemühungen, die den Entzug von Waffen durch die Bereitstellung
materieller Anreize oder mit Druckmitteln von vorneherein zum Hauptziel erklären, sind
unter den Bedingungen der fast unbegrenzten Verfügbarkeit von Waffen in der Region - und
in Ermangelung von Möglichkeiten, dies zu ändern - zum Scheitern verurteilt
Die Akteure, die in einen Prozess der Nachfrage-Reduzierung und der Kontrolle über
Kleinwaffen eingebunden werden, sollten ein möglichst breites gesellschaftliches Spektrum
repräsentieren. Nur wenn nicht-staatliche Institutionen wie die Ältestenräte,
religiöse Führer, Frauen- und Veteranenorganisationen eingebunden sind, kann ein
gesellschaftlicher Konsens zur Ächtung von Kleinwaffen gefunden werden. Finanzielle und
Projektinterventionen von außen sollten diese interne Konsenssuche unterstützen und sich
an ihren Ergebnissen orientieren, um nicht Gefahr zu laufen, westliche Modelle auf
Somaliland zu übertragen. Denn schließlich muss die Suche nach und Stärkung von
gewaltfreien, innergesellschaftlichen Konfliktaustragungsverfahren Teil der Strategie zur
Nachfragereduzierung sein - und diese Verfahren sind der Kern der politischen Ordnung
einer Gesellschaft.
Zwischen staatlichem Gewaltmonopol und traditionellem Recht
Der gesuchte Konsens wird auch die künftige Organisation öffentlicher Sicherheit und
ihre Institutionen umfassen müssen. Der Staat sollte dabei nicht von vorneherein den
exklusiven Bezugpunkt bilden, denn in der Gesellschaft Somalilands gehören bisher sowohl
die Polizei mit den staatlichen Gesetze (zumindest in den regierungskontrollierten
Landesteilen) als auch die Ältesten mit dem "Xeer" zu den Trägern
öffentlicher Sicherheit. Diese Kombination könnte ein Modell der gesellschaftlichen
Organisation sein bzw. werden, das staatlich garantierte Sicherheit als öffentliches Gut
"von oben" mit gesellschaftlich getragener, partizipativer Sicherheit "von
unten" verbindet.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Die Schaffung und Stärkung von Kontrollen über Kleinwaffen sollte zwar in ähnlichem
Maße von der Gesellschaft selbst getragen werden, wie die Nachfragereduzierung, externe
Akteure können aber in größerem Umfang eigene Aktivitäten starten, ohne sich in
Legitimationsprobleme zu verwickeln.
Damit die Institutionen, die im Verlauf der o.g. Konsenssuche identifiziert werden,
überhaupt eine Rolle bei der Kontrolle über Kleinwaffen spielen können, muss ihr
eigener Umgang mit Waffen vorbildhaft sein: Ein klares, transparentes und striktes
Management von Waffen und Munition bei z.B. der Polizei, aber auch bei der Armee oder den
Clanmilizen, ist nötig, um glaubwürdig sein zu können.
Die Befehlshaber der Polizei berichteten, dass sie gern die bestehenden Gesetze, die den
unlizensierten Besitz und den Handel von Waffen verbieten, strikt anwenden würden. Doch
ihre Truppe ist schlecht ausgerüstet, es fehlt vor allem an Kommunikations- und
Transportmitteln. Zudem sind die Ordnungshüter schlecht oder gar nicht ausgebildet. Hier
könnten externe Akteure unterstützend eingreifen.
Die Ältesten könnten motiviert werden, ihre Autorität bei der Kontrolle über
Kleinwaffen auszubauen. In öffentlichen Versammlungen können sie das Bewusstsein in der
Gesellschaft für die Problematik verbessern. Ihre Rechtsprechung, die auch Verstöße wie
die Drohung mit Waffen ahnden kann, sollte strikt angewandt werden, etc. Auch solche
Aktivitäten können NGOs als "Facilitator", also mit Transportmitteln, Posten
und der Organisation von Dialogen unterstützen.
Einsammeln von Waffen durch kollektive statt individuelle Anreize
Wenn in einer weiteren Stufe Kleinwaffen aus der Bevölkerung Somalilands
"abgeschöpft" werden sollen, zum Beispiel, weil sie eines Tages vermehrt
verkauft werden und in benachbarte Konfliktregionen abzuwandern drohen, so sollte dies mit
direkten Re-investitionen in die öffentliche Sicherheit und die soziale und ökonomische
Entwicklung der jeweiligen Orte verbunden werden. Statt Waffen von Einzelnen
"zurückzukaufen" oder "Selbst-Demobilisierte" demobilisieren zu
wollen, können öffentliche Ausschreibungen gemacht werden: Wenn innerhalb einer festen,
kurzen Frist eine bestimmte Zahl von Waffen freiwillig abgegeben wird, werden z.B.
Fahrzeuge für die Polizei zur Verfügung gestellt. Wenn eine größere Zahl zusammen
kommt, wird eine Schule wiederaufgebaut und die Gehälter der Lehrer für einen
Übergangszeitraum finanziert, usw.. Flankiert werden müssten solche Vorhaben mit
Integrationsmaßnahmen für arbeitslose Ex-Milizen. Die eingesammelten Waffen sollten
zudem in einer öffentlichen Zeremonie zerstört werden.
Ekkehard Forberg und Ulf Terlinden
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei BITS und studiert Politika an der FU Berlin.
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