Mani Stenner – Die Agenda für den Frieden von unten
von Otfried Nassauer
Mein Nachruf auf Mani Stenner endet im letzten Friedensforum mit dem
Satz: „ ,Frieden schaffen – ohne Waffen‘ ist ein
Prozess, der nie zu Ende geht“. Das war Manis ‚Agenda
für den Frieden von unten‘.“ Über diesem Beitrag
steht die gleiche Formulierung als Überschrift. Aus gutem Grund.
So mancher Ansatz, der Manis Arbeit kennzeichnete und sie
überzeugend machte, ist es wert, weiterzuwirken. Ein paar
möchte ich stellvertretend in Erinnerung rufen.
Ganz einfach ist das aber nicht, denn verschriftlichte theoretische
Abhandlungen hatten bei Mani keine große Priorität. Sein
Schwerpunkt war die Praxis, sein Friedenshandeln. Ein Blick auf die
Webseite der Friedenskooperative zeigt das. Dort finden sich Hunderte
kurze und längere Beiträge von Mani, die zu Aktionen der
Friedensbewegung aufrufen, diese begründen oder im Nachhinein
darüber berichten. Auch Beiträge zu Aktionsformen kann man
nachlesen. Seltenheitswert haben dagegen analytische oder
konzeptionelle Texte. Was Mani diesbezüglich dachte, hat er kaum
niedergeschrieben oder manchmal nur in kurzen Absätzen anklingen
lassen. Vieles muss ich mir aus meiner Erinnerung an unsere
Gespräche
zusammensuchen. Meine Worte und Vokabeln nutzen, um seine Gedanken erinnerbar zu machen.
Die Überschrift „Agenda für den Frieden von
unten“ ist bewusst gewählt. Denn als „Agenda für
den Frieden“ betitelte Boutros Boutros Ghali, der oft
unterschätzte Generalsekretär der Vereinten Nationen, 1992
eine Denkschrift. Sie skizziert, wie die UNO nach dem Ende des Kalten
Krieges dazu beitragen könnte, „Frieden zu schaffen“.
Das bis heute beeindruckend zu lesende kleine programmatische Werk
zeigt Wege auf, wie die Internationale Gemeinschaft dem Ausbruch
militärischer Gewaltkonflikte präventiv entgegenwirken kann
– weitestgehend ohne Waffen: Durch Diplomatie, die konsequente
Arbeit zur Beseitigung von Kriegsursachen, durch
nicht-militärische Konfliktbearbeitung, Respekt für das
Völkerrecht und als letztes Mittel auch durch die präventive
Stationierung militärischer Kräfte, deren Hauptaufgabe es
wäre, allein durch ihre Anwesenheit den Ausbruch organisierter
bewaffneter Gewalt zu unterbinden.
Ghalis Vision für das Friedenshandeln der Vereinten Nationen
ähnelt stark dem, wie Mani sein Friedenshandeln verstand: Beiden
geht es um das Friedenshandeln unterschiedlicher Akteure: Ghali fordert
von staatlichen Akteuren, dass sie sich engagieren, um das Gewaltniveau
von Konflikten abzusenken. Bei Mani dagegen sind es nichtstaatliche
Akteure, die Zivilgesellschaft, die sich an der gleichen Aufgabe
beteiligen sollen. Beiden geht es darum, möglichst ohne Waffen
Frieden zu schaffen und nicht-militärische
Konfliktlösungsmöglichkeiten zu entwickeln, zu stärken
und rechtzeitig zur Wirkung zu bringen. Deshalb spreche ich bei Mani
von einer „Agenda für den Frieden von unten“.
Die Zivilgesellschaft war sein Adressat und Akteur. Die Parallele
zwischen den Ansätzen reicht sogar noch weiter. Wesentlich ist
beiden, Kriegs- und Konfliktursachen rechtzeitig zu bekämpfen,
also den Einfluss jener Faktoren zu mindern, die das Entstehen von
Gewaltkonflikten fördern: Ungerechtigkeit, Unfreiheit und Not.
Monokausalität und Freiheit von inneren Widersprüchen
zwischen den Wirkungen dieser Faktoren ist beiden Sichtweisen fremd. Im
Gegenteil: Es gilt, diese Wirkungen und ihr Zusammenwirken zu erkennen,
zu benennen und anzuerkennen, um erfolgreiches Friedenshandeln zu
ermöglichen. Ich weiß weder, ob Boutros Ghali noch ob Mani
Georg Picht‘s Aufsatz aus den 1960er Jahren je gelesen hat, in
dem solche Überlegungen angestellt werden. Der deutsche Philosoph,
Bildungsreformer und Mitbegründer der Friedensforschung
entwickelte solche Überlegungen meiner Kenntnis nach als erster.
Ich weiß nur, dass Mani, als wir uns in den 1980ern erstmals
darüber unterhielten, was wir beide unter Frieden verstehen, wie
selbstverständlich davon ausging, dass Frieden mehr sei als die
Abwesenheit von Krieg. Ein Prozess, der Kriege verhindern soll und sich
dabei täglich neu an einer Wirklichkeit abarbeitet, in der
Konflikte weiter gewaltsam ausgetragen werden.
Mani ging es darum, sich gegen Entwicklungen und Kräfte zu
stemmen, die zu Kriegen führen können, und darum,
gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren, die dieses Ziel effektiv
befördern können. Ihm war dabei immer klar, dass die
Bekämpfung eines kriegfördernden Faktors die ungewollte
Nebenwirkung haben konnte, die Auswirkungen eines der beiden anderen
Faktoren zu verstärken. Und dass es deshalb zwingend notwendig
sein könnte, vom Gesamtergebnis her zu denken. Ihm war klar, dass
es immer Grautöne und kaum einmal das allein Richtige geben
könnte.
Diese Sicht erklärt mir die große Vielfalt von Themen,
für die sich Mani engagiert hat: Kriegsdienst- und
Totalverweigerung, Bundeswehreinsätze und Kriege, Waffen, aber
auch die Lage der Kurden, ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen,
Menschenrechte und Demokratie oder das Wiedererstarken neurechten
Gedankenguts in Deutschland – um nur einige zu nennen. Das alles
gehörte für ihn wie selbstverständlich zu einem
ganzheitlichen Friedenshandeln. Vielleicht liegen in dieser umfassenden
Sichtweise auch einige der Verhaltensweisen begründet, die Mani
für viele GesprächspartnerInnen so symphatisch, glaub- und
vertrauenswürdig machte: Sein oft langes, geduldiges Zuhören
und Nachfragen, seine Toleranz gegenüber anderen Auffassungen, die
häufige Suche nach dem Konstruktiven in Positionen Anderer, seine
Fähigkeit, Konsens- und Kompromisslinien zu identifizieren und zu
formulieren.
Ganzheitlichkeit war da nicht nur Anspruch, sondern gelebte
Wirklichkeit und Motivation. Selbst seine Rolle bei der Vorbereitung
von Demonstrationen und Aktionen der Friedensbewegung und bei der oft
schwierigen Suche nach einem „Aktionskonsens“ für die
Formen des öffentlichen Protestes dürfte hier einen
wesentlichen Ursprung gehabt haben. Mani selbst hat nie Aktionen
befürwortet, zu denen Gewalt gegen Personen gehörte. Er
plante und initiierte selbst gewaltfreie Aktionen des zivilen
Ungehorsams, die also bewusste Gesetzesübertretungen beinhalteten.
Darüber hinaus galt für ihn: Die körperlicher
Unversehrtheit eines Polizisten hat den gleichen Wert wie die eines
Demonstranten. Beide gilt es zu schützen.
Dies bedeutete aber nicht, dass Mani bemüht gewesen wäre,
Gruppen aus von ihm verantworteten Aktionen auszuschließen, die
sich das Recht vorbehalten wollten, gegen Polizeigewalt mit Gegengewalt
zu reagieren. Seinem Selbstverständnis entsprach es vielmehr,
diesen Gruppen trotzdem die Möglichkeit zur Teilnahme an
Demonstrationen und Aktionen zu eröffnen. Er suchte mit ihnen
einen Konsens über die Aktionsform, der diese Gruppen
verpflichtete, von sich aus keine Gewalt anzuwenden und keine
Gewaltanwendung zu provozieren, die andere
DemonstrationsteilnehmerInnen gefährden würde. Zugleich nahm
er diese Gruppen in die Verantwortung, ihre SymphatisantInnen auf die
Einhaltung des erreichten Konsenses zu verpflichten. Einen solchen
Aktionskonsens konnte Mani gegenüber der Polizei vertreten und
vermitteln und damit zugleich oft erfolgreich für ein
deeskalatives Auftreten auch der Polizei werben.
Eine gewisse, aber auch die einzige mir bekannte Ausnahme stellten die
Aktionen gegen den G 8-Gipfel in Rostock dar. Dort setzten sich einige
gewaltbereite DemonstrantInnen – darunter ausländische
TeilnehmerInnen – ebenso über den Konsens hinweg wie Teile
der Polizeikräfte über die Absprache mit diesen. Mani nahm
dies als persönliche Niederlage – auch für seine
Glaubwürdigkeit, obwohl es gerade ihm zu verdanken war, dass
eindringliche Telefonate mit der Polizeieinsatzleitung eine
Rückkehr zu besonnenerem Vorgehen ermöglichten und eine
weitere Eskalation verhindert werden konnte. Mani übernahm
für die Entwicklung öffentlich Verantwortung, obwohl er sie
persönlich nicht, aber in seiner Funktion als Demonstrationsleiter
formal trug. Dies trug ihm zu Recht viel Respekt ein.
Und damit bin ich bei meinem letzten, bedeutenden Punkt, für den
hier noch Platz ist: Manis Wirken verweist auf die Bedeutung der
Faktoren Zeit und Kontinuität. Mani hat seine Funktion als
Geschäftsführer rund 30 Jahre ausgeübt, war drei
Jahrzehnte eines der wesentlichen Gesichter der bundesdeutschen
Friedensbewegung. Gepaart mit seinen persönlichen Stärken,
seiner Verlässlichkeit, seiner Berechenbarkeit und seiner
Prinzipientreue gab ihm das im in großen Umfang Gelegenheit,
Vertrauensbildung zu ermöglichen und entstandenes Vertrauen immer
wieder zu rechtfertigen.
Mani hat sich selten gescheut, Verantwortung zu übernehmen. Er
zeigte oft viel mehr persönlichen Mut als andere, die nach
höherem Einfluss strebten, die ich in der Friedensbewegung
kennengelernt habe. Wahrscheinlich war es sogar sein konsequenter
Verzicht auf das Streben nach politischen Funktionen und mehr Einfluss,
die ihm seine hohe Glaubwürdigkeit und seine Prinzipientreue mit
ermöglichten. Er war für andere kein potenzieller Konkurrent
und machte sich so unangreifbar. Auf jeden Fall gilt: Die individuelle
Komponente seines Friedenshandelns befand sich in erstaunlich
großer Übereinstimmung mit der politischen Komponente seines
Beitrags zum Prozess Frieden. Vielleicht ist das sogar ein oder gar der
Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung Mani Stenners.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS.
|