Die Jugoslawien-Kriegsberichterstattung der Times
und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Ein Vergleich
von Dr. Alexander Neu
Der Publizist Phillip Knightley formulierte im Jahre 2000 einige Thesen
über das Grundcharakteristikum westlicher Kriegsberichterstattung: Wesentliches Merkmal
massenmedialer Kriegsberichterstattung sei die Reduktion komplexer
politisch-militärischer Situationen auf dichotome Ebenen von "gut" und
"böse". Während die eigene Seite als die moralisch gute dargestellt werde,
werde die Gegenseite dämonisiert. Dabei spiele es zunächst keine Rolle, ob Massenmedien
seitens der Politik instrumentalisiert würden oder ob sie aus patriotischen oder anderen
Interessensmotivationen heraus tendenziös berichteten.
Diesen Ansatz präzisierte er in einem Aufsatz in der britischen
Tageszeitung "The Guardian" vom 4. Oktober 2001.
Darin stellt er eine mediale Eskalationsstrategie fest, um die
öffentliche Meinung auf Kurs zu halten:
"The way wars are reported in the western media follows a
depressingly predictable pattern: stage one, the crisis; stage two, the demonisation of
the enemys leader; stage three, the demonisation of the enemy as individuals; and
stage four, atrocities."
Und jene Kräfte im Inneren, die sich kritisch über die Kriegsrhetorik
der eigenen politischen Elite äußerten, so Knightley, würden durch die Medien als
"friends of terrorist, ranters, nutty, hypocrites, animals, barbarians, mad,
traitors, unhinged, appeasers and apologists" etikettiert.
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt der Kommunikationswissenschaftler
Georg Ruhrmann: Demzufolge "Nachrichtenmedien bis auf wenige historische Ausnahmen
gerade in Krisen- und Kriegszeiten das Bewußtsein und die Einstellungen der Eliten
nicht in Frage stellen, sondern reproduzieren".
Forschungsobjekt dieser Studie ist es, die Kriegsberichterstattung
zweier international anerkannter Printmedien, der britischen "The Times" und der
deutschen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", am Beispiel des bewaffneten
Konfliktes im zerfallenden Jugoslawien im Zeitraum von Anfang 1991 bis Ende 1995 zu
analysieren.
Erkenntnisziel ist es, die jeweiligen Perspektiven und dahinter
stehenden Motive der beiden Zeitungen zu identifizieren, zu vergleichen und zu bewerten.
Sodann orientiert sich diese Analyse an folgender forschungsleitender
Fragestellung:
- Welche (Welt- und Jugoslawien)-Bilder (Images) als Ergebnis
massenmedialer Realitätskonstruktion von Wirklichkeit vermitteln die FAZ und TIMES
über den/die international/nicht-international bewaffneten Konflikt(e) in (im ehemaligen)
Jugoslawien im Zeitraum von 1991 bis 1995?
- Erlauben diese spezifischen Images es, einen Rückschluß auf die jeweiligen
ideologischen Verhaftungen beider Printmedien zu ziehen?
Die zur Beantwortung benötigte Methode der qualitativen und
quantitativen Medieninhaltsanalyse, analysiert alle (Gesamterhebung) Beiträge und
Beitragformen (Texte, Bilder, Karikaturen etc.) von Anfang 1991 bis Ende 1995.
Die wesentlichen Ergebnisse zur Beantwortung der forschungsleitenden
Frage lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Ergebnisse indizieren hinsichtlich der Bestimmung der relevanten
inner-jugoslawischen Akteure/Objekte auf einen ethno-zentrischen Ansatz sowohl
bei der FAZ als auch bei der TIMES. Im Zentrum des Medienechos stehen die
Serben, die bosnischen Muslime und die Kroaten. Damit
akzeptieren beide Zeitungen nicht nur jene simplifizierenden Differenzierungsmerkmale,
nämlich entlang ethnischer Linien, die jeweils von den nationalistischen Kräften in
Jugoslawien vorgegeben wurden. Vielmehr vertiefen und multiplizieren sie auf diese Weise
einen primitiven Deutungsrahmen einer komplexen konfliktualen Wirklichkeit für die
Weltöffentlichkeit.
Der wesentliche Unterschied zwischen FAZ und TIMES zeigt sich
allerdings in den Dimensionen: Die FAZ kombiniert die ethnische Komponente mit religiösen
und kulturhistorischen Elementen, wodurch sie ein zivilisationstheoretisches Welt- bzw.
Jugoslawien-Bild zeichnete. Die TIMES hingegen reduziert die Unterscheidungsmerkmale auf
die Ethnien und bezeichnet darüber hinausgehende, der FAZ vergleichbare, Aspekte als
"over simplified picture". Andere oder weitere ergänzende Merkmale, wie
beispielsweise urbane und ländliche, regionale, soziale oder kriminelle Aspekte, finden
keine zumindest nicht im nennenswerten Umfang Verwendung als
Unterscheidungskriterien.
Bei der Bestimmung der relevanten internationalen
Akteure/Objekte schält sich ein staaten- und regierungsorganisationszentrischer
Ansatz heraus.
Beide Zeitungen fokussieren hinsichtlich der Regierungsorganisationen
die EG/EU, die Vereinten Nationen sowie die NATO. Als die im Blickwinkel der FAZ und der
TIMES wesentlichen wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen
konfliktintervenierenden national-staatlichen Akteure werden die Vereinigten Staaten von
Amerika, Groß-Britannien, Frankreich, die Rußländische Föderation und Deutschland
ermittelt.
Die Inhaltsanalyse manifestiert eine schrittweise partielle Annäherung
der TIMES und der FAZ in der Generierung der Jugoslawien-Images:
Die FAZ setzte sowohl dem zeithistorischen Jugoslawien als auch dem
Jugoslawien der Endphase ein dezidiert negatives Image auf. Hierbei bedient sie sich der
zivilisationstheoretischen Argumentation, Faschismus-Analogien und anti-kommunistischen
Ressentiments, die sie miteinander verband und auf die Serben als Träger all
dessen projizierte.
Demgegenüber kann bei der TIMES eine anfängliche Ausgewogenheit
festgestellt werden. Diese Ausgewogenheit verändert sich jedoch in dem Moment, in dem der
politische Konflikt in einen militärischen Umschlug. Dabei nehmen die neuen von der TIMES
generierten und auf Jugoslawien projizierten Images FAZ-nahe Formen an, ohne allerdings
derart drastische Dimensionen zu zeichnen. In diesem Kontext versuchen beide Zeitungen die
jugoslawische Verfassung zu instrumentalisieren, um ihre Argumente für das im Resultat
dann Ende der jugoslawischen Föderation zu untermauern. Die FAZ und die TIMES bedienen
sich des selektiven und verkürzten Zitierens der Verfassung, wodurch die Aussagen, da aus
dem Verfassungskontext isoliert, stets darauf hinauslaufen, daß die bundesstaatlichen
Organe Jugoslawiens Verfassungsbruch begangen hätten. Dabei schrecken sie letztlich sogar
vor sich widersprechenden Verfassungsinterpretationen nicht zurück.
Zu dieser Strategie der TIMES und FAZ gehört auch, die
Nicht-Unterscheidung zwischen internem und externem Selbstbestimmungsrechts auf
gesamtstaatlicher Ebene. Das völkerrechtliche Prinzip der Selbstbestimmung
bedeutet für die TIMES und die FAZ ausnahmslos die externe Variante, also die staatliche
Unabhängigkeit der Republiken ungeachtet dem "uti posseditis" Prinzip.
Allerdings, und das ist der entscheidende Unterschied zwischen der TIMES und der FAZ,
betrachtet die TIMES scheinbar nüchtern das Ende des jugoslawischen Bundesstaates als
einen unaufhaltsamen Prozeß angesichts der militärischen Auseinandersetzungen, die den
in ihren Augen vorangeschrittenen und umkehrbaren Auflösungsprozeß dokumentieren.
Demgegenüber versucht die FAZ, den jugoslawischen Bundesstaat aus ideologischen und
anti-jugoslawischen Motivationen heraus publizistisch aktiv, ja geradezu pathetisch zu
unterminieren.
Ein geradezu spiegelverkehrtes Bild der Argumentationen und
Zielsetzungen durch TIMES und FAZ kann auf der Ebene der jugoslawischen Gliedstaaten
nachgewiesen werden. Die FAZ und die TIMES fordern für die jugoslawischen
Nachfolgerepubliken die Wahrung der territorialen Integrität. Und das ungeachtet der
Tatsache, daß, wie sie beide selbst einräumten, die Republiksgrenzen mit den ethnischen
Grenzen nicht zusammen fallen. In diesem Zusammenhang entdecken die FAZ und
die TIMES plötzlich das interne Selbstbestimmungsrecht. Aber auch mit Blick auf weitere
Argumente, die für das "uti posseditis" Prinzip der Republiken sprechen, kann
eine bemerkenswerte inhaltliche Parallelität zwischen der FAZ und der TIMES festgestellt
werden. Diese in der Substanz sicherheitspolitischen, verfassungs- und völkerrechtlichen
Argumente sind von nur unzureichender Überzeugungsqualität. Denn, dieselben
Begründungen hätten ohne Abstriche oder sogar noch zutreffender für die fortwährende
Legitimation des jugoslawischen Gesamtstaates gesprochen.
Insgesamt bleibt festzustellen, daß die FAZ und die TIMES eine Umkehr
der völkerrechtlichen Normenhierarchie das Wort reden, in dem sie das Prinzip des
Selbstbestimmungsrechts für ihre Argumentation selektiv nutzen: Sie verbinden beide
Varianten des Selbstbestimmungsrechts und das "uti posseditis" Prinzip in
umgekehrter Form miteinander, so daß als Resultat nicht das Selbstbestimmungsrecht der
Völker, sondern daß der Republiken steht.
Des weiteren können die Motive für die Reduktion und Simplifizierung
des Konflikts unter Verwendung von Dichotomisierung und Stigmatisierung in "good and
bad guys" manifestiert werden.
Dabei zeigt sich, daß die Slowenen, die
Kroaten und die bosnischen Muslime die Teil-Images der good
und die Serben das Teil-Image des bad guy erhielten, da sie
allesamt im Blickwinkel beider Zeitungen die Opfer serbischen Imperialismus geworden
seien. Die Serben seien die Angreifer, weil sie die Wahrung der Republiksgrenzen nicht
hinnehmen wollten. Und die Slowenen, Kroaten und bosnischen
Muslime seien die Opfer, da sie in ihren Republiken den Angriffen der
Serben ausgesetzt gewesen seien.
Unterschiede zwischen der FAZ und der TIMES hinsichtlich ihrer
Jugoslawien-Bilder können lediglich in jenen Fällen, in denen es um das Verhalten
der Kroaten in und gegenüber Bosnien-Hercegovina ging, konstatiert werden.
Dabei besteht für beide Zeitungen die Gefahr, daß ihr dichotomes Bild angesichts des
kroatisch-muslimischen Krieges ins Wanken geriet. Bei der versuchten Auflösung dieses
Problem seitens der FAZ und der TIMES zeigt sich ein bemerkenswerter Unterschied
hinsichtlich ihres jeweiligen Rechtsverständnisses: Die TIMES stellt in logischer
Konsequenz ihres Ansatzes der Wahrung der bestehenden Republiksgrenzen die
Kroaten als Angreifer mit den Serben dann als bad guys" auf
eine Stufe. Hieran wird deutlich, daß die TIMES konsequent an dem "uti posseditis
Prinzip" für die Nachfolgestaaten Jugoslawiens ungeachtet der Konfliktparteien
festhält.
Demgegenüber nimmt es die FAZ mit dem von ihr so pathetisch
eingeforderten "uti posseditis Prinzip" gegenüber Slowenien und Kroatien im
Falle Bosnien-Hercegovinas nicht ganz so ernst, solange nur die Kroaten die
bosnischen Grenzen in Frage stellten. In diesem Kontext sind die einzigen kritischen Töne
der FAZ gegenüber den Kroaten, die Sorge um das Image Kroatiens in der Welt,
nämlich mit den Serben gleichgesetzt zu werden. Hierdurch wird
offensichtlich, daß das zentrale Bewertungskriterium der FAZ gegenüber der
jugoslawischen Konfliktsituation weniger die Beachtung des "uti posseditis
Prinzips" angewandt auf die Republiken ist als ihr allzu offensichtlicher
pro-kroatischer Kurs. Denn mit Blick auf die in ihrer Perspektive imperialen
Serben fordert sie nichts weniger als die uneingeschränkte Respektierung
dieser Völkerrechtsnorm. Hingegen demonstriert sie mit Blick auf die Kroaten
ein an Zustimmung heranreichendes Maß an Verständnis für deren unter objektiven
Gesichtspunkten dann ebenfalls imperialen Ambitionen. Die außerordentlich große
Sympathie, die den Kroaten seitens der FAZ zu Teil wird, verdeutlicht sich
nicht zuletzt auch darin, daß sie den bosnischen Muslimen die Verantwortung
für den Krieg mit den Kroaten" anlastet. Auch ihr Lavieren, die Kroaten für
die Zerstörung der Brücke von Mostar als die Verantwortlichen zu zeichnen untermauert
die erdrückende Parteilichkeit der FAZ.
In diesem Kontext können zwei auffällige Argumentationsmuster
festgestellt werden:
- die Verwendung von Analogie-Interventions-Muster sowie
- die Mikro-Makroebenen Argumentationsfigur.
Die FAZ und die TIMES verwenden Analogien, bei denen die
Serben dämonisiert wurden. Beide Zeitungen fordern jeweils im zeitlichen und
inhaltlichen Kontext das militärische Eingreifen des Westens, um ein weiteres
Auschwitz zu verhindern. Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen
Analogie-Schlüssen und Forderungen nach militärischen Interventionen:
Wenn Analogien verwendet werden, die eine Konfliktseite
dämonisieren, dann folgt die zeitnahe Forderung nach militärischer Intervention mit
hoher Wahrscheinlichkeit.
Das zweite auffällige Muster ist die Mikro-Makroebenen-Argumentationsfigur.
Sie wird mehrfach ausschließlich von der FAZ verwendet, um das Bild der dichotomen
Konflikt-Struktur faktenresistent zu machen. Im Gegensatz zum Analogie-Interventions-Muster,
ist das Mikro-Makroebenen-Muster als eindeutig kausales Verhältnis zu verstehen: Die
dafür zu Grunde liegende Prämisse ist, daß die Serben kollektiv die
Alleinverantwortung für den Krieg trügen. Sodann ist das Kausal-Verhältnis
folgendermaßen zu formulieren:
Wenn es vorgeblich serbische Opfer gab, dann konnten sie realiter
keine Opfer sein, da sie in kollektiver Verantwortung Täter waren.
Wie bereits oben ausgeführt, kann ein staaten- und
regierungsorganisationszentrischer Ansatz hinsichtlich der Bestimmung der maßgeblichen
handlungstragenden Einheiten nachgewiesen werden.
Die FAZ und die TIMES betrachten das transatlantische
Verteidigungsbündnis als das wichtigste und effektivste Instrument europäischer und
globaler Ordnungs- und Sicherheitspolitik. Diese bemerkenswerte große
Bedeutungszuschreibung wird im wesentlichen durch zwei miteinander verbundene Forderungen
deutlich:
- Erstens in den Forderungen nach einem Paradigmenwechsel der NATO, bei dem das bisherige
Aufgabenspektrum der ausschließlichen Landes- und Bündnisverteidigung um die Komponente
der "out of area" Einsätze erweitert werden sollte.
- Zweitens in der Hierarchisierung der internationalen Regierungsorganisationen seitens
der FAZ und TIMES: Sie setzten die NATO unverhohlen in der Bedeutungs-Hierarchie an die
Spitze, die EG/EU und die Vereinten Nationen relativ unbestimmt, nahezu marginalisiert
darunter.
Dabei beklagen die FAZ und die TIMES den faktischen Junior-Status der
NATO unter den Vereinten Nationen in dem balkanischen Konflikt. Sie fordern nicht nur für
den gegenwärtigen Konflikt, sondern auch für die Zukunft
"anderswo"/"elsewhere" die Handlungsautonomie für die NATO, während
den Vereinten Nationen eine nicht weiter bestimmte periphere Rolle zugeteilt wird.
Als den die NATO wesentlich tragenden nationalstaatlichen Akteur mit
Blick auf den Konflikt im Speziellen und hinsichtlich europäischer und globaler
Ordnungspolitik im Generellen betrachten beide Zeitungen die USA als die unverzichtbare
Nation. Denn beide sind sie der Auffassung, daß die USA das richtige, da quasi historisch
belegt, Konzept erfolgreichen Krisenmanagements verfolgen: Die im Clausewitzschen
Sinne militärisch abgestützte Diplomatie.
Die Beurteilung der nationalstaatlichen Akteure hinsichtlich ihres
Konfliktmanagements auf dem Balkan verweist dezidiert auf das (neo-)realistische Welt-Bild
der TIMES und der FAZ: Beide tadelen sie die durch ihre Optik zu selbstrestriktive
Interventionspolitik der westlichen Großmächte. Allerdings unterscheiden sie sich
hinsichtlich ihrer Motivationsgrundlagen: So betrachtet die TIMES den balkanischen
Konflikt in der Ziel-Mittel-Relation lediglich als Mittel, um die in ihrem
Selbstverständnis Großmachtrolle Groß-Britanniens mit entschlossenen militärischen
Aktivitäten zu unterstreichen.
Die FAZ wiederum unterstützt die deutsche Jugoslawien-Politik, wie sie
selbst ausführte, von jenem Moment an, in dem Bonn das "richtige Bild" von
Jugoslawien, nämlich in dem Sinne der FAZ, als außenpolitische Handlungsgrundlage
annahm. Sie betrachtet es als ihre Aufgabe, der deutschen Jugoslawien-Politik durch den
Dschungel der internationalen Fallstricke, nämlich die gegen Deutschland gerichteten
geopolitischen und historisch determinierten Jugoslawien-Politiken anderer Staaten, den
richtigen Weg zu weisen. In diesem Kontext fordert sie eine harte Gangart Deutschlands
gegenüber dessen europäischen Partnern ein: Wenn möglich multilateral, wenn nötig
unilateral wie beispielsweise bei der Frage der Anerkennungspolitik Deutschlands. Damit
weist sie der damaligen EG nicht die Rolle der europäischen Schicksalsgemeinschaft,
sondern die Funktion einer bloßen Interessengemeinschaft zu, deren Strukturen man sich
nur nach Opportunitätserwägungen unterzuordnen habe.
Die Orientierung der FAZ und der TIMES am (neo-)realistische Welt-Bild
wird auch an dem spezifischen Rechtsverständnis beider Zeitungen wiederholt deutlich:
Denn die selektive Rechtsbezogenheit der TIMES und der FAZ mit Blick auf das
internationale Recht, aber auch hinsichtlich der deutschen Verfassung (FAZ) sowie der
damaligen jugoslawischen Verfassung (FAZ und TIMES) verweisen auf eine beachtenswerte
instrumentellen Funktion des Rechts: Das Recht wird nicht verstanden als ein Instrument
mit universeller Gültigkeit im Geiste des rules of law, sondern als ein
Instrumentarium zur Durchsetzung politischer Interessen unter einem juristischen
Deckmantel.
Wie sehr die FAZ in dem Konflikt Partei ergriff, zeigen nicht zu letzt die dankbaren
Gesten der Präsidenten Sloweniens und Kroatiens der FAZ gegenüber:
"Viktor Meier, langjähriger Osteuropa-Korrespondent dieser
Zeitung, ist vom slowenischen Präsidenten mit dem Freiheitsorden, der höchsten
Auszeichnung des Landes ausgezeichnet worden."
Und:
"Dem Karikaturisten Fritz Behrendt, der seit Jahrzehnten für die
Frankfurter Allgemeine Zeitung zeichnet, hat der kroatische Präsident Tudjman
den Orden Morgenröte Kroatiens (Danica Hrvatke) verliehen.
(
)."
Die Normalität der Parteilichkeit ist im Selbstverständnis der FAZ offensichtlich schon
derart weit fortgeschritten, daß sie es nicht einmal mehr für nötig hielt, diese zu
verbergen, sondern im Gegenteil, sich damit zu rühmen.
Und diese Parteilichkeit konstruiert zu einem Wirklichkeitsbild über Jugoslawien
dürfte nicht unwesentlich Einfluß auf die politischen Entscheider Deutschlands gehabt
haben: "Wir werden uns die deutsche Außenpolitik nicht von Zeitungsherausgebern
vorschreiben lassen, aber wir können auch die Leitartikellage nicht außer acht
lassen", so einer der engsten Mitarbeiter des damaligen deutschen Außenministers
Hans-Dietrich Genscher im Herbst 1991 mit Anspielung auf die Bedeutung der FAZ in Fragen
der deutschen Jugoslawienpolitik.
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