Im Bermudadreieck der Rüstungsbeschaffung
von Otfried Nassauer und Dr. Hilmar Linnenkamp
Eines ist sicher: Das Beschaffungswesen für
Rüstungsgüter und Waffen in Deutschland ist und hat ein
Problem. Wieder einmal oder immer noch, vom
Schützenpanzer HS 30, dem Starfighter und den U-Booten der 1960er
über den Tornado der 1970er und 1980er bis hin zu Eurofighter,
Euro Hawk und den Hubschraubern der Gegenwart. Noch immer
gilt, worüber sich bereits Helmut Schmidt als
Verteidigungsminister mokierte: „Bei einer Reihe von
Rüstungsprojekten der Vergangenheit waren erhebliche
Verzögerungen, unangenehme Kostensteigerungen und beachtliche
technische Fehlleistungen aufgetreten.“ Auf den Punkt
gebracht: Zu spät, zu teuer und zu schlecht.
Das war für Schmidt und seinen Rüstungsstaatssekretär
Ernst Mommsen 1971 Anlass, eine grundlegende „Neuordnung des
Rüstungsbereiches“ in der Bundeswehr anzugehen. Schon damals
galt: Wer den Kampf mit den Titanen des Rüstungsgeschäfts
wagt und nicht verliert, der schafft sich eine Empfehlung für
höhere Aufgaben.
Derzeit sieht es so aus, als wolle auch Ursula von der Leyen den Stier
bei den Hörnern packen: Kaum zwei Monate im Amt, lehnte sie bei
der ersten Sitzung des Rüstungsrats im Februar alle ihr
vorgelegten Sachstandsberichte zu Rüstungsprojekten ab. Ihre
Begründung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen
übrig: „Viele Großprojekte halten weder Zeit- noch
Finanzrahmen ein. (...) Das ist kein haltbarer Zustand.“ Helmut
Schmidt lässt grüßen.
Im Beschaffungswesen der Bundeswehr soll endlich aufgeräumt
werden. Ein Augiasstall sei auszumisten, suggerierte die Ministerin,
entließ den zuständigen Staatssekretär Stepháne
Beemelmans und kündigte an, externe Berater zu Hilfe zu holen.
Nur: Werden diese dem Problem endlich auf den Grund gehen und einer
Lösung auf die Spur kommen?
Der Weg externer Hilfe ist nicht neu. Das
Verteidigungsministerium hat bereits mehrfach Berater zu
Hilfe gerufen. Doch die Experten gingen, während die Probleme
blieben. Ihre Vorschläge kennt das Ministerium seit Jahren.
Beratungsunternehmen bringen juristischen und betriebswirtschaftlichen
Sachverstand mit. In kameralistisch organisierten Umgebungen
liefern sie meist Ideen zur Prozessoptimierung und empfehlen oft,
bürokratische Apparate zu verschlanken und Aufgaben in den
privaten Sektor auszulagern. Vielfach therapieren sie jedoch nur die
Symptome, vernachlässigen aber die Ursachen der Probleme.
Was also müsste anders werden? Da sind vor allem die Fragen, auf
die das Ministerium möglichst fundierte Antworten sucht und die
Genauigkeit, mit der sie untersucht werden
können. Diese Vorgaben bestimmen wesentlich mit, ob Berater zu den
Ursachen der Beschaffungsprobleme vordringen können. Einfach
umzusetzen ist das offenbar nicht. Schon die Rahmenbedingungen
des aktuellen Beratungsvertrags lassen Zweifel aufkommen,
dass es diesmal besser wird. Nach der Vertragsunterzeichnung Ende Juni
soll der Ausschreibungssieger schon im September seine
Arbeitsergebnisse vorlegen, die – so vage ist das formuliert
– aus einer „Risiko- und Frühwarnanalyse zentraler
Rüstungsprojekte“, dem „Projektreview eines zentralen
Projekts“ und „Handlungsempfehlungen für
Management und Organisationsentwicklung“ bestehen sollen. Das
kommt einer Herkulesaufgabe innerhalb von 90 Tagen gleich.
Der Auftrag sieht vor, 15 unterschiedliche Großprojekte und eines
dieser Vorhaben bis ins Detail zu analysieren sowie das
Beschaffungswesen der Bundeswehr samt dessen Management- und
Organisationsstrukturen zu überprüfen und in allen drei
Bereichen Verbesserungsvorschläge vorzulegen. Eine
Verlängerungsmöglichkeit sieht die Ausschreibung nicht vor.
Höflich ausgedrückt: Dieser Terminplan ist mehr
als sportlich. Weniger höflich formuliert:
Er ist so gestaltet, dass möglichst wenig Problematisches entdeckt
und untersucht werden kann. Hinzu kommt: Die analytische Arbeit soll
während der jährlichen Haupturlaubszeit geleistet werden.
Dass den Beratern alle für eine gründliche Arbeit notwendigen
Ansprechpartner und Dokumente im Verteidigungsministerium und in der
Bundeswehr zur Verfügung stehen werden, darf ebensowenig als
wahrscheinlich gelten wie dass das Ministerium für alle relevanten
Mitarbeiter eine Urlaubssperre angewiesen hat.
Zu den fundamentalen Problemen des militärischen
Beschaffungswesens gehört schon die
Entstehungsgeschichte vieler großer
Rüstungsprojekte. Wer ergreift aus welchen Motiven die Initiative
dazu, dass sie begonnen werden? So manches milliardenschwere
Großprojekt entstand nicht, weil die Bundeswehr gerade dieses
Waffensystem zwingend und vorrangig brauchte. Es wurde begonnen, weil
es die Politik zur Priorität gemacht hat.
Die Hubschrauberprojekte Tiger und NH90 wurden beispielsweise in den
1980er Jahren initiiert, weil der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl
unbedingt die Rüstungskooperation mit Frankreich intensivieren
wollte – ein außen- und europapolitisches Motiv also.
Unterstützend kamen technologie-, industrie- und
beschäftigungspolitische Argumente hinzu, mit denen von der
nationalen bis hinunter auf die lokale Ebene eine starke Lobby für
gerade diese Vorhaben mobilisiert werden konnte. Militärischer
Bedarf der Bundeswehr ließ sich zwar auch begründen, gab
aber nicht den Ausschlag.
Neben fachlichen Gründen – ein altes Waffensystem
muss ersetzt oder eine neue Technologie soll
eingeführt werden – gibt es eine Vielzahl politischer
Motive, die Entwicklungs- und Beschaffungsentscheidungen
beeinflussen. Die Beschaffung von Schiffen und Booten
für die Marine erfolgt in Deutschland seit
Jahrzehnten keineswegs nur entlang militärischer
Notwendigkeiten. Sie ist eines der Instrumente, mit denen die Politik
steuernd, subventionierend, abfedernd und technische Fähigkeiten
sichernd in die wiederholten Krisen der Schiffbauindustrie eingreift.
Politisch motivierte Eingriffe bedeuten aber auch, dass die Politik
jenseits ihrer Aufgabe demokratischer Legitimation und Kontrolle von
Beschaffungsprojekten Partikularinteressen zur Wirkung bringt, die oft
eine wichtige Ursache dafür sind, dass die Streitkräfte nicht
rechtzeitig genau die hochwertige Ausstattung bekommen, die sie
wirklich benötigen. In einem solchen Umfeld können weitere
gravierende Problemursachen gut gedeihen.
Wenn der Staat Waffen bestellt, dann geht es meist nicht nur um sehr
viel Geld, sondern auch um die Interessen dreier mächtiger
Gruppen: der Bundeswehr mit ihren Teilstreitkräften, der zivilen
Beschaffungsbürokratie und natürlich der wehrtechnischen
Industrie. Die Armee will das Allerbeste, was künftige Technik
bieten könnte. Sie fordert oft Lösungen mit Goldrand. Die
Industrie will möglichst viel Geld verdienen und
verspricht natürlich, das Geforderte zeitnah mit
den gewünschten Leistungen liefern zu können. Und das zivile
Beschaffungsmanagement wählt nicht nur aus, wer die Bundeswehr
beliefern darf, sondern begleitet auch den
vielschrittigen Prozess der Vertragsanpassungen und
Vertragsänderungen. Das Bundesamt für Ausrüstung,
Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), der
Nachfolger des Bundesamtes für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB),
prüft über seine Wehrtechnischen Dienststellen (WTD) zudem
Qualität und Fähigkeiten der Industrieprodukte.
Da Großprojekte wie ein neues Flugzeug oder ein neuer Panzer
zwischen ersten Studien, Entwicklungsbeginn und voller
Einsatzfähigkeit oft drei oder gar vier Jahrzehnte benötigen,
ändern sich innerhalb dieser Zeit häufig
nicht nur die technischen
Lösungsansätze und
Lösungsmöglichkeiten, sondern auch die militärischen
Anforderungen. Der rasche technologische Fortschritt im Bereich der
Elektronik ist ein Beispiel. In der Folge steigen bei vielen Projekten
der Zeitbedarf, die Kosten sowie die Zahl der
Vertragsänderungen. Beim Transportflugzeug A400M bewegen wir uns
beispielsweise heute jenseits von Vertragsänderung Nummer 38.
Da Beschaffungsvorhaben vor allem dann als gute Projekte gelten,
wenn von ihnen nur zu hören ist, wenn Erfolge zu melden sind,
werden selbst erkannte Probleme oft lange unter der Decke gehalten. Die
Ministerial- und Bundeswehrbürokratie üben sich dann
gern in der Kunst der Selbstermächtigung, also der Umgehung und
Nichtbefassung der politischen Ebene. Probleme und Fehler gibt es
nicht, es sei denn, sie lassen sich gar nicht mehr leugnen. Der
Industrie ist das ganz recht, da ihr Ruf auf diesem Wege geschont wird,
auch wenn sie nicht zeit- oder kostengerecht liefern kann, was sie
versprochen hat. Alle drei Interessengruppen suchen dann
den Kompromiss auf Kosten eines Vierten, des
Steuerzahlers. Dazu wird als fünfter Akteur das Parlament
benötigt, das Kostensteigerungen zustimmen muss und dies in der
Regel auch tut. Selten gibt es dazu eine echte Alternative – es
sei denn um den Preis eines Projektabbruchs. Dann aber bekommt das
Militär nichts und Arbeitsplätze werden
gefährdet. Der Zahlmeister aber ist wieder derselbe:
der Steuerzahler.
Lassen sich die Schwierigkeiten nicht unter der Decke halten,
erklärt die Industrie Verspätungen und Kostensteigerungen mit
überzogenen und nachgeschobenen Forderungen des Militärs. Das
Militär seinerseits beklagt die Managementprobleme und die
Eigensinnigkeit der Entscheidungen der zivilen
Beschaffungsbürokratie sowie die Diskrepanz zwischen großen
Versprechungen und mangelnden Leistungen der Industrie. Und das BAAINBw
betont, das Militär mache es ihm mit seinen ständigen
Nachforderungen und Änderungswünschen unnötig schwer,
während es der Industrie an Vertragstreue mangele. Der
„schwarze Peter“ verschwindet also im Bermudadreieck der
beteiligten Mitspieler und ihrer Interessen.
Als wäre dies alles noch nicht genug der negativen
Einflussfaktoren, kommt noch eine weitere
Problemebene hinzu: Die größten Beschaffungsprojekte
der Bundeswehr werden in multinationaler Kooperation abgewickelt, etwa
der Eurofighter, die Hubschrauber und der A400M. Das hat Folgen: Die
Nationen verteidigen vorrangig die Technologie- und
Arbeitsanteile der Industrie im eigenen Land und kündigen
deshalb überdimensionierte Beschaffungsplanungen an. Die
internationalen Managementstrukturen dieser Projekte erlauben ihnen
später im Wesentlichen nur Einblick in den eigenen, nationalen
Entwicklungs- oder Produktionsanteil. So kann beispielsweise der
Bundesrechnungshof Projekte wie den Eurofighter nicht in vollem
Umfang prüfen. Transparenz sieht anders aus.
Eine grundlegende Reform des Beschaffungswesens
muss deshalb auf und an mehreren Problemstellungen gleichzeitig
ausgerichtet werden. Die eine einzige Lösung, die für alle
Probleme passt, kann es kaum geben. Da sind zum einen nationale
Vorhaben wie der Schützenpanzer Puma oder die Fregatte 125, bei
denen alle wesentlichen Stellschrauben deutscher Einflussnahme
unterliegen. Zum anderen gibt es multinationale Projekte wie den A400M,
bei denen das nicht der Fall ist. Zudem folgt die Projektabwicklung
Management- und Beschaffungsvorgaben aus unterschiedlichen
Jahrzehnten. Die Probleme laufender Projekte in den Griff zu bekommen
und die Aufgabe, ähnliche Probleme bei künftigen Projekten zu
verhindern, sind also ebenfalls zwei Paar Schuhe und bedürfen
ebenfalls unterschiedlicher Lösungen, weil in die Strukturen
vertraglich vereinbarter Projekte nur noch begrenzt eingegriffen werden
kann. Konsequenz: Solange die Strukturen eines gründlich
reformierten Beschaffungswesens nicht feststehen, sollten keine neuen
Großprojekte in Angriff genommen werden.
Auf längere Sicht wird zudem der Anteil multinationaler Projekte
auch in den größeren europäischen Staaten wie
Deutschland zunehmen und nicht auf Großprojekte
beschränkt bleiben. Bei sinkendem nationalem Bedarf
können immer mehr Güter nur noch in
internationaler Kooperation wirtschaftlich beschafft
werden. Multinationale Einsätze lassen die Bedeutung von
Interoperabilität und Ausstattung mit gleichartigen logistischen
Anforderungen steigen. Es gibt also eine Vielzahl von Faktoren, die die
Entstehung eines europäischen Rüstungsmarktes fördern
und letztlich unausweichlich machen werden. Beratung, die die
Gleichzeitigkeit der nationalen und der internationalen Dimension des
Problems nicht beachtet, dürfte kaum das Geld wert sein, das sie
kostet. Ähnliches gilt für eine Beratung, die wesentliche
Unterschiede nationalstaatlicher Möglichkeiten zur Einflussnahme
auf die Vorhaben unberücksichtigt lässt.
Beratungsvorschläge für nationale Projekte werden leichter zu
realisieren sein als für multinationale.
Erhebliche Zweifel, ob die jetzt beauftragte
erneute externe Beratungsleistung diesen Problemen auf den Grund
gehen und hilfreiche Vorschläge für die schon lange
überfällige grundlegende Reform des Beschaffungswesens
liefern kann, sind deshalb nicht nur aufgrund des
Zeit- und Ressourcenansatzes angebracht. Sie resultieren
auch aus den inhaltlichen Aufgabenstellungen für die Berater.
Besonders deutlich wird das im Blick auf die Aufgabe, nur einen
detaillierten „Projektreview eines zentralen Projekts“
vorzunehmen. Wird ein nationales oder ein multinationales
Beschaffungsprogramm dafür ausgewählt? Von der Antwort auf
diese Frage hängt nicht nur ab, welche Probleme die Berater in den
Blick bekommen, sondern auch, wie vollständig der
Informationszugang sein kann, der ihnen zur Analyse zur Verfügung
steht.
Bei multinationalen Programmen wie dem A400M sind die
Möglichkeiten, tiefere Einblicke zu bekommen, eher
beschränkt. Andererseits werden die Ratschläge der Berater zu
einem multinationalen Projekt auf die anders gelagerte Problematik
nationaler Projekte kaum in vollem Umfang anwendbar sein und umgekehrt.
Es ist eine zentrale Aufgabe der Leitung des Verteidigungsministeriums,
bürokratische Selbstermächtigung zu begrenzen, die eine
politische Kontrolle der Rüstungsbeschaffung zu umgehen trachtet.
Bei nationalen Projekten ließe sich das durch ein qualifiziertes,
zentrales Controlling leisten. Bei internationalen Projekten aber
wäre das schwieriger, wenn nicht unmöglich. Die zunehmende
Zusammenarbeit europäischer Regierungen bei Militärprojekten
steigert zudem die Risiken von Intransparenz. Beratungsergebnisse, die
aufzeigen, wie dieses Problem gelöst, die Entscheidungshoheit der
Politik gesichert und die notwendige Transparenz garantiert werden
können, sind jedoch bereits aufgrund der Aufgabenstellung an die
Berater kaum zu erwarten. Zugleich wäre es aber eine wichtige
Fragestellung an externe Berater, die konsequent im Blick auf die
notwendigen grundlegenden Reformen des Beschaffungswesens arbeiten
sollen.
Sinnvoll wäre darüber hinaus eine externe Beratung zu einem
eingangs erwähnten Aspekt der Beschaffungsproblematik. Politische
Vorgaben und industriepolitisch motivierte Forderungen wie zum Beispiel
das Zusammengehen mit einem bestimmten Partnerland oder
bevorzugten Industriebetrieben können einen erheblichen
Beitrag dazu leisten, dass das Projektergebnis später, teurer und
weniger leistungsfähig geliefert wird als wünschenswert. Es
bedarf also wirksamer Vorschläge für eine Beschränkung
der Möglichkeiten zur Einflussnahme der Politik auf
anstehende Beschaffungsprozesse.
Welche Berater auch immer zu Rate gezogen werden – je
präziser die Aufgaben von der Politik formuliert werden, desto
größer ist die Chance, umsetzbare Vorschläge zu
erhalten. Das ist nicht geschehen. Damit droht ein Beratungsergebnis,
das dem Ergebnis vieler Beschaffungsmaßnahmen ähnelt: Es
kommt zu spät, wird zu teuer und leistet nicht, was es leisten
sollte.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
Dr, Hilmar Linnenkamp war
von 2001 bis 2004 im BMVg Unterabteilungsleiter für
Internationale Rüstungsangelegenheiten, danach
Stellvertretender
Hauptgeschäftsführer der Europäischen
Verteidigungsagentur
in Brüssel. Seit 2009 berät er die Forschungsgruppe
Sicherheitspolitik bei der SWP in Berlin.
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