Viel Geld für wenig Arbeit
von Otfried Nassauer
Was haben 5 Millionen Arbeitslose mit dem Raketenabwehrsystem MEADS zu tun? Diese Frage
werden die Haushälter des Deutschen Bundestages mit zu bedenken haben, wenn sie in diesem
April über das Raketenabwehrsystem befinden wollen. Sie wollen entscheiden, ob in den
kommenden neun Jahren rund eine Milliarde Euro aufgebracht werden sollen, um ein System zu
entwickeln, mit dem sich die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen vor Angriffen aller Art aus
der Luft zu schützen gedenkt. Soll dieses Vorhaben angesichts knapper Kassen Vorrang
haben?
MEADS sichert Arbeitsplätze, argumentieren die Befürworter. Zukunftssichere
Hochtechnologie-Arbeitsplätze kann Deutschland natürlich immer gebrauchen. Doch schauen
wir etwas näher hin: Das Vorhaben soll 450 Arbeitsplätze sichern, verspricht die
Industrie. Sie verrät nicht, ob diese Zahl sich allein auf die Entwicklung des
Grundsystems oder auch auf die Anpassung eines zweiten Flugkörpers bezieht. Rechnen wir
mit beiden Möglichkeiten. Der Entwicklungsvertrag hat eine Laufzeit von 110 Monaten. Nach
Adam Riese werden somit maximal 49500 Mann-Monate Arbeit geschaffen, wenn man zu Gunsten
der Industrie annimmt, dass jeder Arbeitsplatz über die volle Laufzeit des Vertrages
existiert. Teilt man die Kosten des Vorhabens, also entweder 886 Millionen Euro ohne, oder
1,026 Milliarden Euro mit Anpassung der zweiten Rakete, durch die Zahl der Mann-Monate, so
erfährt man, was ein Mann-Monat den Steuerzahler theoretisch kostet: 17899 Euro oder
20727 Euro. Summen, die bei so manchem Arbeitsplatz in Deutschland fast für ein ganzes
Jahresgehalt reichen müssen.
Zugegeben: jede Kostenrechnung dieser Art hat ihre Tücken. Natürlich bekommen die
Ingenieure, die an MEADS forschen, nicht durchschnittlich 18000 oder 20000 Euro im Monat.
Ein solches Projekt verursacht hohe Sachkosten. Zum Beispiel für
Experimentaleinrichtungen oder Komponenten. Die Kooperationspartner sitzen in den USA und
Italien, also gibt es hohe Reisekosten. Anzeigen und Lobbykosten fallen an, wenn später
für den Kauf des fertigen Waffensystems weitere Steuergelder eingeworben werden sollen.
Dennoch: Staatlich gefördert wird jeder der 450 Industriearbeitsplätze neun Jahre lang
monatlich mit einem kleinen Jahresgehalt.
Deutschland muss sich von einer Industriegesellschaft zu einer Wissensgesellschaft
weiterentwickeln. Darüber herrscht weitgehend Übereinstimmung. Schlägt sich diese
Erkenntnis auch in der strategischen Ausrichtung der Arbeitsmarkt- und der staatlichen
Investitionspolitik nieder? Kaum, denn sonst würde diskutiert, ob es sinnvoll ist, mit
einer Milliarde Euro bei MEADS lediglich 450 Arbeitsplätze zu sichern. Der gleiche Betrag
wäre mehr als ausreichend, um über 1800 nach BAT-II a vergütete Wissenschaftler neun
Jahre zu bezahlen oder mehr als 40000 Studenten ein vierjähriges Studium mit dem
BAföG-Höchstsatz zu fördern. Überspitzt und etwas bösartig: Arbeitsmarktpolitisch
erinnert die Förderung von MEADS an die Subventionierung der Arbeitsplätze in der Kohle-
und Stahlindustrie.
Mit den Geldern für MEADS werden Hochtechnologiearbeitsplätze finanziert, die Wissen
generieren, sagen dessen Befürworter. Aber es handelt sich weitgehend um spezialisiertes
militärisch-technisches Wissen zum Beispiel in der Radartechnik, das kaum
arbeitsplatzschaffend in den zivilen Bereich exportiert werden kann. Nach Abschluss der
Entwicklung dient es vor allem der Produktion und Weiterentwicklung von MEADS. Die aber
wäre ebenfalls aus Steuergeldern zu finanzieren. Das kostet mindestens 2,85 Milliarden
Euro, so das Verteidigungsministerium oder auch mehr als 6 Milliarden Euro, so der
Bundesrechnungshof. Geld, das dringend für eine nachhaltige Transformation Deutschlands
zu einer arbeitsplatzintensiven Wissensgesellschaft benötigt wird, da das Land sich
bekanntlich »nicht mehr alles leisten kann«.
Mit MEADS würden nicht nur falsche sicherheitspolitische, sondern auch falsche
arbeitsmarktpolitische Prioritäten gesetzt.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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