Neues Deutschland
13.September 2000

Beschwichtigung mit Scheinkompromissen

Otfried Nassauer

Eine feine Lösung haben sie sich da ausgedacht, die Herren Spitzenpolitiker von SPD und Grünen: Einen rüstungsexportpolitischen Teppichhandel Richtung Türkei. So „löst“ man die Glaubwürdigkeitsdilemmata restriktiver, rot-grüner Rüstungsexportpolitik. Einfach, genial, durchschaubar.

Der Grundgedanke: Keine Leopard-II-Panzer für die Türkei, dafür aber bleibt es bei der genehmigten Lieferung einer Fabrik für Gewehrmunition nach Ankara. Das beschwichtigt die grünen Kritiker und jene in der SPD, denen das Mundhalten langsam schwer fallen müßte. Ein Erfolg auch für Linke?

Doch halt: Was, wenn der Handel gar kein echter Handel ist? Was wenn, die Leopard-Panzer für die Türkei – im Gegensatz zu der Munitionsfabrik - gar nicht ernsthaft zur Debatte stehen?

Das Panzer-Vorhaben trägt alle Kennzeichen einer Seifenblase. Sie ist groß, bunt und irgendwann platzt sie. 1.000 Kampfpanzer will die Türkei angeblich teils in Lizenz bauen, teils vielleicht auch importieren. 6.000 Arbeitsplätze würde dies in Deutschland auf 10 Jahre sichern, spekulieren Journalisten und die Industrie dementiert die Zahlen nicht.

Die Wirklichkeit ist eine andere. Die Beschaffung von 1.000 modernen Kampfpanzern ist der Türkei ist in den kommenden 10 Jahren unmöglich. Es fehlt schlicht die wichtigste Voraussetzung: Das Geld. Ankara ist hochverschuldet, Schattenwirtschaft macht einen wesentlichen Teil der Ökonomie aus, die Folgen des schweren Erdbebens und der hohe Ölpreis dämpfen die wirtschaftlichen Aussichten. Der Wunsch nach einem EU-Beitritt verlangt die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien. Das alles wissen auch Regierung und Militär am Bosporus. Beide haben bereits reagiert und den Umfang ihrer Planung radikal verkleinert. Offiziell geht es nurmehr um 250 Panzer für den Zeitraum bis 2008, alles andere bleibt künftige Option. Zudem wurde die Entscheidung über neue Panzer, zuletzt für den Juli geplant, auf einen ungenannten Zeitpunkt verschoben und die für dieses Großvorhaben zuständige türkische Behörde teilweise entmachtet.

Ganz anders das Bild in der deutschen Medienlandschaft und aus der Industrie: 1.000 Panzer für 10-15 Mrd DM, so der unverändert generierte Eindruck, stehen zur Debatte. Starke Konkurrenz aus Frankreich und den USA ist in den Startlöchern. Deren Produkte haben viele deutsche Komponenten – da kann man doch gleich selber liefern - 6.000 Arbeitsplätze stehen schließlich auf dem Spiel.

Kaum einem fällt da noch auf, daß die fünf wichtigsten panzerbauenden Betriebe in der Bundesrepublik schon 1998 alle zusammen nicht einmal 4.000 Beschäftigte hatten. Kaum einer sieht, daß bei einem (spekulativen) Umsatz deutscher Firmen von 6 Mrd DM aus dem Gesamtgeschäft 6.000 Arbeitsplätze nur dann 10 Jahre erhalten werden könnten, wenn der Umsatz pro Beschäftigtem beim Hersteller, Krauss-Maffei-Wegmann auf weniger als ein Sechstel des heutigen zurückgehen würde, auf ein Niveau, bei dem nicht einmal Handwerksbetriebe dieser Tage überleben. Kaum einer fragt, ob das Geschäft ohne Übernahme des finanziellen Risikos durch die Hermes-Versicherung – also letztlich den deutschen Steuerzahler – überhaupt zustande kommen könnte.

Die Leopard-Panzer für die Türkei sind schon lange eine Seifenblase. Und nun:  Ein kleiner Kuhhandel mit der Seifenblase gefällig bevor sie platzt? In der Hoffnung, daß keiner merkt, daß ein realisierbares gegen ein nicht-realisierbares Projekt politisch getauscht wurde. Das befriedet die über Rüstungsexporte streitenden Gemüter in der Koalition. Es löst aber die eigentlichen Probleme nicht.

Ein dreiviertel Jahr nach Verabschiedung der neuen Rüstungsexportrichtlinien hat die Koalition ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie hat deren politische Intention nicht in klare Weisungen für die Administration und nicht in eine erkennbare Politik für Öffentlichkeit und Industrie umgesetzt. Die Folge ist, daß die Industrie nicht weiß, welche Geschäfte nach den neuen Richtlinien genehmigungsfähig sind und daß die Öffentlichkeit nicht weiß, was an der neuen Politik restriktiver sein soll. Die Bundesregierung hat auch nichts getan, um die Transparenzfrage gegenüber Parlament und Öffentlichkeit zu lösen, keine Schritte unternommen, um zu klären, wie mit Altlasten aus früheren Zusagen und Voranfragen umgegangen werden soll. Und sie hat vor allem versäumt, zu klären, wie sie das entscheidend Neue in den neuen Rüstungsexportrichtlinien in die politische Praxis umsetzen will, die politischen Kriterien der Nachhaltigen Entwicklung, der Gewaltprävention und der Menschenrechte.

Diese Fragen werden in naher Zukunft noch an aktueller Bedeutung gewinnen. Die Verkleinerung der Bundeswehr macht manche Waffe überflüssig und Verteidigungsminister Rudolf Scharping hat ein starkes Interesse, durch den Verkauf dieser Waffen seine klamme Kasse aufzubessern. Es dürfte schwer werden für all die überschüssigen Waffen aus Rudi’s Resterampe zahlungsfähige Käufer in unproblematischen NATO-Ländern zu finden. Und schon stellt sich erneut die Frage: Wie sollen die neuen Kriterien im Rüstungsxport, nachhaltige Entwicklung, Gewaltprävention und Menschenrechte in der politischen Praxis umgesetzt werden?

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).