Die falschen Rezepte des Joschka Fischer
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den Stabsarzt oder die Bundesregierung
von Otfried Nassauer
Gut gemeint heißt nicht immer gut gemacht. Dafür steht die rot-grüne
Außenpolitik zum Beleg.
Richtig, es hätte natürlich auch schlimmer kommen können. Das jedenfalls deutete
sich häufig an, wenn man die Alternativen betrachtete, die führende Unionspolitiker ins
Spiel brachten. Aber um die geht es an dieser Stelle (noch) nicht. Analysiert man die
Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung, die doch Friedenspolitik sein wollte,
zeigt sich ein besonderes Phänomen: Auffällig oft vernachlässigte Rot-Grün die
ungewollten Nebenwirkungen des eigenen Handelns.
Das Bemühen um einen dauerhaften deutschen Sitz im UNO-Sicherheitsrat etwa ist ein
Beispiel dafür. Scheitert das Vorhaben, so wird wohl das Gegenteil dessen erreicht, was
vorgeblich gewollt wurde: Die Vereinten Nationen werden nicht gestärkt, sondern faktisch
geschwächt. War es die erklärte die Absicht, den Multilateralismus zu stärken, so wird
dieser geschwächt. Beides spielt eher den Zielen Washingtons in die Hände als denen
Berlins.
Ein anderes Beispiel stand gleich am Anfang der rot-grünen Zeit: Es wäre 1998/99
durchaus ein ehrenwertes Ziel gewesen, keine weiteren Kriege auf dem Balkan mehr
zuzulassen. Ehrenwert wäre es auch gewesen zu zeigen, dass die Bereitschaft besteht,
Völkermord militärisch zu unterbinden. Doch mit dem Kosovo-Krieg tappte Rot-Grün in
eine gewaltige Falle. Da für den Krieg kein Mandat der UNO existierte, die NATO ihn aber
trotzdem führte, wurde das bestehende Völkerrecht gebrochen und ein gefährlicher
Präzedenzfall geschaffen. Das gilt auch für die übertriebenen, teilweise schlicht
falschen humanitären Begründungen der Notwendigkeit des Krieges, die manch deutscher
Politiker damals in die Welt setzte. Muss beides nicht genauso kritisch betrachtet werden
wie George W. Bushs Krieg gegen Irak? Zugleich blieb es dabei: Wo die Humanität es
geböte, wird nur selten interveniert.
Das dritte Beispiel: Im Konflikt um das Atomprogramm Irans soll sich kein zweiter Fall
Irak entwickeln. Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Javier Solana, der Hohe
Repräsentant der EU, versuchen sich seit 2003 an einer Verhandlungslösung, die die
Gefahr eines präventiven Militärschlages der USA ebenso bannen soll wie die einer
atomaren Bewaffnung Irans. Das Angebot, das die Europäer unter Federführung der
Deutschen Iran unterbreiteten, fordert Teheran zu einem völkerrechtlich verbindlichen,
einseitigen Souveränitätsverzicht auf.
Es offeriert Iran aber nicht die wichtigste Gegenleistung, die man dort braucht: eine
rechtlich verbindliche, auch Israel und die USA einbindende Sicherheitsgarantie. Teheran
lehnte ab. Scheitern aber die Verhandlungen, so wird dieses Faktum des Scheiterns selbst
zu einem gewichtigen Argument dafür, dass nur noch Sanktionen oder gar ein Militärschlag
ein militärisches Atomprogramm in Iran unterbinden können. Dabei ist dessen Existenz
noch nicht einmal klar bewiesen. Da ist sie wieder, die ungewollte Nebenwirkung.
Selbst im scheinbar Kleinen dasselbe Bild: Die Minister Fischer und Struck erklärten
im Umfeld der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Mai 2005: Ein Abzug
der 15 Jahre nach Ende des Kalten Krieges noch in Europa lagernden US-Atomwaffen sei
wünschenswert. Man wolle ein gemeinsames Vorgehen mit den anderen Stationierungsländern
und suche das Gespräch in der NATO. Die Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe der NATO am
9. Juni 2005 bot die Gelegenheit. Doch auf die Tagesordnung setzte man das Thema nicht.
Erst auf Nachfragen schilderte Peter Struck seinen NATO-Kollegen die deutsche Diskussion.
Als daraufhin nicht sofort eine lebhafte Debatte ausbrach, schlussfolgerte man: Der
Abzugswunsch ist wohl ein deutsches Phänomen. Die Ministerrunde erklärte wie üblich,
welch wichtige Rolle diese Waffen für die Abschreckung in Europa und den Zusammenhalt der
NATO spielen. Es bleibt also alles beim Alten. Nicht ganz. Denn es gibt eine ungewollte
Nebenwirkung: Die Zahl der in Deutschland gelagerten Atomwaffen wird von derzeit 20 wohl
wieder auf 110 oder 130 erhöht. Über 100 atomare Bomben, die wegen umfangreicher
Bauarbeiten aus Ramstein ausgelagert wurden, kehren jetzt wahrscheinlich zurück.
Eine solche »Nebenwirkung« zeigt sich schließlich auch bei der Ausrichtung der
Bundeswehr auf neue, globale Aufgaben. Die Transformation der Bundeswehr steigert deren
Fähigkeit zu weltweiten Einsätzen. Damit wächst eigentlich die Notwendigkeit, klare
politische Kriterien dafür zu entwickeln, unter welchen Voraussetzungen die Bundeswehr
eingesetzt werden soll und unter welchen nicht. Im Prinzip herrscht darüber seit vielen
Jahren Einigkeit. Doch weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün formulierten bislang solche
Kriterien. Man fragt sich, warum. Die Antwort liegt wie so oft im Eigeninteresse der
Exekutive begründet. Ministerialbürokratien wünschen sich maximale Handlungsfreiheit in
der Tagespolitik. Politische Festlegungen, Kriterien und enge Regeln stören da nur. Aber
sie könnten viele ungewollte Nebenwirkungen verhindern.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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