Neuordnung im Pulverfass
von Otfried Nassauer
Im Nahen und Mittleren Osten bedarf es keiner iranischen Atomwaffe, um einen Krieg vom
Zaun zu brechen. Drei entführte israelische Soldaten reichen vollkommen aus, um Lunte und
Pulverfass zur Wirkung zu bringen. Das zeigen die vergangenen Kriegstage in aller
Deutlichkeit und das werden die nächsten Tage und Wochen zeigen.
Diese für die Menschen in Libanon brutale Realität lässt die Frage, ob die
Entführungen der Hisbollah völkerrechtlich einen Akt der Aggression darstellen, auf den
Israel mit legitimer Selbstverteidigung reagierte oder ob Israel überzogen und
völkerrechtwidrig reagierte, zu einer akademischen werden. Für das Handeln der
Kriegsparteien ist sie irrelevant, ebenso, wie der konkrete Anlass, der diesen neuerlichen
Nahostkrieg auslöste. Den Akteuren dieses Krieges geht es um mehr.
Der Krieg in Libanon ist Teil der größeren Auseinandersetzung um die künftigen
Machtstrukturen im Nahen und Mittleren Osten. Das hat er mit der Intervention der USA in
Irak und mit dem Streit um das iranische Atomprogramm gemeinsam. Seit Monaten wurde
spekuliert, ob Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel zu jenen Eskalationsmöglichkeiten
zählen, die einen Luftangriff der USA oder Israels auf die iranischen Atomanlagen als zu
riskant und unkalkulierbar erscheinen lassen könnten.
Nun ist es anders herum gekommen. Der nächste Schritt der Eskalation beginnt mit dem
Versuch Israels, Hisbollah (und Hamas) militärisch auszuschalten oder zumindest massiv zu
schwächen. Gelänge dies, so würden auch die Handlungsmöglichkeiten Syriens und
Teherans eingeengt, ein künftiges Vorgehen gegen sie kalkulierbarer. Gelingt es nicht, so
wäre Israel die Rückkehr zum machtpolitischen Status quo ante möglich um den
Preis einer erneuten Destabilisierung Libanons und einer erneuten Verhärtung der
nahöstlichen Fronten.
Für die in Irak schon fast gescheiterten Verfechter einer durch die USA und Israel
dominierten Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens mittels von außen erzwungener
Regierungswechsel eröffnet das militärische Vorgehen Israels die Chance, das Heft des
Handelns wieder in die Hand zu bekommen.
Ihr Einfluss steigt, wenn sie US-Präsident George W. Bush überzeugend darlegen
können, dass er Handlungsspielraum gewinnt, wenn er Israel militärisch gewähren lässt.
Das scheint ihnen gelungen zu sein. Washington gibt Israel nicht nur Zeit für weitere
militärische Operationen, sondern signalisiert auch, dass es keinen schnellen
Waffenstillstand, sondern eine angeblich langfristig stabile Lösung anstrebt wie
auch immer diese aussehen und durchgesetzt werden soll. Deutlicher kann nicht werden, dass
das Ziel der Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens im Weißen Haus des George W. Bush
nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben wurde. Washington und Jerusalem stehen derzeit
weitgehend alleine.
UNO-Generalsekretär Kofi Annan, Russland, viele europäische Staaten und auch die
prowestlichen arabischen Länder halten einen schnellen Waffenstillstand, eine baldige
Eindämmung des Konfliktes für besser. Sie fürchten eine weitere regionale militärische
Eskalation und glauben nicht, dass eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens mit
vorrangig militärischen Mitteln Erfolg haben kann.
Doch können sie sich durchsetzen, solange zwei so potente Akteure wie die USA und
Israel sich Vorteile von einem weiteren militärischen Vorgehen versprechen? Dieser Streit
kann schnell so bedeutsam werden wie jener im Vorfeld des Irak-Krieges 2003.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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