Die Feinde finden sich
von Otfried Nassauer
Die Anschläge in London und im ägyptischen Sharm el Sheik haben die Aufmerksamkeit
der Medien und Politiker geweckt Hunderte von Attacken und Anschlägen im
kriegsgeschüttelten Irak und so manche Explosion in Afghanistan tun dies immer weniger.
Vor knapp vier Jahre entschied sich George W. Bush, dem Terrorismus, vor allem dem
islamistischen Terror weltweit den Krieg zu erklären: Den IV. Weltkrieg wie ihn etliche
Neokonservative in den USA nennen. Illusionen weckten die Befürworter dieses Krieges
nicht: Jahre, wenn nicht Jahrzehnte werde dieser Krieg dauern. Er müsse wie der
Kalte Krieg bis zum endgültigen Erfolg geführt werden. Seither ist die Al Qaida
Ossama bin Ladens das Synonym für den islamistischen Terror und dieser eine der zentralen
Legitimationen militärischen Handelns und mlitärischer Fähigkeiten. Manche Befürworter
dieses Krieges versteigen sich zu atemberaubenden Thesen. Neokonservative interpretierten
z.B. die Anschläge in London als Warnung, wenn nicht Quittung dafür, dass George W.
Bushs loyalster Helfer in Europa, der britische Premier Tony Blair, den Krieg gegen
den Terrorismus mit zu wenig innerer Repression führe. Das ist der Stoff, aus dem
Weltgeschichte gemacht werden kann: Plakative, oft monokausale Vereinfachung.
Glaubwürdigkeit durch permanente Wiederholung bar jeden Selbstzweifels.
Zur Erinnerung: Ronald Reagan hat die Sowjetunion totgerüstet und den Kalten Krieg
gewonnen, ohne einen einzigen Schuss abzugeben. Vereinfachung hebt die gefühlte
Bedrohungstemperatur der Öffentlichkeit. Der Staat kann seine Sicherheitsinstrumente aus-
und die innenpolitischen Freiheiten abbauen. Al Qaida bietet eine bequeme Folie für
Bestrebungen zur (Selbst)Ermächtigung des Staates. Otto Schily und Günther Beckstein
müssen nur noch darüber streiten, wer es besser kann und verkauft.
Gegenargumente und Fragen werden eingebunden oder beiseite gewischt: In Vergessenheit
geriet, dass der Begriff Al Qaida von einer Netzwerkbezeichnung zur westlichen Chiffre
für praktisch jede gewaltbereite, radikal-islamische Struktur jenseits des
Palästinakonfliktes mutierte. Dem autokratischen, ägyptischen Präsidenten Mubarak
lässt man es unhinterfragt durchgehen, dass er Al Qaida und einige Pakistani für den
Anschlag in Sharm el Sheik verantwortlicht macht, obwohl ein Anschlag aus dem Umfeld der
ägyptischen Moslembruderschaft viel wahrscheinlicher war. Der pakistanische
Militärdiktator Musharraf erfreut sich politischer Unterstützung und militärischer
Hilfe, weil er als prowestlich und kleineres Übel gilt. Verschwiegen wird, dass ohne den
ISI, Pakistans allmächtigen Geheimdienst, weder bin Laden noch die Taliban-Führung
weitgehend unbehelligt geblieben wären.
Ähnlich wird das autokratische saudische Regime behandelt, obwohl es direkt wie
indirekt den Ausbau radikal-islamistischer Netze fördert und finanziert nicht
zuletzt in Bosnien oder dem Kosovo. Die Konflikte im Irak werden zunehmend auf der Folie
des Krieges gegen den Terrorismus interpretiert, obwohl der Krieg gegen Saddam erst
wesentliche Voraussetzungen schuf, die das Land zum Übungsfeld für Gotteskrieger aus
aller Welt werden ließen. Kaum einer fragt noch, ob der Krieg gegen den Terror
verstärkte terroristische Aktivitäten beförderte. Kaum einer untersucht dessen
Auswirkungen auf die Rekrutierungsmöglichkeiten der Terroristen. Kulturell angepasste
Strategien, um diese Möglichkeiten einzuschränken, werden nicht entwickelt.
Bleiben diese Tendenzen ungebrochen, so haben sich die Feinde in einem neuen Weltkrieg
tatsächlich gefunden als Glaubenskrieger und mittels einer sich selbst
erfüllenden Prophezeiung.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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