Aufklärung tut Not
von Otfried Nassauer
Das Verteidigungsministerium überraschte die Öffentlichkeit in diesem Jahr mit einem
besonderen Weihnachtsgeschenk. Am 20. Dezember erklärte der Ministersprecher Thomas Raabe
vor der Bundespressekonferenz: Von der NATO sei ein vertraulicher Brief eingegangen, in
dem die Bundesrepublik aufgefordert werde, sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge für den
Einsatz in Afghanistan bereitzustellen. Die Bundesregierung werde die Anfrage wohlwollend
prüfen.
Ein seltsamer Vorgang. Die Anfrage der NATO lag zu diesem Zeitpunkt bereits seit Tagen
in Berlin. Und solche Anfragen stellt Brüssel erst, wenn klar ist, dass der angefragte
Staat zusagt. Mehr noch: Über die Möglichkeit, Tornadoaufklärer in Afghanistan zu
stationieren, hatte die Bundesregierung schon im Umfeld des NATO-Gipfels von Riga
spekuliert. Damals ging es darum, den Vorwurf zu entkräften, Berlin lasse die
NATO-Partner im Süden Afghanistans im Stich. Und doch: Bis zu Raabes Auftritt wussten
nicht einmal die Obleute der Bundestagsfraktionen im Verteidigungsausschuss von der
Anfrage. Sie wurden erst nach dessen Auftritt eilig per Handy informiert.
Die Redseligkeit Raabes kam nicht von ungefähr. Ihm war zu Ohren gekommen, dass »Der
Spiegel« einen Bericht plane. Dem galt es, mittels »aktiver Vorwärtsverteidigung«
zuvorzukommen. Die Notnagelfunktion der Veröffentlichung wurde schnell deutlich: Die
unvorbereiteten Mitglieder der Regierung und der Regierungsfraktionen verhedderten sich in
Widersprüchen, ob für einen solchen Einsatz ein neues Bundestagsmandat erforderlich sei.
Ja, sagten die einen schließlich seien im beschlossenen Mandat keine Tornados
vorgesehen. Zudem sei die deutsche Mission bisher eine Stabilisierungs- und keine
Kampfmission. Nein, sagten die anderen, das vorhandene Mandat erlaube die zeitlich und
örtlich begrenzte Stationierung von Aufklärungskräften im Süden. Die Tornados seien
Aufklärungskräfte. Im Norden stationiert kämen sie nur während der Einsatzflüge im
Süden zum Einsatz.
»Politics at it's best« politische Rabulistik vom Feinsten. Doch leider geht
es um mehr: Die Anforderung der Aufklärungstornados zeigt, wie unsicher die Lage im
südlichen Afghanistan bereits geworden ist. Sie verweist auf das Risiko, dass auch der
NATO-Einsatz von einer Stabilisierungs- und Wiederaufbaumission in einen Kampfeinsatz
abdriftet. Sie führt vor Augen, dass deutsche Politik nicht mehr lange behaupten kann, in
Afghanistan gebe es zwei getrennte westliche Militärmissionen: Hier der »saubere«
deutsche Wiederaufbaueinsatz im Norden und da der »schmutzige«, umstrittene US-Einsatz
zur Terrorbekämpfung im Süden.
Wenn in Berlin argumentiert wird, Deutschland müsse die Bereitschaft zeigen, bei den
Kämpfen im Süden mitzumachen, um bei der Frage, wie es in Afghanistan am besten
weitergehen soll, ein gewichtigeres Wörtchen mitreden zu können, dann lügt man sich in
die Tasche. Mit der Bereitstellung von Tornados wird die Bundeswehr Washington kaum
überzeugen können, den Einsatz zu einer Wiederaufbaumission nach deutschen Vorstellungen
umzustricken. Dafür wäre eine neue westliche Strategie nötig. Die Bundesregierung aber
lässt bislang noch nicht einmal erkennen, dass sie eine solche Afghanistan-Strategie
aktiv entwickeln will, bevor es zu spät ist. Mit ihrer Doppelpräsidentschaft in EU und G
8 hätte sie dazu die Möglichkeit. Das neue Jahr beginnt also voraussichtlich mit der
alten, falschen Debatte. Aufklärung darüber täte Not.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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