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philtrat
Nr. 27, April/Mai 1999 |
Rot-grüne Panzer an die Türkei?
Ein Interview mit Otfried Nassauer
Otfried Nassauer ist Friedensforscher und Leiter des »Berliner
Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit« (BITS). Für die philtrat sprach
Thomas Klein mit ihm über die neue Bundesregierung und Waffenexporte in die Türkei.
philtrat: Mitte Januar wurde eine Voranfrage der deutschen Industrie zu einer
geplanten Panzerlieferung an die Türkei im Bundessicherheitsrat beraten und eine
Entscheidung vertagt - ist diese Frage ein Sprengsatz für die rot-grüne
Regierungskoalition?
Nassauer: Das ist ein Sprengsatz vor allem für die SPD, die sich in den
vergangenen Jahren aus der Opposition vehement gegen Rüstungslieferungen an die Türkei
ausgesprochen hat. Es geht um 200 Transportpanzer, die exportiert werden sollen, sowie um
1800 weitere, die in der Türkei in Lizenz gefertigt werden sollen, d.h. es geht um ein
Milliardengeschäft.
Für die regierende Volkspartei SPD ist das ein echtes Problem. In ihren Reihen gibt es
nicht nur die in Oppositionszeiten wohlgelittenen Rüstungsexportkritiker, sondern auch
handfeste Interessenvertreter: Aus den Gewerkschaften und aus der Industrie. Für sie geht
es um Arbeitsplätze und ums Geschäft. Sie denken an die kommenden Probleme bei der
Umstrukturierung der deutschen Heeresrüstungsindustrie. Da bezieht sich keiner aufs
»Vater unser« und sagt »und führe mich nicht in Versuchung«. Und der
Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen hat für sie sicher einen geringeren
Stellenwert als das »Vater unser«.
Man darf gespannt sein, wer sich durchsetzt. Die Interessenvertreter oder
Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul und die Kritiker solcher Exporte. Übrigens: Die
Grünen haben es da einfacher. Zur Zeit sind sie weder Volks- noch Wirtschaftspartei.
philtrat: Warum gab es überhaupt eine Voranfrage, war das ein
Testballon?
Nassauer: Das kann ein Testballon für eine ganze Reihe von Fragen
gewesen sein. Es gibt keine wirkliche Notwendigkeit, eine solche Entscheidung jetzt zu
treffen bzw. zu suchen. Aber Voranfragen für Rüstungsexporte werden oft Jahre vor
Abschluß des eigentlichen Vertrages gestellt. Sie sollen grundsätzlich klären, ob mit
politischem Widerstand zu rechnen wäre. Die Anbahnung eines Milliardengeschäftes kostet
ja nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld - vor allem in Staaten, in denen Geschenke
und Bestechungen üblich sind. Hinzu kommt in diesem Fall, daß das Vorhaben in der
Türkei noch nicht einmal auf der Prioritätenliste für militärische Neuanschaffungen
steht und deshalb ersteinmal dorthin buggsiert werden müßte. Das ist aus Sicht einer
interessierten Firma sicher schon Grund genug, rechtzeitig das politische Umfeld zu
prüfen.
Trotzdem kommen zwei mögliche Motive noch hinzu: Zum einen lohnt die Anfrage, gerade bei
einem so großen Geschäft, wenn getestet werden soll, ob rot-grün wirklich
prinzipientreu ist und die Aussagen des Koalitionsvertrages ernst meint. Zum anderen
könnte es darum gehen, abzutesten, wie die Bundesregierung reagiert, wenn deutsche
Rüstungsbetriebe größere Produktionskapazitäten außerhalb der EU schaffen, an Orten,
an denen es kaum Exportbeschränkungen gibt.
philtrat: Zu Oppositionszeiten wurde die alte Bundesregierung wegen ihrer
Rüstungsexportpolitik von den heutigen Regierungsparteien teils heftig kritisiert. Steht
unter der geäußerten Losung »Kontinuität in der Außenpolitik« ein Schwenk in
Richtung Kohl, Kinkel, Rühe bevor?
Nassauer: Es besteht die Gefahr in einen Schwenk in Richtung Rheinmetall,
DaimlerChrysler, Blohm &Voss usw. Wenn die in den Gewerkschaften organisierte
Arbeitnehmerschaft, die Industrie und deren Lobbyisten innerhalb und außerhalb der
SPD-Fraktion gemeinsam Druck ausüben, dann wird sich zeigen, was die Einigungen im
Koalitionsvertrag wert sind. Die Rüstungskonzerne sind da in der Wahl ihrer Mittel auch
nicht zimperlicher als die Atomkraftwerksbetreiber.
philtrat:Der im Koalitionsvertrag zu findende Satz: »Der nationale
deutsche Rüstungsexport außerhalb der NATO und der EU wird restriktiv gehandhabt«
berührt die Türkei nicht, das Land ist in der NATO: Gilt deshalb hier diese im
Koaltionsvertrag getroffene Festlegungen nicht?
Nassauer: Der nächste Satz in den Koalitionsvereinbarungen lautet dann
aber: »Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Menschenrechtsstatus möglicher
Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium eingeführt«. Ich sehe nicht,
daß in diesem Satz für NATO- oder EU-Länder eine Ausnahmeregel vereinbart wurde. Wer,
wenn nicht die Mitglieder der Wertegemeinschaft NATO, sollte an diesem Kriterium gemessen
werden?
philtrat: Auch die alte Bundesregierung hat von einer restriktiven
Rüstungsexportpolitik gesprochen. Was würde restriktiv in der Praxis heißen bzw. welche
geplanten Exporte wären ganz konkret von einer ernsthaften Umsetzung dieser Absicht
betroffen?
Nassauer: Die neue Bundesregierung hat noch keine über den
Koalitionsvertrag hinausgehende Formulierung ihrer Rüstungsexportpolitik vorgenommen.
Dies soll im Bundessicherheitsrat geschehen. Man darf gespannt sein, wie restriktiv die
Regierung das Wort »restriktiv« auslegt.
Interview von Thomas Klein
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