Die deutsche Rolle in der Sicherheitspolitik
Debatte um Waffenlieferungen und Veränderung
der NATO
Otfried Nassauer
Seit Jahren unterliegt die deutsche Außen- und
Sicherheitspolitik einem kontinuierlichen Wandel. An die Stelle
klassischer Verteidigung traten immer häufiger Einsätze im
Ausland mit ordnungspolitischem Charakter. Zu Beginn war ein Mandat der
Vereinten Nationen unabdingbare Voraussetzung, heute reicht notfalls
auch ein Beschluss der NATO und des Bundestages. Ursula von der Leyen,
die Verteidigungsministerin, hat einen Leitsatz geprägt, der die
neue Politik gut beschreibt: "Gleichgültigkeit ist für ein
Land wie Deutschland keine Option, weder aus sicherheitspolitischer
noch aus humanitärer Sicht".
Als Begründung für die Notwendigkeit, sich militärisch
zu engagieren, dient immer häufiger das Konzept der
Schutzverantwortung. Wenn ein Staat die Sicherheit seiner Bürger
nicht mehr garantiert oder diese sogar bekämpft und mit
Vertreibung bedroht, dann ist die internationale Gemeinschaft
berechtigt, militärisch einzugreifen. Aus humanitären
Gründen also. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat
diesen Gedanken aufgenommen. Völkerrecht ist er jedoch bislang
nicht. Er steht sogar im Widerspruch zu diesem. Das verbietet jede
bewaffnete Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer
Länder. Trotzdem spielt die Schutzverantwortung in Deutschland
inzwischen eine gewichtige Rolle.
Zweifel an diesem Konzept ruft auch dessen praktische Anwendung hervor.
In Libyen diente die Schutzverantwortung als Vorstufe für einen
militärischen erzwungenen Regimewechsel. Danach folgte ein
jahrelanger Bürgerkrieg, in dem die Sicherheit der Libyer weiter
gefährdet ist, ohne dass sich irgendjemand jemand darum schert. In
Syrien müsste seit Jahren zum Schutz der Bevölkerung
militärisch interveniert werden, wenn das Konzept tatsächlich
angewendet würde. Dazu kam es aber nicht, weil kein westliches
Land Truppen stellen wollte.
Ob zum Schutz einer bedrängten Bevölkerung militärisch
eingegriffen wird, hängt also davon ab, ob diejenigen, die
eingreifen könnten, auch eingreifen wollen. Die Entscheidung
unterliegt also einem Voluntarismus und wird letztlich willkürlich
getroffen. Völkerrecht kann jedoch eigentlich nur sein, was
allgemeingültig ist. Die Bundesregierung hat sich in dieser Woche
eine weitere Option eröffnet, um das Konzept der
Schutzverantwortung auch dann anwenden zu können, wenn sie keine
Truppen entsenden will. Sie liefert Waffen an kurdische
Perschmerga-Kämpfer im Norden des Iraks, damit diese sich besser
verteidigen können.
Berlin opfert damit jedoch ein langjähriges Tabu: Deutschland
liefert bislang offiziell keine Waffen an Kriegsparteien in
Drittstaaten. Auch diese Entscheidung zur Wahrnehmung einer
Schutzverantwortung unterliegt einer gewissen Willkür dessen, der
liefern kann.
Grundlage deutscher Außen- und Sicherheitspolitik war lange das
Völkerrecht. Die Stärkung des Rechts hatte für
Deutschland Vorrang vor dem Recht des Stärkeren. Das ändert
sich mit dem Konzept der Schutzverantwortung. Werturteile treten an die
Stelle des Rechts. Deutschland interveniert und liefert Waffen, um
humanitäre Ziele zu verfolgen. Wann das der Fall ist und wann
nicht, entscheidet die Bundesregierung, notfalls willkürlich und
im nationalen Interesse.
Eine solche Politik eröffnet mehr Flexibilität und
größere Handlungsspielräume. Sie entscheidet aber auch
von Fall zu Fall, ob sie sich an das Völkerrecht hält oder
vom Recht des Stärkeren Gebrauch macht. Das ist garantiert keine
gute Entwicklung.

ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum
für Transatlantische Sicherheit - BITS
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