Tagesspiegel.de
15. Februar 2010


Wo die Bomben wirklich liegen

Das belgische Verteidigungsministerium und die US-Luftwaffe verraten unfreiwillig einen Atomwaffenstandort

von Otfried Nassauer

Das größte Geheimnis der königlich belgischen Luftwaffe befindet sich rund 70 Kilometer westlich von Mönchengladbach. Luftlinie. Es verbirgt sich in dem Dörfchen Kleine Brogel im belgischen Limburg und beginnt keine 100 Meter nach den letzten Häusern am südlichen Dorfrand, gleich neben der Nationalstraße 748 und hinter den Zäunen. Jetzt ist es ein offenes Geheimnis. Kleine Brogel ist das Büchel Belgiens, ein Nuklearwaffenstützpunkt der Nato. Dort lagern noch immer zwischen 10 und 20 atomare Bomben des Typs B-61. Sie werden in 11 Unterflurmagazinen, sogenannten Grüften, aufbewahrt, die in den Boden der Flugzeugschutzbauten eingebaut wurden. Bewacht und kontrolliert werden sie von einer Spezialeinheit der US-Luftwaffe, der 701. MUNSS. Im Ernstfall sollen sie als Teil der nuklearen Abschreckung der Nato von belgischen Jagdbombern des Typs F-16 eingesetzt werden.

Seit Jahrzehnten halten die Nato-Staaten streng geheim, wo Atomwaffen gelagert werden. Tauchen Informationen auf, werden sie weder bestätigt noch dementiert. Das „neither confirm nor deny“ ist auch in den Anweisungen für Pressesprecher verankert. Trotz aller Gerüchte und wissenschaftlicher Erkenntnisse – nie verriet das Bündnis, wo genau es seine letzten atomaren Waffen lagert. Nun ist es doch passiert. In Kleine Brogel.

Und das kam so: Am vorletzten Wochenende kletterten sechs belgische „Bombspotter“, gewaltfreie Aktivisten der belgischen Friedensbewegung, über die Zäune des Flugplatzes. Rund eine Stunde spazierten die sechs ungestört über das Gelände, überquerten die Landebahn und schauten sich einen Flugzeughangar an, der hinter weiteren Sicherheitszäunen lag. Erst als sie über eine große Freifläche wanderten, entdeckte sie ein belgischer Soldat. Sie wurden vorläufig festgenommen. Es gelang ihnen, das Video über ihre Aktion bei Youtube ins Internet zu stellen.

Das belgische Verteidigungsministerium beeilte sich, den Zwischenfall herunterzuspielen: „Ich kann Ihnen versichern, dass diese Leute niemals irgendwie in die Nähe sensibler Einrichtungen gelangt sind“, teilte Ingrid Baeck, Sprecherin der Zeitung für die US-Streitkräfte in Europa, „Stars and Stripes“, am Freitag mit. „Die reden Unsinn.“ Der betreffende Flugzeugschutzbau sei ungenutzt gewesen.

Das Dementi trifft wohl zu, macht aber zugleich klar, wo die Bomben wirklich liegen. Luftbilder bei Google zeigen es. Auf dem Fliegerhorst Kleine Brogel gibt es drei Gruppen von Flugzeugschutzbauten. Einen kleinen nördlich des östlichen Endes der Landebahn, der früher für die Alarmrotte genutzt wurde und heute keine Rolle mehr spielt. Einen größeren, im Wald versteckten, mit etlichen Schutzbauten und Gebäuden zur technischen Wartung nördlich der Mitte der Landebahn. Ihn besuchten die Bombspotter. Das Dementi der Sprecherin schließt ihn aus. Somit bleibt nur ein dritter Bereich mit 12 Schutzbauten und technischen Gebäuden nördlich des südwestlichen Endes der Landebahn. Dieser Bereich ist durch einen Sicherheitsstreifen und zusätzliche Zaunanlagen abgetrennt. Die Flugzeugshelter werden durch Bäume und aufgeschüttete Erdwälle vor neugierigen Blicken von außen geschützt.

Doch all das hilft nichts, wenn im Inneren des Fliegerhorstes fotografiert wird und die Fotos im Internet veröffentlicht werden. So geschehen durch die US-Luftwaffe in Europa, den Eigentümer der Bomben. Als deren früherer Kommandeur, Tom Hobbins, die nukleare Wartungs- und Wacheinheit der US-Luftwaffe in Kleine Brogel besuchte, entstanden zahlreiche Erinnerungsfotos. Der General schüttelt die Hände seiner Untergebenen. Erkennbar ist auch, wo die Bilder gemacht wurden – nämlich in genau dem Bereich des Fliegerhorstes, auf den die Sprecherin des belgischen Verteidigungsministeriums indirekt hinwies. Binnen weniger Tage stellte der amerikanische Blogger und Nuklearwaffenspezialist Jeffrey Lewis eine Auswertung dieser Bilder ins Internet. Er markierte sogar die Stellen, an denen die Soldaten für die Fotos standen.

Beunruhigen dürfte die Erkenntnis vor allem die Einwohner von Kleine Brogel. Konnten sie sich bisher mit der Vorstellung trösten, dass die Nuklearwaffen rund einen Kilometer vom Dorf entfernt im Wald gelagert werden, so haben sie nunmehr Gewissheit: Die Waffen liegen gleich neben ihrem Dorf.


ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS