Tagesspiegel
16. Juni 2002


Washingtons Welt

Otfried Nassauer

Die USA wollen die internationalen Beziehungen neu regeln – ohne völkerrechtliche Absicherung

Infolge der Deregulierung der weltweiten Wirtschafts-, Handels- und Finanzpolitik entsteht eine neue Weltunordnung, Diese wird nicht nur „von unten", von den Verlierern der Globalisierung, versagenden Staaten und kleinen Kriegen gespeist, sondern immer deutlicher auch „von oben" initiiert. Unter George W. Bush schlagen die USA einen Kurs der Deregulierung der internationalen Beziehungen ein. Washington sucht die Handlungsfreiheit des Stärkeren zu vergrößern und einschränkende völkerrechtliche oder multilaterale Regelungen aufzuweichen oder außer Kraft zu setzen. Beispiele gibt es viele.

Erstes Beispiel: Wann ist Krieg ein legitimes Mittel? In der (noch) bestehenden Weltordnung ist dies ziemlich klar geregelt. Ein Staat, der von einem anderen Staat angegriffen wird, darf sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel verteidigen. Zu militärischen Mitteln darf man auch greifen, wenn die Vereinten Nationen (UN) einen Angriff feststellen oder ein Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft beschließen. Dies galt ursprünglich ausschließlich für Konflikte zwischen Staaten. In der Praxis der neunziger Jahre wurden – von Washington und den Nato-Staaten initiiert – auch militärische Eingriffe in innerstaatliche Konfliktlagen geduldet, so genannte humanitäre Interventionen. Nach den Terrorangriffen des 11. September kam – wiederum unter Führung der USA – die Bekämpfung des Terrorismus als Interventionsgrund hinzu. George W. Bush hat darüber hinaus angekündigt, dass Washington sich militärische Angriffe auf Staaten und nichtstaatliche Akteure vorbehält, die nach Massenvernichtungswaffen streben oder solche besitzen.

Solche Angriffe könnten auch präemptiv erfolgen – rechtzeitig bevor solche Waffen zum Einsatz kommen können. „Defensive Intervention" nennt Washington dies. Die Zahl der Kriegsgründe steigt. Die Entscheidungsbefugnis darüber, wann ein Krieg zulässig ist und wann nicht, verlagert sich mit jedem dieser Schritte mehr von New York nach Washington, von der Internationalen Organisation UN zum Nationalstaat USA.


Verträge verlieren ihre Bedeutung

Beispiel Rüstungskontrolle. In weniger als zwei Jahren hat Washington weite Teile der bilateralen und multilateralen Rüstungskontrolle in Frage gestellt. Vor drei Tagen lief der ABM-Vertrag aus, der Raketenabwehr und Weltraumrüstung begrenzte. Der Start-2-Vertrag ist ebenfalls irrelevant. Verhandlungen über die Verifikation des B-Waffen-Verbotsabkommens wurden abgebrochen, Maßnahmen zur Eindämmung des illegalen Kleinwaffenhandels unterbunden. Washington überlegt, seine Unterschrift unter den Vertrag über ein Verbot atomarer Tests zurückzuziehen. „Multilateralismus à la carte", nannte dies Richard Haass, der Planungschef des US-Außenministeriums.

Schließlich ein letztes Beispiel: Multilateralismus à la carte könnte man auch das nennen, was die Bündnispartner Washingtons am meisten sorgt – der Umgang mit Organisationen wie der Nato und internationalen Organisationen wie der UN. Washington signalisiert mit seinem Verhalten und seinen Initiativen, dass es sie nicht wirklich braucht oder gar nicht will. Die Europäer müssen sich jetzt dazu verhalten, müssen sich orientieren, während die USA sagt: Ja, die Nato-Partner können mitmachen, nicht aber mitentscheiden. Nein, der Internationale Strafgerichtshof für Kriegsverbrecher ist überflüssig und muss bekämpft werden.

Unilateralismus nennen das viele Kritiker – eine Deregulierung von oben, eine neue Weltunordnung initiiert von oben, ist es allemal. 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).