Hingehen, wo's wehtut
AUFSTANDSBEKÄMPFUNG: Warum der Tod der Bundeswehrsoldaten
eine Folge des geänderten Vorgehens der USA ist. Und wer bei der
Isaf jetzt das Sagen hat
von Otfried Nassauer
Sofern der Flugverkehr dies zulässt, werden die Mitglieder des
Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses am Montag
einen besonderen Besucher empfangen: Stanley McChrystal, den amerikanische
Oberbefehlshaber der Nato-Mission Isaf in Afghanistan. Er soll die Abgeordneten
anderthalb Stunden lang über die Lage im Land, über seine militärische
Planung und über seine Erwartungen an die Bundeswehr informieren.
McChrystal ist nicht irgendein Kommandeur. Geänderte Befehlsstrukturen
in der Nato und innerhalb der US-Truppen haben ihn zum mächtigsten
Nato-Offizier werden lassen, den Afghanistan seit 2001 gesehen hat. Anders
als seine Vorgänger hat er den Oberbefehl über alle Operationen
der Isaf und über alle US-Truppen im Land. Gemeinsam mit seinem
Stellvertreter, General David Rodriguez, kann er militärische Operationen
im ganzen Land anordnen. Regionale Kommandeure wie der deutsche General
Frank Leidenberger in Masar-i-Scharif können ihn beraten, empfangen
aber inzwischen seine Befehle. Diese müssen die Bundeswehrverbände
in Kundus, Faisabad und Masar-i-Scharif ausführen.
McChrystal wird sich kaum mit der Frage aufhalten, ob in Afghanistan "umgangssprachlich
Krieg" oder ein "bewaffneter interner Konflikt" ausgetragen
wird. Für ihn sind die Dinge klar: In Afghanistan wird ein Teil
des Krieges gegen den Terror ausgetragen und zudem ein Krieg gegen Aufständische. "Counterinsurgency" -
Aufstandsbekämpfung - heißt die Aufgabe. "Shape, clear,
hold, build" - "Stellung beziehen, säubern, halten, aufbauen",
lautet die Devise, die den US-Truppen die Perspektive eröffnen soll,
in einigen Jahren ohne Gesichtsverlust abziehen zu können.
Wie stark dies den Bundeswehreinsatz verändern wird, haben die
vergangenen Wochen bereits gezeigt. Auf McChrystals Befehl geht auch
die Bundeswehr nun dahin, wo es wehtut. Sie wird zu Einsätzen in
jenen Distrikten befohlen, die im Norden Afghanistans als Zentren der
Aufständischen gelten. Sie muss tun, was Bundeswehr und Bundesregierung
früher stets abgelehnt haben: afghanische Truppen bei Einsätzen
in umkämpfte Regionen begleiten, diese beraten und mit ihnen kämpfen.
Das fordert Opfer. Binnen zwei Wochen musste die Bundeswehr dies zweimal
erfahren. Sieben Tote und dreizehn zum Teil schwer Verletzte gab es in
der Folge.
Und es wird weitere Tote geben. Denn das Bundeswehrkontingent wird derzeit
umgegliedert. Es soll künftig deutlich mehr Soldaten für solche
Einsätze bereitstellen, von 1.400 Mann ist die Rede. Zudem steht
die Großoffensive, mit der die Aufständischen geschwächt
werden sollen, erst noch bevor.
McChrystal dürfte den Abgeordneten daher erste Einblicke in seine Überlegungen
und den Stand der Vorbereitungen auf diese Großoffensive im Norden
geben, mit der bis zu acht Distrikte vor allem in den Provinzen Kundus
und Baghlan von Aufständischen gesäubert werden sollen. Er
wird skizzieren, wie viele und welche US-Verbände künftig im
deutschen Zuständigkeitsgebiet zusätzlich stationiert werden.
2.500 Soldaten, von denen die ersten bereits vor Ort sind, werden es
mindestens sein; dass es 4.500 bis 5.000 werden, gilt als wahrscheinlich.
Das sind etwa so viele Soldaten, wie die Bundeswehr bisher stationiert
hat. Gestützt auf diese Verstärkungen und die Ausbildung afghanischer
Polizeikräfte, dürfte sich die geplante Offensive an der Operation "Moshtarak" ("Gemeinsam")
orientieren, die im Februar in der Provinz Helmand im Süden stattfand.
Diese Operation wurde als Test für weitere Großoffensiven
im ganzen Land konzipiert und durchgeführt.
Nach der Unterrichtung am Montag sind die Volksvertreter an der Reihe.
Sie werden die Pläne des US-Generals der deutschen Öffentlichkeit
vermitteln müssen.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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