Der Schutz der Bevölkerung war eigentlich oberstes Ziel
Es werden mehr Zivilisten sterben
von Otfried Nassauer
Als Stanley McChrystal im Juli 2009 Kommandeur aller US- und Nato-Truppen
in Afghanistan wurde, erließ er einen Befehl: Weitreichendes Artilleriefeuer
und Luftangriffe seien nur noch zulässig, wenn das Risiko, dass es
zivile Opfer gibt, weitestgehend ausgeschlossen sei. Dem General war es
ernst. Oberst Klein, der deutsche Kommandeur in Kundus, bekam das zu spüren.
McChrystal ist der Architekt der neuen Afghanistanstrategie. Diese erklärt
den Schutz der afghanischen Zivilbevölkerung zum vorrangigen Ziel
der Isaf-Operationen. Zuvor aber sollen die Taliban-Kämpfer vertrieben
werden. Zehntausende zusätzliche Soldaten werden dafür nach
Afghanistan entsandt, auch bis zu 850 Deutsche.
Und jetzt das: Seit gerade einmal zehn Tagen läuft die erste Offensive
der neuen Strategie in der Provinz Helmand. Erneut gibt es zivile Opfer.
33 Zivilisten wurden bei einem Luftangriff am Wochenende getötet,
12 bei einem Raketenangriff letzte Woche. Eine neue Strategie zwar, aber
mit altbekannten Kollateralschäden.
Den kommandierenden US-Generälen ist klar, dass die Offensiven,
mit denen die Aufständischen aus 80 Schlüsseldistrikten vertrieben
werden sollen, auch Zivilisten das Leben kosten werden. Menschen können
irren, Technik kann versagen, und afghanische Aufklärer können
Aufständische dort ausmachen, wo tatsächlich Zivilisten leben,
die aber einem konkurrierenden Clan angehören. Es wird also weitere
zivile Opfer geben. Und zwar nicht zu knapp.
Ist das ein schlechtes Omen für den zukünftigen Bundeswehreinsatz
im Norden Afghanistans? Die Regierung will, dass der Bundestag den Afghanistaneinsatz
in dieser Woche mit großer Mehrheit verlängert. Deshalb erweckt
sie den Eindruck, es gehe vor allem um den Schutz der afghanischen Bevölkerung.
Der sei durch eine "grundsätzlich defensive Ausrichtung"
zu erreichen. Dass zuvor Aufständische gewaltsam vertrieben werden
müssen, wird weitgehend verschwiegen. Ebenso dass General McChrystal
bislang nicht angeordnet hat, mit welchen US-Truppen und wie robust die
Nato künftig in Nordafghanistan vorgehen soll. Das wird erst entschieden,
wenn der Bundestagsbeschluss vorliegt. Die Abgeordneten sollen also eine
Katze im Sack kaufen - einschließlich der Verantwortung für
zivile Opfer.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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