Telepolis
08. August 2004


Terrorgefahr bis zur Abschlussfeier

von Gerhard Piper


Am 13. August ist es wieder soweit. Dann schaut die ganze Welt nach Athen und zwei Wochen lang dreht sich alles nur noch um Gold, Silber und Bronze. 10.500 Hochleistungssportler und 6000 Verbandsfunktionäre machen sich in diesen Tagen auf den Weg und fiebern der Eröffnung der XXVIII. Olympischen Sommerspiele entgegen. (1) Nicht so die Sicherheitsexperten. Sie freuen sich schon auf das Ende der Abschlussfeier im Calatrava-Dome. Erst wenn die letzte der 928 Medaillen vergeben, das olympische Feuer erloschen und die Flagge mit den fünf Kringeln im Stadion eingezogen ist, werden sie wissen, ob ihre Anstrengungen zum Schutz der Olympiade vor Terroranschlägen erfolgreich war en. POLYDEUKES lautet der Codename des Einsatzplanes. (2)

Ein Medienspektakel wie die Olympiade bot Terrorgruppen wiederholt eine Schaubühne für ihre eigene Gewaltinszenierung: München zuerst, dann Atlanta. Wie die Bombe im Centennial Olympic Park 1996 zeigte, konnte selbst die Supermacht USA trotz allem Sicherheitsaufwand einen Terroranschlag im eigenen Land nicht verhindern. Die Australier waren im Jahr 2000 erfolgreicher und verhinderten einen Überfall islamischer Extremisten. Aber in den vergangenen vier Jahren gab es ein Ereignis, das die Sicherheitslage weltweit verändert hat - der elfte September.

Bei jedem Großereignis steht heute die Terrorgefahr - routinemäßig - ganz oben auf der Tagesordnung. Wahrscheinlich wird die Olympiade in Athen mit sportlichen Überraschungen, Dopingsünden, aber ohne Terror über die Bühne gehen. Obwohl das sogenannte "Waffenstillstandsangebot" von Osama bin Laden an die Europäer Mitte Juli ablief, gibt es bisher keine direkte Drohung von Al-Qaida gegen die Olympiade. Allerdings belästigen gegenwärtig "Scherzbolde" die Athener Sicherheitskräfte viermal täglich mit fingierten Bombendrohungen.

Lediglich indirekte Hinweise deuten auf eine gesteigerte Bedrohungslage hin: Schon am 27. Februar 2002 lobte ein mutmaßliches Mitglied von Al-Qaida, Abu Ubeid Al-Qurashi, die "großartige Propagandaaktion" des Massakers von München, die nur noch durch die Anschläge vom 11. September überboten worden sei: (3)

"In truth, the Munich operation was a great propaganda strike. Four thousand journalists and radio personnel, and two thousand commentators and television technicians were there to cover the Olympic games; suddenly, they were broadcasting the suffering of the Palestinian people. Thus, 900 million people in 100 countries were witness to the operation by means of television screens. This meant that at least a quarter of the world knew what was going on in Munich; after this, they could no longer ignore the Palestinian tragedy. (...) The September 11 was an even greater propaganda coup. It may be said that it broke a record in propaganda dissemination."

Terrorwarnungen kommen vor allem aus den USA: So erklärte das Overseas Security Advisory Council des US National Security Council bereits im November 2003, dass während der Olympiade mit Terrorattacken auf multinationale Firmen sowie religiöse Einrichtungen in Griechenland zu rechnen sei. Derartige Einrichtungen könnten nur schwer geschützt werden.

Die konservative "Denkfabrik" International Strategic Studies Asssociation bei Washington beschwor die Gefahr, die von islamischen Ex-Mudschaheddin aus Ex-Jugoslawien und Albanien ausgehen würde. (4) Griechenland sei das Mutterland der westlichen Demokratie und daher den Islamisten ein Dorn im Auge. Diese könnten aus Bosnien, dem Kosovo oder Montenegro nach Griechenland einsickern und dort Terrorakte verüben, um die Spannungen auf dem Balkan erneut anzuheizen. Zugleich warf man den griechischen Sicherheitsdiensten vor, keine effektiven Schutzmaßnahmen ergriffen zu haben. Alles sei lediglich "Kosmetik", um die Öffentlichkeit zu beruhigen.

Immerhin entfallen von den Olympia-Kosten in Höhe von bislang rund 6,6 Milliarden Euro (allerdings steigen die Kosten täglich an) 1,2 Milliarden auf Schutzmaßnahmen, das Fünffache des ursprünglich eingeplanten Betrags. Angesichts dieser Summen gestand Bauminister Giorgos Souflias im griechischen Parlament, das Land hätte sich nie um die Austragung der Spiele bewerben sollen. (5) Nach den Terroranschlägen von Madrid im März diesen Jahres forderte eine kleine Athener Zeitung, die Spiele "aus Protest gegen den Terror" einfach abzusagen.

Nichts wurde unversucht gelassen, um den Schutz der Sportler, Funktionäre und Touristen zu gewährleisten, versicherte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees und frühere Fechtweltmeister Jacques Rogge. Nicht weniger als 70.000 Mann Sicherheitspersonal werden aufgeboten, davon werden aber 50.000 Mann an den Landesgrenzen eingesetzt. Weitere 35.000 Soldaten werden für "sekundäre" Aufgaben eingesetzt. An allen möglichen Sportstätten, Verkehrskreuzungen und öffentlichen Gebäuden werden über 1.500 Videokameras, Richtmikrofone und Infrarotsensoren installiert. Zudem wurden Unterwassersensoren und chemische Melder angebracht. Über der Stadt werden stundenlang zwei Überwachungsluftschiffe Skyship 600 B alles und jeden im Blickfeld behalten.

Die NATO unterstützt ihr Mitgliedsland durch die Operation DISTINGUISHED GAMES. (6) Gegen einen Angriff mit gekidnappten Passagierflugzeugen stehen mehrere Radarüberwachungsflugzeuge vom Typ E-3 AWACS der NATO Early Warning Force bereit. Rund ein Drittel der Besatzungen dieser Maschinen stellt in der Regel die deutsche Bundesluftwaffe. Vor der Küste wird die griechische Marine von der gesamten NATO-Eingreifflotte Mittelmeer (Standing Naval Force Mediterranean - STANAVFORMED) unterstützt.

Selbst einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen hat man einkalkuliert: Die fünf U-Bahnlinien in der griechischen Hauptstadt wurden mit 24.000 ABC-Schutzmasken ausgerüstet. Zusätzlich setzt die NATO erstmalig ihr neues ABC-Abwehrbataillon ein. Die sogenannte Multinational Chemical Biological Radiological Nuclear Task Force (MN CBRN TF) wurde ins griechische Halkida verlegt. Mit dabei sind Soldaten aus Tschechien, Polen, Ungarn, Spanien und Italien. Die Internationale Atomenergieorganisation der UNO in Wien entsandte ein zehnköpfiges Expertenteam vor Ort. Sogar ein Notfallplan zur Evakuierung von Athen mit seinen 800.000 Einwohnern liegt in den Schubladen bereit.

Mehrere Staaten (USA, Großbritannien und Israel etc.) werden mit eigenen Sicherheitskräften vor Ort sein, ohne dass dafür eine Genehmigung des Parlamentes vorliegt, wie es die griechische Verfassung ausdrücklich vorschreibt. Nicht zuletzt sind mehrere der Olympioniken selbst Angehörige militärischer Spezialeinheiten.

Für die Aufklärung der Terrorgefahren ist der nationale Geheimdienst Ethniki Ypiresia Pliroforion (EYP) unter Leitung von Pavlos Apostolios zuständig. Kerntruppe der Sicherheitskräfte ist die Anti-Terroreinheit der Nationalpolizei, die Eidiki Katalstaiki Antitromokratiki Monada (EKAM). Die Truppe wurde bereits im Jahre 1978 aufgestellt. Sie wird zur Bekämpfung von Schwerstkriminellen, der Festnahme ausgebrochener Gefängnisinsassen sowie zum Schutz der internationalen Flughäfen von Athen und Thessaloniki eingesetzt. Sie besteht normalerweise nur aus 140 Mann, aber möglicherweise hat die Polizeiführung ihren Personalbestand in den letzten Jahren aufgestockt. In der Selbstdarstellung der EKAM heißt es theatralisch:

Der Polizist der Spezialeinheit ist selbstlos wie ein Mönch, lautlos wie eine Schlange und kampfstark wie ein Panther.

Die Einheit ist u. a. mit Schusswaffen von Heckler & Koch (Pistole P8, Maschinenpistole MP5, Sturmgewehr G3, Scharfschützengewehr PSG-1) ausgerüstet und trainiert gelegentlich zusammen mit der GSG 9. Hinzu kommen die 50 Mann der Anti-Terroreinheit der Athener Stadtpolizei, die Dimoria Eidikon Apostolon (DEA). Im Bedarfsfall können die beiden Polizeieinheiten durch die Spezialeinheiten der griechischen Streitkräfte unterstützt werden, die Fallschirmjäger der Idiko Tmima Alexiptotiston (ETA) des Heeres und die Kampfschwimmereinheit Monada Ypovrixion Kastrofon" (MYK) der Marine.

Seit November 2002 wurden die verschiedenen Bedrohungsszenarien in mehreren Übungen durchgespielt: Blaue Odyssee, Gordischer Knoten, Hydra 2003, Olympische Wache, Regenbogen 2002, Schild des Herkules und Trojanisches Pferd. Aber es bleiben Probleme ungelöst: Nur ein Teil der Sicherheitskräfte verfügt über eine umfassende Ausbildung. Angesichts der Vielzahl der verschiedenen zivilen Einsatzkräfte bleibt abzuwarten, ob sie sich nicht gegenseitig verhaften. Im Ernstfall könnte die Kommandozentrale handlungsunfähig sein, weil der Datenaustausch mit den über hundert Außenstellen nicht klappt. Das Kommunikationssystem konnte nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. So bleibt nur die klassische Sprechfunkverbindung über Walkie Talkie.

Am 29. August gehen die Olympischen Sommerspiele zu Ende. "Dabei sein ist alles", heißt es. Aber dies gilt nicht für alle. Dennoch zündete eine lokale Anarchistengruppe am 28. Juli gleich drei (kleine) Bomben im Athener Stadtteil Kallithea. (7) In einem Dorf nördlich von Athen kam es am 5. August zu einem Anschlag mit einer selbstgebastelten Bombe.

 

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).

 

(1) http://www.athens2004.com/
(2) http://www.ebund.ch/artikel_30211.html
(3) http://www.memri.org/bin/opener.cgi?Page=archives&Area=sd&ID=SP35302
(4) http://www.freerepublic.com/focus/f-news/1159691/posts
(5) http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,301953,00.html
(6) http://www.afsouth.nato.int/
(7) http://www.time.com/time/europe/magazine/article/0,13005,901040517-634646-1,00.html