BITS Briefing Note 06.1
ISSN 1434-3282
März 2006


Akteure und Interessen im Streit um das Iranische Atomprogramm

von Otfried Nassauer

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1. Zur aktuellen Situation

Der heftige Streit um das iranische Nuklearprogramm geht wohl in eine neue Runde[1]. Er wird sehr wahrscheinlich an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen überwiesen, der seinerseits sowohl schärfere oder ultimative Forderungen zur Zusammenarbeit mit der IAEO an den Iran richten kann als auch Maßnahmen gegen das Land beschließen könnte. Diese reichen theoretisch von ersten Sanktionen bis hin zu einem militärischen Vorgehen. Dafür, dass der VN-Sicherheitsrat über den Iran verhandeln wird, spricht neben der Beschlusslage – unabhängig von alten und neuen Überlegungen zu möglichen Lösungen – die Interessenslage fast aller Beteiligten an diesem Streit.[2]

Der Iran hat wie angekündigt und durch das iranische Parlament vorgegeben auf die Vorbereitungen zu diesem Schritt mit der Rücknahme weiterer einseitiger, vertrauensbildender Maßnahmen reagiert, in die er – für die Dauer der E3-Iran-Verhandlungen[3] – eingewilligt hatte. Er hat seine proliferationsrelevanten Nuklearaktivitäten, insbesondere die Vorarbeiten zu seinem Urananreicherungsprogramm, wiederaufgenommen, die während der vergangenen zwei Jahre faktisch eingefroren waren. Nun führt er wieder Versuche zur Urananreicherung durch und testet derzeit mit etwa 20 Zentrifugen bzw. einer kleinen (Teil-)Kaskade[4]. Unklar ist, inwieweit der Iran seine Zusammenarbeit mit der IAEO wirklich eingeschränkt hat. Er hat offiziell am 6.2.2006 erklärt, sich künftig nur noch an das schwächere, alte Safeguards-Abkommen (INFCIRC 214) halten zu wollen, praktiziert aber derzeit dennoch im Rahmen vertrauensbildender Maßnahmen eine Zusammenarbeit mit der IAEO, die darüber erkennbar hinausgeht und seitens der IAEO auch gewürdigt wird. Das entspricht zugleich seinem Eigeninteresse: Ginge der Iran bei der Einschränkung der Zusammenarbeit zu weit, so würde er sich selbst schädigen, da die IAEO die Vorwürfe gegen Teheran dann weder weiter aufklären noch für aufgeklärt und bereinigt erklären könnte. Zur Zeit scheint es, als verfolge der Iran ein mehrstufiges Vorgehen. Angesichts noch laufender Verhandlungen mit Russland, weiterer Gespräche mit den E3 und vor den Sitzungen der IAEO und des Sicherheitsrates hat der Iran seine Verpflichtungen aus dem noch nicht ratifizierten Zusatzabkommen zum Safeguards-Abkommen zwar formal bereits aufgekündigt, kommt ihnen aber zumindest teilweise weiter nach und gibt auch weiterhin von der IAEO angeforderte Informationen. Ob und inwieweit diese Haltung im Falle einer Befassung mit der "Akte Iran" im VN-Sicherheitsrat sowie möglicher, erster Zwangsmaßnahmen beibehalten würde, ist derzeit nicht endgültig zu klären. Es darf jedoch als relativ sicher gelten, dass sich der Iran vorläufig an den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag weiter halten wird[5] und spätestens im Falle der Verhängung von Sanktionen weitere Signale verminderter Kooperation setzen wird. Die Drohung, der Iran könne aus der IAEO und damit auch aus weiteren vertraglichen Nichtverbreitungsverpflichtungen wie dem Safeguards-Abkommen aussteigen, ist für Teheran möglicherweise zu einer Option geworden.

Die iranisch-russisch-(chinesischen) Verhandlungen über das Angebot, ein Gemeinschaftsunternehmen auf russischem Boden zu gründen, das für den Iran Uran anreichert, werden im Westen als weniger aussichtsreich eingeschätzt, als sie es vielleicht real sind. Die Fähigkeit zur kommerziellen Anreicherung kann der Iran aufgrund seines Technologiestandes erst in etlichen Jahren erreichen. Deswegen muss er noch für einige Jahre durchgängig auf im Ausland angereichertes Uran setzen. Selbst wenn der Iran auf längere Sicht kommerziell anreichern würde, müsste er angesichts seiner Ausbaupläne für die Kernenergie auf Dauer Natururan zur Anreicherung, angereichertes Uran oder Kernbrennstäbe importieren, da die nationalen Kapazitäten den Bedarf der geplanten iranischen Reaktoren nicht decken könnten. Es bleibt also durchaus möglich, dass der Iran, Russland und China aufgrund überlappender Interessen doch zu einer Grundsatzeinigung mit mehrjähriger Laufzeit und vielleicht auch zu ersten Detailvereinbarungen kommen. Ein Abkommen, das bereits alle politischen, technischen und finanziellen Aspekte umfasst, ist dagegen von deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit. Gleiches gilt für eine Zustimmung der USA zu einem solchen Kompromiss, da Washington unverändert darauf zielt, dem Iran jedwede Anreicherung einschließlich weiterer Anreicherungsforschung zu untersagen. Die Tücken liegen also im Detail. Zur Zeit dürfte noch offen sein, ob der Iran bereit ist – wie es Russland bisher verlangt – seine eigenen Urananreicherungsarbeiten (es handelt sich weitgehend um angewandte Forschung) wieder einzustellen. Damit würde er faktisch zu seinem Moratorium gegenüber der EU zurückkehren.[6]

Damit kommt den jüngsten Bemühungen des IAEO-Generaldirektors al-Baradei, eine Grenzlinie zwischen der dem Iran erlaubten und ihm vorläufig zu untersagender Nuklearforschung zu entwerfen, eine deutlich größere Bedeutung zu als es die Berichterstattung in den Medien vermuten lässt.[7] Auch scheint es zwischen den E3 und dem Iran weiter Gespräche und gewisse Fortschritte geben zu können. Der Bereich der Nuklearforschung ist – neben der Urananreicherung – der zweite Sektor des iranischen Atomprogramms, für den eine Proliferationsresistenz versprechende Lösung gefunden werden muss.

Für die kommende Sitzung des Gouverneursrates der IAEO und die möglicherweise folgende erste Befassung des VN-Sicherheitsrates[8] wird es also darauf ankommen, wie die beteiligten Staaten

a) den Stand der IAEO-Untersuchung des iranischen Atomprogramms,
b) den erreichten Zwischenstand einer russisch-iranisch-chinesischen Übereinkunft sowie potentielle Ergebnisse zwischen dem Iran und den E3 und
c) den Vorschlag al-Baradeis für eine Grenzziehung zwischen erlaubter und nicht-erlaubter iranischer Nuklearforschung

bewerten. Diese Bewertung wird stark von den politischen Positionen und Motiven der beteiligten Staaten abhängig sein. Es ist damit zu rechnen, dass die "Akte Iran" letztlich an den VN-Sicherheitsrat übergeben wird. Zudem darf es als wahrscheinlich gelten, dass auch danach die Suche nach einem diplomatischen Kompromiss zunächst weitergeht. Entscheidend für die Erfolgsaussichten der Lösungssuche dürfte es sein, ob die westlichen Staaten bereit sind, von ihren bislang konsequent vertretenen Maximalforderungen teilweise abzurücken und dem Iran bei deutlich verbesserter Proliferationsresistenz das Recht auf eine rein zivil orientierte Nuklearforschung und –industrie zugestehen. Dies gilt vor allem für die USA, die im Vorfeld der kommenden Sitzungen sowohl ein 30-Tage-Ultimatum hinsichtlich der Einstellung aller wiederaufgenommenen Arbeiten als auch die Option eines militärischen Vorgehens erneut vorgebracht haben.

Über diesen Kontroversen und Detailfragen droht zugleich eine grundsätzlichere, aber sehr wichtige Frage in den Hintergrund zu treten. Der "Fall Iran" ist der Präzedenzfall für die Diskussion über die Zukunft des Nichtverbreitungsregimes. An diesem Fall wird sich mitentscheiden, ob dieses Regime künftig multilateral und auf der Basis internationaler Verrechtlichung oder unilateral auf der Basis des Rechts des Stärkeren (Die "Haves" entscheiden, wer die "Have Nots" sein sollen und was sie haben dürfen.) aufgebaut sein wird.

Bei allen Akteuren spielen in diesem Streit nicht nur fachliche, nukleare Aspekte eine Rolle. Weitergefasste außen- und sicherheitspolitische Interessen sowie in etlichen Fällen unverkennbar innenpolitische Motive und Interessen kommen hinzu. Es ist also sinnvoll, die Motive und Interessen der wichtigsten Akteure etwas genauer zu beleuchten.

 

2. Israel

Israel unterhält keine diplomatischen Beziehungen zum Iran. Eine bilaterale Kommunikation findet offiziell nicht statt[9]. Der Iran erkennt Israel nicht an und Israel betrachtet den Iran seit dem Einmarsch der USA in den Irak als nunmehr größte, die eigene staatliche Existenz gefährdende Bedrohung durch einen Staat. Israel ist der schärfste Warner vor dem iranischen Nuklearprogramm, das aus israelischer Sicht nur eine militärische Funktion haben kann. Unter Rückgriff auf die Begin-Doktrin[10] ventiliert Israel seit einigen Jahren öffentlich die Option eines präventiven Angriffs auf die entstehenden iranischen Nuklearanlagen. Es beschafft aus den USA dafür geeignetere Waffensysteme[11] und veröffentlicht unterstützend immer wieder Stellungnahmen, die signalisieren, dass sich das Zeitfenster für eine präventive Militäraktion gegen die iranischen Atomanlagen in Kürze schließen könnte. Fachleute bezweifeln jedoch, dass Israel eine solch komplexe militärische Operation nachhaltigen Erfolg versprechend alleine durchführen könnte. Das israelische Interesse dürfte vor allem darin bestehen, Washington in Zugzwang oder gar zum Handeln zu bringen. Da ein israelischer Präventivangriff ohne Wissen und Mithilfe der USA nicht denkbar wäre[12], würde Washington für einen solchen Angriff auf jeden Fall in politische Mithaftung genommen. Wollen die USA dies verhindern, so müssen sie Israel glaubwürdige eigene militärische Optionen für einen solchen Angriff signalisieren und zugleich überzeugend die Bereitschaft demonstrieren, einen solchen Angriff selbst und damit mit Aussicht auf einen nachhaltigeren Erfolg durchzuführen. Die denkbare Alternative, ein massiver Druck Washingtons auf Israel bis hin zur Drohung mit einem Waffenembargo, falls Israel dem Iran weiter militärisch drohen sollte, dürfte aus Sicht der Regierung Bush nicht ernsthaft in Betracht kommen. Israel spielt bei der Absicherung der Nah- und Mittelostpolitik Washingtons eine zu gewichtige Rolle. Aus israelischer Sicht dürfte die Regierungszeit George W. Bushs mit ihrem hohen Anteil neokonservativer Entscheidungsträger und der erklärten Mission, den Nahen und Mittleren Osten notfalls mittels Krieg und "Regime Change" zu "demokratisieren", als einmaliges "Fenster der Gelegenheit" erscheinen. Mit dieser Regierung kann ein schärferer Kurs der USA gegen den Iran oder gar ein militärisches Eingreifen erreicht werden[13]. Israel muss dabei innenpolitische Termine der USA wie die Kongresswahlen im Herbst 2006 und den Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2008 zwar berücksichtigen. Es hat aber durchaus auch die Möglichkeit, selbst konfliktverschärfend zu agieren, sollte sich dafür ein geeigneter Anlass bieten. Aus den USA könnte Israel mit weitgehender, wenn nicht bedingungsloser Unterstützung rechnen. Vor allem die durch den Verlauf der Intervention im Irak innenpolitisch in die Defensive geratenen Neokonservativen könnten in eigenständigen Eskalationsmaßnahmen Israels eine Chance sehen, das Heft des Handelns im Nahen und Mittleren Osten wieder in die Hand zu bekommen. Die israelischen Zeitvorstellungen dürften von der verbleibenden Amtsdauer der Regierung Bush stärker geprägt sein als von den realen Fortschritten des iranischen Nuklearprogramms.


3. Die USA

Die Interessen der USA leiten sich teils außen-, teils innenpolitisch ab. Seit der iranischen Revolution und aufgrund des Traumas der fehlgeschlagenen Geiselbefreiung unterhält Washington keine diplomatischen Beziehungen zum Iran. Versuche, die direkten Beziehungen wiederaufleben zu lassen, scheiterten wiederholt. Wer dafür plädiert muss mit scharfer innenpolitischer Kritik rechnen. Der Iran ist aus Washingtoner Sicht "Schurkenstaat", Teil der "Achse des Bösen", unterstützt den internationalen Terrorismus und "sitzt" auf substantiellen fossilen Energievorräten, über deren Verwertung die USA nicht entscheidend mitbestimmen können.[14] Die USA haben nationale Sanktionen gegen Teheran verhängt und wollen das Land auch unabhängig von dessen konkreter Politik in der Nuklearfrage weiter in die Isolation treiben, um letztlich einen Regierungswechsel herbeizuführen. Teherans umstrittenes Nuklearprogramm und die extremen Positionen des iranischen Präsidenten Ahmadinejad bieten gute Gelegenheiten, solch weitergehenden US-Interessen voranzubringen.

Trotz all der öffentlichkeitswirksamen Äußerungen, mit denen suggeriert wird, dass die USA auf schnellstmöglichem Wege einen militärischen Angriff auf den Iran vorbereiten, sind Zweifel angebracht, ob über ein solches Vorgehen bereits endgültig entschieden ist. Militärischer Druck kann auch als Förderung diplomatischer Lösungen dargestellt oder angewendet werden. Israel demonstriert immer wieder, dass man damit sogar das Verhalten der Supermacht USA beeinflussen und Druck in Richtung auf ein militärisches Vorgehen ausüben kann.

Wenn Washington an einem CONPLAN (einer militärischen Eventualfallplanung) für den Iran arbeitet, so ist dies die Vorstufe zu einem Operationsplan (OPLAN). Dieser kann schneller fertiggestellt werden, wenn ein CONPLAN vorliegt. Selbst wenn das Strategischen Oberkommandos STRATCOM bereits an einem OPLAN arbeitet, impliziert das nicht automatisch, dass ein militärisches Vorgehen bereits beschlossene Sache ist. Die Generalität arbeitet vor. Wenn der Präsident militärische Optionen wünscht, können sie auch kurzfristig vorgelegt werden. Die Vorarbeiten können auf politische Weisung zurückgehen, denn in Washington werden sicher auch militärische Karten betrachtet. Gelegt sind sie dagegen wohl noch nicht endgültig.

Dafür spricht eine Reihe von Unwägbarkeiten: George W. Bush und sein Vizepräsident Cheney haben innenpolitisch große Image-Probleme. Es kann keineswegs als ausgemacht gelten, dass ein außenpolitischer Befreiungsschlag in Form eines weiteren Krieges die Wirkung innenpolitischen Popularitätsgewinns erzielen würde. Selbst wenn Israel drängt und ein Krieg gegen den Iran innenpolitisch leichter zu vertreten wäre als ein solcher gegen Nordkorea,[15] der Popularität der gegenwärtigen Regierung würde es derzeit nicht zwingend helfen. Erfolgreiche Luftangriffe gegen die Atomanlagen des Irans wären zwar militärisch möglich. Auch bestünde keine zwingende Notwendigkeit, Bodentruppen einzusetzen und einen "Regime Change" militärisch zu erzwingen. Damit entfiele auch das Risiko, beweisen zu müssen, dass der Iran hatte, was man ihm als Kriegsanlass vorwarf zu haben. Doch die Eskalationskontrolle im weiteren Verlauf eines Konfliktes, d.h. gegenüber dem Iran selbst, im regionalen Kontext und hinsichtlich der geopolitischen Folgen eines solchen Vorgehens, wären nur schwer kalkulierbar. Zudem würde Washington zur Zeit mit Sicherheit kein VN-Mandat für ein solches Vorgehen bekommen, da ein militärisches Vorgehen gegen strategische Interessen zumindest zweier Vetomächte verstieße.

In der verbleibenden Regierungszeit der Administration George W. Bush gibt es vor allem zwei größere Zeitfenster, in denen ein Militärschlag theoretisch möglich wäre und die nicht in einem zu engen zeitlichen Zusammenhang mit den Kongresswahlen 2006 und den Präsidentschaft(vor)wahlen 2007/8 stünden. Dies sind jeweils das Frühjahr und der Frühsommer der Jahre 2006 und 2007. Der erste Termin kommt kaum noch in Frage, ob der zweite ernsthaft angepeilt wird, werden die kommenden Monate zeigen.

Die derzeitige US-Administration kann jedoch wahrscheinlich auch gut damit leben, wenn es "lediglich" gelingen sollte, den Iran international weiter zu isolieren und zum Beispiel durch Sanktionen weiter unter Druck zu setzen. Jeder republikanischen Nachfolgeregierung wäre damit ein "dankbarer" Gegner mit hohem innenpolitischen Nutzen hinterlassen. Jeder künftigen republikanischen Opposition würde der Iran als gutes Thema in der Auseinandersetzung mit den dann verantwortlichen Demokraten dienen. Der Iran könnte jederzeit gegen den innenpolitischen Gegner als Instrument genutzt werden, an dessen Beispiel "belegt" werden kann, dass die Republikaner US-Interessen konsequenter vertreten als die Demokraten es tun.

Die US-Administration sieht deshalb vermutlich derzeit kaum einen guten Grund, selbst aktiv in irgendeiner Weise zu einer Kompromissbildung mit dem Iran beizutragen. Sie muss nicht nachgeben oder von ihren Forderungen abrücken. Politisch nützt ihr die Eskalation derzeit sogar mehr als jede Entschärfung der Konfrontation. Deshalb darf nicht zwingend damit gerechnet werden, dass die USA Lösungen zustimmen, die zwar weitgehend sicherstellen, dass das Atomprogramm Teherans nur friedlich nutzbar ist, dem Iran aber gleichzeitig eine Gesichtswahrung in Form einer substantiellen Option auf die zivile Nutzung der Kernenergie ermöglichen. Einem solchen Kompromiss müsste Washington nur dann zustimmen, wenn es selbst Gefahr liefe, sich politisch zu isolieren, weil es alle möglichen und sinnvollen Kompromisslinien mutwillig torpediert (hat). Dieser Fall kann nur eintreten, wenn andere Staaten in der IAEO oder im VN-Sicherheitsrat eine mehrheitsfähige Resolution einbringen würden, die einen konkreten Kompromiss befürwortet. Dies ist unwahrscheinlich. Zudem kann Washington vorbeugend gegen eine solche Entwicklung tätig werden, indem es das eigene Interesse an einer diplomatischen Lösung immer wieder einmal rhetorisch betont, gleichzeitig aber neue politische und technische Hürden aufstellt.

In den USA ist bislang wohl noch keine abschließende Entscheidung über das weitere Vorgehen gegen den Iran gefallen. Es ist möglich, dass die militärische Eventualfallplanung für den Iran bereits zu einer Operationsplanung weiterentwickelt wird. Dennoch ist keinesfalls gesichert, dass die "Option Krieg" kurzfristig die einzig mögliche wäre.[16] Drohen kann Washington mit ihr trotzdem, und nach einem politischen Beschluss bedarf dessen militärische Umsetzung vergleichsweise geringer Vorbereitungen.


4. Europas Interessen

Den E3-Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) und kurz darauf auch dem Hohen Repräsentanten der EU, Javier Solana, eröffnete die Iran-Thematik 2003 gleich mehrere Chancen: Sie konnten die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU unter Beweis stellen, demonstrieren, dass ein größerer Konflikt geopolitischer Bedeutung präventiv und ohne Zuhilfenahme militärischer Gewalt gelöst werden könnte, und dabei zugleich ein Thema bearbeiten, das kurz nach dem umstrittenen Irakkrieg die transatlantischen Gemeinsamkeiten befördern würde, weil es den USA signalisieren würde, dass auch Europa die Proliferation im Mittleren Osten aktiv bekämpft. Zeitlich und thematisch überschnitten sich der entstehende Streit um das iranische Atomprogramm zudem mit der Er- und Überarbeitung der Europäischen Sicherheitsstrategie sowie der europäischen Strategie zur Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen.

Angesichts dieser Konstellation wurde die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, mit dem Iran über eine Verhandlungslösung zu reden und ein praktisches Beispiel für die Ernsthaftigkeit der sicherheitspolitischen Bemühungen Europas zu implementieren. Alle drei EU-Staaten konnten dabei auf traditionell intensive Beziehungen in den Mittleren Osten zurückgreifen und repräsentierten doch zugleich sehr unterschiedliche Traditionen. Gemeinsam wollten sie

  • das iranische Nuklearprogramm wirksam verlangsamen bzw. stoppen
  • es zugleich einer schärferen internationalen Kontrolle durch die IAEO unterwerfen und
  • einer potentiellen Eskalation des Streites vorbeugend entgegenwirken.

Die Ziele gegenüber dem Iran konnten zunächst für die Dauer von rund zwei Jahren weitgehend erreicht werden. Das Vorgehen der E3 scheiterte dann aber vorläufig und nicht zuletzt selbstverschuldet. Die EU-Staaten ließen sich darauf ein, Maximalforderungen Israels und der USA mit zu vertreten und verzichteten darauf, sich vorausschauend substantielle Verhandlungsspielräume zur Kompromissbildung mit dem Iran zu sichern, die in Washington und Jerusalem mitgetragen worden wären. Als problematisch erwies sich, dass die USA zunächst ein klares Desinteresse an den Verhandlungen signalisierten und sich erst zu einer begrenzten Haltungsänderung bereit zeigten, als Europa im Gegenzug bereit war, im Falle des Scheiterns der Verhandlungen aktiv die Anrufung des VN-Sicherheitsrates zu betreiben. Im ersten Quartal 2005 willigten die Europäer ein, im Tausch gegen "Zeit für Diplomatie" den "Fall Iran" an den VN-Sicherheitsrat zu überweisen, falls keine Einigung erzielt werde. Dass Washington oder Jerusalem eigene substantielle Beiträge (z.B. Sicherheitsgarantien) zu einem Kompromiss beizutragen bereit wären, konnten die EU-Unterhändler dem Iran nicht anbieten. In ihrem Vorschlag für ein Langzeitübereinkommen vom August 2005 forderten sie statt dessen vom Iran einseitige Zugeständnisse, die einer Singularisierung und einseitigen Souveränitätsbeschränkung gleichkamen. Der Iran lehnte ab und verwies auf seine Rechte zur zivilen Nutzung der Atomenergie. Es entwickelte sich eine schnell eskalierende Situation, in der beide Seiten zunehmend fürchteten, das Gesicht zu verlieren, sollten sie nachgeben.

Heute vertreten die E3-Staaten die Notwendigkeit einer Überweisung des Irans an den Sicherheitsrat wohl auch deshalb, weil sie die übernommene primäre Verantwortung für dieses Problem gerne wieder abgeben und ins Glied zurücktreten wollen. Dies eröffnet ihnen auch individuell wieder größere Spielräume und befreit sie auf längere Sicht von dem Zwang, sich beständig mit den sich gegenseitig ausschließenden Maximalpositionen der USA und Israels einerseits und des Irans andererseits auseinandersetzen zu müssen – also von Akteuren, die nicht direkt miteinander kommunizieren. Die E3-Länder werden auf absehbare Zeit versuchen, eine Politik der "einheitlichen Haltung möglichst vieler" (und der Einheit des Westens) gegenüber dem Iran zu vertreten, und dafür plädieren, den Druck auf das Land aufrechtzuerhalten. Sie hoffen aber zugleich, dass ihnen eine rasche Eskalation hin zu militärischen Optionen erspart bleibt und loten mit iranischen Unterhändlern weiterhin Kompromiss-Optionen aus. Viele europäische Staaten sehen in einer weiteren Eskalation angesichts der allgemeinen Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten sowie der potentiellen wirtschaftlichen Folgen mehr Risiken als Chancen.

Den E3-Staaten dürfte zudem bewusst sein, dass die zu Beginn ihres Iran-Engagements maßgeblichen Hoffnungen auf ein erfolgreiches Exempel europäischer Sicherheitspolitik als vorläufig gescheitert gelten müssen. Europa ist es bisher nicht gelungen, die Krise präventiv politisch zu lösen und die militärische Option vom Tisch zu räumen. Es bleibt die Hoffnung, dass dies in Zukunft oder in den Gesprächen Russlands mit dem Iran gelingt. Aber auch Russland ist - wie zuvor Europa - davon abhängig, ob die USA jene Lösungen, die Russland und der Iran vielleicht finden, mittragen. Möglich ist allerdings ebenso, dass eine Überweisung der "Akte Iran" an den Sicherheitsrat angesichts der Widersprüche in diesem Gremium zu einem "letzten" diplomatischen Neunansatz für Gespräche und Lösungsangebote führt, in deren Gestaltung die USA als ständiges Mitglied und Vetomacht stärker als bisher eingebunden sind.

Den EU-Staaten – auch das dürfte ihnen bewusst sein - wird es bei einer weiteren Eskalation hin zur militärischen Ebene sehr viel schwerer fallen wird, auf unausgeschöpfte diplomatische Handlungsoptionen zu verweisen als während der Diskussion über den Irak.

 

5. Deutschland

Deutschland hat traditionell recht gute Beziehungen zum Iran, ist ein wichtiger Handelspartner und es gibt, da viele Iraner in Deutschland ausgebildet wurden oder in Deutschland blieben, auch viele persönliche Beziehungen in den Iran.

Während der ersten Phase der E3-Iran-Verhandlungen, die europäischerseits von dem Gedanken einer Implementierung des Primats nichtmilitärischer Mittel und als Chance zum Beweis der Handlungsfähigkeit der GASP/ESVP getragen wurde, dürfte gerade die deutsche Regierung ein starkes Interesse gehabt haben, die Wirksamkeit eines präventiven, nichtmilitärischen Vorgehens unter Beweis zu stellen. Die Haltung der rot-grünen Bundesregierung hatte dabei zwar auch das Ziel, wieder einheitliche Positionen des Westens sichtbar werden zu lassen und zugleich den Anschein zu vermeiden, es könne erneut zu einem innerwestlichen Positionskonflikt wie jenem mit den USA in der Irak-Frage kommen. Das zuständige Auswärtige Amt ging zudem deutlich vorsichtiger vor, um zu verhindern, dass ihm erneut durch das Kanzleramt wegen zu großer Nähe zu Positionen Washingtons zeitweilig die Zuständigkeit entzogen werden könnte.

Unter der schwarz-roten Regierung verstärkt sich die transatlantische Tendenz, da Kanzlerin Merkel über die Außenpolitik an Statur gewinnen will[17] und zum anderen spätestens auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2006 deutlich gemacht hat, dass sie die Iran-Thematik als geeignetes Mittel zur Überwindung deutsch-amerikanischer Spannungen sowie zur Wiederbelebung der NATO[18] betrachtet.

Eine besondere Bemerkung verdient die deutsche Medienberichterstattung: Sie weist auffällig viele Fälle einer falschen, manchmal sogar desinformierenden Berichterstattung zu Lasten des Irans auf. Ungeachtet der Erfahrungen mit den amtlichen Fehlinformationen, die den Irakkrieg "begründeten", gehen gerade deutsche Medien in Sachen Iran auffallend deutlich über das hinaus, was Medien im angelsächsischen Raum dem Iran negativ in Sachen Nuklearprogramm nachsagen.[19]


6. Der Iran

Die Positionen des Irans Iran sind von unterschiedlichen und sehr breit gefächerten Interessen geprägt. Einige können als nationale Interessen beschrieben werden, die von jeder iranischen Führung, egal welcher Couleur, vertreten werden dürften. Sie sind ihrer Art nach mit klassischen, im Westen als nationale Interessen definierten Aspekten der Außenpolitik vergleichbar. Andere zeigen ganz andere Charakteristika: Der neugewählte Präsident Ahmadinejad verknüpft z.B. über die Nuklearfrage geschickt und populistisch klassisch, innenpolitische Interessen wie seine Machtabsicherung nach Innen mit der Frage des nationalen Selbstbewusstseins und der des internationalen Standings des Irans. Er verknüpft beides zugleich mit der Frage eines geeinten Auftretens aller Moslems in der Konfrontation mit "dem Westen" und dem Recht sich entwickelnder Nationen auf einen freien Zugang zu ziviler Nukleartechnologie. Zugleich nutzt er den Disput und äußerst konfrontative Aussagen gegenüber Israel, um das Gewicht des Teherans in der islamischen Welt zu stärken und das iranische Modell der islamischen Revolution als Ausgangspunkt der Ummah, bzw. des "endzeitlichen Kalifats" aufzuwerten. Er spricht also auf eine zentrale zentrale eschatologische Frage an, in der konkurrierenden sunnitisch-wahabiti-sche Vorstellungen wie die Osama bin Ladens die eigentliche Konkurrenz darstellen.

In der Nuklearfrage setzt Ahmadinejad auf die Rolle des standhaften Verhinderers einer "zivilen nuklearen Apartheid" (ein Interesse vieler sich entwickelnder Länder), der aber eine militärisch nukleare Option schon aus religiösen Gründen ablehnt.[20]

Zu den innen- und zugleich außenpolitischen Interessen des Irans gehört die energiepolitische Seite der Diskussion. Der Iran strebt einen deutlichen Ausbau der Stromversorgung im Land an, der zweifellos für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes von großer Bedeutung ist. Er will dafür Nukleartechnik einsetzen, weil er glaubt, damit einen Hochtechnologie-Pfad einzuschlagen.[21] Öl und Gas sind aus offizieller iranischer Sicht als Devisenbringer und für die Staatseinnahmen zu bedeutsam, als dass sie verstärkt für den heimischen Konsum eingesetzt werden könnten. Über die Art seiner künftigen Energieversorgung will Teheran autonom entscheiden. Auch unter äußerem Druck wird der Iran eine Diskriminierung (durch dauerhaft nur partielle Nutzungsrechte der zivilen Atomtechnik) oder gar eine völkerrechtliche Singularisierung (in Form einer völkerrechtlich bindenden Zusage, nicht aus dem NVV auszuscheren, wie von den E3 vorgesehen) nicht hinnehmen. Ebenso kann sich der Iran sicher keinen dauerhaften, sondern nur einen zeitlich begrenzten Verzicht auf die Nutzung kritischer Elemente der zivilen Nukleartechnik vorstellen, solange dies eine ihn singularisierende Praxis darstellen würde. Aus iranischer Sicht geht es in dieser Frage auch um das nationale Interesse, gleichberechtigt zu allen anderen Staaten, insbesondere anderen regionalen Mittelmächten behandelt zu werden.[22] Die außen- und sicherheitspolitischen Interessen des Irans sind die einer regionalen Mittelmacht, die diese Rolle für sich auch beansprucht.

Es ist durchaus möglich, dass der Iran sich mit dem Aufbau seines zivilen Atomprogramms die Option technisch offen halten will, zu einem späteren Zeitpunkt über den Einstieg in ein militärisches Atomprogramm zu entscheiden. Die Indizien dafür, dass eine solche Entscheidung bereits getroffen wurde und der Iran bereits an Nuklearwaffen arbeitet, sind derzeit noch zu schwach für ein solches Urteil. Zudem widerspräche eine aktive militärische Nuklearpolitik der bislang gültigen religiösen Rechtssetzung im Lande. Etliche Anschuldigungen und Indizien für ein militärisches Atomprogramm, die gegen den Iran vorgebracht wurden, erwiesen sich als unrichtig oder falsch interpretiert. Aus einer westlichen Analyse der Sicherheitslage des Irans zu folgern, dass der Iran verrückt sein müsse, wenn er nicht an der Bombe arbeite, um dann im Umkehrschluss abzuleiten, dass er es tue, ist ein nettes Gedankenspiel, aber nach den Gesetzen der Logik nicht zulässig.[23]

Anerkannt werden muss dagegen, dass das von westlicher Seite oft diskutierte Sicherheitsdefizit des Landes aus iranischer Sicht tatsächlich existiert. Es hat sich durch die Entwicklungen der letzten Jahre (Präsenz der USA in Irak, Afghanistan, Zentralasien, Türkei, Transkaukasus und Arabischer Halbinsel) objektiv verstärkt. Die USA sind von einer "entfernten Supermacht" binnen weniger Jahre zum "bedrohlichen Nachbarn" für den Iran geworden.

Der Iran hat ein klares Interesse, den Weg vor den VN-Sicherheitsrat zu vermeiden und solange wie irgend möglich eine diplomatische Lösung zu suchen. Dies schließt selbst aktive Schritte im Blick auf bilaterale Kontakte zu den USA nicht aus. Der Iran wird einer Verhandlungslösung selbst dann noch Priorität einräumen, wenn bereits im Sicherheitsrat verhandelt werden sollte. Er wird allerdings mit allen Mitteln, auch denen der Eskalation, versuchen, sein Gesicht zu wahren und für den Fall, dass Maßnahmen gegen ihn beschlossen werden, mit entsprechenden Gegenmaßnahmen antworten. Entscheiden sich die USA oder Israel für ein militärisches Vorgehen, so wird Teheran sich darauf einlassen.


7. Die Interessen Russlands

Russland sieht in der Diskussion um das iranische Atomprogramm Chancen und Risiken zugleich. Auf der einen Seite bietet sich Moskau erstmals seit dem Zerfall der UdSSR wieder die Chance, aktiv in einer wichtigen geopolitischen Frage gestaltend mitzuwirken. Die relative, innere Stabilität Russlands, die durch hohe Gas- und Ölpreise rasch wachsende finanzielle Handlungsfreiheit, die Option parallel im Palästinakonflikt durch eine besonnene, den Hamas-Wahlsieg akzeptierende Politik an Statur und Profil zu gewinnen – all dies sind Faktoren, die es Russland attraktiv erscheinen lassen dürften, seine Rolle als derzeit primärer Lieferant nuklearer und militärischer Technologie für den Iran abzusichern und auszubauen. Aus russischer Sicht wird es möglich, wieder eine aktivere Einflusspolitik gegenüber den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zu betreiben. Der schiitische Iran, der während und nach dem Zerfall der UdSSR weder missionierend noch politisch intervenierend in die Entwicklungen im moslemischen Süden der ehemaligen Sowjetunion und des heutigen Russlands eingegriffen hatte, bietet dafür einen Ansatzpunkt. Mehr noch: Mit einer größeren Rolle Moskaus im Mittleren Osten kann aus russischer Sicht auch die Hoffnung auf mehr Einfluss in Zentralasien verbunden sein. In dieser Region fürchtet Russland das Einflussstreben Washingtons ebenso wie das Pekings, hat aber selbst große Interessen. Diese vertritt Moskau nicht nur bilateral, sondern auch multilateral in der Schanghai-Kooperations-Organisation.[24] Mit dem Angebot einer gemeinsamen russisch-iranischen Urananreicherung[25] ist Russland zunächst in die Rolle des potentiellen "Retters" der E3-Iran-Verhandlungen und, als diese doch weitgehend scheiterten, in die des von allen Seiten akzeptierten zusätzlichen Vermittlers geschlüpft.

Einmal in der Unterhändlerrolle aktiv, wurden aber auch die Risiken sichtbar und für Moskau spürbar. Die USA und die Europäische Union erwarten, dass Moskau dem Iran jene Zugeständnisse abringt, die ihm die EU nicht abringen konnte. Kern ist der Verzicht des Irans auf alle Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungsaktivitäten auf eigenem Territorium und dessen Selbstbeschränkung auf die Stromerzeugung mit Kernenergie aus Leichtwasserreaktoren, deren abgebrannte Brennelemente an den Lieferanten zurückgegeben werden müssen. Wird dieses weitreichende Ziel in den iranisch-russischen Verhandlungen verfehlt, so müsste der Westen entscheiden, ob er den russisch-iranischen Gesprächsergebnissen trotzdem zustimmt und sie mitträgt. Dies würde insbesondere dann zu einem Knackpunkt werden, wenn Russland dem Iran zwar einen Verzicht auf industrielle Nuklearaktivitäten dieser Art abringen kann, aber selbst in Koordination mit den E3 keinen entsprechend vollständigen Verzicht auf Forschungsaktivitäten erreicht. Diese betrachtet der Iran als Symbol der eigenen technologischen Entwicklung und als Platzhalter für das vollumfängliche Recht auf die zivile Nutzung der Nuklearenergie sowie als Beschäftigungsfeld seiner Nukleartechniker. Wenn die russisch-iranischen Gespräche das primäre Forum der Suche nach einem Kompromiss bleiben und erfolgreich beendet werden, dann darf es als wahrscheinlich gelten, dass die westlichen Staaten sich angesichts der russisch-iranischen Verhandlungsergebnisse entscheiden müssen, ob sie der vollumfänglichen Durchsetzung ihrer Maximalforderungen oder einer proliferationsresistenteren, einen deutlichen Zeitgewinn versprechenden Lösung den Vorzug geben.[26]

Russland wird im VN-Sicherheitsrat viele denkbare Sanktionsarten weitgehend und ein militärisches Vorgehen völlig ablehnen. Als Vetomacht kann es seine Interessen wahren und befürwortete wohl auch deshalb eine Überweisung an dieses Gremium. Moskau will aber im Kern, dass das Problem im Rahmen der IAEO gelöst wird. Diese Haltung dürfte auf längere Dauer angelegt sein, weil sie durchhaltbar ist und mittelfristig den russischen Interessen dient. Eine Konstellation, in der die USA oder der Westen Russland vor die Wahl stellen könnten, zwischen der Unterstützung eines militärischen Vorgehens gegen Teheran und spürbar verschlechterten Beziehungen zum Westen zu wählen, ist derzeit noch nicht absehbar.


8. China

Chinas Interessen sind ähnlich gelagert wie die russischen. Auch China sieht mit dem Iran-Konflikt Chancen und Risiken verbunden. Der Iran ist für China ein wichtiger Handelspartner und perspektivisch vielleicht der wichtigste Energielieferant. Mit einem konstruktiven, eigenen Beitrag zur Lösung des Konfliktes kann China die Hoffnung auf eine größere Rolle in den internationalen Beziehungen und mehr regionalen Einfluss verbinden. Regional kann das für China gerade im Blick auf die chinesisch-russische Regionalkonkurrenz in (Zentral)Asien von Vorteil sein. China muss nicht fürchten, dass allein Russland mit Blick auf seine Machtstellung in dieser Region von seinem Engagement in Sachen Iran profitiert. Peking bleibt im Spiel. Aus einer Rolle in der zweiten Reihe und mit begrenzter Verantwortung für den Erfolg oder Misserfolg der Verhandlungen weiß China seine Interessen bereits gewahrt, ohne ein Risiko durch eine zu exponierte Rolle gehen zu müssen. China will sich über der Iran-Problematik derzeit nicht in einen größeren Konflikt mit den USA treiben lassen. Als Rückfallposition für den Fall einer eskalierenden Entwicklung ist China sich seiner Rolle als Vetomacht im VN-Sicherheitsrat bewusst. Es wird sich gegen Sanktionen wehren, wenn diese seine Interessen verletzen und ein militärisches Vorgehen gegen den Iran ablehnen. Zugleich muss China allerdings aufgrund des Umfangs seines Außenhandels mit den USA und seiner Rolle als substantieller Kreditgeber der USA daran interessiert sein, dass sich Konflikte mit Washington nicht zu weit zuspitzen.


9. Schlussbemerkungen

Die Verhandlungen der E3/EU mit dem Iran dürfen als vorläufig gescheitert gelten.[27] Die E3 führen zwar noch Gespräche mit dem Iran. Dabei geht es aber derzeit vor allem um die Wiederaufnahme förmlicher Gespräche. Solche bleiben eine Option. Die E3 haben zunächst die Konsequenz gezogen, den Streit wie von Washington von Anbeginn gefordert, vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bringen, damit dieser Maßnahmen auch nach Kapitel VII der VN-Charta beschließen kann. Deren mögliches Spektrum umfasst sowohl Ermahnungen und Aufforderungen an den Iran als auch Sanktionen sowie letztlich ein militärisches Vorgehen. Russland und China tragen dieses Vorgehen derzeit mit, da sie als Vetomächte ihren Einfluss im Sicherheitsrat gewahrt wähnen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bereit sind, wegen des Irans einen größeren Konflikt mit den USA einzugehen. Ein Agieren des VN-Sicherheitsrates unter Kapitel VII lehnen sie aber ab und werden dies auch deutlich machen. Auch für Frankreich und – teilweise - Großbritannien dürfte diese Logik gelten. Der Lackmustest bezüglich der Haltung all dieser Länder in Sachen Iran steht also noch aus und zugleich können sie weiter hoffen, dass er nicht durchgeführt werden kann. Eine Sonderrolle spielt Deutschland, dessen neue Kanzlerin den Streit mit dem Iran möglicherweise nutzen will, um die bilateralen Beziehungen zu Washington zu verbessern und so mehr Einfluss zu gewinnen.[28]

Russland kann – unabhängig von der gegenwärtigen Eskalation – zunächst noch weitere Vermittlungsversuche auf Basis seines Joint-Venture-Vorschlages unternehmen[29] und zugleich darauf hoffen, dass sein Handlungsspielraum weiter wächst. China wird sich aus ähnlichen Erwägungen einer Einbeziehung in diese Gespräche nicht widersetzen. Beide haben ein Interesse, dass weitere, radikaler eskalierende Schritte derzeit nicht erfolgen und Zeit gewonnen wird. Sie können wahrscheinlich begrenzten Schritten gegen den Iran zustimmen, solange sich für beide Staaten kein Zwang ergibt, wegen ihrer wirtschaftlichen oder politischen Interessen offen gegen weitere Eskalationsschritte vorzugehen.

Interessanterweise können alle wesentlichen Akteure mit der gegenwärtigen Entwicklung innenpolitisch und bei ihrer je eigenen Zuhörerschaft noch punkten: Die Regierungen der USA und Israels zeigen sich unerbittlich, falls der Iran ihren Forderungen nicht nachgibt. Washington kann die Isolation des Irans weiter ausbauen. Die EU-Staaten haben ihr Versprechen gehalten, den Iran vor den Sicherheitsrat zu bringen. Der Iran bleibt aus Sicht der islamischen Welt ebenfalls konsequent, knickt nicht ein und erleidet damit keinen Gesichtsverlust, sondern gewinnt an Statur. Russland und China profitieren vorläufig von ihrer Vermittlerrolle und der innenpolitisch nützlichen Erweiterung ihrer außenpolitischen Handlungsspielräume. Beide Staaten wissen sich und ihre Interessen auch dann im Spiel, wenn nach der Überweisung der "Akte Iran" an den VN-Sicherheitsrat ein Verhandlungsversuch in neuer Konstellation unternommen würde. Und doch ist allen Beteiligten klar, dass sie ein Spiel auf Zeit betreiben, dass zugleich nur auf begrenzte Zeit gespielt werden kann.

Problematisch ist diese Situation derzeit vor allem für die IAEO, deren Glaubwürdigkeit und Neutralität bei der Urteilsfindung in der Sache sowohl durch politische Instrumentalisierungsversuche als auch durch Zeitdruck in Frage gestellt werden könnte. Damit verbunden ist die bedeutsame Frage der Auswirkungen des Umgangs mit dem Iran auf den prinzipiellen Charakter künftiger Nichtverbreitungsregime: Werden diese als multilaterale Systeme auf Basis der Stärke des Rechts oder als unipolare Systeme auf Basis des Rechts des Stärkeren formuliert?

Bei der Suche nach einer Verhandlungslösung ist im Kern von der folgenden Konstellation auszugehen: Die Hauptkontrahenten, die USA, Israel und der Iran reden nicht direkt miteinander und beharren weitgehend auf ihren Ausgangs-, d.h. Maximalpositionen. Sie warten darauf, dass und ob die je andere Seite einknickt, und verschärfen immer wieder einmal die Gangart – auch auf Kosten dritter Akteure wie der E3 oder Russlands. Sie wollen zeigen, dass sie Herr eines Verfahrens sind, obwohl sie nur über Bande spielen. Zugleich aber ist selbst mittel- und langfristig keine tragfähige, auch nur annähernd stabile Lösung denkbar, die von der kontinuierlichen Abwesenheit direkter Kommunikation der Kontrahenten als Dauerzustand ausgeht. Ohne Wiedereröffnung der bilateralen Kommunikationen bleiben alle Lösungsansätze längerfristig von Instabilität geprägtes Stückwerk. Ob es künftig zu einer wie auch immer gearteten neuen bi- oder multilateralen Kommunikation kommt, an der sich Washington und Teheran beteiligen, ist eine der wichtigsten Determinanten für die Zukunft des Streits um das iranische Atomprogramm und darüber hinaus für die Sicherheitsprobleme des Nahen und Mittleren Ostens.

Der Atomstreit mit dem Iran ist losgelöst von der Frage der Zukunft des israelischen Atomwaffenpotentials und der noch umfassenderen Frage einer neuen nah- und mittelöstlichen Stabilitäts- und Friedensordnung nicht auf Dauer zu lösen. Das gilt übrigens auch für ein zweites "Detailproblem", das bislang nicht zu einem offenen Konflikt geführt hat, jederzeit aber zu einem solchen führen kann, wenn Akteure diese Karte spielen: Die Problematik der Raketenreichweiten im Nahen und Mittleren Osten. Die Problemkomplexe des Nahen und Mittleren Ostens sind schon lange und immer wieder davon geprägt, dass systematisch Catch-22-Situationen herbeigeführt werden: Zeichnen sich mögliche Lösungsvorschläge für einzelne Detailprobleme ab, so werden diese dadurch entwertet, dass sofort die Gesamtlösung für die großen Fragen der Region eingeklagt wird. Wird eine Lösungsoption für diese großen Fragen ins Spiel gebracht, so lautet das Gegenargument, Voraussetzung dafür sei es, erst die vielen einzelnen Detailprobleme zu lösen. Die Akteure erachten den ihnen bekannten Status Quo als für sich kalkulierbarer als mögliche Veränderungen und deren Ergebnisse.

Nur ein paralleles Herangehen an die Lösung all dieser relevanten Fragen, also sowohl der Detail- als auch der konzeptionellen Fragen, bietet die Chance zum Ausbruch aus diesem Teufelskreis. Verbunden werden muss ein solches Herangehen zudem mit der Entwicklung von schrittweise vorgehenden Umsetzungsplänen, bei denen es für den Erfolg entscheidend ist, dass die Akteure – auch die Externen – zeitlich parallel und Zug um Zug ihre Beiträge leisten müssen.

Schließlich: Eine neue stabilere regionale Sicherheitsstruktur kann letztlich keine rein sicherheitspolitische Struktur sein, sondern muss auch die Elemente nachhaltiger wirtschaftlicher und technologischer Entwicklung sowie einer den regionalen Bedingungen angepassten Demokratisierung und Rechtssicherheit einschließlich der Menschenrechte umfassen.[30] Gerade mit Elementen der technologischen und wirtschaftlichen Kooperation sind wesentliche Möglichkeiten zur Schaffung von Anreizen verbunden.



ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS


 

Fußnoten:

[1] Während der Erarbeitung dieser kurzen Analyse änderte sich täglich ein Teil des Sachstandes. Hinzu kam die Schwierigkeit, von der aktuellen Tagespolitik und der "public diplomacy" der Hauptakteure zu abstrahieren und die notwendige analytische Distanz zu wahren. Um die Analyse unter diesen Bedingungen leisten zu können, wurde mit dem 3.3.06 willkürlich ein Zeitpunkt festgelegt, nach dem keine neuen Informationen mehr berücksichtigt wurden.

[2] Die Beschlusslage der IAEO vom 4.2.2006 sah bereits vor, dem Sicherheitsrat die komplette "Akte Iran" vorzulegen und alle bisherigen Berichte und Resolutionen weiterzuleiten. Man einigte sich allerdings darauf, bis zu dem am 6.3. beginnenden Treffen des Gouverneursrates der IAEO keine Befassung im VN-Sicherheitsrat vorzunehmen. Diese soll ggf. erst auf Basis des neuen IAEO-Berichtes zur März-Sitzung erfolgen. Nach derzeitigem Stand wird die IAEO keine neue Iran-Resolution verabschieden, es sei denn, es kommt bei den Gesprächen des Irans mit Russland oder den E3-Staaten noch zu einer Einigung. Wesentliche Dokumente zum Atomdisput mit dem Iran sind zu finden unter: http://www.bits.de/main/archive/iran1.htm

[3] Das Kürzel E3 steht für Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

[4] Der Iran hat 164 Zentrifugen des älteren Typs P1 aufgebaut; bisher produziert wurden 1274 Zentrifugen. Mit rund 40% Ausschuss rechnen Experten mindestens. Der Aufbau weiterer Kaskaden mit 164 Zentrifugen ist dem Iran also technisch möglich. Er kann als eskalierender Schritt zu jeder Zeit eingeleitet werden.

[5] Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinejad, in denen dieser mit der Möglichkeit eines Austritts aus dem Atomwaffensperrvertrag spielte, haben vorläufig wohl keinen realen Hintergrund. Der Iran kann – im Gegensatz zu Nordkorea - nicht mit hinlänglicher Glaubwürdigkeit und binnen eines begrenzten Zeitraumes von ein bis drei Jahren den Besitz eigener Atomwaffen behaupten, ohne zugleich und indirekt zuzugeben, dass er seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem NVV früher massiv verletzt habe. Selbst in der islamisch-arabischen Welt würde er damit nur Probleme bekommen.

[6] Derzeit scheint es, als werde in Hintergrund-Gesprächen ausgelotet, ob dem Iran mit internationaler Zustimmung Forschungsarbeiten mit einer kleinen Zentrifugenzahl (etwa 20) und somit eine Gesichtswahrung ermöglicht werden könnte.

[7] Aus völkerrechtlichen Gründen – eine dauerhafte, rechtlich verbindliche Singularisierung des Irans gegenüber anderen nichtnuklearen Staaten kommt nicht in Betracht – kann es auch bei diesen Überlegungen nur darum gehen, den Iran rechtlich verbindlich von einem zeitlich begrenzten "freiwilligen" Verzicht auf die teilweise Ausübung seines Rechts auf die friedliche Nutzung der Kerntechnik zu überzeugen, deren Zweck eine Wiederherstellung des Vertrauens der internationalen Gemeinschaft in die Glaubhaftigkeit der ausschließlich zivilen Intentionen des Irans wäre.

[8] Auffällig ist, dass die von den westlichen Staaten entworfenen Resolutionen der IAEO immer nur vom Sicherheitsrat der VN sprechen, obwohl die Statuten der IAEO vorsehen, dass in einem solchen Fall nicht nur an den Sicherheitsrat, sondern auch an die VN-Generalversammlung zu berichten ist.

[9] Dies hat beide Staaten nie gehindert, bei geheimen Operationen oder auch sichtbar dann zu kooperieren, wenn sie dies als vorteilhaft erachten: Dafür stehen so bemerkenswerte Vorgänge wie die Iran-Kontra-Affäre oder aber auch die jüngst beschlossene beiderseitige Beteiligung an einem nahöstlichen Teilchenbeschleuniger in Amman.

[10] Diese besagt im Kern, dass Israel es nicht dulden wird, dass ein arabisches oder islamisches Land in den Besitz von Nuklearwaffen oder solche Waffen entwickelt. Israel sei in einem solchen Fall zu präventivem militärischen Handeln wie 1981 gegen den irakischen Reaktor Osirak entschlossen. Die Begin-Doktrin weist zugleich eine gewisse Ambiguität auf: Zum einen lässt sie offen, ob für Israel der Beginn des Erwerbs von Nuklearwaffen prinzipiell bereits mit dem Betrieb ziviler Nuklearanlagen wie z.B. von Atomreaktoren beginnt. Dafür spricht das Beispiel Osirak. Dann würde die Begin Doktrin den Anspruch beinhalten, allen arabischen und islamischen Staaten auch die zivile Nutzung der Nuklearenergie notfalls militärisch zu verwehren. Zum anderen zeigt das Beispiel Pakistan, dass Israel die Begin-Doktrin auf dieses Land entweder nicht anwenden wollte oder aber nicht anwenden konnte. Dies gilt unabhängig davon, ob Berichte bzw. Gerüchte wahr sind, dass Israel 1981 auch Pläne für einen Angriff auf die pakistanischen Nuklearanlagen geprüft hat.

Über ein "Fenster der Gelegenheit" für eine militärische Aktion, das nur in näherer Zukunft existiert, zum jetzigen Zeitpunkt zu diskutieren, wäre nur dann von einer gewissen Logik, wenn im Rahmen der Begin-Doktrin darunter die Zeit verstanden würde, die noch verbleibt, bis zum ersten Mal Nuklearmaterial in die Anlagen eingebracht wird. Anlagen ohne Nuklearmaterial können "gefahrloser" angegriffen werden, weil kein nukleares Kontaminationsrisiko besteht. Da diese Logik sich aber nicht mit dringlichen öffentlichen Warnungen vor der baldigen Verfügbarkeit der iranischen Bombe verträgt, wird sie von Israel kaum genutzt.

[11] Ein Beispiel sind modernste bunkerbrechende Präzisionswaffen zur Bekämpfung unterirdisch verbunkerter Ziele.

[12] Der von den USA kontrollierte Luftraum über dem Irak müsste bei einer solchen Operation genutzt werden.

[13] Auch wenn es in der Regierungszeit Bushs nicht zu einem militärischen Vorgehen der USA gegen den Iran kommt, bietet dieses Vorgehen aus israelischer Sicht viele Vorteile: Die anti-iranische Position der USA wird verstärkt; ein bilateraler Dialog zwischen beiden Staaten wird unterbunden; der Iran wird weiter isoliert und ggf. unter internationale Sanktionen gestellt.

[14] Dieser Tatsache kommt eine größere Bedeutung zu als auf den ersten Blick ersichtlich. Analysen des Pentagons gehen seit einigen Jahren davon aus, dass die Verlagerung industrieller Produktionen aus dem Westen nach Asien im Rahmen der Globalisierung, der damit verbundene, wachsende "Energiehunger" Asiens und geopolitische Machtverschiebungen einschließlich der mit diesen Entwicklungen verbundenen gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse weite Teile Asiens zum wahrscheinlichen Schauplatz der wichtigsten Konflikte der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts machen werden. Darin, diesen Wandel und seinen Verlauf aktiv zu begleiten und zu "gestalten", sehen viele Geopolitiker in den USA eine der wichtigsten, kommenden Aufgaben amerikanischer Politik. Die Möglichkeiten, die Interessen der USA dabei wirksam zur Geltung zu bringen, steigen in dem Maße wie Washington direkt oder indirekt die Bedingungen beeinflussen kann, zu denen die Öl- und Gasressourcen des Mittleren Ostens auf den Markt kommen. Hier treffen sich also die Interessen konservativer, realpolitischer Geopolitiker mit jenen missionarisch, ideologisch orientierter Neokonservativer, die in einer Art "konservativen Wilsonianismus" die Demokratisierung und Modernisierung des Nahen und Mittleren Ostens propagieren.

[15] Im Kern benötigt George W. Bush neben der sicheren Zustimmung der Neokonservativen zumindest die Zustimmung der religiösen Rechten, also eines großen Lagers, um einen weiteren Krieg führen zu können. Dieses Lager würde einem Krieg gegen den Iran sicher eher zustimmen als einem Krieg gegen Nordkorea. Vereinfacht in einem eschatologischen Gedanken: Jesus Christus kehrt in Jerusalem auf die Erde zurück, nicht in Nordkorea.

[16] Unbeachtet bleibt oft in der Diskussion über die Haltung Washingtons, dass es noch eine weitere Verhaltensmöglichkeit gibt: Sollte Washington – wie auch von einigen konservativen Hardlinern gefordert – das bisherige, grundsätzliche "Nein" zu direkten Kontakten mit dem Iran aufgeben und entweder bilateralen Gesprächen zustimmen oder sich in einem multilateralen Kontext, z.B. zusammen mit den E3, Russland und China engagieren, so ergäben sich neue Perspektiven. Ein solches Engagement könnte genutzt werden, um einen tragfähigen diplomatischen Kompromiss zu entwickeln. Es könnte aber auch genutzt werden, um nach einer erneuten Phase "scheiternder diplomatischer Bemühungen" mit einer größeren diplomatischen Koalition von willigen Staaten eine weitere Verschärfung der Auseinandersetzung mit dem Iran zu suchen.

[17] Sie hat zudem das "Glück", dass Außenminister Steinmeier sich zu Beginn seiner Amtszeit um mehrere Entführungen kümmern musste.

[18] Während der Münchener Sicherheitskonferenz 2006 signalisierte Angela Merkel zudem Russland, dass dessen Verhalten in der Iran-Frage ein Prüfstein für die strategische Partnerschaft Deutschlands mit Russland werde könne.

[19] Spiegel-online meldete am 21.2. unter Berufung auf eine AFP-Meldung "Iran will nicht mehr mit der EU verhandeln". Ausweislich der englischen AFP-Meldung vom 21.2. hatte der iranische Außenminister Motakki aber explizit weitere Verhandlungen mit der EU NICHT ausgeschlossen und zudem die Möglichkeit ins Auge gefasst, mit einzelnen EU-Staaten bilateral Gespräche zu führen. Als "Beweis", dass der Iran Atomwaffen entwickle, präsentierten auch etliche deutsche Medien Daten aus einem gestohlenen iranischen Laptop. Dieser enthielt Arbeiten an einem Wiedereintrittsflugkörper mit Blackbox für telemetrische Versuche für eine Shahab-3 Mittelstreckenrakete. Die Medien stellten diese als Arbeiten an einem Atomsprengkopf dar. Die "Welt" meldete, der Iran habe eine "Langstreckenrakete" getestet, die atomare Mehrfachsprengköpfe tragen könne, eine Technik, die nur die etablierten Atommächte bisher beherrschen. Nur schwerlich kann man sich des Eindrucks erwehren, dass viele deutsche Medien aus dem "Hufeisenplan" zur Begründung des Kosovokrieges und den Desinformationen zur Begründung des Irakkrieges nicht viel gelernt haben.

[20] Ahmadinejad weiss, dass jedes auch nur gedankliche Spiel mit einer iranischen Atomwaffe in der arabisch-islamischen Welt größte Sorgen, wenn nicht sogar einen Wettlauf zur Nuklearwaffe zur Folge hätte. Die von ihm bezogene Position liegt noch unterhalb dieser Schwelle und sichert ihm zudem zumindest teilweise auch Sympathie bei anderen Nichtpaktgebundenen, die Wert darauf legen, dass die zivile Nutzung der Atomenergie kein Privileg weniger werden soll. Da der Iran ein theokratischer Staat ist, hat die religiöse Absage an Nuklearwaffen, die – so ist seit der Revolution wiederholt in der religiösen Rechtssetzung festgehalten worden – unislamisch sind, eine substantielle Bedeutung für den politischen Raum. Es gibt keine religiöse Legitimation für sie und deswegen dürfen die säkularen Strukturen des Staates nicht gegen diese höherrangige religiöse Rechtssetzung verstoßen.

[21] Atomkraftgegner haben solange keine Chance, mit dem Iran ins Gespräch über einen Verzicht auf die Kernenergie zu kommen, bis Teheran davon überzeugt werden kann, dass die Atomtechnik heute keine Spitzentechnologie mehr darstellt. Das dürfte angesichts der Pläne vieler Industriestaaten, ebenfalls wieder verstärkt auf Nuklearenergie zu setzen, noch lange dauern. Auch die deutsche Diskussion über die Zukunft des Atomausstiegs ist dabei nicht hilfreich.

[22] Ein Vergleich zur Haltung der Bundesrepublik Deutschland während der Verhandlungen über den NVV ist durchaus sinnvoll. Noch heute – Stichwort Garching II wird mit HEU betrieben, obwohl die USA aus Nichtverbreitungsgründen mit guten Argumenten protestieren – zeigt sich Deutschland (Bayern) gelegentlich uneinsichtig, wenn es um Beschränkungen der eigenen zivilen Nutzung der Kernenergie geht.

[23] Das oft vorgebrachte Argument, die iranischen Raketenprogramme seien ein klares Indiz für die Absicht des Irans, letztlich Nuklearwaffen zu bauen und nur in diesem Kontext sinnvoll, ist nicht so eindeutig und einleuchtend wie es zunächst scheint. Stellt man es in den Kontext des hier vorgestellten Gedankenlinie, so ergäbe sich ebenfalls eine schlüssige Logik: Der Iran hält sich die Möglichkeit offen, in Zukunft doch noch für ein militärisches Nuklearprogramm zu entscheiden und will dabei eine Situation vermeiden, in der er erst dann mit der langwierigen Entwicklung verlässlicher Trägerraketen beginnt.

[24] Der Schanghai-Kooperations-Organisation (SCO) gehören Russland, China, Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien als Mitglieder an. Indien, Pakistan, die Mongolei und der Iran nehmen als Beobachter teil. Unter globalen machtpolitischen Gesichtspunkten könnte es sich als spannende Frage erweisen, ob und wer ggf. die Frage einer Einbeziehung der SCO in die Suche nach Kompromissmöglichkeiten mit dem Iran oder gar die Option einer Erweiterung der SCO um die Beoachterstaaten politisch ins Spiel bringt.

[25] Russland bezieht die Vorstufen der UF4- und UF6-Herstellung in dieses Angebot mit ein. Dies kann jenseits der Hoffnung auf zusätzliche Einnahmen auch technische Hintergründe haben: Das im Iran derzeit herstellbare UF6 ist mit Molybdän und Schwermetallen so stark verunreinigt, dass es ohne vorherige "Reinigung" den reibungslosen Betrieb von Zentrifugenkaskaden zumindest gefährdet.

[26] Sollten sie sich für ersteres entscheiden, wird es wahrscheinlich über kurz oder lang zu einem Waffengang kommen.

[27] Der Iran müsste zwar ein Interesse haben, dass sie nicht endgültig gescheitert sind, weil er die technologische Zusammenarbeit mit den weiter als Russland entwickelten Westeuropäern anstrebt und sich auch nicht in einen Bilateralismus mit bzw. eine zu starke Abhängigkeit von Russland verstricken will, stellt dieses Interesse aber derzeit hintan und versucht Teile davon dadurch zu realisieren, dass er auch eine europäische Beteiligung an dem angedachten Joint Venture ins Spiel bringt.

[28] Zur Zeit bleibt unklar, ob die neue Regierung sich dadurch auch ein Umdenken der USA in Sachen "Ständiger Sitz" Deutschlands im Sicherheitsrat erhofft – eine durchaus nicht undenkbare Variante. Schließlich rückt Deutschland "optisch" als Mitglied der E3-Gruppe an die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates heran und solange wie es noch eine Option auf weitere Gespräche der E3 oder der E3 plus weiterer Länder mit dem Iran gibt, darf es als schwer vorstellbar gelten, dass Deutschland von vorbereitenden Deliberationen und Aktivitäten in dieser Angelegenheit ausgeschlossen wird. Allerdings gibt es auch gegenteilige Indizien: John Bolton, der VN-Botschafter Washingtons, soll zunächst versucht haben, eine Mitwirkung Deutschlands zu unterbinden. Deutschland soll Russland als einziges E3-Land Unterstützung signalisiert haben, als Russland begann auszuloten, ob man dem Iran als Gegenleistung für einen längerfristigen Verzicht auf die industrielle Anreicherung eine begrenzte, proliferationsresistente Anreicherungsforschung erlauben könne. Dies könnte die Bereitschaft Washingtons, Deutschland beratend zu Gesprächen im Kreis der ständigen Mitglieder hinzuzuziehen, erneut zu einer Frage der prioritären politischen Ziele der USA machen.

[29] Wenn der Iran dies nicht abblocken sollte, könnte dies auch noch über die Sitzungen des Gouverneursrates und des VN-Sicherheitsrat hinaus für eine bestimmte Zeit gelten.

[30] Negative Auswirkungen einer Ungleichbeachtung dieser Faktoren zeigen sich bei vielen Versuchen westlichen Nation- oder Peacebuildings, so in Afghanistan, dem Kosovo oder Bosnien. Zumeist ist es der Faktor wirtschaftlicher Entwicklung, der untergewichtet und der Faktor Stabilität/Sicherheit der übergewichtet wird.