Überfordert in asymmetrischen Konflikten? US-Soldaten im zermürbenden Kampf gegen
Aufständische
Gastbeitrag von Jürgen Rose
Mahmoudija, Irak, 12. März 2006: Der GI Steven Green steht nach dem Golfspiel mit vier
Kameraden whiskeytrinkend am Grill und sinniert: "Jetzt würde ich gern ein paar
Iraker töten." Gesagt, getan. Mit seinen Kameraden begibt sich Green zum Haus einer
ihnen durch vorangegangene Patrouillen bekannten Familie. Auf deren hübsche 14-jährige
Tochter haben sie schon länger ein Auge geworfen. Die US-Soldaten dringen in das Haus der
Familie ein. Green treibt die Mutter, den Vater und die fünfjährige Schwester ins
Schlafzimmer und erschießt sie alle kaltblütig. Danach vergewaltigen er und zwei seiner
Kumpane die ältere Schwester, ermorden sie anschließend ebenfalls. Selbst die Leiche der
Ermordeten wird von den Mördern noch sexuell missbraucht. Dann übergießt Green sie mit
Kerosin und zündet den Leichnam an. Danach begeben sich die Sexualmörder zurück ins
Militärcamp zum gemütlichen Barbecue. Angst vor Bestrafung: Fehlanzeige. Die
Vorgesetzten beginnen erst Monate später zu ermitteln, nachdem zwei GIs aus Greens
Einheit der Selbstjustiz irakischer Nachbarn der ermordeten Familie zum Opfer gefallen
waren. Im Internet reimt ein US-Marine sogar einen Spottvers auf das Verbrechen. Der
lautet: "Ich blase das kleine Mädchen in die Ewigkeit. Wenn die Kugel fliegt, das
Blut zwischen ihren Augen spritzt, dann sage ich: Du hättest wissen sollen, Baby, dass
man mit einem Marineinfanteristen keine Späße macht." Anhaltspunkte dafür, dass
derartig bestialische Kriegsverbrechen und andere Massaker an unschuldigen Zivilisten im
Irak und in Afghanistan keineswegs zufällig geschehen, liefert ein offizieller
Untersuchungsbericht vom November letzten Jahres. Vorgelegt wurde der Report vom
Generalarzt des Sanitätskommandos der US-Armee auf Anforderung des Kommandierenden
Generals der Multinationalen Streitkräfte im Irak. Eine Gruppe von
medizinisch-psychologischen Fachleuten mit der Bezeichnung "Mental Health Advisory
Team" analysiert darin die vielfältigen Belastungsfaktoren, denen die US-Army und
das US-Marine Corps im Irak ausgesetzt sind. Deutlich fördert der Bericht zutage, dass
der seit Jahren mit äußerster Brutalität geführte Guerillakrieg die Soldaten bis an
ihre Grenzen fordert, oft genug auch überfordert.
So fand das Untersuchungsteam heraus, dass enorm viele der befragten Soldaten
tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt worden waren. Etwa zwei Drittel waren ins Feuer
von Kleinwaffen, also Gewehren oder Pistolen, geraten. Noch mehr, nämlich rund drei
Viertel, sogar unter Beschuss durch Artillerie, Raketen oder Mörser. Sechzig Prozent der
Soldaten mussten erleben, wie eine Sprengfalle in ihrer unmittelbaren Nähe explodierte.
Und fast die Hälfte geriet in Situationen, in denen sie sich direkt bedroht fühlten, die
gültigen Einsatzregeln ihnen aber den Gebrauch ihrer Waffen nicht erlaubten. So ergab die
Untersuchung, dass in der Tat weniger als fünfzehn Prozent der Soldaten direkt für den
Tod feindlicher Kämpfer verantwortlich waren. Zwischen vierzig und sechzig Prozent der
Befragten aber hatten tote oder schwerverwundete US-Soldaten sehen müssen, hatten
Kameraden ihrer eigenen Einheit verloren, oder kannten jemanden, der schwer verwundet oder
gefallen war.
Zu diesen gravierenden Kampfstress-Erfahrungen treten erschwerend die Belastungen
hinzu, die aus der Stationierung fern der Heimat, in einem fremden Land und unter
militärischer Disziplin resultieren. Das Top-Thema stellt die unter den Soldaten
herrschende Ungewissheit darüber dar, wie lange ihr Einsatz noch dauert, ob er, wie des
öfteren geschehen, zwangsweise verlängert wird und wann sie nach Hause zurückverlegt
werden. Dazu kommen noch die als belastend empfundene Trennung von Familie und Freunden
sowie der im Militärcamp herrschende Mangel an Privatsphäre. Für Ärger und Frustration
sorgen zudem immer wieder auch schikanöse Verhaltensregeln höherer Vorgesetzter und die
Langeweile zwar notwendiger, aber sich stets wiederholender Routinetätigkeiten.
Kein Wunder, dass der Untersuchungsbericht zu alarmierenden Ergebnissen hinsichtlich
der Einsatz- und Kampfmoral der US-Truppen gelangt. In knapp der Hälfte der Einheiten
herrsche eine "niedrige" oder gar "sehr niedrige" Moral, nur in gut
zehn Prozent sei diese "hoch" oder "sehr hoch". Dieser Befund wiederum
korrespondiert mit einer gegenüber dem üblichen Durchschnitt in den US-Streitkräften
erhöhten Selbstmordrate unter den Soldaten im Irak. Außerdem geben zwanzig Prozent der
GIs an, psychische Probleme zu haben, wobei diese Rate bei hoher Kampfbelastung sogar auf
dreißig Prozent ansteigt.
Geradezu erschreckende Resultate förderten die Militärpsychologen im Hinblick auf die
ethisch-moralischen Einstellungsmuster der US-Soldaten am Golf zutage. Weit weniger als
die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Zivilbevölkerung mit Würde
und Respekt zu behandeln sei. Dagegen meinten mehr als vierzig Prozent, dass Folter
erlaubt sein sollte, wenn das Leben von Kameraden auf dem Spiel stehe oder wenn es
schlicht darum gehe, Informationen zu gewinnen. Zudem erbrachte die Untersuchung, dass
lediglich weniger als die Hälfte der Soldaten einen Kameraden wegen Misshandlungen
Vorgesetzten melden würden. Immerhin zehn Prozent gaben zu, eigenhändig irakische
Zivilisten auf die ein oder andere Weise misshandelt zu haben. Diese Ergebnisse
bestätigen Aussagen von englischen Offizieren, die bereits vor geraumer Zeit moniert
hatten, das US-Militär würde die Iraker als "Untermenschen" behandeln.
Wohlgemerkt: die Briten gebrauchten tatsächlich den deutschen Originalbegriff.
Dass indes derartige Entgleisungen nicht allein der mörderischen Realität eines
grausam geführten Guerillakrieges geschuldet sind, sondern durchaus strukturelle Ursachen
aufweisen, belegt der Bericht von Joshua Key. Der Obergefreite diente von April bis
November 2003 in der 43. Combat Engineer Company im Irak. Während eines Heimaturlaubes
desertierte er und floh zuletzt nach Kanada. Kürzlich erschien die deutsche Ausgabe
seines Buches "Ich bin ein Deserteur". Darin gibt er zu Protokoll: "In den
Augen unserer Armee waren die Iraker keine Menschen, sondern Terroristen,
Selbstmordattentäter, Sandnigger und Lumpenköpfe. Wir mussten sie geringer achten als
Menschen, um überhaupt zu unseren Taten fähig zu sein. In der Militärausbildung brachte
man uns bei, die Iraker als minderwertig zu betrachten, und diese Haltung überquerte mit
uns die Meere, als wir in den Kampfeinsatz flogen." Joshua Key macht dafür vor allem
Defizite in der Ausbildung verantwortlich. Den Rekruten werde jede Regung von
Mitmenschlichkeit ausgetrieben. Sie würden zu bedingungslos funktionierenden
Kampfrobotern gedrillt. Weitere Ursachen liegen aber auch in den dramatischen
Rekrutierungsproblemen von Army und Marine Corps. Mittlerweile besitzen etwa 15 Prozent
der angeworbenen jungen US-Soldaten eine kriminelle Vergangenheit, kritisierte Marc
Garlasco von Human Rights Watch im NDR-Fernsehmagazin PANORAMA. Und US-General a. D.
William E. Odom merkte in derselben Sendung hierzu an:
O-Ton Odom:
"Der Druck, neue Soldaten zu rekrutieren, ist hoch und die Standards gehen runter.
Und so werden viele Leute in die Armee geholt, die man besser nicht geholt hätte."
Vorbestrafte als Soldaten, Hassausbildung, mörderischer Guerillakrieg, überforderte
US-Verbände, Blutbäder unter unschuldigen Zivilisten all diese Faktoren summieren
sich im Irak und aller Voraussicht nach in nicht allzu ferner Zukunft auch am
Hindukusch zu einem Fiasko. Dabei wollte man doch angeblich die Herzen und Köpfe
der Menschen gewinnen. Im Irak sind die USA damit auf ganzer Linie gescheitert.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt
in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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