Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
25.August 2007


Überfordert in asymmetrischen Konflikten? US-Soldaten im zermürbenden Kampf gegen Aufständische

Gastbeitrag von Jürgen Rose

Mahmoudija, Irak, 12. März 2006: Der GI Steven Green steht nach dem Golfspiel mit vier Kameraden whiskeytrinkend am Grill und sinniert: "Jetzt würde ich gern ein paar Iraker töten." Gesagt, getan. Mit seinen Kameraden begibt sich Green zum Haus einer ihnen durch vorangegangene Patrouillen bekannten Familie. Auf deren hübsche 14-jährige Tochter haben sie schon länger ein Auge geworfen. Die US-Soldaten dringen in das Haus der Familie ein. Green treibt die Mutter, den Vater und die fünfjährige Schwester ins Schlafzimmer und erschießt sie alle kaltblütig. Danach vergewaltigen er und zwei seiner Kumpane die ältere Schwester, ermorden sie anschließend ebenfalls. Selbst die Leiche der Ermordeten wird von den Mördern noch sexuell missbraucht. Dann übergießt Green sie mit Kerosin und zündet den Leichnam an. Danach begeben sich die Sexualmörder zurück ins Militärcamp zum gemütlichen Barbecue. Angst vor Bestrafung: Fehlanzeige. Die Vorgesetzten beginnen erst Monate später zu ermitteln, nachdem zwei GIs aus Green’s Einheit der Selbstjustiz irakischer Nachbarn der ermordeten Familie zum Opfer gefallen waren. Im Internet reimt ein US-Marine sogar einen Spottvers auf das Verbrechen. Der lautet: "Ich blase das kleine Mädchen in die Ewigkeit. Wenn die Kugel fliegt, das Blut zwischen ihren Augen spritzt, dann sage ich: Du hättest wissen sollen, Baby, dass man mit einem Marineinfanteristen keine Späße macht." Anhaltspunkte dafür, dass derartig bestialische Kriegsverbrechen und andere Massaker an unschuldigen Zivilisten im Irak und in Afghanistan keineswegs zufällig geschehen, liefert ein offizieller Untersuchungsbericht vom November letzten Jahres. Vorgelegt wurde der Report vom Generalarzt des Sanitätskommandos der US-Armee auf Anforderung des Kommandierenden Generals der Multinationalen Streitkräfte im Irak. Eine Gruppe von medizinisch-psychologischen Fachleuten mit der Bezeichnung "Mental Health Advisory Team" analysiert darin die vielfältigen Belastungsfaktoren, denen die US-Army und das US-Marine Corps im Irak ausgesetzt sind. Deutlich fördert der Bericht zutage, dass der seit Jahren mit äußerster Brutalität geführte Guerillakrieg die Soldaten bis an ihre Grenzen fordert, oft genug auch überfordert.

So fand das Untersuchungsteam heraus, dass enorm viele der befragten Soldaten tatsächlich in Kampfhandlungen verwickelt worden waren. Etwa zwei Drittel waren ins Feuer von Kleinwaffen, also Gewehren oder Pistolen, geraten. Noch mehr, nämlich rund drei Viertel, sogar unter Beschuss durch Artillerie, Raketen oder Mörser. Sechzig Prozent der Soldaten mussten erleben, wie eine Sprengfalle in ihrer unmittelbaren Nähe explodierte. Und fast die Hälfte geriet in Situationen, in denen sie sich direkt bedroht fühlten, die gültigen Einsatzregeln ihnen aber den Gebrauch ihrer Waffen nicht erlaubten. So ergab die Untersuchung, dass in der Tat weniger als fünfzehn Prozent der Soldaten direkt für den Tod feindlicher Kämpfer verantwortlich waren. Zwischen vierzig und sechzig Prozent der Befragten aber hatten tote oder schwerverwundete US-Soldaten sehen müssen, hatten Kameraden ihrer eigenen Einheit verloren, oder kannten jemanden, der schwer verwundet oder gefallen war.

Zu diesen gravierenden Kampfstress-Erfahrungen treten erschwerend die Belastungen hinzu, die aus der Stationierung fern der Heimat, in einem fremden Land und unter militärischer Disziplin resultieren. Das Top-Thema stellt die unter den Soldaten herrschende Ungewissheit darüber dar, wie lange ihr Einsatz noch dauert, ob er, wie des öfteren geschehen, zwangsweise verlängert wird und wann sie nach Hause zurückverlegt werden. Dazu kommen noch die als belastend empfundene Trennung von Familie und Freunden sowie der im Militärcamp herrschende Mangel an Privatsphäre. Für Ärger und Frustration sorgen zudem immer wieder auch schikanöse Verhaltensregeln höherer Vorgesetzter und die Langeweile zwar notwendiger, aber sich stets wiederholender Routinetätigkeiten.

Kein Wunder, dass der Untersuchungsbericht zu alarmierenden Ergebnissen hinsichtlich der Einsatz- und Kampfmoral der US-Truppen gelangt. In knapp der Hälfte der Einheiten herrsche eine "niedrige" oder gar "sehr niedrige" Moral, nur in gut zehn Prozent sei diese "hoch" oder "sehr hoch". Dieser Befund wiederum korrespondiert mit einer gegenüber dem üblichen Durchschnitt in den US-Streitkräften erhöhten Selbstmordrate unter den Soldaten im Irak. Außerdem geben zwanzig Prozent der GIs an, psychische Probleme zu haben, wobei diese Rate bei hoher Kampfbelastung sogar auf dreißig Prozent ansteigt.

Geradezu erschreckende Resultate förderten die Militärpsychologen im Hinblick auf die ethisch-moralischen Einstellungsmuster der US-Soldaten am Golf zutage. Weit weniger als die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, dass die Zivilbevölkerung mit Würde und Respekt zu behandeln sei. Dagegen meinten mehr als vierzig Prozent, dass Folter erlaubt sein sollte, wenn das Leben von Kameraden auf dem Spiel stehe oder wenn es schlicht darum gehe, Informationen zu gewinnen. Zudem erbrachte die Untersuchung, dass lediglich weniger als die Hälfte der Soldaten einen Kameraden wegen Misshandlungen Vorgesetzten melden würden. Immerhin zehn Prozent gaben zu, eigenhändig irakische Zivilisten auf die ein oder andere Weise misshandelt zu haben. Diese Ergebnisse bestätigen Aussagen von englischen Offizieren, die bereits vor geraumer Zeit moniert hatten, das US-Militär würde die Iraker als "Untermenschen" behandeln. Wohlgemerkt: die Briten gebrauchten tatsächlich den deutschen Originalbegriff.

Dass indes derartige Entgleisungen nicht allein der mörderischen Realität eines grausam geführten Guerillakrieges geschuldet sind, sondern durchaus strukturelle Ursachen aufweisen, belegt der Bericht von Joshua Key. Der Obergefreite diente von April bis November 2003 in der 43. Combat Engineer Company im Irak. Während eines Heimaturlaubes desertierte er und floh zuletzt nach Kanada. Kürzlich erschien die deutsche Ausgabe seines Buches "Ich bin ein Deserteur". Darin gibt er zu Protokoll: "In den Augen unserer Armee waren die Iraker keine Menschen, sondern Terroristen, Selbstmordattentäter, Sandnigger und Lumpenköpfe. Wir mussten sie geringer achten als Menschen, um überhaupt zu unseren Taten fähig zu sein. In der Militärausbildung brachte man uns bei, die Iraker als minderwertig zu betrachten, und diese Haltung überquerte mit uns die Meere, als wir in den Kampfeinsatz flogen." Joshua Key macht dafür vor allem Defizite in der Ausbildung verantwortlich. Den Rekruten werde jede Regung von Mitmenschlichkeit ausgetrieben. Sie würden zu bedingungslos funktionierenden Kampfrobotern gedrillt. Weitere Ursachen liegen aber auch in den dramatischen Rekrutierungsproblemen von Army und Marine Corps. Mittlerweile besitzen etwa 15 Prozent der angeworbenen jungen US-Soldaten eine kriminelle Vergangenheit, kritisierte Marc Garlasco von Human Rights Watch im NDR-Fernsehmagazin PANORAMA. Und US-General a. D. William E. Odom merkte in derselben Sendung hierzu an:

O-Ton Odom:
"Der Druck, neue Soldaten zu rekrutieren, ist hoch und die Standards gehen runter. Und so werden viele Leute in die Armee geholt, die man besser nicht geholt hätte."

Vorbestrafte als Soldaten, Hassausbildung, mörderischer Guerillakrieg, überforderte US-Verbände, Blutbäder unter unschuldigen Zivilisten – all diese Faktoren summieren sich im Irak – und aller Voraussicht nach in nicht allzu ferner Zukunft auch am Hindukusch – zu einem Fiasko. Dabei wollte man doch angeblich die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen. Im Irak sind die USA damit auf ganzer Linie gescheitert.


 

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.