Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
29. November 2008


Heillos verheddert im Gesetzes-Dschungel
warum sich die Bundeswehr mit dem Anti-Piraten-Einsatz so schwer tut

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski

Überfälle vor der somalischen Küste gehören inzwischen schon fast zum Alltag. Mehr als ein Dutzend Schiffe sind in der Hand von Piraten. Ein ähnliches Schicksal drohte kürzlich auch zwei anderen Schiffen, wenn nicht die Fregatte KARLSRUHE in ihrer Nähe gewesen wäre und die Überfälle vereitelt hätte. Kommandant Hans-Joachim Kuhfahl war jedenfalls sichtlich zufrieden und berichtete nicht ganz ohne Stolz:

O-Ton Kuhfahl
„In beiden Fällen setzte ich sofort meine Helikopter ein, die sofort nach Abheben die Handelsschiffe anflogen, beim Eintreffen der Helikopter bei den Handelsschiffen war festzu-stellen, dass die Piraten abgeschreckt wurden und von den Handelsschiffen abließen.“

Ein Erfolgserlebnis, das aber eher eine Ausnahme darstellt. Denn gelingt es den Piraten erst einmal, ein Schiff zu entern, dann sind den deutschen Marine-Soldaten die Hände gebunden. Ist der Angriff erfolgreich abgeschlossen, darf sich die Marine nicht mehr auf die Nothilfe berufen und eingreifen – so jedenfalls die Auffassung des Verteidigungsministeriums. Die deutschen Einheiten müssen das gekaperte Schiff also ziehen lassen. Für die Soldaten eine unbefriedigende Situation. Schließlich befindet sich die entführte Besatzung weiterhin in Lebensgefahr.

Nicht nur für den Vorsitzenden des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard Gertz, ein unhaltbarer Zustand:

O-Ton Gertz
„Ja, ich kann dem FDP-Abgeordneten Rainer Stinner nur beipflichten, dass ist in der Tat ein Stück Absurdistan, was sich da abspielt. Wenn man sich vorstellt, dass deutsche Soldaten, wie sie das ja auch vor der Kamera ganz freimütig getan haben, erklären müssen, dass sie die Piraten zwar beobachten dürfen, aber wenn die nach einem abgebrochenen Angriff, zum Bei-spiel auf Grund eines deutschen Hubschraubereinsatzes sich aus dem Staub machen, dürfen sie [die Piraten] weder verfolgen, noch daran hindern, von ihrem Mutterschiff morgen den nächsten Überfall oder die nächste Kaperung zu begehen. Ich halte das für absolut irreal was dort stattfindet. Und das ist natürlich auch nicht geeignet Soldaten, die einen solchen Auftrag haben, auch nur entfernt zu motivieren, dort wirksam vorzugehen.“

Wenn die Soldaten aber Menschenleben retten wollen und trotzdem eingreifen, dann können sie schnell ein Problem bekommen. Schließlich ist die Bekämpfung von Piraten aus Sicht der Bundesregierung eine Polizeiaufgabe. Bei der Marine legt man daher großen Wert auf Rechtssicherheit. Reinhard Wollowski, Referatsleiter im Führungsstab der Marine:

O-Ton Wollowski
„Denn wenn dieser Kommandant mit seiner Fregatte wieder in Wilhelmshaven einläuft, und der Staatsanwalt in Oldenburg ihm Fragen stellt, weil zum Beispiel ein Pirat zu Schaden ge-kommen ist, und vielleicht nur der Piraterie verdächtigt war, oder ein eigenes Besatzungsmit-glied zu Schaden gekommen ist, dann muss nach dem Verursacherprinzip dieser Kommandant dafür seinen Kopf herhalten und das nach nationalem Recht.“

Seitdem die Überfälle am Horn von Afrika drastisch angestiegen sind hat sich im Ver-teidigungsministerium die Erkenntnis durchgesetzt, dass man nicht länger untätig bleiben kann. Bis vor kurzem hielt man jedoch noch eine Grundgesetzänderung für unabdingbar. Doch hierzu war die SPD nicht bereit, trotz des öffentlich ausgeübten Drucks der Unions-parteien. Und plötzlich hielt das Verteidigungsministerium einen Einsatz gegen Piraten dann doch auch ohne Verfassungsänderung für möglich - im Rahmen eines EU-Einsatzes im Zu-sammenhang mit Artikel 24 des Grundgesetzes. Inzwischen bemüht man sich fieberhaft um Klärung der damit verbundenen weiteren Rechtsfragen. Denn Deutschland hat zugesagt, sich mit ein bis zwei Fregatten an der EU-Mission Atalanta zu beteiligen.

Das Hauptproblem ist, dass Soldaten laut Verfassung nicht automatisch Polizeiaufgaben übernehmen dürfen. Aus Artikel 87a des Grundgesetzes leitet sich eine Aufgaben-Trennung von Polizei und Streitkräften ab. Und der Kampf gegen Piraten ist nach Ansicht der Bundes-regierung eine Polizeiaufgabe. Verhaftungen oder andere polizeiliche Maßnahmen dürfen demnach nicht von Soldaten übernommen werden. Was aber tun, wenn am Horn von Afrika Piraten festgesetzt werden sollen?

Nach langem hin und her haben sich die vier betroffenen Ministerien – das Auswärtige Amt, Verteidigungs-, Innen – und Justizministerium - inzwischen weitgehend geeinigt. Danach wird auch die Bundespolizei an der Anti-Piraterie-Mission beteiligt – jedenfalls immer dann, wenn – wie es offiziell heißt - „deutsche Rechtsgüter“ betroffen sind – gemeint sind damit deutsche Schiffe oder Staatsbürger. Das jetzt beschlossene Vorgehen beschrieb der stellver-tretende Vorsitzende des Verteidigungssauschusses Karl A. Lamers bereits Anfang der Woche. Eine pragmatische Regelung ist für den CDU-Politiker,

O-Ton Lamers
„dass wenn Piraten aufgegriffen werden, sie zunächst auf dem Schiff von der Bundeswehr festgesetzt und arrestiert werden. Dann wird es einen Kontakt zum Einsatzführungs-kommando und zur Staatsanwaltschaft in Hamburg geben, die zuständig ist. Man wird fest-stellen: sind deutsche Interessen berührt? Dann wird es die Entscheidung geben, soll ein Haft-befehl ausgestellt werden? Und dann könnte ich mir vorstellen, eine sehr pragmatische Regelung, dass man in Dschibuti einem Beamten der Bundespolizei einen solchen Piraten übergibt, um ihn dann dem Haftrichter in Deutschland vorzuführen.“

Eine Regelung, die dem Trennungsgebot von Polizei und Streitkräften gerecht werden soll.

So mancher Experte ist über die gegenwärtige Diskussion und die rechtlichen Verrenkungen allerdings verwundert. Wolff Heintschel von Heinegg ist Professor für Öffentliches Recht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Für ihn ist klar: Das Trennungsgebot gilt nur für das Inland und nicht für das Ausland:

O-Ton Heintschel von Heinegg
„Das Grundgesetz gibt bei Inlandseinsätzen klare Schranken. Soweit die Bundeswehr zum Einsatz kommt, darf sie nur ganz bestimmte Aufgaben wahrnehmen. Grundsätzlich gilt dort das Trennungsgebot: Tabu für polizeiliche Aufgaben für die Streitkräfte. Das ist völlig klar. Wenn man das ändern will, müsste man die Verfassung ändern. Die Verfassung als solche sagt aber nichts, auch nicht der 87a Grundgesetz über das, was die Bundeswehr bei Auslands-einsätzen tun kann und darf. Das regelt sich nicht allein nach der Verfassung, sondern auch nach Völkerrecht. Und das Völkerrecht sagt zum Beispiel: Dass die Staaten berechtigt sind, und zwar alle Staaten berechtigt sind, Piraten auf hoher See zu bekämpfen. Hinzukommt bei dem Somalia-Einsatz, dass ja hier sogar noch drei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates existieren.“

Bei anderen Einsätzen nimmt es die Bundeswehr mit der Trennung jedenfalls nicht so genau. Beispielsweise auf dem Balkan. Dort waren die deutschen Streitkräfte unmittelbar nach Ende des Kosovo-Krieges sogar mehrere Monate lang für ein Gefängnis verantwortlich. Die Soldaten haben auf dem Balkan Funktionen übernommen, für die in Deutschland die Polizei zuständig ist. Die KFOR-Truppe wurde zudem u.a. mit Schutzschilden und Tränengas aus-gestattet, um auf Demonstrationen und Ausschreitungen angemessen reagieren zu können. In Afghanistan bildet die Bundeswehr außerdem Polizisten aus – nachdem sich gezeigt hatte, dass das Bundesinnenministerium nicht in der Lage war, dieser übernommenen Verpflichtung allein nachzukommen.

Auf dem Balkan und am Hindukusch werden also Polizeiaufgaben von der Bundeswehr über-nommen, ohne dass nach Festnahmen Kontakt mit der Bundespolizei oder Ermittlungs-behörden in Deutschland aufgenommen wird. Für den Marine-Einsatz zur Bekämpfung von Piraten wird dies jedoch auf einmal für dringend erforderlich gehalten. Ein Widerspruch.

Für den Rechts-Professor Heintschel von Heinegg wäre die Marine auf jeden Fall befugt gegen Piraten vorzugehen – selbst wenn dies eine Polizeiaufgabe wäre:

O-Ton Heintschel von Heinegg
„Klar ist, dass nicht nur nach Maßgabe des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen, sondern schon nach Gewohntheitsrecht – und das seit mehreren Jahrhunderten – Piraten Feinde der Menschheit sind. Und alle Kriegsschiffe, und das wird ausdrücklich im Seerechtsübereinkommen auch noch einmal hervorgehoben – nicht allein Kriegsschiffe, aber vorrangig Kriegsschiffe – berechtigt sind, Piraten zu bekämpfen.“

Das Verteidigungsministerium sieht das jedoch anders. Kein Wunder, dass die Soldaten ver-unsichert sind. Der Chef des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard Gertz – ein gelernter Jurist - ist daher auf bestimmte Leute im Behörden-Apparat nicht gut zu sprechen. In der ver-gangenen Woche redete er Klartext:

O-Ton Gertz
„Es gibt nämlich offensichtlich Damen und Herren mit juristischer Ausbildung, die haben an der Transformation der Bundesrepublik Deutschland als Staat vor 1990 zu einem wiederver-einigten Deutschland nach 1990 nicht teilgenommen. Und es gibt Juristen im Bundes-ministerium der Verteidigung, die haben an der Transformation der Bundeswehr von der Landesverteidigungsarmee zur Einsatzarmee oder Konfliktregulierungsarmee auch nicht teil genommen. Das ist denen weder in die Köpfe hineingegangen, und manchmal habe ich das Gefühl, es geht ihnen auch am Allerwertesten vorbei. Die leben in den Kategorien von Vor-gestern… Das zeigt, wie weit unsere verehrten Juristen von der Realität des Einsatzes entfernt sind, und das spiegelt sich auch in diesen großen Dingen wider. Die stehen ratlos vor der Frage, wie sollen wir das denn lösen? …Ich glaube, man lässt Soldaten in einer de-primierenden Situation im Stich, wenn man sie zwingt, Seeräuber, die gerade einen Angriff gefahren haben, dabei vielleicht Menschen getötet haben, und dann fliehen, unbehelligt ziehen zu lassen. Das kann doch nicht wahr sein! Nicht im Jahre 2008.“

Denn viele Fragen, die jetzt diskutiert werden sind nicht neu. Beispielsweise der Umgang mit Gefangenen bei Auslandseinsätzen. Dieses Problem gibt es spätestens seit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Und es ist bis heute nicht gelöst. Die im Rahmen der Operation Enduring Freedom 2001 an den Hindukusch geschickten Soldaten des Kommandos Spezial-kräfte bemühten sich mehrmals um eine klare Handlungsanweisung, wie in solchen Fällen zu verfahren sei. Diese blieb jedoch aus, wie der langjährige KSK-Kommandeur Reinhard Günzel vor einiger Zeit vor dem Untersuchungsausschuss zum Fall Kurnaz beklagte.

Der Ratschlag der Rechtsberater war letztlich: Am besten keine Gefangenen machen. Der Hintergrund: Man befürchtete rechtliche Komplikationen. Selbst eine Übergabe an den Bünd-nispartner USA wurde vom Verteidigungsministerium für zweifelhaft gehalten, weil die Fest-genommenen in Guantanamo landen könnten, und ggf. mit der Todesstrafe rechnen müssten.

Im vergangenen Jahr hat das Verteidigungsministerium eine Weisung herausgegeben, wie in Gewahrsam genommene Personen zu behandeln sind. Dieser sogenannte Wichert-Befehl bleibt aber sehr allgemein, hält jedoch fest, dass eine Übergabe an Dritt-Staaten untersagt ist, wenn dort menschenrechtliche Mindest-Standards nicht beachtet werden.

Vor allem vor diesem Hintergrund versucht die Bundeswehr in Afghanistan weiterhin, mög-lichst keine Gefangenen zu machen. Den Verdächtigen könnte nach Übergabe an die örtlichen Sicherheitsbehörden Misshandlung oder Folter drohen.
Mehr als sechs Jahre beteiligt sich die Bundeswehr inzwischen an der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom OEF. Der Auftrag lautet – gemäß dem in diesem Monat erneut ver-längerten Mandats - Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen. Unklar ist allerdings, wie sich die deutschen Marine-Einheiten am Horn von Afrika tatsächlich verhalten, sollten sie nicht auf Piraten sondern auf Al Qaida-Terroristen treffen, die sich als solche auch zu erkennen geben würden. Was also tun? Ebenfalls die Verbindung zur Polizei suchen? - schließlich handelt es sich bei Terroristen um Straftäter und nicht um Kombattanten.

Die zuständigen Kommandos und Bundeswehrstellen sind ratlos oder hüllen sich in Schweigen. Offenbar, weil sich die Spitze des Verteidigungsministeriums vorbehält zu ent-scheiden, wie in einem solchen Fall konkret zu verfahren ist. Was sagen die Einsatzregeln? Die Rule of Engagement 183, die sich mit Festnahmen am Horn von Afrika befasst, steht unter Leitungsvorbehalt – das wurde während der Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Fall Kurnaz bekannt. Und diese Reglung gilt offenbar bis heute. Gleichzeitig ist aus Bundes-wehrkreisen zu hören, es seien bereits festgesetzte Verdächtige in Dschibuti an Land gebracht worden. Dabei gibt es zwischen Deutschland und Dschibuti keine entsprechende Verein-barung.

Vor allem das Auswärtige Amt möchte möglichst verhindern, dass Verdächtige, die im Rahmen des EU-Einsatzes gegen die Piraterie festgenommen werden, in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Man befürchtet anschließend Asylanträge. Deswegen wird gegen-wärtig sondiert, ob diese Personen den Anrainer-Staaten übergeben werden könnten.

Wie auch immer diese und andere Fragen geregelt werden. Die Anti-Piraten-Mission der EU soll am 8. Dezember starten. Sicher ist aber schon jetzt, dass sie ohne die deutsche Marine beginnen wird. Denn das Kabinett wird sich erst im kommenden Monat mit der Mission be-fassen. Das heißt: Der Bundestag wird erst kurz vor Weihnachten dem Einsatz zustimmen können.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.