Heillos verheddert im Gesetzes-Dschungel
warum sich die Bundeswehr mit dem Anti-Piraten-Einsatz so schwer tut
Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski
Überfälle vor der somalischen Küste gehören inzwischen
schon fast zum Alltag. Mehr als ein Dutzend Schiffe sind in der Hand von
Piraten. Ein ähnliches Schicksal drohte kürzlich auch zwei anderen
Schiffen, wenn nicht die Fregatte KARLSRUHE in ihrer Nähe gewesen
wäre und die Überfälle vereitelt hätte. Kommandant
Hans-Joachim Kuhfahl war jedenfalls sichtlich zufrieden und berichtete
nicht ganz ohne Stolz:
O-Ton Kuhfahl
„In beiden Fällen setzte ich sofort meine Helikopter ein, die sofort
nach Abheben die Handelsschiffe anflogen, beim Eintreffen der Helikopter
bei den Handelsschiffen war festzu-stellen, dass die Piraten abgeschreckt
wurden und von den Handelsschiffen abließen.“
Ein Erfolgserlebnis, das aber eher eine Ausnahme darstellt. Denn gelingt
es den Piraten erst einmal, ein Schiff zu entern, dann sind den deutschen
Marine-Soldaten die Hände gebunden. Ist der Angriff erfolgreich abgeschlossen,
darf sich die Marine nicht mehr auf die Nothilfe berufen und eingreifen
– so jedenfalls die Auffassung des Verteidigungsministeriums. Die deutschen
Einheiten müssen das gekaperte Schiff also ziehen lassen. Für
die Soldaten eine unbefriedigende Situation. Schließlich befindet
sich die entführte Besatzung weiterhin in Lebensgefahr.
Nicht nur für den Vorsitzenden des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard
Gertz, ein unhaltbarer Zustand:
O-Ton Gertz
„Ja, ich kann dem FDP-Abgeordneten Rainer Stinner nur beipflichten,
dass ist in der Tat ein Stück Absurdistan, was sich da abspielt.
Wenn man sich vorstellt, dass deutsche Soldaten, wie sie das ja auch
vor der Kamera ganz freimütig getan haben, erklären müssen,
dass sie die Piraten zwar beobachten dürfen, aber wenn die nach
einem abgebrochenen Angriff, zum Bei-spiel auf Grund eines deutschen
Hubschraubereinsatzes sich aus dem Staub machen, dürfen sie [die
Piraten] weder verfolgen, noch daran hindern, von ihrem Mutterschiff
morgen den nächsten Überfall oder die nächste Kaperung
zu begehen. Ich halte das für absolut irreal was dort stattfindet.
Und das ist natürlich auch nicht geeignet Soldaten, die einen solchen
Auftrag haben, auch nur entfernt zu motivieren, dort wirksam vorzugehen.“
Wenn die Soldaten aber Menschenleben retten wollen und trotzdem eingreifen,
dann können sie schnell ein Problem bekommen. Schließlich ist
die Bekämpfung von Piraten aus Sicht der Bundesregierung eine Polizeiaufgabe.
Bei der Marine legt man daher großen Wert auf Rechtssicherheit.
Reinhard Wollowski, Referatsleiter im Führungsstab der Marine:
O-Ton Wollowski
„Denn wenn dieser Kommandant mit seiner Fregatte wieder in Wilhelmshaven
einläuft, und der Staatsanwalt in Oldenburg ihm Fragen stellt,
weil zum Beispiel ein Pirat zu Schaden ge-kommen ist, und vielleicht
nur der Piraterie verdächtigt war, oder ein eigenes Besatzungsmit-glied
zu Schaden gekommen ist, dann muss nach dem Verursacherprinzip dieser
Kommandant dafür seinen Kopf herhalten und das nach nationalem
Recht.“
Seitdem die Überfälle am Horn von Afrika drastisch angestiegen
sind hat sich im Ver-teidigungsministerium die Erkenntnis durchgesetzt,
dass man nicht länger untätig bleiben kann. Bis vor kurzem hielt
man jedoch noch eine Grundgesetzänderung für unabdingbar. Doch
hierzu war die SPD nicht bereit, trotz des öffentlich ausgeübten
Drucks der Unions-parteien. Und plötzlich hielt das Verteidigungsministerium
einen Einsatz gegen Piraten dann doch auch ohne Verfassungsänderung
für möglich - im Rahmen eines EU-Einsatzes im Zu-sammenhang
mit Artikel 24 des Grundgesetzes. Inzwischen bemüht man sich fieberhaft
um Klärung der damit verbundenen weiteren Rechtsfragen. Denn Deutschland
hat zugesagt, sich mit ein bis zwei Fregatten an der EU-Mission Atalanta
zu beteiligen.
Das Hauptproblem ist, dass Soldaten laut Verfassung nicht automatisch
Polizeiaufgaben übernehmen dürfen. Aus Artikel 87a des Grundgesetzes
leitet sich eine Aufgaben-Trennung von Polizei und Streitkräften
ab. Und der Kampf gegen Piraten ist nach Ansicht der Bundes-regierung
eine Polizeiaufgabe. Verhaftungen oder andere polizeiliche Maßnahmen
dürfen demnach nicht von Soldaten übernommen werden. Was aber
tun, wenn am Horn von Afrika Piraten festgesetzt werden sollen?
Nach langem hin und her haben sich die vier betroffenen Ministerien –
das Auswärtige Amt, Verteidigungs-, Innen – und Justizministerium
- inzwischen weitgehend geeinigt. Danach wird auch die Bundespolizei an
der Anti-Piraterie-Mission beteiligt – jedenfalls immer dann, wenn – wie
es offiziell heißt - „deutsche Rechtsgüter“ betroffen sind
– gemeint sind damit deutsche Schiffe oder Staatsbürger. Das jetzt
beschlossene Vorgehen beschrieb der stellver-tretende Vorsitzende des
Verteidigungssauschusses Karl A. Lamers bereits Anfang der Woche. Eine
pragmatische Regelung ist für den CDU-Politiker,
O-Ton Lamers
„dass wenn Piraten aufgegriffen werden, sie zunächst auf dem Schiff
von der Bundeswehr festgesetzt und arrestiert werden. Dann wird es einen
Kontakt zum Einsatzführungs-kommando und zur Staatsanwaltschaft
in Hamburg geben, die zuständig ist. Man wird fest-stellen: sind
deutsche Interessen berührt? Dann wird es die Entscheidung geben,
soll ein Haft-befehl ausgestellt werden? Und dann könnte ich mir
vorstellen, eine sehr pragmatische Regelung, dass man in Dschibuti einem
Beamten der Bundespolizei einen solchen Piraten übergibt, um ihn
dann dem Haftrichter in Deutschland vorzuführen.“
Eine Regelung, die dem Trennungsgebot von Polizei und Streitkräften
gerecht werden soll.
So mancher Experte ist über die gegenwärtige Diskussion und
die rechtlichen Verrenkungen allerdings verwundert. Wolff Heintschel von
Heinegg ist Professor für Öffentliches Recht an der Europa-Universität
Viadrina in Frankfurt/Oder. Für ihn ist klar: Das Trennungsgebot
gilt nur für das Inland und nicht für das Ausland:
O-Ton Heintschel von Heinegg
„Das Grundgesetz gibt bei Inlandseinsätzen klare Schranken. Soweit
die Bundeswehr zum Einsatz kommt, darf sie nur ganz bestimmte Aufgaben
wahrnehmen. Grundsätzlich gilt dort das Trennungsgebot: Tabu für
polizeiliche Aufgaben für die Streitkräfte. Das ist völlig
klar. Wenn man das ändern will, müsste man die Verfassung
ändern. Die Verfassung als solche sagt aber nichts, auch nicht
der 87a Grundgesetz über das, was die Bundeswehr bei Auslands-einsätzen
tun kann und darf. Das regelt sich nicht allein nach der Verfassung,
sondern auch nach Völkerrecht. Und das Völkerrecht sagt zum
Beispiel: Dass die Staaten berechtigt sind, und zwar alle Staaten berechtigt
sind, Piraten auf hoher See zu bekämpfen. Hinzukommt bei dem Somalia-Einsatz,
dass ja hier sogar noch drei Resolutionen des UN-Sicherheitsrates existieren.“
Bei anderen Einsätzen nimmt es die Bundeswehr mit der Trennung jedenfalls
nicht so genau. Beispielsweise auf dem Balkan. Dort waren die deutschen
Streitkräfte unmittelbar nach Ende des Kosovo-Krieges sogar mehrere
Monate lang für ein Gefängnis verantwortlich. Die Soldaten haben
auf dem Balkan Funktionen übernommen, für die in Deutschland
die Polizei zuständig ist. Die KFOR-Truppe wurde zudem u.a. mit Schutzschilden
und Tränengas aus-gestattet, um auf Demonstrationen und Ausschreitungen
angemessen reagieren zu können. In Afghanistan bildet die Bundeswehr
außerdem Polizisten aus – nachdem sich gezeigt hatte, dass das Bundesinnenministerium
nicht in der Lage war, dieser übernommenen Verpflichtung allein nachzukommen.
Auf dem Balkan und am Hindukusch werden also Polizeiaufgaben von der
Bundeswehr über-nommen, ohne dass nach Festnahmen Kontakt mit der
Bundespolizei oder Ermittlungs-behörden in Deutschland aufgenommen
wird. Für den Marine-Einsatz zur Bekämpfung von Piraten wird
dies jedoch auf einmal für dringend erforderlich gehalten. Ein Widerspruch.
Für den Rechts-Professor Heintschel von Heinegg wäre die Marine
auf jeden Fall befugt gegen Piraten vorzugehen – selbst wenn dies eine
Polizeiaufgabe wäre:
O-Ton Heintschel von Heinegg
„Klar ist, dass nicht nur nach Maßgabe des Seerechtsübereinkommens
der Vereinten Nationen, sondern schon nach Gewohntheitsrecht – und das
seit mehreren Jahrhunderten – Piraten Feinde der Menschheit sind. Und
alle Kriegsschiffe, und das wird ausdrücklich im Seerechtsübereinkommen
auch noch einmal hervorgehoben – nicht allein Kriegsschiffe, aber vorrangig
Kriegsschiffe – berechtigt sind, Piraten zu bekämpfen.“
Das Verteidigungsministerium sieht das jedoch anders. Kein Wunder, dass
die Soldaten ver-unsichert sind. Der Chef des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard
Gertz – ein gelernter Jurist - ist daher auf bestimmte Leute im Behörden-Apparat
nicht gut zu sprechen. In der ver-gangenen Woche redete er Klartext:
O-Ton Gertz
„Es gibt nämlich offensichtlich Damen und Herren mit juristischer
Ausbildung, die haben an der Transformation der Bundesrepublik Deutschland
als Staat vor 1990 zu einem wiederver-einigten Deutschland nach 1990
nicht teilgenommen. Und es gibt Juristen im Bundes-ministerium der Verteidigung,
die haben an der Transformation der Bundeswehr von der Landesverteidigungsarmee
zur Einsatzarmee oder Konfliktregulierungsarmee auch nicht teil genommen.
Das ist denen weder in die Köpfe hineingegangen, und manchmal habe
ich das Gefühl, es geht ihnen auch am Allerwertesten vorbei. Die
leben in den Kategorien von Vor-gestern… Das zeigt, wie weit unsere
verehrten Juristen von der Realität des Einsatzes entfernt sind,
und das spiegelt sich auch in diesen großen Dingen wider. Die
stehen ratlos vor der Frage, wie sollen wir das denn lösen? …Ich
glaube, man lässt Soldaten in einer de-primierenden Situation im
Stich, wenn man sie zwingt, Seeräuber, die gerade einen Angriff
gefahren haben, dabei vielleicht Menschen getötet haben, und dann
fliehen, unbehelligt ziehen zu lassen. Das kann doch nicht wahr sein!
Nicht im Jahre 2008.“
Denn viele Fragen, die jetzt diskutiert werden sind nicht neu. Beispielsweise
der Umgang mit Gefangenen bei Auslandseinsätzen. Dieses Problem gibt
es spätestens seit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Und es
ist bis heute nicht gelöst. Die im Rahmen der Operation Enduring
Freedom 2001 an den Hindukusch geschickten Soldaten des Kommandos Spezial-kräfte
bemühten sich mehrmals um eine klare Handlungsanweisung, wie in solchen
Fällen zu verfahren sei. Diese blieb jedoch aus, wie der langjährige
KSK-Kommandeur Reinhard Günzel vor einiger Zeit vor dem Untersuchungsausschuss
zum Fall Kurnaz beklagte.
Der Ratschlag der Rechtsberater war letztlich: Am besten keine Gefangenen
machen. Der Hintergrund: Man befürchtete rechtliche Komplikationen.
Selbst eine Übergabe an den Bünd-nispartner USA wurde vom Verteidigungsministerium
für zweifelhaft gehalten, weil die Fest-genommenen in Guantanamo
landen könnten, und ggf. mit der Todesstrafe rechnen müssten.
Im vergangenen Jahr hat das Verteidigungsministerium eine Weisung herausgegeben,
wie in Gewahrsam genommene Personen zu behandeln sind. Dieser sogenannte
Wichert-Befehl bleibt aber sehr allgemein, hält jedoch fest, dass
eine Übergabe an Dritt-Staaten untersagt ist, wenn dort menschenrechtliche
Mindest-Standards nicht beachtet werden.
Vor allem vor diesem Hintergrund versucht die Bundeswehr in Afghanistan
weiterhin, mög-lichst keine Gefangenen zu machen. Den Verdächtigen
könnte nach Übergabe an die örtlichen Sicherheitsbehörden
Misshandlung oder Folter drohen.
Mehr als sechs Jahre beteiligt sich die Bundeswehr inzwischen an der Anti-Terror-Operation
Enduring Freedom OEF. Der Auftrag lautet – gemäß dem in diesem
Monat erneut ver-längerten Mandats - Terroristen zu bekämpfen,
gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen. Unklar ist allerdings,
wie sich die deutschen Marine-Einheiten am Horn von Afrika tatsächlich
verhalten, sollten sie nicht auf Piraten sondern auf Al Qaida-Terroristen
treffen, die sich als solche auch zu erkennen geben würden. Was also
tun? Ebenfalls die Verbindung zur Polizei suchen? - schließlich
handelt es sich bei Terroristen um Straftäter und nicht um Kombattanten.
Die zuständigen Kommandos und Bundeswehrstellen sind ratlos oder
hüllen sich in Schweigen. Offenbar, weil sich die Spitze des Verteidigungsministeriums
vorbehält zu ent-scheiden, wie in einem solchen Fall konkret zu verfahren
ist. Was sagen die Einsatzregeln? Die Rule of Engagement 183, die sich
mit Festnahmen am Horn von Afrika befasst, steht unter Leitungsvorbehalt
– das wurde während der Arbeit des Untersuchungsausschusses zum Fall
Kurnaz bekannt. Und diese Reglung gilt offenbar bis heute. Gleichzeitig
ist aus Bundes-wehrkreisen zu hören, es seien bereits festgesetzte
Verdächtige in Dschibuti an Land gebracht worden. Dabei gibt es zwischen
Deutschland und Dschibuti keine entsprechende Verein-barung.
Vor allem das Auswärtige Amt möchte möglichst verhindern,
dass Verdächtige, die im Rahmen des EU-Einsatzes gegen die Piraterie
festgenommen werden, in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Man befürchtet
anschließend Asylanträge. Deswegen wird gegen-wärtig sondiert,
ob diese Personen den Anrainer-Staaten übergeben werden könnten.
Wie auch immer diese und andere Fragen geregelt werden. Die Anti-Piraten-Mission
der EU soll am 8. Dezember starten. Sicher ist aber schon jetzt, dass
sie ohne die deutsche Marine beginnen wird. Denn das Kabinett wird sich
erst im kommenden Monat mit der Mission be-fassen. Das heißt: Der
Bundestag wird erst kurz vor Weihnachten dem Einsatz zustimmen können.
Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.
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