Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
13. Dezember 2008


Abschreckung statt Kampf?

Die Anti-Piraten-Mission der Deutschen Marine

Andreas Flocken


Am Horn von Afrika hat in dieser Woche die Anti-Piraten-Mission ATALANTA der EU begonnen. Die Bundesregierung hat am Mittwoch beschlossen, sich an diesem Einsatz zu beteiligen. Die hierfür vorgesehene Fregatte KARLSRUHE ist bereits seit einiger Zeit vor Ort. Doch sie muss sich vorerst noch auf das Beobachten beschränken, darf nur im Rahmen der Nothilfe eingreifen - denn der Bundestag wird erst am 19. Dezember grünes Licht für den Einsatz geben. Ob die EU-Mission das dreiste Treiben der Piraten eindämmen kann, das muss sich allerdings erst noch zeigen. Regierungssprecher Wilhelm warnte nach dem Kabinettsbeschluss schon einmal vor falschen Erwartungen:

O-Ton Wilhelm
„Die prioritäre Zielsetzung der Operation ‚Atalanta’ ist der Schutz von Schiffen, die humanitäre Hilfsgüter für das World Food Programme transportieren.“

Dabei war im Vorfeld von einer Piratenjagd und sogar von einem Kampfeinsatz die Rede. Außenminister Steinmeier und Verteidigungsminister Jung ließen jedoch bereits Anfang des Monats die Abgeordneten wissen, die Festnahme von mutmaßlichen Piraten sei nicht das primäre Ziel der Operation. Kritiker glauben daher, dass sich in der Praxis am Horn von Afrika nicht viel ändern wird – trotz des robusten Mandats, das ggf. auch ein gewaltsames Vorgehen zulässt. Nicht nur der FDP-Verteidigungsexperte Rainer Stinner fordert daher eine aktive Bekämpfung der Piraterie:

O-Ton Stinner
„Ich sag’s immer scherzhaft: Ein Pirat ohne Schiff sieht ziemlich dämlich aus. Und deshalb ist es für mich viel wichtiger, dass ich sicherstelle, dass den Piraten die Mittel aus der Hand geschlagen werden, Piraterie zu begehen. Und es geht u.a. darum, die Mutterschiffe außer Kraft zu setzen.“

Doch für die Bundesregierung steht die Verfolgung von Seeräubern nicht im Vordergrund der Mission. Der Verteidigungsminister sieht die Seestreitkräfte vor Ort gleichwohl dafür vorbereitet, ggf. auch gekaperte Schiffe aufzubringen, und mit Waffengewalt an Bord zu gehen. Dem ZDF sagte Franz Josef Jung:

O-Ton Jung
„Also zunächst einmal sage ich noch einmal: Ziel ist es, Angriffe abzuwehren. Aber wenn es eine solche Situation gibt, dann ist auch unsere Marine dafür ausgerüstet. Wir haben dafür unsere Boarding Teams, die ja eine Spezialausbildung diesbezüglich haben, so dass wir auch in dieser Hinsicht handlungsfähig sind.“

Allerdings nur sehr eingeschränkt. Denn die zurzeit auf den deutschen Fregatten in der Region eingesetzten Teams sind für dieses sogenannte „Opposed Boarding“ – also das Anbordgehen trotz Widerstands - nicht ausgebildet. Diese Soldaten würden nur dann ein mutmaßliches Piratenschiff betreten, wenn die Seeräuber aufgegeben haben oder kooperieren. Spezialkräfte, die auch unter Bedrohung oder gegen aktiven Widerstand an Bord gehen, gibt es erst im Ansatz. In einem Informationspapier zu den Möglichkeiten der Piratenbekämpfung räumt die Marine dies ganz offen ein:

Zitat
„Diese Fähigkeit befindet sich ... noch im Aufbau. Wichtiges, dafür notwendiges Material muss noch beschafft werden und die Ausbildung im Zusammenspiel aller Beteiligten - der Schiffe, der Hubschrauber und der Spezialkräfte der Marine - bedarf einer intensiven, für diesen speziellen Einsatz erforderlichen verfahrensorientierten Ausbildung.“

Zu diesen Spezialkräften gehören die Kampfschwimmer, die - wie man hört - Probleme haben, geeignete Bewerber zu finden. Das Anbordgehen trotz aktiven Widerstands ist für Marine-Experten allerdings eine Möglichkeit, auf die man nur im äußerten Fall zurückgreifen würde. Vorher kämen andere Maßnahmen in Betracht, um gestellte Piratenschiffe zur Aufgabe zu zwingen, z.B. ein Schuss vor den Bug oder aber in die Ruderanlage.

In dem Informationspapier der Marine werden gleich mehrere vorbeugende Optionen zur Piratenbekämpfung genannt – und zwar nicht nur auf See sondern auch an Land. Wörtlich:

Zitat
„Eingreifende Maßnahmen dienen dazu, eine Bedrohung durch Piraterie oder bewaffneten Raub auf See zu neutralisieren bzw. zu mindern, bevor ein solcher Akt durchgeführt wurde. Hierzu gehören exemplarisch

  • [die] Abwehr gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender Angriffe auf Schiffe
  • [die] Identifizierung, Verfolgung, Umleitung, Bekämpfung von Seeräuberschiffen auf See
  • [die] Bekämpfung von Seeräubern, ihrer Schiffe und ihrer Infrastruktur an Land.“


Die Bekämpfung der Piraten an Land, beispielsweise durch Luftangriffe – eine Option, die von den USA erwogen wird. Für die Bundesregierung kommt sie jedoch nicht in Frage. Dabei lässt sich das Problem der Piraterie auf Dauer in der Tat nicht auf See, sondern nur an Land lösen – allerdings nicht militärisch, sondern politisch. Denn die Lage in Somalia ist katastrophal. Andrew Mangura, Vorsitzender des Seefahrerhilfs-Programms in Ostafrika:

O-Ton Mangura (overvoice)
„Die Piraterie wird nicht aufhören, solange vor den Küsten illegal gefischt wird und an Land das Chaos herrscht, solange Drogen und Menschenhandel blühen. Denn die Piraterie ist mit der gesamten organisierten Kriminalität in Somalia vernetzt.“

Somalia gilt als Failed state – als gescheiterter Staat. Politische Initiativen, diesen Zustand zu ändern, gibt es nicht. Der Westen schaut weiterhin untätig zu.

Inzwischen sind die Islamisten in Somalia erneut auf dem Vormarsch, gewinnen wieder an Einfluss. 2006 hatten sie das Land schon einmal unter ihre Kontrolle gebracht – für sechs Monate. Die Piraterie ging damals schlagartig zurück. Dann marschierten äthiopischen Truppen mit Unterstützung der USA in Somalia ein und vertrieben die Islamisten. Und die Piraterie blühte wieder auf.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.