Abschreckung statt Kampf?
Die Anti-Piraten-Mission der Deutschen Marine
Andreas Flocken
Am Horn von Afrika hat in dieser Woche die Anti-Piraten-Mission ATALANTA
der EU begonnen. Die Bundesregierung hat am Mittwoch beschlossen, sich
an diesem Einsatz zu beteiligen. Die hierfür vorgesehene Fregatte
KARLSRUHE ist bereits seit einiger Zeit vor Ort. Doch sie muss sich vorerst
noch auf das Beobachten beschränken, darf nur im Rahmen der Nothilfe
eingreifen - denn der Bundestag wird erst am 19. Dezember grünes
Licht für den Einsatz geben. Ob die EU-Mission das dreiste Treiben
der Piraten eindämmen kann, das muss sich allerdings erst noch zeigen.
Regierungssprecher Wilhelm warnte nach dem Kabinettsbeschluss schon einmal
vor falschen Erwartungen:
O-Ton Wilhelm
„Die prioritäre Zielsetzung der Operation ‚Atalanta’ ist der Schutz
von Schiffen, die humanitäre Hilfsgüter für das World
Food Programme transportieren.“
Dabei war im Vorfeld von einer Piratenjagd und sogar von einem Kampfeinsatz
die Rede. Außenminister Steinmeier und Verteidigungsminister Jung
ließen jedoch bereits Anfang des Monats die Abgeordneten wissen,
die Festnahme von mutmaßlichen Piraten sei nicht das primäre
Ziel der Operation. Kritiker glauben daher, dass sich in der Praxis am
Horn von Afrika nicht viel ändern wird – trotz des robusten Mandats,
das ggf. auch ein gewaltsames Vorgehen zulässt. Nicht nur der FDP-Verteidigungsexperte
Rainer Stinner fordert daher eine aktive Bekämpfung der Piraterie:
O-Ton Stinner
„Ich sag’s immer scherzhaft: Ein Pirat ohne Schiff sieht ziemlich dämlich
aus. Und deshalb ist es für mich viel wichtiger, dass ich sicherstelle,
dass den Piraten die Mittel aus der Hand geschlagen werden, Piraterie
zu begehen. Und es geht u.a. darum, die Mutterschiffe außer Kraft
zu setzen.“
Doch für die Bundesregierung steht die Verfolgung von Seeräubern
nicht im Vordergrund der Mission. Der Verteidigungsminister sieht die
Seestreitkräfte vor Ort gleichwohl dafür vorbereitet, ggf. auch
gekaperte Schiffe aufzubringen, und mit Waffengewalt an Bord zu gehen.
Dem ZDF sagte Franz Josef Jung:
O-Ton Jung
„Also zunächst einmal sage ich noch einmal: Ziel ist es, Angriffe
abzuwehren. Aber wenn es eine solche Situation gibt, dann ist auch unsere
Marine dafür ausgerüstet. Wir haben dafür unsere Boarding
Teams, die ja eine Spezialausbildung diesbezüglich haben,
so dass wir auch in dieser Hinsicht handlungsfähig sind.“
Allerdings nur sehr eingeschränkt. Denn die zurzeit auf den deutschen
Fregatten in der Region eingesetzten Teams sind für dieses sogenannte
„Opposed Boarding“ – also das Anbordgehen trotz Widerstands - nicht ausgebildet.
Diese Soldaten würden nur dann ein mutmaßliches Piratenschiff
betreten, wenn die Seeräuber aufgegeben haben oder kooperieren. Spezialkräfte,
die auch unter Bedrohung oder gegen aktiven Widerstand an Bord gehen,
gibt es erst im Ansatz. In einem Informationspapier zu den Möglichkeiten
der Piratenbekämpfung räumt die Marine dies ganz offen ein:
Zitat
„Diese Fähigkeit befindet sich ... noch im Aufbau. Wichtiges, dafür
notwendiges Material muss noch beschafft werden und die Ausbildung im
Zusammenspiel aller Beteiligten - der Schiffe, der Hubschrauber und
der Spezialkräfte der Marine - bedarf einer intensiven, für
diesen speziellen Einsatz erforderlichen verfahrensorientierten
Ausbildung.“
Zu diesen Spezialkräften gehören die Kampfschwimmer, die -
wie man hört - Probleme haben, geeignete Bewerber zu finden. Das
Anbordgehen trotz aktiven Widerstands ist für Marine-Experten
allerdings eine Möglichkeit, auf die man nur im äußerten
Fall zurückgreifen würde. Vorher kämen andere Maßnahmen
in Betracht, um gestellte Piratenschiffe zur Aufgabe zu zwingen, z.B.
ein Schuss vor den Bug oder aber in die Ruderanlage.
In dem Informationspapier der Marine werden gleich mehrere vorbeugende
Optionen zur Piratenbekämpfung genannt – und zwar nicht nur auf See
sondern auch an Land. Wörtlich:
Zitat
„Eingreifende Maßnahmen dienen dazu, eine Bedrohung durch Piraterie
oder bewaffneten Raub auf See zu neutralisieren bzw. zu mindern, bevor
ein solcher Akt durchgeführt wurde. Hierzu gehören exemplarisch
- [die] Abwehr gegenwärtiger oder unmittelbar bevorstehender
Angriffe auf Schiffe
- [die] Identifizierung, Verfolgung, Umleitung, Bekämpfung
von Seeräuberschiffen auf See
- [die] Bekämpfung von Seeräubern, ihrer Schiffe und
ihrer Infrastruktur an Land.“
Die Bekämpfung der Piraten an Land, beispielsweise durch Luftangriffe
– eine Option, die von den USA erwogen wird. Für die Bundesregierung
kommt sie jedoch nicht in Frage. Dabei lässt sich das Problem der
Piraterie auf Dauer in der Tat nicht auf See, sondern nur an Land lösen
– allerdings nicht militärisch, sondern politisch. Denn die Lage
in Somalia ist katastrophal. Andrew Mangura, Vorsitzender des Seefahrerhilfs-Programms
in Ostafrika:
O-Ton Mangura (overvoice)
„Die Piraterie wird nicht aufhören, solange vor den Küsten
illegal gefischt wird und an Land das Chaos herrscht, solange Drogen
und Menschenhandel blühen. Denn die Piraterie ist mit der
gesamten organisierten Kriminalität in Somalia vernetzt.“
Somalia gilt als Failed state – als gescheiterter Staat. Politische
Initiativen, diesen Zustand zu ändern, gibt es nicht. Der Westen
schaut weiterhin untätig zu.
Inzwischen sind die Islamisten in Somalia erneut auf dem Vormarsch,
gewinnen wieder an Einfluss. 2006 hatten sie das Land schon einmal
unter ihre Kontrolle gebracht – für sechs Monate. Die Piraterie
ging damals schlagartig zurück. Dann marschierten äthiopischen
Truppen mit Unterstützung der USA in Somalia ein und vertrieben die
Islamisten. Und die Piraterie blühte wieder auf.
Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte
und Strategien" bei NDRinfo.
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