Gastbeitrag
Streitkräfte und Strategien - NDR info
12. Dezember 2009


Mehr Truppen nach Afghanistan, um schneller abzuziehen?
Die Schwächen der US-Strategie

Andreas Flocken

Den Irak-Krieg hat Barack Obama immer abgelehnt und für falsch gehalten – auch, weil er vom Konflikt in Afghanistan abgelenkt hat. Denn den Militäreinsatz am Hindukusch hält Obama für notwendig. Der Afghanistan-Krieg dauert nun schon mehr als acht Jahre und der US-Präsident will endlich eine Entscheidung erzwingen. In der vergangenen Woche hat Obama seine erst im März verkündete Afghanistan-Strategie korrigiert. Die Entsendung von weiteren 30.000 US-Soldaten soll das Blatt wenden. Obama greift damit auf ein vermeintliches Patent-Rezept seines Vorgängers zurück. Denn auch Präsident Bush hatte damals die US-Truppen im Irak aufgestockt, um eine Wende zu erzwingen.

Obama hat sogar erheblich mehr Truppen als George W. Bush in Marsch gesetzt. Außerdem hat er ein Abzugsdatum genannt. In 18 Monaten, im Juli 2011 soll der Rückzug der Soldaten beginnen:

O-Ton Obama
„As Commander-in-Chief, I have determined that it is in our vital national interest to send an additional 30.000 US troops to Afghanistan. After 18 months, our troops will begin to come home.”

Die Bekanntgabe eines Abzugsdatums hat Obama viel Kritik eingebracht – auch in der NATO. Kritiker sagen, die Aufständischen könnten sich nun erst einmal zurückhalten, quasi „Urlaub“ machen, um dann 2011 gestärkt den Kampf wiederaufzunehmen. Doch Pentagonchef Gates will die Obama-Ankündigung nicht als Exit-Strategie verstanden wissen. Der US-Verteidi-gungsminister spricht lieber von einem veränderten Ansatz, von einem Übergang, um den Afghanen schrittweise die Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übertragen:

O-Ton Gates
„Well, I don't consider this an exit strategy. And I try to avoid using that term. I think this is a transition... it will be the same kind of gradual conditions-based transition province by province, district by district, that we saw in Iraq.”

Der Irak als Vorbild für Afghanistan. Dort haben ISAF-Befehlshaber McChrystal und vor allem sein Vorgesetzter, General Petraeus, ihr Konzept zur Aufstandsbekämpfung entwickelt. Doch sind die Grundlinien der Counter-Insurgency-Strategie wirklich auf Afghanistan übertragbar?

Afghanische Sicherheitskräfte sollen nach diesem Konzept nach und nach die US- und NATO-Truppen am Hindukusch ablösen. Die USA und auch das Bündnis wollen dafür noch mehr Ausbilder nach Afghanistan schicken. Eine schwierige Aufgabe. Denn die Zahl der Analphabeten in den afghanischen Sicherheitskräften ist hoch. Ihre Loyalität gilt zudem in erster Linie den Clanchefs ihrer Region und nicht dem afghanischen Präsidenten. Karsais Legitimität ist durch die Wahlfälschungen zudem erheblich geschwächt worden. Ob die im Aufbau befindlichen Sicherheitskräfte ein effektives Instrument einer schwachen und korrupten Zentralregierung in Kabul werden können, ist daher zweifelhaft. Auf die immer wieder propagierte selbsttragende Sicherheit in Afghanistan wird man noch sehr lange warten müssen. Präsident Karsai teilte diese Woche mit, die afghanischen Sicherheitskräfte seien noch 15-20 Jahre auf Hilfe von außen angewiesen.

Aber es gibt noch andere Schwächen und Widersprüche in dem von ISAF-Befehlshaber McChrystal angekündigten Aufstandsbekämpfungs-Konzept. Schwerpunkt der Militäroperationen soll danach der Schutz der afghanischen Bevölkerung sein und nicht der Kampf gegen die Aufständischen. Man will nicht als Besatzer wahrgenommen werden. Gleichzeitig wollen die USA mit der Entsendung zusätzlicher Soldaten aber die militärische Initiative zurückgewinnen. Der Druck auf die Taliban soll also erhöht werden.

Klar ist auch, dass das Konzept der Aufstandsbekämpfung für die eingesetzten Soldaten mit erheblichen Gefahren verbunden ist. Denn Einheiten sollen direkt in die Dörfer und Städte gehen, dort wo die Menschen leben. Die Afghanen sollen geschützt werden, das heißt, die Soldaten müssen ihre schwer bewachten Feldlager verlassen. Die Folge ist, dass seit Mitte des Jahres die Zahl der getöteten Soldaten erheblich angestiegen ist. Eine Entwicklung, die die Öffentlichkeit in den USA nicht lange hinnehmen wird.

Bei der Befriedung Afghanistans spielt Pakistan ein Schlüsselrolle. Das wird von der US-Regierung und auch den Verbündeten immer wieder betont. Denn das Grenzgebiet dient den Aufständischen als Rückzugsraum. Hier findet das von ISAF-Befehlshaber McChrystal hochgelobte Konzept der Aufstandsbekämpfung allerdings praktisch keine Anwendung. Die pakistanischen Streitkräfte führen vielmehr einen konventionellen Krieg gegen die Taliban. Diese Kriegsführung kann aber nach den Vorstellungen McChrystals gegen Aufständische nicht erfolgreich sein. Entgegen dem Konzept der Aufstandsbekämpfung setzen die USA in Pakistan zudem selbst verstärkt auf Angriffe mit Predator-Drohnen - anders als in Afghanistan.

Das neue US-Konzept für den Hindukusch ist also alles andere als eine Strategie aus einem Guss. Ob die mit der Truppenaufstockung verbundenen Erwartungen erfüllt werden, ist daher ungewiss.


 

Andreas Flocken ist Redakteur für die Hörfunk-Sendung "Streitkräfte und Strategien" bei NDRinfo.