Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
06. April 2013


Falsches Signal?

Oberst Klein wird trotz des verheerenden Luftangriffs bei Kundus General

Gastbeitrag von Andreas Dawidzinski

„Späte Belohnung für den Bombenangriff von Kundus?“ Mit dieser Frage war eine Pressemitteilung der Linksfraktion unmittelbar vor der Beförderung von Georg Klein überschrieben. „Während die Hinterbliebenen der Opfer von Kundus vor Gericht um Entschädigung streiten, klettert der Auftraggeber des Angriffs die militärische Karriereleiter empor.“ Das sei zynisch, unsensibel und geschichtsvergessen, heißt es weiter. Die Beförderung von Oberst Klein ist umstritten, genauso wie der Luftangriff vor dreieinhalb Jahren.

Für den damaligen ISAF-Befehlshaber, General McChrystal, war der Luftschlag ein schwerer Fehler – weil Zivilisten zu Tode gekommen sind und die Bemühungen unterlaufen wurden, das Vertrauen der Bevölkerung bei der Aufstandsbekämpfung zu gewinnen. Im Zweifel sollte auf Angriffe verzichtet werden, wenn Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Das war die Botschaft einer erst einige Wochen zuvor erlassenen Direktive des ISAF-Befehlshabers. Luftunterstützung war danach nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt.

Der US-General flog damals sofort nach Kundus, um sich vor Ort zu informieren und bemühte sich um politische Schadensbegrenzung. Das Verteidigungsministerium in Berlin sprach dagegen auf seiner Internetseite von einem erfolgreichen Einsatz. 56 Aufständische seien getötet worden. Von Opfern unter Zivilisten wollte man zunächst nichts wissen.

Aber selbst nachdem klar war, dass auch Zivilisten getötet worden waren, hielt die Führung der Bundeswehr den Luftschlag zunächst für – wie es hieß – „militärisch angemessen,“– auch Verteidigungsminister zu Guttenberg, der sein Amt nur wenige Wochen nach dem Luftangriff angetreten hatte. Kurze Zeit später musste der CSU-Politiker jedoch im Bundestag eingestehen, dass der Angriff ein Fehler gewesen war:

O-Ton 1 zu Guttenberg
„Obgleich Oberst Klein – ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind – zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente militärisch nicht angemessen und nachdem ich ohne juristische Wertung – das ist mir wichtig – meine Beurteilung diesbezüglich – rückblickend mit Bedauern – korrigiere, korrigiere ich meine Beurteilung allerdings nicht betreffend meines Verständnisses von Oberst Klein, meine Damen und Herren. Und das ist auch der Grund – und das sage ich auch an dieser Stelle – weshalb ich Oberst Klein nicht fallen lassen werde.“

Der Angriff war falsch, Oberst Klein sei aber kein Vorwurf zu machen, so lautete die Botschaft. Dies kann als das Eingeständnis betrachtet werden, dass die politische und militärische Führung die Lage in Afghanistan lange falsch eingeschätzt hat. So wurde jahrelang von einer Stabilisierungs-Mission gesprochen, vor allem um in Deutschland die Unterstützung für den Einsatz nicht zu gefährden. Zu Guttenberg-Vorgänger Franz Josef Jung und Generalinspekteur Schneiderhan vermieden es, von einem Kampfeinsatz oder Krieg in Afghanistan zu sprechen. Die Soldaten in Kundus sahen sich aber schon lange mit der brutalen Realität konfrontiert.

Insbesondere nach Übernahme des Wiederaufbau-Teams durch Oberst Klein hatte sich die Situation zunehmend verschärft. Die Angriffe der Aufständischen nahmen erheblich zu. Unter ihnen waren auch Tschetschenen, Usbeken und Araber, die die Angreifer ausbildeten. Eine Entwicklung, die das Verteidigungsministerium nicht wahrhaben wollte, wie sich Oberst Klein später beklagte. Unter Georg Klein wurden erstmals Mörser eingesetzt sowie die Panzerabwehr-Rakete Milan. Schützenpanzer Marder mussten eingeschlossene Kräfte freikämpfen. Erstmals sahen sich Bundeswehreinheiten gezwungen, nach Gefechten beschädigte Fahrzeuge zurückzulassen.

Der Gegner verlangte den Truppen vieles ab, wie Georg Klein im August 2009 einräumen musste.

O-Ton Klein
„Wir haben in den vergangenen Monaten leider die Erfahrung machen müssen, dass er wirksam ist. Wir haben Verluste hinnehmen müssen, Gefallene und Verwundete. Wir nehmen ihn schon ernst, ja.“

Klein gilt als besonnener und ruhiger Vorgesetzter. Er versuchte, zivile Opfer zu vermeiden. Als Kommandeur des Wiederaufbauteams Kundus hat er mehrmals Luftunterstützung angefordert. So auch unmittelbar nach seiner Kommandoübernahme im April 2009, als deutsche Einheiten von Aufständischen mit Panzerabwehrwaffen beschossen worden waren. Doch gab er diesen Einsatz letztlich nicht frei, da die feindlichen Kräfte nicht eindeutig identifiziert werden konnten.

Und einige Stunden vor dem verheerenden Luftangriff auf die beiden Tanklaster sollte ein im Rahmen der Militäroperation zurückgelassener, fahruntüchtiger LKW-Zweitonner aus der Luft zerstört werden. Georg Klein untersagte jedoch den Bombenabwurf, weil sich in unmittelbarer Nähe ein Gebäude befand, das möglicherweise von Zivilisten bewohnt wurde.

Bei dem fatalen Luftangriff auf die beiden von Aufständischen entführten Tanklaster war Klein aber davon ausgegangen, dass keine Zivilisten gefährdet würden. Ein Irrtum, wie sich schnell herausstellte. Die genaue Zahl der Opfer lässt sich nicht mehr ermitteln. Die NATO spricht von bis zu 142 Toten, die Bundeswehr geht von 91 Todesopfern aus, darunter auch Frauen und Kinder.

Eine Beförderung von Georg Klein zum General sei daher ein falsches Signal, warnten Kritiker. Verteidigungsminister de Maiziere sah das anders. Er kündigte im vergangenen Jahr die Beförderung des Stabsoffiziers an und sah keinen Grund, diese zu stoppen:

O-Ton de Maizière
„Dies ist ein verantwortlicher Offizier, der selber mit der Entscheidung zu tun hat, davon können Sie ausgehen, ich habe natürlich mit ihm gesprochen, und Sie können nicht im Nachhinein so damit umgehen, deswegen bleibt es auch bei der Beförderung.“

Die Bundesanwaltschaft hatte im April 2010 die Ermittlungen gegen Oberst Klein eingestellt. Die Anklagevertretung war davon ausgegangen, dass in Afghanistan Krieg herrscht – ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt, wie die Juristen sagen. Bei einer solchen Rechtsgrundlage ist vor allem zu prüfen, ob bei militärischen Angriffen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet worden ist, um Zivilisten zu schonen. Vor diesem Hintergrund ist es juristisch durchaus nachvollziehbar, dass Karlsruhe eine Anklageerhebung abgelehnt hat.

Nicht zu prüfen hatte die Bundesanwaltschaft allerdings, ob sich Georg Klein an die Einsatzregeln gehalten hat, die sogenannten Rules of Engagement. Der Bundeswehr-Offizier hatte gleich gegen mehrere dieser Einsatzregeln verstoßen.

Die Opposition kritisierte daher, dass kein Disziplinarverfahren gegen den Oberst eingeleitet worden ist. Der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels:

O-Ton Bartels
„Es hat einen NATO-Untersuchungsbericht gegeben, der ja minutiös auflistet, welche Verstöße dort tatsächlich stattgefunden haben. Daraus dann letzten Endes den Schluss zu ziehen, rechtlich ist dagegen gar nichts zu sagen, ist jedenfalls verwunderlich, so sehr man das dem betroffenen Offizier gönnen mag, der ja in einer schwierigen Situation eine Entscheidung treffen musste. Dass er nun, ohne dafür in irgendeiner Weise disziplinarisch belangt zu werden, aus der Sache wieder rauskommt, so sehr wäre es für die Bundeswehr schon notwendig gewesen, wenn militärisch nicht angemessenes Verhalten auch entsprechend disziplinar aufgearbeitet worden wäre.“

Nach Einstellung des Verfahrens durch den Generalbundesanwalt hatte der Heeresinspekteur zwar routinemäßig disziplinare Vorermittlungen aufgenommen, im August 2010 wurde aber mitgeteilt, das Verfahren sei eingestellt worden. Hinweise auf ein Dienstvergehen seien nicht erkennbar, hieß es in einer Pressemitteilung lapidar

Dabei ist die Liste der Regelverstöße lang. Der Luftangriff erfolgte, obwohl es weder eine Feindberührung eigener Truppen noch eine unmittelbare Bedrohung gab. Oberst Klein meldete an die zögernden Piloten dennoch einen sogenannten TIC, also „Troops in contact“.

Es gab keine eindeutige Identifizierung der Personen, die sich an den Tanklastern aufgehalten haben. Oberst Klein verließ sich auf Aussagen eines einzigen afghanischen Kontaktmanns, obwohl die Vorschriften mindestens zwei Informationsquellen vorsehen.

Der deutsche Offizier lehnte außerdem einen von den Piloten vorgeschlagenen, tiefen Überflug ab, der die Zivilisten vor einen Bombenangriff hätte warnen können. Auch die nach Luftangriffen vorgeschriebene Schadensbegutachtung, das sogenannte Battle Damage Assessment, fand nicht statt.

Oberst Klein hatte vor seinem Entschluss zudem weder seinen Rechtsberater noch seinen Vorgesetzten konsultiert. Und es gibt Zweifel, ob er als Kommandeur eines PRT-Wiederaufbau-Teams überhaupt einen offensiven Luftangriff anordnen durfte.

Es hat also zahlreiche Verfahrensfehler gegeben. Wären die ISAF-Einsatz­regeln beachtet worden – der verheerenden Luftangriff wäre nicht erfolgt.

Bei der NATO ist das Joint Force Command im niederländischen Brunssum für den Afghanistan-Einsatz zuständig. An dessen Spitze stand damals der deutsche Vier-Sterne-General Egon Ramms. Vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages erklärte Ramms, wegen der Verstöße gegen die Einsatzregeln hätte eine nationale disziplinare Untersuchung erfolgen müssen. Der deutsche General wollte ursprünglich eine entsprechende Bewertung dem geheimen ISAF-Untersuchungsbericht hinzufügen. Dieser Bericht wird normalerweise vom ISAF-Hauptquartier in Kabul an das NATO-Kommando in Brunssum übermittelt. Dieses wiederum leitet den Report dann an die jeweilige Hauptstadt weiter. Das ist der Dienstweg.

Dass Ramms das Verhalten von Oberst Klein kritisch sah, war auch im Verteidigungsministerium bekannt. Offenbar wollte man dort eine entsprechende Bewertung verhindern. Der damalige ISAF-Stabschef in Kabul und heutige Generalinspekteur Volker Wieker sorgte auf Wunsch der Bundeswehr-Führung dafür, dass der geheime Bericht direkt per Kurier ins Verteidigungsministerium ging und nicht zunächst nach Brunssum. Der Dienstweg wurde unterlaufen, Ramms ausgetrickst.

Ramms beschwerte sich zwar noch bei seinen deutschen Kameraden, sah aber keinen Sinn mehr darin, seine ursprünglich geplante Bewertung separat nach Berlin zu schicken.

Warum aber wollte die Bundeswehr-Führung möglicherweise ein Disziplinarverfahren gegen Oberst Klein verhindern?

Bei der Truppe, insbesondere in Kundus, herrschte schon seit Längerem großer Unmut. Vermisst wurden eine klare Unterstützung und Rückendeckung durch die politische und militärische Führung. Der Luftschlag wurde von den Soldaten als richtig und überfällig angesehen. Der Entschluss von Oberst Klein – er war für die Truppe insofern auch eine Art Befreiungsschlag.

Entsprechend groß war die Empörung über die strafrechtlichen Vorermittlungen und die an der Spitze des Verteidigungsministeriums getroffene Entscheidung, den Luftangriff im Nachhinein als Fehler zu werten. Der ZDF-Reporter Uli Gack berichtete damals im Morgenmagazin über die aufgebrachte Stimmung der Soldaten in Kundus:

O-Ton Uli Gack
„Mir haben viele Offiziere erzählt, dass sie möglicherweise militärisch-taktische Operationen einfach nicht mehr durchführen, weil sie nicht wissen, wie sie nachher in Deutschland behandelt werden, wie sie möglicherweise juristisch behandelt werden. Viele fühlen sich in einer Art luftleerem Raum. Auch normale Soldaten. Ich habe mit einem Gefreiten geredet, der normalerweise ein Maschinengewehr bedient. Der hat mir gesagt, wenn ein Auto auf ihn zurast, wenn alle Stoppsignale missachtet werden, wenn er davon ausgehen muss, dass es Selbstmordattentäter sind, die ihm was antun wollen, dann wird er künftig nicht mehr schießen. Er wird den Kopf einziehen, hoffen, dass alles vorübergeht, dass alles vorbeigeht, dass möglichst keine Kameraden getötet werden. Das ist die Reaktion vieler Soldaten auf die Diskussion in Deutschland.“

Ein Disziplinarverfahren gegen Oberst Klein hätte das Fass zum Überlaufen gebracht. Daran aber konnte die Bundeswehr-Führung kein Interesse haben. Möglicherweise wären durch ein Disziplinarverfahren außerdem die geheimen Aktivitäten der Spezialkräfte in Kundus stärker in den Fokus geraten. Denn nach wie vor ist offen, welche Rolle die ursprünglich geheime Task Force 47 bei dem Luftschlag gespielt hat. Die deutschen Kommandosoldaten hatten in Kundus eine eigene Operationszentrale und Oberst Klein führte den Luftangriff von dort aus und nicht aus der Zentrale des PRT-Wiederaufbauteams heraus. Unter den Aufständischen sollen lange gesuchte, hochrangige Talibanführer gewesen sein. Georg Klein unterliegt nach wie vor der Geheimhaltung. Er hat daher nicht alles gesagt, was er weiß. Und das sorgt für Spekulationen. Waren die entführten Tanklaster möglicherweise im Visier der deutschen Spezialkräfte? Der Verteidigungspolitische Sprecher der Linken, Paul Schäfer, nach der Anhörung von Georg Klein vor dem Untersuchungsausschuss:

O-Ton Schäfer
„Mir ist noch nicht plausibel geworden, warum in dieser Angelegenheit das eine von dem PRT kommandierte Operation gewesen sein soll. Nach allem was die Umgebung aussagt, also dass wir es mit lokalen Talibanführern zu tun hatten, die also sozusagen auch auf Targeting Lists stehen, ist das nicht sehr plausibel.“

Auch der Verteidigungsexperte der Grünen, Omid Nouripour, kann nicht nachvollziehen, warum es kein Disziplinarverfahren gegen Georg Klein gegeben hat:

O-Ton Nouripour
„Fakt ist, dass auch die NATO in den offiziellen Unterlagen sagt, es sind Regeln gebrochen worden, ob willentlich oder unwissentlich – geschenkt. Es sind viele Fehler gemacht worden. Einsatzregeln sind nicht eingehalten worden. und was mich ehrlich gesagt noch mehr fuchst, das ist, dass das Disziplinarverfahren eingestellt worden ist mit der Begründung, es gebe keine Regelwidrigkeiten. Und das ist einfach ein völlig falsches Signal, das an die Soldaten gegeben wird... In dem Augenblick, in dem es ein Disziplinarverfahren gegeben hätte, glaube ich auch, dass die Beförderung anders ausgegangen wäre.“

Soll heißen, dann wäre Georg Klein wohl kaum General geworden. Ein Disziplinarverfahren wäre aus Sicht der Bundeswehr-Führung aber das falsche Signal an die Truppe gewesen. Stattdessen versucht das Verteidigungsministerium den Eindruck zu erwecken, es handele sich um eine ganz normale Routine-Beförderung. Der Öffentlichkeit aber macht man damit etwas vor – ähnlich wie das Ministerium die Bevölkerung jahrelang glauben machen wollte, der Afghanistan-Einsatz sei kein Kampfeinsatz, sondern nur eine Stabilisierungsmission.


Andreas Dawidzinski ist freier Journalist.