Mai 2001

© Dr. Walter Krutzsch

 

Die Einhaltung geschlossener Verträge als Nagelprobe ehrlicher Abrüstungspolitik

Das Beispiel der Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (Chemiewaffen-Konvention - CWC)

von Dr. Walter Krutzsch

 

Die Konvention über das Verbot der Chemischen Waffen ist ein historischer Erfolg in dem Bestreben, Gewalt als Mittel der Lösung internationaler Konflikte zu beseitigen. Sie verwirklicht auf dem Gebiet der chemischen Waffen das universelle Interesse, die Errungenschaften von Wissenschaft und Technik ausschliesslich zum Wohle der Menschen anzuwenden. Nach der Konvention zum Verbot bakteriologischer und Toxinwaffen ist sie ein weiteres Abkommen, das eine Art von Massenvernichtungswaffen ächtet.

Die Konvention sieht vor, chemische Waffen weltweit zu vernichten und ein Wiederauftauchen solcher Waffen zu verhindern. Ihr gehören gegenwärtig (im Mai 2001) 143 Staaten an. Viele Staaten im Nahen Osten sind ihr jedoch noch nicht beigetreten. Das ist angesichts der Spannungen in dieser Region beunruhigend.

Mit dem Inkrafttreten der Konvention wurde die Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW) geschaffen. Teil der Organisation ist ein internationales Kontrollorgan, das Technische Sekretariat. Die Konvention bestimmt die Rechte und Pflichten des Technischen Sekretariats und seiner Inspektoren sowie die Verfahrensweisen für Kontrollen. Mitgliedstaaten der Konvention haben etwa 70 000 t chemischer Kampfstoffe der dem Technischen Sekretariat der Organisation pflichtgemäss gemeldet. Davon wurden bisher etwa 10% kontrolliert vernichtet. Das gleiche geschah mit 20 % von 8.4 Millionen Stück chemischer Munition. In Russland, wo allein 40 000 to chemischer Kampfstoffe lagern, hat jedoch die Vernichtung noch nicht begonnen. Es wird noch an einem Vernichtungsprogramm gearbeitet, von dem bereits feststeht, dass es nicht ohne beträchtliche ausländische Hilfe verwirklicht werden kann.

Durch die Konvention unterwerfen sich erstmalig Vertragsstaaten zu gleichen Bedingungen internationaler Kontrolle. Sie übernehmen detaillierte Informationspflichten über chemische Waffen und Produktionsstätten solcher Waffen, und über deren Vernichtung. Andere Informationspflichten beziehen sich auf Chemikalien und Produktionsstätten der chemischen Industrie die erlaubten Zwecken dienen, die aber auch für Zwecke genutzt werden könnten, die durch die Konvention verboten sind. Die Vertragsstaaten demonstrieren ihre Vertragstreue, indem sie die Richtigkeit ihrer Meldungen durch internationale Inspektionen überprüfen lassen. Inzwischen hat das Technische Sekretariat etwa 1000 solcher Inspektionen durchgeführt. Zwei Drittel davon galten Lagerstätten und Produktionsanlagen chemischer Waffen und ein Drittel Anlagen der chemischen Industrie.

Der Wert dieser Inspektionen wurde jedoch geschmälert, weil im Widerspruch zu den Konventionsbestimmungen die Rechtsgarantien für eine unabhängigen Tätigkeit des Sekretariats und seiner Inspektoren eingeschränkt wurden. Durch nachträglich erlassene Bestimmungen der Organisation werden z.B. die Inspektoren gezwungen, Photokopien ihrer Notizbücher, in die sie ihre Beobachtungen während der Inspektion eintragen, der inspizierten Seite am Ende der Inspektion auszuhändigen. Das ist unvereinbar mit dem Grundsatz der Unverletzlichkeit von Unterlagen und Berichten und gefährdet die Unabhängigkeit der Inspektion. Die Rechte der Inspektoren über Zugang zum Inspektionsobjekt oder zu den darin befindlichen schriftlichen Unterlagen werden mehr und mehr aufgeweicht. Die Möglichkeit, chemische Proben vom Inspektionsobjekt unabhängig zu analysieren, wurde praktisch beseitigt. Trotz klarer Bestimmungen der Konvention verbieten es die USA und andere Mitgliedstaaten, chemische Proben aus ihrem Territorium dazu in speziell vorbereitete Laboratorien zu bringen. Kontrollergebnisse des Sekretariats werden dadurch manipulierbar und verlieren ihren Wert. Durch solche und andere Praktiken wurden gegen Grundsatzbestimmungen der Konvention verstossen. Es handelt sich der Sache nach um Vertragsänderungen, die im Widerspruch zum Konventionsartikel XV stehen. Danach müssen Vertragsänderungen einem besonderen Verfahren unterworfen werden. Sie treten in Kraft, wenn alle Staaten sie ratifiziert haben. Dafür ist in Deutschland der Bundestag zuständig. Die aktuelle Praxis missachtet die Rechte des Bundestages und verstösst gegen das vom Bundestag dazu beschlossene Gesetz.

Diese Fehlentwicklungen begannen bereits vor Inkrafttreten der Konvention. Sie haben jetzt eine dramatische Verschärfung erfahren. Auf der 23. Sitzung des Exekutivrates der Organisation erklärte ihr General-Direktor, Dr. José Bustani: "Beunruhigende Bestrebungen, das Regime der Industriekontrollen zu verwässern und damit die Nichtweiterverbreitung als eine der Säulen der Konvention zu schwächen, treten, offensichtlich koordiniert, in verschiedenen Bereichen auf. Die politischen Organe der Organisation treffen keine Entscheidungen in einer Anzahl von Fragen auf dem Gebiete der Inspektionen und Deklarationen. In Verbindung mit Versuchen einiger Mitgliedstaaten, den Umfang der Inspektionsaktivitäten einzuschränken, wird so das Sekretariat zunehmend daran gehindert, seinen Auftrag auf dem Gebiete der Industriekontrollen in nichtdiskriminierender und gerechter Weise wahrzunehmen."

Diese Erklärung erlangt besondere Tragweite angesichts einer finanziellen Krise der Organisation, die dadurch ausgelöst wurde, dass einige Mitgliedstaaten ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkamen. Die politischen Organe der Organisation zögern die Überwindung dieser Krise immer weiter hinaus. Hinter verschlossenen Türen werden die Bedingungen für eine Abwicklung der OPCW geschaffen. Gegenwärtig können viele der notwendigen Kontrollen von Waffenlagern und -fabriken sowie die Mehrzahl der Industriekontrollen nicht durchgeführt werden. Der mangelnde Wille der Regierungen hat eine Situation geschaffen in der ein zu kontrollierender Staat darüber entscheiden kann, ob Kontrolle stattfindet oder nicht. Das Informationssystem des Technischen Sekretariats ist am Zusammenbrechen. Das Technische Sekretariat dieser Organisation, eine einmalige Errungenschaft zur Verwirklichung kontrollierter Abrüstung, droht finanziell stranguliert zu werden.

Der gegenwärtige Zustand gefährdet den der Konvention zugrundeliegenden Grundkonsens. Dieser besagt, dass alle Vertragsstaaten sich gegenseitig ihr vertragskonformes Verhalten an Hand von Tatsachen beweisen. Das setzt voraus, dass sie das dafür vorgesehene internationale Kontrollverfahren korrekt verwirklichen. Um diesen Konsens zu erhalten und zu festigen, ist es notwendig, den Rechtszustand wiederherzustellen, unter dem die Konvention uneingeschränkt angewendet wird. Der Bundestag sowie der Öffentlichkeit haben das Recht ungeschminkte Informationen darüber zu erhalten wie die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen erfüllt und wie die anderen 142 Vertragsstaaten zu ihren Verpflichtungen stehen.

40 000 t chemischer Kampfstoffe in Russland sind eine akute Gefahr für alle europäischen Völker. Das bedingungslose Verbot des Einsatzes chemischer Waffen durch die Konvention und die Verantwortung der Besitzer chemischer Waffen für deren Vernichtung ist nicht gleichbedeutend mit absoluter Sicherheit vor derartiger Gefahr. Das anzunehmen hiesse die Lehren der Geschichte missachten. Das Genfer Protokoll von 1925 verbietet lediglich die Anwendung, nicht aber den Besitz chemischer Waffen. Es konnte nicht verhindern, das chemische Waffen die existierten, unter Umständen auch angewandt wurden. Es liegt im Sicherheitsinteresse Deutschlands wie aller europäischer Staaten, dass sämtliche chemischen Waffen in Russland unter internationaler Kontrolle innerhalb vorgesehener Fristen vernichtet werden. Deshalb ist es notwendig, die von der CW-Konvention geforderte Zusammenarbeit der Vertragsstaaten auf die Vernichtung dieser Waffen auszudehnen. Daraus, dass sich bereits europäische Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, an Projekten zur Unterstützung der CW-Vernichtung in Russland beteiligen, kann man schliessen, dass dies im Prinzip akzeptiert wird. Aber internationale Hilfe wird bisher in viel zu geringem Umfang, nicht effektiv und ohne klares Konzept geleistet. Ein möglichst einheitliches Hilfsprogramm sollte, als vorrangige Aufgabe europäischer Sicherheitspolitik, gemeinsam mit Russland erarbeitet und realisiert werden.

Hintergrund: Die Chemiewaffenkonvention - CWC

1. Überblick
2. Die Verpflichtungen der Konvention einlösen
2.1. Gegenwärtiger Zustand
2.2. Aktuelle Aufgaben
3. Die chemischen Waffen in Russland vernichten
4. Ergänzende Erläuterungen

4.1 Geschichte

4.2 Hauptinhalt der CW Konvention

4.3 Vernichtung der chemischen Waffen in Rußland
5. Zusammenfassung
6. Abkürzungen und Begriffe

 

1. Überblick

Die Konvention über das Verbot der Chemischen Waffen ist ein historischer Erfolg in dem Bestreben, Gewalt als Mittel der Lösung internationaler Konflikte zu beseitigen. Nach der BW Konvention ist sie das zweite Abkommen, das eine Art von Massenvernichtungswaffen ächtet.

Die Konvention sieht vor, chemische Waffen weltweit zu vernichten und ein Wiederauftauchen solcher Waffen zu verhindern. Ihr gehören gegenwärtig (im Mai 2001) 143 Staaten an. Viele Staaten im Nahen Osten sind ihr jedoch noch nicht beigetreten. Das ist angesichts der Spannungen in dieser Region beunruhigend.. Mitgliedstaaten der Konvention haben etwa 70 000 to chemischer Kampfstoffe der dem Technischen Sekretariat der Organisation pflichtgemäss gemeldet. Davon wurden bisher etwa 10% unter der Kontrolle des Technischen Sekretariats vernichtet. Gleichermassen wurden 20 % von den 8.4 Millionen Stück chemischer Munition vernichtet. In Russland, wo allein 40 000 to chemischer Kampfstoffe lagern, hat die Vernichtung noch nicht begonnen. Es wird noch an einem Vernichtungsprogramm gearbeitet, von dem bereits feststeht, dass es nicht ohne beträchtliche ausländische Hilfe verwirklicht werden kann.

Durch die Konvention unterwerfen sich erstmalig Vertragsstaaten zu den gleichen Bedingungen einer internationalen Kontrolle. Sie verpflichten sich, durch ihre Informationen an die Organisation und durch in internationalen Inspektionen geprüfte Tatsachen ihre strikte Vertragseinhaltung zu demonstrieren. Zu diesem Zwecke wurde die OPCW errichtet und die Rechte und Pflichten des Technischen Sekretariats und seiner Inspektoren sowie die Verfahrensweisen für Verifizierung festgelegt. Inzwischen hat das Technische Sekretariat etwa 1000 Inspektionen durchgeführt. Zwei Drittel davon galten Lagerstätten und Produktionsanlagen chemischer Waffen und ein Drittel Anlagen der chemischen Industrie. Der Wert dieser Inspektionen wurde jedoch geschmälert, weil die Rechte und Privilegien zur Gewährleistung der unabhängigen Tätigkeit des Sekretariats und seiner Inspektoren eingeschränkt wurden. Dadurch werden Verifikationsergebnisse des Sekretariats manipulierbar und verlieren ihren Wert. Der gegenwärtige Zustand gefährdet den der Konvention zugrundeliegenden Grundkonsens. Dieser besagt, dass die Vertragsstaaten sich gegenseitig vertragskonformes Verhalten demonstrieren, indem sie eine korrekte internationale Verifizierung ihrer in der Konvention übernommenen Verpflichtungen ermöglichen. Um diesen Konsens zu erhalten und zu festigen, ist es notwendig, den Rechtszustand wiederherzustellen, die Konvention uneingeschränkt anzuwenden und dem Bundestag sowie der Öffentlichkeit ein ungeschminktes Bild über die Erfüllung der Verpflichtungen zu geben.

2. Die Verpflichtungen der Konvention einlösen

2.1 Gegenwärtiger Zustand

Chemische Waffen sind Massenvernichtungswaffen. Deutschland und seine Bewohner vor Massenvernichtungswaffen zu schützen sollte erstrangige Aufgabe deutscher Aussenpolitik sein. Ziel und Zweck der CW-Konvention ist es, jede Anwendung chemischer Waffen mit Sicherheit auszuschliessen. Sie sieht vor, alle chemischen Waffen unter Aufsicht der OPCW zu vernichten. Die Mitgliedstaaten haben ferner alle erforderlichen Massnahmen zu treffen um zu gewährleisten, dass die Errungenschaften der Chemie in Zukunft nur für Zwecke eingesetzt werden die von der Konvention nicht verboten sind. Die Verifizierungsmassnahmen der Organisation haben Auskunft über vertragsgemässes Verhalten zu geben. Nachdem vier Jahre seit Inkrafttreten der Konvention vergangen sind, ist es an der Zeit, öffentlich Rechenschaft darüber abzulegen, inwieweit ihre Bestimmungen eingehalten werden.

Ein solches Urteil kann sich nur auf Fakten stützen, die von Technischen Sekretariat der OPCW unter strikter Beachtung der in der Konvention vorgeschriebenen Verfahrensregeln gesammelt wurden. Die Qualität der dafür zur Verfügung stehenden Fakten entspricht jedoch oft nicht den Anforderungen, weil sie nicht hinreichend selbständig und unbeeinflusst durch das Technische Sekretariat der OPCW gesammelt und aufbereitet werden können, obwohl die Konvention die nötigen rechtlichen Voraussetzungen enthält: Das Technische Sekretariat ist ein Organ der OPCW. Es ist für die Durchführung der Verifikationsmassnahmen unter der Leitung des General-Direktors verantwortlich. Keinem Vertragsstaat ist es gestattet, dem General-Direktor oder einem Inspektor oder einem anderen Mitarbeiter des Technischen Sekretariats Weisungen für die Ausübung ihrer Pflichten zu geben, noch ist es diesen Personen erlaubt, derartige Weisungen entgegenzunehmen.

Die Rechte und Immunitäten der Inspektoren sind weitergehender als jene für die Mitarbeiter des Sekretariats, die nicht an Inspektionen teilnehmen. Hinsichtlich persönlicher Immunität, der Unverletzlichkeit ihrer Aufzeichnungen und Geräte sind Inspektoren Diplomaten gleichgestellt. Jedoch durch nachträglich erlassene Bestimmungen der Organisation werden z.B. die Inspektoren gezwungen, Photokopien ihrer Notizbücher, in die sie ihre Beobachtungen während der Inspektion eintragen, der inspizierten Seite am Ende der Inspektion auszuhändigen. Das ist unvereinbar mit dem Grundsatz der Unverletzlichkeit von Unterlagen und Berichten und verletzt den Grundsatz der Unabhängigkeit der Inspektion. Das Recht über Zugang zum Inspektionsobjekt oder zu den darin befindlichen schriftlichen Unterlagen wird mehr und mehr aufgeweicht. Die Möglichkeit, chemische Proben vom Inspektionsobjekt unabhängig zu analysieren wurde praktisch beseitigt. Trotz klarer Bestimmungen der Konvention verbieten es die USA und andere Mitgliedstaaten, chemische Proben ausserhalb ihres Territoriums zu analysieren. Entsprechend der Konvention sind aber zu diesem Zweck von der OPCW Laboratorien speziell ausgewählt worden. Mitgliedstaaten verlangen ferner, dass der Abschlussbericht des Technischen Sekretariats der Organisation keinen anderen Inhalt hat als das, was als vorläufiges Arbeitsergebnis beim Abschluss einer Inspektion festgehalten wurde. Damit wollen sie sich Einfluss auf den Inhalt des Berichts sichern. Aber nur im Hauptquartier der Organisation kann abschliessend eingeschätzt werden, wie hoch der Beweiswert der Fakten ist, ob sie unabhängig erlangt wurden und ob sie mit den Erkenntnissen aus vorhergehenden Verifizierungsmassnahmen vereinbar sind. Der Abschlussbericht soll, wie die Konvention es verlangt, z.B. darüber Auskunft geben, ob der Vertragsstaat mit der Inpektionsgruppe korrekt zusammengearbeitet hat. Auf der Basis des Abschlussberichts hat der General-Direktor im gegebenen Fall den Exekutivrat über Unklarheiten zu informieren. Er ist die Grundlage für die Entscheidung des General-Direktors darüber, ob er den Exekutivrat darüber zu informieren hat, dass die mit der Konvention übernommenen Verpflichtungen möglicherweise nicht eingehalten worden sind.

Die oben genannten Praktiken stützen sich auf nach Abschluss der Konvention eingeführte Verfahrensvorschriften. Mit ihnen wurden rechtswidrig Grundsatzbestimmungen der Konvention aufgeweicht. Es handelt sich der Sache nach um Vertragsänderungen, die gegen Konventionsartikel XV verstossen. Danach müssen Vertragsänderungen von den Staaten in gleicher Weise ratifiziert werden, wie die Konvention ratifiziert wurde. Die aktuelle Praxis missachtet die Rechte des Bundestages und verstösst gegen das vom Bundestag beschlossene Gesetz, mit dem die Konvention ratifiziert wurde.

In der Vergangenheit gab es Anlässe, in den Berichten des General-Direktors der Organisation auf ernste Mängel bei der Einhaltung der übernommen Verpflichtungen hinzuweisen. Sie zeigten, dass Staaten Schwierigkeiten hatten, den Erfordernissen der Konvention Rechnung zu tragen und ihrer Verantwortung nachzukommen. Die Reaktion des Exekutivrates bestand darin, diese Berichte für vertraulich zu erklären, so dass sie nicht an die Öffentlichkeit gelangten und womöglich nicht einmal den Vertragsstaaten zur Kenntnis kamen, die keinen Sitz im Exekutivrat haben. Dadurch wurden nicht nur die Rechte der Vertragsstaaten auf Information und Transparenz verletzt sondern auch Bedingungen geschaffen, unter denen sich solche Missstände sich fortsetzen. Der Öffentlichkeit werden sie vorenthalten.

All das hat innerhalb der Organisation eine Atmosphäre geschaffen, die Geist und Buchstaben der Konvention widerspricht. An die Stelle vertrauensvoller Zusammenarbeit, dem Alpha und Omega der Konvention, traten "Katz- und Maus- Spiele".

Diese Fehlentwicklungen begannen bereits vor Inkrafttreten der Konvention. Sie haben jetzt eine dramatische Verschärfung erfahren. Auf der 23. Sitzung des Exekutivrates der Organisation erklärte ihr General-Direktor, Dr. José Bustani: "Beunruhigende Bestrebungen, das Industrie-Verifikationsregime zu verwässern und damit die Nichtweiterverbreitung als eine der Säulen der Konvention zu schwächen, treten, offensichtlich koordiniert, in verschiedenen Bereichen auf. Die politischen Organe der Organisation treffen keine Entscheidungen in einer Anzahl von Fragen auf dem Gebiete der Inspektionen und Deklarationen. In Verbindung mit Versuchen einiger Mitgliedstaaten, den Umfang der Inspektionsaktivitäten einzuschränken, wird so das Sekretariat zunehmend daran gehindert, seinen Auftrag auf dem Gebiete der Industrie-Verifikationen in nichtdiskriminierender und gerechter Weise wahrzunehmen."

Diese Erklärung erlangt besondere Tragweise angesichts einer finanziellen Krise der Organisation. Die Überwindung dieser Krise zögern die politischen Organe der Organisation immer weiter hinaus. Gegenwärtig können viele der notwendigen Inspektionen von Waffenlagern und -fabriken sowie die Mehrzahl der Industrie-inspektionen nicht durchgeführt werden. Das Technische Sekretariat dieser Organisation, eine einmalige Errungenschaft zur Verwirklichung kontrollierter Abrüstung, droht finanziell stranguliert zu werden.

2.2 Aktuelle Aufgaben

Diese Zustände sind unvereinbar mit Geist und Buchstaben der Konvention. Sie gefährden ernsthaft ihr Ziel und ihren Zweck. Um einen möglichen Kollaps der Konvention zu verhindern, muss als erstes die Wahrheit über die reale Situation uneingeschränkt offengelegt werden. Um lebensfähig zu bleiben, benötigt die Konvention eine informierte Öffentlichkeit. Die Delegierten der Mitgliedstaaten in Den Haag dürfen nicht mehr die Möglichkeit haben, unter dem Vorwand des Schutzes vertraulicher Informationen Missstände zu vertuschen. Das OPCW-Grundsatzpapier über Vertraulichkeit (Teil III, Paragraph 12) verbietet ausdrücklich, unter dem Deckmantel 'Vertraulichkeit', Fälle der Nichteinhaltung der Konvention zu verbergen. Erst wenn die Wahrheit über die Anwendung oder Nichtanwendung der Konvention Regierungen, Parlamenten und der Öffentlichkeit bekannt ist, wird eine fruchtbare Diskussion über notwendige Veränderungen möglich. Diese Diskussion muss innerhalb der Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten unverzüglich begonnen werden. Auch in Deutschland wäre zu klären, welche Rolle Vertreter der Bundesregierung bei der Schädigung des Kontrollsystems gespielt haben und was erforderlich ist, den Bestimmungen der Konvention wieder uneingeschränkte Gültigkeit zu verschaffen. Dazu ist folgendes erforderlich:

  • eine ganze Serie von widerrechtlichen Praktiken muss rückgängig gemacht werden. Diese Praktiken gehen von einem Geflecht nachträglich eingeführter Prozeduren aus, die unvereinbar mit Eckpfeilern der Konvention sind. Die Konvention darf nach Artikel XV nur mit der Zustimmung der Parlamente aller Mitgliedstaaten, die an einem besonderen Verfahren teilnehmen, geändert werden. In Missachtung der Konvention und der Verantwortung des Bundestages wurde auch in Deutschland diese Vorschrift umgangen;

  • die folgenden Grundsätze der Konvention müssen vollkommen wiederhergestellt werden:
  1. Unabhängigkeit des Technischen Sekretariats und der Inspektoren von Weisungen einzelner Mitgliedstaaten,
  2. Unverletzlichkeit von Arbeitsmaterial, Aufzeichnungen und Ausrüstung der Inspektoren,
  3. Recht auf Zugang zu den zu inspizierenden Anlagen und zu deren Tätigkeitsprotokollen,
  4. Recht auf unabhängige Probenanalyse und Schaffung der technischen Voraussetzungen für solche Analysen,
  5. Recht und die Verantwortlichkeit der Inspektionsgruppe, Entscheidungen über das Vorgehen zu treffen, wenn in einer Anlage eine Gefahrensituationen herrscht,
  6. Recht der Inspektoren bei Meinungsverschiedenheiten darüber zu entscheiden, ob eine Inspektionsmassnahme zur Erfüllung des Informationsauftrages erforderlich ist oder nicht,
  7. Differenzierung der Intensität der Inspektion je nachdem, was für ein Risiko für die Konvention von einer Chemikalie oder der in einer Anlage angewandten Technologie ausgeht,
  8. die Pflicht, Vertragseinhaltung zu demonstrieren, hat Vorrang. Sie darf nicht dadurch unterminiert werden, dass Informationen für vertraulich erklärt werden. Der Schutz vertraulicher Informationen darf nicht dazu benutzt werden, um Nichterfüllung von Verpflichtungen zu verheimlichen.

Auf dieser Basis kann dann die Anpassung der Konvention an die praktischen Erfahrungen und an die neueste wissenschaftlich-technische Entwicklung in Angriff genommen werden. Das ist besonders auf dem Gebiete der Industrieverifikation unumgänglich. Während der Verhandlungen vor mehr als 10 Jahren schien die biologische/biochemische Synthese von toxischen Chemikalien meist noch eine entfernte Möglichkeit. Durch Genmanipulation und Entdeckung von Mikroorganismen, die unter extremen Bedingungen in chemischen Produktionsanlagen wirken können, verändert sich gegenwärtig die Lage schnell.

Die Chemiekonvention kann durchaus neuen Anforderungen, die sich aus der Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Bedingungen ergeben, angepasst werden. Die Definition chemischer Waffen in Artikel II bietet dafür die flexible Grundlage. Der Anhang über Chemikalien, auf dessen Grundlage die Objekte für Routineinspektionen auszuwählen sind, ist nach Artikel XV, Absatz 5 einem einfachen Modifikationsverfahren unterworfen. Das gleiche gilt für Änderungen verwaltungsmässiger und technischer Art in anderen Anhängen der Konvention. Die Konferenz der Vertragsstaaten hat die Aufgabe, die wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen zu überprüfen, die auf die Wirksamkeit der CW-Konvention Auswirkungen haben können. Zu diesem Zwecke wurde ein wissenschaftlicher Beirat eingesetzt, um die Konferenz, den Exekutivrat und die Vertragsstaaten fachlich zu beraten. (Artikel VIII, Absatz 21 (h)).

Die Konferenz der Mitgliedstaaten und der Exekutivrat sollten ihre Fähigkeiten für die Bildung gemeinsamer Auffassungen zu derartigen Fragen entwickeln. Das ist nur möglich, wenn öffentliche Diskussion und transparente Entscheidungsfindung an die Stelle von Anonymität und Geheimniskrämerei treten. Entsprechend der Prozedurregeln dieser Organe sind die Autoren und Befürworter von Vorschlägen erkennbar zu machen sowie diejenigen, die Vorschläge ablehnen. Die Argumente eines Disputes bleiben der Öffentlichkeit verborgen. Das hat dazu geführt, dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit dieser Organisation gleich null ist. Transparenz von Verhandlungen und Entscheidungsfindung der politischen Organe wird unverantwortlichem Verhalten Beteiligter wenig Raum geben und zu positiven Veränderungen anspornen. Die stärkere Einbeziehung nichtstaatlicher Organisationen, Vertretern der chemischen Industrie und der interessierten Öffentlichkeit in Diskussion und Entscheidungsvorbereitung zu Grundfragen der Konvention ist dringend erforderlich.

3. Die Vernichtung der chemischen Waffen in Russland sichern

Es liegt im Sicherheitsinteresse Deutschlands wie aller europäischer Staaten, dass sämtliche chemischen Waffen in Russland unter internationaler Kontrolle innerhalb vorgesehener Fristen vernichtet werden. Deshalb ist es notwendig, die von der CW-Konvention geforderte Zusammenarbeit der Vertragsstaaten auf die Vernichtung dieser Waffen auszudehnen. Die Bereitschaft dazu ist bereits von einer ganzen Anzahl europäischer Staaten demonstriert worden, ohne, dass bemerkenswerte praktische Fortschritte bei der Vernichtung chemischer Waffen erzielt wurden. Ein möglichst einheitliches Hilfsprogramm sollte, als vorrangige Aufgabe europäischer Sicherheitspolitik, gemeinsam mit Russland erarbeitet und realisiert werden.

40 000 to chemischer Kampfstoffe in Russland sind eine akute Gefahr für alle europäischen Völker. Das bedingungslose Verbot des Einsatzes chemischer Waffen durch die Konvention und die Verantwortung des Besitzers chemischer Waffen für deren Vernichtung ist nicht gleichbedeutend mit absoluter Sicherheit vor derartiger Gefahr. Das anzunehmen hiesse die Lehren der Geschichte missachten. Das Schicksal des Genfer Protokolls bestätigt: Solange Waffen existieren, werden sie unter Umständen auch angewandt.

Die politischen und ökonomischen Schwierigkeiten Russlands haben sich negativ auf die Möglichkeiten, seine chemischen Waffen zu vernichten, ausgewirkt. Die erforderliche Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den vier beteiligten Ebenen: Örtliche Gemeinden, regionale Verwaltungen, Zentralregierung und internationale Gemeinschaft, ist bisher nicht zustande gekommen. Es fehlt an klaren Verantwortlichkeiten und an Transparenz für die Verwendung bereitgestellter Mittel. Die Aufgaben der Vernichtung chemischer Waffen blieb im wesentlichen eine Angelegenheit der Bürokratie der vier beteiligten Ebenen und wurde nicht einer Angelegenheit der Öffentlichkeit, sowohl Russlands als auch aller potentiellen Geberländer. Hinzu kommt, dass versucht wurde, die Einlösung von Hilfeversprechen gegenüber Russland mit politischen Bedingungen zu verknüpfen.

Die beunruhigende Degradierung des Kontrollsystems der Konvention gibt in besonderem Masse Anlass, bei der Waffenvernichtung energisch zu handeln mit dem Ziel, die Vernichtung innerhalb vorgesehener Fristen zu erreichen: Die Kontrolle durch die OPCW soll den Mitgliedstaaten helfen und sie stimulieren, ihre eigenen Kontrollpflichten auf das Gewissenhafteste wahrzunehmen. Eine lediglich symbolische internationale Kontrolle würde, als Massstab für die nationale Kontrolle der CW-Bestände genutzt, möglicherweise schlimme Konsequenzen haben. Andererseits wäre ein Erfolg bei der Vernichtung der CW-Waffenvorräte ein positiver Impuls dafür, die Garantien gegen ein Wiederauftauchen dieser Waffen zu verstärken.

Das gemeinschaftliche Interesse an der raschen CW-Vernichtung sollte die Mitgliedstaaten der CW-Konvention dazu bewegen, ihre Zusammenarbeit auch auf Gebiete auszudehnen, die nach der Konvention der Verantwortung der CW-Besitzer unterliegen. Daraus, dass sich bereits europäische Staaten an Projekten zur Unterstützung der CW-Vernichtung in Russland beteiligen, kann man schliessen, dass dies im Prinzip akzeptiert wird. Wie aus der Übersicht im Kapitel 6.2 hervorgeht, wird aber internationale Hilfe bisher in viel zu geringem Umfang, nicht effektiv und ohne klares Konzept geleistet. Folgende Schritte können eine effektive Hilfe bei der zügigen CW-Vernichtung in Russland erreichen:

  • Die europäischen Staaten erarbeiten ein gemeinschaftliches Hilfsprogramm, dass die EU-Staaten umfasst und für andere Staaten, wie Schweiz und Norwegen, oder Japan, offen ist. Entscheidend wäre es, wenn Deutschland, Frankreich und Grossbritannien voran gingen. Von diesen drei Staaten hat sich bisher nur Deutschland mit einem nennenswerten Beitrag beteiligt;
  • das Hilfsprogramm muss, um zum Ziele zu führen, mit entsprechenden Mitteln ausgestattet sein. Unter den Faktoren für den Umfang von Hilfsleistungen sind besonders die Gesamtkosten - mindestens 6 Milliarden US $ - und die gegenwärtige wirtschaftliche Situation Russlands, zu berücksichtigen. Bei der Diskussion um Massstäbe für die Grössenordnung der zu leistenden Hilfe sollte man sich vor Augen führen, wieviel für den Schutz der Bevölkerung vor chemischen Waffen aufzubringen wäre. Eine Milliarde DM wäre zum Schutz vor chemischen Waffen bei weitem nicht ausreichend für Deutschland;
  • ein einheitliches Hilfsprogramm verlangt einheitliches Handeln bei seiner Ausarbeitung und Verwirklichung. Das erfordert, dass die europäischen Geberländer möglichst ein einheitliches Programm unter Mitwirkung Russlands aufstellen und vereinbaren. Dabei sind die einzelnen Leistungen mit den von Russland zu bewirkenden Leistungen und sonstigen zu schaffenden Voraussetzungen zu verbinden. Bei Aufstellung und Verwirklichung des Programms sind auch die kompetenten nichtstaatlichen Organisationen (wie Green Cross International) und die Vertreter der Industrie zu beteiligen;
  • die Wirtschaft der Geberländer sollte möglichst je nach Umfang des Beitrags des jeweiligen Landes an der Massnahmen zur Realisierung des Programms beteiligt werden. Weitere Massnahmen ökonomischer Art könnten Anreiz für effektive Hilfsmassnahmen sein.

4. Zusammenfassung

  • die Vernichtung der chemischen Waffen in Rußland ist entscheidend für den Erfolg der CWC und im Interesse der europäischen Sicherheit;
  • Abrüstungshilfe für Rußland bei der Vernichtung der chemischen Waffenist die Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit politischer Erklärungen über Sicherheitsfragen;
  • eine solche Hilfe bedarf der Koordinierung bezüglich des Geldflusses, der Projektwahl und der Verteilung der Mittel auf die Projekte;
  • ein Koordinierungsgremium wäre zu schaffen, das nicht an eine Organisation gebunden ist. Es könnte als internationalen Stiftung organisiert werden. Seinem Vorstand sollten unabhängige internationale Persönlichkeiten angehören;
  • Rußland muß die Hilfe der Geberländer zur "Chefsache" machen und bürokratische Hürden beseitigen. Die Beziehungen zwischen Russland und den Geberländern sollten durch gegenseitige Offenheit und Verlässlichkeit geprägt sein;
  • es ist zu prüfen, ob für die Geberländer ökonomische Anreize geschaffen werden können.

5. Ergänzende Erläuterungen zu den Kapiteln 2 und 3

5.1 Geschichte

Chemische Waffen gab es bereits im Altertum. In neuerer Zeit verboten die Brüsseler Deklaration (1874), die Haager Deklaration (1899) und die Hager Landkriegs-Konvention (1907) die Anwendung derartiger Waffen. Trotzdem wurde im I. Weltkrieg, zuerst von Deutschland, Giftgas (besonders Chlorgas und Senfgas) in Massenumfang angewandt. Während des ersten Weltkrieges wurden durch chemische Waffen 1.300.000 Menschen geschädigt, davon wurden 100.000 getötet. Das "Genfer Protokoll zum Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen und anderen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln in Kriegen", 1925 unterzeichnet, bekräftigte die existierenden völkerrechtlichen Normen. Es trat 1928 in Kraft. Ihm gehören 132 Staaten an. Es kodifiziert auch Völkergewohnheitsrecht, das alle Staaten bindet. Verboten ist im Protokoll die Anwendung, aber nicht den Besitz solcher Waffen. Viele Staaten behielten sich bei Unterzeichnung des Protokolls das Recht vor, derartige Waffen gegen denjenigen anzuwenden, der sie mit solchen Waffen angreift. Das Wettrüsten mit chemischen und bakteriologischen Waffen ging trotz des Protokolls weiter. Derartige Waffen wurden angewandt u.a. von Italien gegen Abessinien, von Japan im Kriege gegen China, von Nazi-Deutschland in Vernichtungslagern, von den USA gegen Vietnam, im ersten Golfkrieg von Irak (auch gegen eine Siedlung von Kurden, was allein etwa 5000 zivile Opfer kostete) und auch von Iran.

Am Ende des kalten Krieges besassen die USA 31.200 to und Russland 40 000 to einsatzbereiter Kampfstoffe mit unvorstellbarer Gefährlichkeit für die Menschheit. Die USA hatten sogenannte Binärwaffen entwickelt. Diese bestehen aus zwei oder mehreren Chemikalien, die, jede für sich relativ ungiftig, getrennt voneinander gelagert und transportiert werden können. Erst während der Anwendung der Waffe werden die Substanzen miteinander vermischt, zur chemische Reaktion gebracht und entfalten ihre todbringende Wirkung. Kurz vor Abschluss der Verhandlungen zum CW-Verbot wurde, u.a. durch Widerstand in der chemischen Industrie der USA, die Produktion dieser Waffen abgebrochen. Mit der Einführung von Binärwaffen wäre womöglich die Gefahr einer neuen Runde des Wettrüstens ausgelöst worden, was den Erfolg der Verhandlungen verhindert oder zumindest in Frage gestellt hätte.

Verhandlungen zum Verbot chemischer und bakteriolgischer Waffen wurden erstmalig 1968 in die Tagesordnung der Genfer Abrüstungskonferenz aufgenommen. In dieser Zeit war, angesichts der massenhaften Anwendung von Herbiziden und Reizgasen durch die USA im Kriege gegen Vietnam die Besorgnis gegenüber chemischen Waffen gewachsen. In dieser Zeit legte die WHO einen Bericht vor, der die Gefährlichkeit bakteriologischer und chemischer Waffen belegte.

Die Verhandlungsteilnehmer einigten sich zunächst auf ein umfassendes Verbot bakteriologischer Waffen. Die Konvention (BWC) wurde 1972 den Staaten zur Unterschrift unterbreitet. Inzwischen sind ihr 143 Staaten beigetreten. Die BWC enthält keine Bestimmungen über Verifikation. Verhandlungen der Genfer Abrüstungskonferenz über ein Protokoll zur Ergänzung der BW-Konvention mit Verfikations-Massnahmen haben noch nicht zum Erfolg geführt.

Wie in Artikel IX der BWC festgelegt, begannen Mitte der siebziger Jahre Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz über eine CWC. Seit 1975 gehörten beide deutsche Staaten dem damals auf 40 Mitglieder erweiterten Verhandlungsorgan an. Auf Initiative der DDR wurden seit Mitte der achtziger Jahre Konsultationen zwischen den Delegationen der DDR, der BRD und der CSSR über Probleme der Konvention durchgeführt. Dadurch näherten sich die Positionen beider deutscher Staaten einander an. Beide haben wesentlich zum Verhandlungserfolg beigetragen. 1992 nahm die Genfer Abrüstungskonferenz den Konventionstext an, dessen Schlussfassung unter dem Vorsitz von Botschafter Dr. Adolf von Wagner ausgehandelt worden war. Die UNO-Vollversammlung bestätigte den Text. Die Konvention wurde am 13. Februar 1993 zur Unterzeichnung aufgelegt und trat am 29. April 1997 in Kraft.

Im Konventionstext waren bei Abschluss der Verhandlungen eine ganze Reihe technischer Fragen offen geblieben, die in der Zeit zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten der Konvention gelöst werden sollten. Zu diesem Zwecke bildeten die Unterzeichnerstaaten eine Vorbereitungskommission. Diese Kommission sollte auch den Kern des Technischen Sekretariat der künftigen Organisation entwickeln. Die Vorbereitungskommission schuf eine Reihe wichtiger Bedingungen, verfehlte aber ihre Aufgabe in zweierlei Hinsicht: Wesentliche Prozeduren und technische Vorbereitungen wurden nicht oder mangelhaft erledigt. Andererseits wurden, unter dem Vorwand, vertrauliche Informationen schützen zu müssen, Ecksteine der Konvention für effektive und unabhängige Verifikation durch ein Regelwerk überlagert, das in wesentlichen Teilen mit den Bestimmungen der Konvention unvereinbar war. Diese faktischen Änderungen wurden unter Verletzung des Artikels XV (Änderungen) der Konvention durch die Hintertür - an den für die Ratifizierung von Änderungen zuständigen Verfassungsorganen (den Parlamenten) vorbei - beschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich aktiv daran beteiligt.

Die Ursachen dieser gefährliche Entwicklung liegen in der veränderten politischen Lage nach Abschluss der Verhandlungen (1992): Der politische Stellenwert von Abrüstung war wesentlich gesunken. Die USA und Russland waren die beiden Staaten mit den weitaus grössten Vorräten an chemischen Waffen. In beiden Staaten bestanden längere Zeit erhebliche Widerstände gegen eine Ratifizierung der Konvention. Andere Staaten wollten nur ratifizieren, nachdem diese beiden Staaten ratifiziert haben. Diese Unsicherheiten wurden genutzt, um den Boden für Massnahmen zur Schwächung des Verifikationsregimes der Konvention zu bereiten. Es wurde ungerechtfertigte Angst vor Spionage durch die Organisation geschürt. In der Vorbereitungskommission entstand eine Krise, die die Erfüllung ihres Mandats gefährdete. Diese Entwicklung ist von mehreren einflussreichen Staaten, auch von der Bundesrepublik Deutschland, zu verantworten. Das Verhalten der USA hat dabei zweifellos eine wesentliche Rolle gespielt. Die USA hatten die Konvention erst unmittelbar vor ihrem Inkrafttreten ratifiziert und an Bedingungen geknüpft welche Grundsatzbestimmungen der Konvention widersprachen. Dazu gehört z.B. dass verboten wurde, chemische Proben aus Inspektionsobjekten der USA in speziellen Laboratorien ausserhalb der USA zu analysieren, dass dem Präsidenten der USA das Recht zugesprochen wurde, Verdachtsinspektionen in den USA abzulehnen, dass die Deklaration der zu kontrollierenden Industrieobjekte und der Beginns von Industrieinspektionen in den USA um Jahre verzögert wurde. Man begann für einflussreiche Staaten Sonderbedingungen zu schaffen unter denen Verifikationen unzulässig eingeschränkt und Verifikationsergebnisse manipuliert werden können.

5.2. Die CW-Konvention

Die wichtigsten Verpflichtungen der Konvention sind im Artikel I festgelegt. Danach sind alle Aktivitäten verboten, die mit der Entwicklung, der Produktion, dem Erwerb, der Weitergabe und der Anwendung chemischer Waffen oder ihrer Anwendung zusammenhängen.

Verboten ist ebenfalls, jemanden in irgendeiner Weise zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen, Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat durch die Konvention verboten sind.

Tränengas und andere Reizstoffe dürfen nicht als Mittel der Kriegführung angewandt werden. Wenn ein Einsatz von Gewalt innerhalb eines Staates den Charakter einer militärischen Operation hat und nicht den eines Polizeieinsatzes d.h. bei bürgerkriegsähnlichen Kampfhandlungen, ist der Einsatz von Tränengas und anderen Reizstoffen ebenfalls verboten.

Jeder Staat, der verbotene Waffen oder Produktionsanlagen für solche Waffen besitzt oder auf einem Territorium unter seiner Kontrolle hat, muss diese vernichten.

Die Konvention lässt keine Einschränkung der Verpflichtungen (z. B. durch Vorbehalte) zu.

Gemäss Artikel II sind verbotene Gegenstände:

  • Toxische Chemikalien und ihre Ausgangsstoffe, ausgenommen sie dienen Zwecken, die durch diese Konvention nicht verboten sind, solange die betreffenden Arten und Mengen mit solchen Zwecken vereinbar sind;
  • Munition und Vorrichtungen, die eigens dafür bestimmt sind, die unter Buchstabe a bezeichneten toxischen Chemikalien freizusetzen und dadurch den Tod oder sonstige Körperschäden herbeizuführen;
  • jede Ausrüstung, die eigens für den unmittelbaren Einsatz im Zusammenhang mit der Verwendung der unter Buchstabe b bezeichneten Munition oder Verrichtungen bestimmt ist.

"Nicht verbotene Zwecke" im Sinne der Konvention sind nach Artikel II:

  • friedliche Zwecke, wie z.B. industrielle, landwirtschaftliche, forschungsbezogene, medizinische, pharmazeutische Zwecke;
  • Schutzzwecke, sowohl zum Schutz vor beliebigen toxischen Chemikalien als auch zum Schutz vor chemischen Waffen;
  • militärische Zwecke, die nicht mit dem Einsatz toxischen Eigenschaften von Chemikalien als Mittel der Kriegführung zusammenhängen. Das schliesst toxische Chemikalien vom Verbot aus, die als Explosivstoffe, Treibstoffe für Raketen, Brandbeschleuniger usw. angewendet werden;
  • Zwecke der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung einschliesslich der Bekämpfung innerer Unruhen (siehe Artikel I oben).

Die Definition erfasst nur solche Chemikalien die für Menschen oder Tiere toxisch sind. Daraus wird abgeleitet, dass Herbizide vom Verbot ausgeschlossen sind. Dem kann man entgegensetzen, dass eine Zusammensetzung oder Dosierung von Herbiziden, die notwendigerweise Menschen Schaden zufügen muss (wie z.B. Agent Orange verwendet im Kriege gegen Vietnam), verboten ist. Des Genfer Protokoll verbietet die Anwendung von Herbiziden zu Kriegszwecken. Ebenso die Konvention über das Verbot der Umwandlung der Umwelt zu militärischen Zwecken (ENMOD)

Ferner legt dieser Artikel fest, was Anlagen zur Herstellung chemischer Waffen sind.

Artikel III regelt die Meldepflicht von allen chemischen Waffen und Anlagen zur Herstellung chemischer Waffen. Damit wird die Unterscheidung zwischen den zwei Gruppen von Vertragsstaaten erkennbar: Diejenigen, die chemische Waffen und entsprechende Produktionsanlagen besitzen sind zur chemischen Abrüstung verpflichtet sind und unterliegen entsprechenden Massnahmen zur Verifikation, die "Nichtbesitzer" haben keine derartigen Pflichten.

Die folgenden Artikel IV und V spezifizieren die Pflichten der Vertragsstaaten, die eine positive Meldung zu Artikel III abgegeben haben. Diese Artikel enthalten, zusammen mit den entsprechenden Teilen des Anhangs über die Durchführung und Verifikation, die Regeln für die Vernichtung chemischer Waffen bzw. von Anlagen zur Herstellung solcher Waffen. Diese sollen durch strikte internationale Verifikation, darunter Kontrollen an Ort und Stelle, sichern, dass

  • alle chemischen Waffen und Anlagen zur Herstellung solcher Waffen gemeldet werden;
  • alle gemeldeten Waffen und Anlagen in einer grundsätzlich nicht umkehrbaren Art und Weise vernichtet werden. Die Vernichtung muss unter systematischer Verifikation an Ort und Stelle erfolgen. Die Sicherheit der Menschen und der Schutz der Umwelt müssen gewährleistet sein. Bei Produktionsanlagen für chemische Waffen ist eine Konversion in eine Anlage für erlaubte Zwecke möglich;
  • die Vernichtung nach einem zu vereinbarenden Zeitplan erfolgt. Sie beginnt für Anlagen zur Herstellung von CW ein Jahr, für CW zwei Jahre nach Inkrafttreten der Konvention. Sie muss für Anlagen und Waffen spätestens zehn Jahre nach Inkrafttreten abgeschlossen sein. Bei CW ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Verlängerung um fünf Jahre möglich;

Es ist ferner festgelegt, dass die Kosten für die Vernichtung und deren Verifikation durch den betreffenden Staat selbst zu tragen sind.

Artikel VI verpflichtet alle Vertragsstaaten, dafür zu sorgen, dass sämtliche Aktivitäten mit toxischen Chemikalien in Produktionsbetrieben, Laboratorien u.ä. mit der Konvention vereinbar sind. Das heisst, sie dürfen nur "nicht verbotenen Zwecken", wie in Artikel III definiert, dienen. Diese Verpflichtung erstreckt sich auf das Hoheitsgebiet und jeden anderen Ort unter der Kontrolle jedes Vertragsstaates. Sie soll gewährleisten, dass keine der in Artikel I verbotenen Handlungen, getarnt als kommerzielle oder wissenschaftliche Tätigkeiten, unentdeckt bleiben. Die Organisation verifiziert nur ein wichtiges Teilgebiet der chemischen Aktivitäten des Vertragsstaates. Verifikationsmassnahmen der Organisation sollen den Vertragsstaat bei der Erfüllung seiner Verpflichtung unterstützen. Die dabei gewonnenen Fakten und Erkenntnisse müssen den Schluss zulassen, dass der Vertragsstaat seiner Verantwortung unter Artikel VI gerecht wird.

Artikel VI sieht vier verschiedene Regimes für Verifikation vor. Welches Regime angewandt wird, hängt von den in der Anlage produzierten oder verarbeiteten chemischen Substanzen ab. Wissenschaftlich-technisch bedingte Änderungen der Regimes oder der Zuordnung von Chemikalien zu solchen Regimes werden durch ein vereinfachtes Modifikationsverfahren erleichtert (Artikel XV, Absatz 4).

Die Durchführung der Konvention erfordert nach Artikel VII Massnahmen der Mitgliedstaaten, die verhindern, dass Handlungen in ihrem Hoheitsgebiet vorgenommen werden, die aufgrund der Konvention verboten sind. Das erfordert auch der Erlass von Strafgesetzen in bezug auf in der Konvention verbotene Tätigkeiten. Die Strafgesetze sollen sich auch auf solche Handlungen erstrecken, die von Staatsbürgern des Vertragsstaates ausserhalb dessen Hoheitsgewalt vorgenommen werden. (Ein Bürger des Vertragsstaates A, der im Land C an der Herstellung chemischer Waffen beteiligt ist, soll bestraft werden, als hätte er diese Tat im Vertragsstaat A begangen). Die Bundesrepublik Deutschland hat entsprechende gesetzliche Bestimmungen erlassen (Siehe Bundesgesetzblatt Nr. 52, S. 1954 bis 1960). Die Vertragsstaaten sollen bei der Durchführung der Konvention zusammenarbeiten und sich die erforderliche Rechtshilfe leisten. Zur Durchführung der vertraglich notwendigen Meldepflichten und zur Unterstützung der Inspektionen sind ebenfalls Rechtsvorschriften erforderlich. Jeder Vertragsstaat ist verpflichtet mit der Organisation bei der Wahrnehmung all ihrer Aufgaben zusammenzuarbeiten und insbesondere dem Technischen Sekretariat Hilfe zu leisten. Zu diesem Zwecke hat er eine nationale Behörde zu errichten, die als Anlaufstelle für die Verbindung und Zusammenarbeit mit der Organisation und anderen Vertragsstaaten dient.

Durch Artikel VIII wurde die OPCW errichtet. Ihr gehören alle Vertragsstaaten an. Sie soll Ziel und Zweck der CWC, einschliesslich der Verifikation verwirklichen. Die OPCW soll Forum für Konsultation und Zusammenarbeit der Vertragsstaaten sein. Sie hat ihren Sitz in Den Haag.

Die Organisation wird verpflichtet, Verifikationsmassnahmen auf in einer Weise durchzuführen, die ihre Ziele fristgemäss erreicht und trotzdem so zurückhaltend wie möglich verfährt. Mit grosser Sorgfalt sind vertrauliche Informationen über militärische und zivile Aktivitäten, die ihr dabei bekannt werden, zu schützen. Ein Anhang über den Schutz vertraulicher Informationen enthält dazu ausführliche Regeln.

Die Organe der Organisation sind die Konferenz der Mitgliedstaaten, der Exekutivrat und das Technische Sekretariat. Das Technische Sekretariat ist mit der Durchführung der Verifikationsmassnahmen der Organisation betraut.

Die Organisation ist mit der Rechts- und Geschäftsfähigkeit ausgestattet, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Für die Ausübung ihrer dienstlichen Obliegenheiten dürfen der Generaldirektor der Organisation, die Inspekteure und sonstigen Mitglieder des Personals Weisungen von einer Regierung oder einer anderen Stelle ausserhalb der Organisation weder einholen noch entgegennehmen. Die Vertragsstaaten ihrerseits sind verpflichtet, den ausschliesslich internationalen Charakter dieses Personenkreises zu respektieren. Um unabhängige Inspektionsergebnisse zu sichern, geniessen Inspektoren weitgehende diplomatische Vorrechte und Immunitäten. Diese garantieren die Unverletzlichkeit ihrer Person, die Unverletzlichkeit ihrer Wohn- und Arbeitsräume, Unterlagen und Aufzeichnungen, mitgeführter Proben und Geräte.

Zusätzlich zu routinemässigen Inspektionen entsprechend der Artikel IV, V und VI sieht Artikel IX die Möglichkeit von Verdachtsinspektionen vor. Jeder Vertragsstaat hat das Recht, eine Verdachtsinspektion zu beantragen, wenn er das zur Klarstellung des Sachverhalts einer möglichen Nichteinhaltung der Konvention für notwendig hält. Im Artikel IX verpflichten sich alle Staaten, dem Technischen Sekretariat der Organisation eine solche Inspektion zu gestatten. (Bisher hat kein Vertragsstaat von dem Recht, eine Verdachtsinspektion zu beantragen, Gebrauch gemacht).

5.3. Die Vernichtung der chemischen Waffen in Russland

Die Vernichtung vorhandener CW-Vorräte und CW-Produktionsanlagen unter systematischer Kontrolle ist Hauptanliegen der OPCW in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens. Hauptaufgaben der Vertragsstaaten und der Organisation in diesem Zeitraum sind:

  • Vertragsstaat: Detaillierte Meldung der CW-Lager und ihrer Bestände mit genauem Inventar. Organisation: Überprüfung der Meldungen auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Gewährleistung, dass kein unkontrollierter Zugang zu den Lagern und keine unbemerkte Veränderung der Bestände stattfindet.
  • Vertragsstaat: Aufstellung von Ablaufplänen für die Vernichtung von CW und Errichtung von CW Vernichtungsanlagen entsprechend den zeitlichen, qualitativen und quantitativen Vorgaben der Konvention und der Organisation. Vernichtung der CW, unterschieden in 3 Kategorien, innerhalb von 4 Phasen, wobei die 4. Phase nach 10 Jahren abgeschlossen sein soll. Organisation: Bestätigung der Ablaufpläne, der Pläne für die Errichtung der Vernichtungsanlagen, systematische Überwachung der Vernichtung vor Ort und Bestätigung, dass die gemeldeten Bestände vernichtet sind.
  • Vertragsstaat: Detaillierte Meldung der CW-Produktionsanlagen, Schliessung der Anlagen. Organisation: Überprüfung der Meldungen auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Gewährleistung, dass kein unkontrollierter Zugang zu den Anlagen, keine unbemerkte Veränderung und keine Aufnahme der Produktion stattfindet
  • Vertragsstaat: Aufstellung detaillierter Pläne. Vernichtung der Anlagen oder deren Konversion für erlaubte Zwecke, zeitlich gestaffelt entsprechend der Ablaufpläne innerhalb von 10 Jahren. Organisation: Überprüfung und Bestätigung der Pläne, Überwachung der Vernichtung vor Ort und Bestätigung, dass die gemeldeten Anlagen vernichtet sind.

Die Konvention sieht vor, dass chemische Waffen entsprechend den vereinbarten Plänen weltweit vernichtet werden. Dabei soll den Sicherheitsinteressen aller Mitgliedstaaten, die CW und CW-Produktionsanlagen besitzen, Rechnung getragen werden. Das wäre nicht der Fall, wenn CW-Vorräte und Produktionsanlagen eines oder mehrerer Staaten längere Zeit weiter existierten, während die anderen ihre Verpflichtung zu Waffenvernichtung längst erfüllt haben.

Für Russland bedeutet das, 40 000 to chemische Kampfstoffe, dazugehörige Munition und ausserdem viele grosse CW-Produktionslagen fristgemäss zu vernichten oder zu konvertieren. Das müsste bis 2007, oder im Falle einer Verlängerung, bis 2012 erfolgen. Experten haben die Kosten dafür auf 6 Milliarden US Dollar geschätzt. Angesichts seiner ökonomischen und finanziellen Lage ist es Russland ohne weitgehende internationale Hilfe nicht möglich, ein derartiges Programm zu erfüllen.

Insgesamt 370 Millionen US $ an ausländischer Hilfe wurde bisher für diesen Zweck zugesagt. Das sind 6% der geschätzten Gesamtkosten. Die USA haben den grössten Teil der bisher geleisteten Hilfe getragen und hatten weitaus mehr zugesagt. Jetzt haben sie jegliche Hilfe storniert Weitere Helferländer sind: Deutschland, Kanada, Italien, Norwegen, Schweden, Schweiz, Die Niederlande, Grossbritannien, Finnland und die EU. Die von ihnen übernommenen Beiträge machen 2-3 % der Gesamtkosten aus. Sie sind auf folgende Projekte verteilt:

  • Errichtung und Betrieb einer CW-Vernichtungsanlage in Shchuch'ye (Kurgan Gebiet). Dort lagern etwa 13 % der CW, (VX, z. T. in Gefechtsköpfen von "Scud" und "Frog" Raketen, sowie Sarin, Soman, Phosgen.) Diese Waffen gehören zu der Kategorie 1, die von der CWC als höchste Risikogruppe eingestuft wurde und deren Vernichtung im April 2000 beginnen müsste. Die in Shchuch'ye geplante CW-Vernichtungsanlage ist eine von insgesamt sieben in Russland geplanten Anlagen. Ihre Errichtung und Nutzung wird schätzungsweise 1.6 Milliarden US $ kosten. Die von den USA benötigte Hilfe wird auf 900 Millionen US $ geschätzt. Bisher hat sie davon ca. 150 Millionen ausgereicht. Diese wurden für Planung und Technologieentwicklung verwendet. Nach Schätzungen des US Department of Defence sind weitere 721 bis 756 Millionen US $ an internationaler Hilfe von anderen Ländern für dieses Projekt erforderlich. Von anderen Ländern wurden bisher meist relativ kleine Beiträge angekündigt oder geleistet).
  • Die USA hatten für die Anlage im Rahmen eines 'Kooperationsprogrammes zur Bedrohungsreduktion' zunächst fast 200 Millionen US $ bereitgestellt. Bisher sind damit Vorbereitungsarbeiten für den Bau der Anlage finanziert worden. Die US Regierung hat für das Finanzjahr 2000 die dafür vorgesehen 20 Millionen US $ gestrichen. Mit diesem Betrag sollten die ersten Bauarbeiten finanziert werden. Da die Bereitstellung weiterer US Hilfen abgelehnt wurde, ist es fraglich, ob die geplante Anlage überhaupt zustande kommt.
  • Errichtung und Betrieb einer Vernichtungsanlage in Gorny (Saratov-Gebiet). Dort lagern Lewisit und Yperit in Vorratsbehältern, nicht in Munition. Es sind weniger als 3 % der russischen Vorräte. Deutschland hat 58,5 Millionen DM für Hilfe vorgesehen. Damit werden Arbeiten bei der Herstellung und Erprobung von technischer Ausrüstung für die Kampfstoffvernichtung finanziert. Der Aufbau der Anlage steht vor dem Abschluss.
  • Schweden hat die Gefahrenanalyse des CW Lagers in Kambarka (Udmurten) durchgeführt und 4,4 Millionen Schwedische Kronen dafür aufgebracht. Für das gleiche Lager will Finnland ein Umwelt-Beobachtungssystem für 6 Millionen Finnische Mark errichten. Die Niederlande wollen 25 Millionen NLG für technische Ausrüstung dieser CW-Vernichtungsanlage und für andere CW-Vernichtungsanlagen aufwenden. Italien wird sich mit 8.3 Millionen $ an Einrichtungen der Infrastruktur in Kambarka und Kizner beteiligen.
  • Insgesamt 15,9 Millionen EURO will die EU für die Vernichtung von zwei CW-Produktionsanlagen in Dzerzhinsk und Nowocheboksarsk, sowie für das Hauptgebäude der Vernichtungsanlage in Gorny und das Umwelt-Beobachtungssystem aufwenden.

6. Abkürzungen und Begriffe

Binärwaffen

Binäre oder komplexe chemische Systeme, die ihr toxisches Endprodukt während ihres Einsatzes durch schnelle chemische Reaktion hervorbringen

BWC

Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (1972)
CWC / CWÜ / Chemiewaffen-Übereinkunft Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen (1993)

DOD

Department of Defence (USA)

EC / Exekutivrat

Ausführendes Organ der OPCW, verantwortlich gegenüber der Konferenz Deutschland ist eines ihres 41 Mitglieder.

Genfer Protokoll

Genfer Protokoll zum Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen und anderen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln in Kriegen (1925).

CSP / Konferenz

Konferenz der Mitgliedstaaten, Hauptorgan der OPCW

OPCW / OVCW / Organisation

Organisation für das Verbot chemischer Waffen

Verifizierung

Internationale Überprüfung vertragsgemässen Verhaltens

WHO

Weltgesundheitsorganisation

 

Dr. Walter Krutzsch war von 1985-90 als Mitglied der DDR-Delegation zur Genfer Abrüstungskonferenz im Komitee für Chemische Waffen und dort Leiter mehrer Arbeitsgruppen. Von 1994-98 wirkte er als Senior Legal Officer im Vorbereitungskomitee der Chemiewaffenkonvention bzw. im OPCW. Das Copyright des Textes liegt beim Autor.

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, daß dieser Artikel unter copyright des Autors steht. Kontakt mit ihm kann über BITS hergestellt werden.

An dieser Stelle möchten wir uns bei Dr. Krutzsch dafür bedanken, daß er uns diesen Artikel zur Veröffentlichung auf unserer Homepage zur Verfügung gestellt hat.

 

 

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