Gastbeitrag aus
Streitkräfte und Strategien - NDR info
23. September 2006


Vereinbarung ohne Zukunft?

Atomteststopp-Vertrag 10 Jahre nach Unterzeichnung noch immer nicht in Kraft

Gastbeitrag von Dr. Oliver Meier

Der Teststopp-Vertrag gilt als Höhepunkt der nuklearen Rüstungskontrolle, denn er kennt keine Ausnahmen vom Atomtestverbot. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, "keine Versuchsexplosionen von Kernwaffen und keine andere nukleare Explosion durchzuführen".

US-Präsident Clinton nannte den Teststopp-Vertrag dann auch voller Stolz den am längsten angestrebten und am schwersten erkämpften Sieg der Rüstungskontrolle. Der Vertrag, so Clinton damals bei der Zeichnungszeremonie, "wird dazu beitragen, zu verhindern, dass die Atomwaffenstaaten modernere und gefährlichere Waffen entwickeln. Er wird die Möglichkeiten anderer Staaten, Atomwaffen zu erwerben, begrenzen".

Obwohl sich mittlerweile bereits 176 Staaten – das sind mehr als 90 Prozent der internationalen Gemeinschaft – durch ihre Unterschrift verpflichtet haben, keine Kernwaffen zu testen, ist von der damaligen Euphorie heute wenig zu spüren. Der Grund: Die Vereinbarung kann nicht in Kraft treten, weil sich 10 Staaten weigern, das Abkommen zu ratifizieren. Sie gehören zu den 44 Ländern, die auf einer UN-Liste stehen, weil sie über nukleare Technologie verfügen. Erst wenn die Parlamente all dieser Staaten zugestimmt haben, ist der Teststopp-Vertrag völkerrechtlich bindend. Besonders schwer wiegt, dass sechs dieser zehn Länder Atomwaffen besitzen: die USA, China, Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea.

Sie alle fürchten, dass ein dauerhafter Verzicht auf Atomtests ihre Möglichkeiten zur Entwicklung neuer und leistungsfähigerer Atomwaffen einschränkt. Selbst Washington lehnt inzwischen den Vertrag ab, weil es sich alle Optionen zur nuklearen Aufrüstung offen halten will. Bisher ist die Supermacht aber durch Clintons zehn Jahre alte Unterschrift gebunden, und hält sich an das Atomtestverbot.

Wie lange noch - das ist offen. Denn trotz des Widerstands von Kongress und Öffentlichkeit hält die Bush-Administration an Plänen zur Entwicklung neuer Kernwaffen fest. Hintergrund sind die Anschläge vom 11. September. Washington hat aus diesen Ereignissen die Konsequenz gezogen, dass es künftig gegen mögliche Bedrohungen notfalls auch präventiv vorgehen will. Der Einsatz von Nuklearwaffen wird dabei nicht ausdrücklich ausgeschlossen.

Pläne zum Bau von so genannten Mini-Nukes, also kleinen Atombomben, und bunkerbrechenden Nuklearwaffen sind zwar vorerst im Kongress gescheitert. Gefördert wird aber die Entwicklung eines neuen robusten und zuverlässigeren Sprengkopfes, dem "Reliable Replacement Warhead". Befürworter des Projekts betonen, dieser Sprengkopf stelle sicher, dass die USA Atomwaffen weiterentwickeln können, ohne auf dem immer noch gut gepflegten Atomtestgelände in der Wüste von Nevada Versuche durchführen zu müssen. Denn die neue Kernwaffe, die bereits ab 2012 auf U-Booten stationiert werden soll, wird weitgehend unter Rückgriff auf bereits erprobte und überprüfte Bestandteile gebaut.

Ob die US-Marine aber letztlich bereit sein wird, mit einer neuen Atomwaffe durch die Weltmeere zu fahren, die nie einem echten Test unterzogen wurde, darf bezweifelt werden. Zwar wollen die USA auch im nächsten Jahr mehr als sechs Milliarden Dollar in die Instandhaltung ihres Atomwaffenarsenals investieren. Aus Sicht der Atomwaffenlobby und vieler Militärs ist ein Atomtest aber immer noch die beste Möglichkeit, um die Einsatzfähigkeit und Sicherheit neu entwickelter Kernwaffen zu überprüfen. Das Atomtestverbot ist insofern ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung neuartiger Atomwaffen zu erschweren.

Ebenso wichtig ist die Bedeutung des Teststopp-Vertrages für den Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen. Denn ohne einen Test kann kein nuklearer Newcomer sicher sein, dass neu entwickelte Atomwaffen auch tatsächlich funktionieren. Kernwaffenversuche bleiben zudem sichtbare Demonstrationen des neuen Atomstatus. Erst kürzlich warnten amerikanische Geheimdienste wieder, Nordkorea stehe kurz davor, einen Atomtest durchzuführen, um so alle internationalen Zweifel am Kernwaffenbesitz zu beseitigen.

Der Teststopp-Vertrag erhöht die Schwelle für die Zündung einer Kernwaffe zu Testzwecken gleich zweifach. Die Vereinbarung stellt zum einen sicher, dass kein Atomtest unentdeckt bleibt. Denn nach Inkrafttreten des Abkommens werden 321 Messstationen weltweit die Einhaltung des Verbots überwachen. Zwei Drittel dieses Internationalen Monitoring Systems sind bereits fertiggestellt worden. Zuständig für die Errichtung ist die Wiener Teststopp-Behörde. Das Netz der Stationen ist schon jetzt so dicht, dass es praktisch alle Atomtests aufspüren und lokalisieren kann.

Zudem stärkt der Vertrag schon jetzt die internationale Ächtung von Atomtests. Auf der Grundlage des im Abkommen verankerten Verbotes kann die internationale Gemeinschaft diejenigen bestrafen, die sich über den Vertrag hinwegsetzen.

Diese Mechanismen greifen aber erst dann voll, wenn der Vertrag rechtskräftig ist. Außerdem können die Vertragsstaaten wichtige Komponenten des Überwachungssystems erst nach Inkrafttreten nutzen - etwa die Möglichkeit, verdächtige Vorkommnisse durch internationale Inspektoren vor Ort untersuchen zu lassen.

Wie geht es nun weiter mit dem Teststopp-Vertrag? Angesichts der politischen Hängepartie ist ein langer Atem notwendig. Zwei Gefahren drohen: Sollte eine der großen Atommächte erneut Kernwaffen testen, droht ein spektakuläres Scheitern des Verbots. Dann könnte der atomare Rüstungswettlauf, etwa zwischen den USA und Russland oder aber zwischen Indien und China, neu belebt werden.

Weniger Aufsehen erregend aber ebenso gefährlich wäre ein langsamer Niedergang des Abkommens. Das politische Engagement der internationalen Gemeinschaft für den Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen lässt sich an der Unterstützung für die Wiener Teststopp-Behörde messen. Noch erhält die Organisation die zur Durchführung ihrer Arbeit notwendige finanzielle und technische Unterstützung. Aber es gibt einige beunruhigende Warnsignale. So kürzen die USA seit Jahren eigenmächtig ihren finanziellen Beitrag und verletzen damit ihre Pflichten als Unterzeichnerstaat. Im Windschatten Washingtons sinkt auch die Zahlungsmoral anderer, vor allem lateinamerikanischer Staaten.

Die Befürworter des Vertrages, zu denen auch Deutschland gehört, sollten daher stetig und energisch darauf drängen, dass auch die noch verbliebenen Staaten die Vereinbarung unterzeichnen. Denn je kleiner der Club der Blockierer, desto größer wird der politische Druck auf diese Länder, den Vertrag zu ratifizieren. Gleichzeitig ist diese Strategie ein wirksamer Beitrag zur Ächtung von Atomtests. Konkret sollte die Bundesregierung gerade gegenüber den USA bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre Sorgen über eine mögliche Wiederaufnahme amerikanischer Atomtests ansprechen und sich für eine Ratifizierung der Vereinbarung einsetzen. In dieser Frage spricht die EU mit einer Stimme, da die beiden europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien durch ihre Ratifikation bereits frühzeitig auf Kernwaffentests verzichtet haben.

Europas Einsatz ist nötig, denn auf dem Spiel steht nicht nur ein dauerhaftes Verbot von Atomtests, sondern das internationale System zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen insgesamt. Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag bleibt die Basis aller Anstrengungen zur Abschaffung von Atomwaffen. Viele Nichtkernwaffenstaaten stimmten aber 1995 einer unbegrenzten Verlängerung der Laufzeit dieses Vertrages nur unter der Voraussetzung zu, dass die Kernwaffenbesitzer dauerhaft, verbindlich und überprüfbar auf Atomtests verzichten. Dieses Tauschgeschäft steht zehn Jahre nach Verabschiedung und Auslegung des Teststopp-Vertrages wieder auf dem Spiel.

Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO und Friedensnobelpreisträger Mohamed El Baradei bekräftigte daher anlässlich des Geburtstages der Vereinbarung, dass der Vertrag der Schlüssel zu einer Welt ohne Atomwaffen ist. El Baradei warnte: "Wir haben heute neun Atomwaffenstaaten. Wir haben 27.000 Atomsprengköpfe. Ich glaube, der Moment der Wahrheit ist gekommen."


 

Dr Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg und Berliner Repräsentant der Arms Control Asssociation (www.armscontrol.org)