Berliner Zeitung - Interview
21. März 2003

Der Nordirak wird auch von Kuwait aus besetzt
Interview mit Militärexperte Nassauer über die ersten Stunden des Krieges

Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Instituts für transatlantische Studien (BITS), glaubt nicht an einen Strategiewechsel der Militärs.

Berliner Zeitung: Kam der Zeitpunkt des Kriegsbeginns überraschend?

Nassauer: Ja und nein. Das US-Militär glaubte auf Grund von CIA-Informationen zu wissen, wo Saddam Hussein ist, und wollte ihn ausschalten. Der entscheidende Angriff erfolgt erst ein paar Tage später.

Selbst General Schwartzkopf, der Befehlshaber im letzten Golfkrieg, zeigte sich "geschockt", weil es zunächst kein schweres Bombardement gab. Was hat diese Änderung der Strategie bewirkt?

Es gab keine Strategieänderung, sondern nur einen vorgezogenen, symbolträchtigen Schlag. Die Botschaft lautete: Wir fangen den Krieg wie angekündigt sofort an. Zweitens wird uns an diesem Krieg niemand hindern. Und wenn es gelingt, Saddam persönlich zu treffen, dann werden wir dazu jede Chance nutzen. Da die zivile Führung im Pentagon glaubt, dass Enthauptungsschläge zum Ausschalten der politischen und militärischen Führung Sinn machen, ist Saddam als Ziel plausibel. Die eigentliche Strategie für den Militärschlag aber wird dann ausgeführt, wenn die Rahmenbedingungen stimmen - wenn es das Wetter zulässt und wenn die eigenen Einheiten dafür bereit sind. Das war in der Nacht zum Donnerstag offenkundig noch nicht der Fall.

Was verbirgt sich hinter den - jetzt eigentlich noch nicht erwarteten - US-Truppenbewegungen am Boden von Kuwait aus?

Das zeigt, dass wir mit Sicherheit keine Konfliktstrategie wie in Serbien oder im ersten Golfkrieg erleben werden - erst wochenlange Bombardements und irgendwann folgen die Bodentruppen. Dieses Mal kommen die Bodentruppen sehr viel schneller zum Einsatz, um Saddam daran zu hindern, Kuwait oder Israel anzugreifen. Und es geht um die Präsenz in Nordirak.

Als Ausweichvariante für die Verzögerungen in der Türkei?

Wir werden sehen, ob die Türkei einen Aufmarsch überhaupt noch zulässt. Bisher gewährt sie nur Überflugrechte. Deshalb wird es Operationen auch von Kuwait aus geben, um im Nordirak Präsenz aufzubauen. Das ist aber ein militärisch nicht risikoloses Unterfangen.

Wo liegen die Risiken?

Vor allem in der Sicherstellung des Nachschubs.

Im letzten Golfkrieg wurde behauptet, 80 Prozent der Laser-Bomben hätten ihr Ziel erreicht. Später stellte sich heraus, dass nur 41 Prozent trafen. Wird es solche Täuschungsversuche wieder geben?

Ich gehe davon aus, dass auch in diesem Krieg bestimmte militärische Ergebnisse geschönt sein werden, damit sie in die amerikanische politische Strategie, diesen Krieg schnell zu beenden, hineinpassen. Es soll ein Klima generiert werden, das signalisiert, Saddam kann nur aufgeben und hat keine Chance.

Gibt es bei der Zielgenauigkeit den behaupteten Qualitätssprung?

Es gibt eine erhebliche Weiterentwicklung seit 1990, aber keine technische Revolution. Auch in diesem Krieg wird es Opfer unter Zivilisten und Schäden im zivilen Bereich geben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sichtbar werden.

Das Gespräch führte Ingo Preißler.