DAKS Newsletter
Nr. 6/2010


Zu spät und auch zu ungenau – der Rüstungsexportbericht

Interview mit Otfried Nassauer


DAKS: Wie bewerten Sie das späte Erscheinen des Rüstungsexportberichts 2008?

Nassauer: Die derzeitige Bundesregierung betrachtet den jährlichen Rüstungsexportbericht offensichtlich als lästige Pflicht. Im März 2010 wäre es angemessen gewesen, den Rüstungsexportbericht für 2009 vorzulegen, nicht aber den für 2008. An Transparenz und öffentlicher Nachvollzieh-barkeit ihrer Genehmigungs- und Exportpraxis hat die Bundesregierung offenbar kein Interesse. Zudem frage ich mich mittlerweile, ob sie austestet, was die Bundestagsabgeordneten sich alles bieten lassen. Bei der Beantwortung von Anfragen werden immer häufiger präzise Antworten verweigert. Wenn der Computer die angefragten Daten nicht auf Knopfdruck in Sekunden ausspucken kann, wird immer häufiger pauschal gesagt, da die Daten „händisch“ zusammengetragen werden müssten, sei es nicht möglich fristgerecht zu antworten. Früher baten die Beamten in solche Fällen um Fristverlängerung, heute signalisieren sie den Abgeordneten, dass sie beim Regieren nicht gestört werden wollen. Das geht natürlich nur, wenn die Leitung der Ministerien es politisch abdeckt. Die beiden wichtigsten zuständigen Ministerien werden von der FDP geführt, für die die Außenwirtschaftsförderung traditionell auch einen Beitrag zum eigenen Wohlergehen darstellt.


Welche Exportpolitik erwarten Sie von der Bundesregierung für die kommenden Jahre?

Der deutsche Rüstungsexport dürfte deutlich weniger restriktiv gehandhabt werden. Schon der Koalitionsvertrag machte das deutlich. Wer innerhalb der Europäischen Union eine stärkere Harmonisierung der Rüstungsexportpolitik und parallel dazu gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer fordert, strebt erkenn-bar eine europäische Harmonisierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner an. Für Deutschland würde das in vielen Fällen die Aufweichung bestehender Standards bedeuten. Die Wirt-schafts- und Finanzkrise tut ein Übriges, um diesen Trend zu verstärken. Schrumpfen die Absatzmärkte wegen Geldmangels, so balgt sich die Meute umso intensiver um den Rest der potenziellen Beute.
Zu welchen Auswüchsen das führen kann, hat der grüne Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit verdeutlicht, als er offenlegte, dass Deutschland und Frankreich die Finanzhilfen für Griechenland direkt oder indirekt an alte und neue Rüstungsaufträge gekoppelt haben sollen. Viel sinniger wäre es doch, wenn Griechenland und die Türkei sich einigen würden, umfassend bei der Rüstung zu sparen und ihren aberwitzigen Rüstungswettlauf endlich zu beenden. Vielleicht kommen aber auch die bilateralen Kabinettsgespräche, die die beiden Länder kürzlich und erstmals begonnen haben, zu diesem Schluss. Das würde mich freuen.


Wie ist der jüngste Rüstungsexportbericht inhaltlich zu bewerten?

Mit fast 5,8 Milliarden Euro hat die Bundesregierung im Jahr 2008 Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern per Einzelgenehmigung erlaubt, die um rund 2,1 Milliarden Euro über dem Wert des Vorjahres lagen, eine Steigerung um 57,6 Prozent. Dies ist mit großem Abstand der höchste Wert in den letzten 13 Jahren, wahrscheinlich sogar in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Anstieg erklärt sich durch den gestiegenen Wert der Exportgenehmigungen für Kriegswaffen um etwa das Sechsfache: Von 464 Millionen Euro im Jahr 2007 stieg dieser auf 2,62 Milliarden im Jahr 2008. Die Zahlen sprechen für sich und werden vermutlich auch nicht so schnell wieder erreicht.
Zudem bekam der Bericht einen veränderten politischen Duktus: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie hat als politisches Ziel an Gewicht gewonnen, das Ziel einer restriktiven Rüstungsexportpolitik steht auf der Verliererseite. Gleiches gilt für das Ziel, Transparenz zu schaffen: Während die Bundesregierung die Wettbewerbsbedingungen für deutsche Firmen durch Harmonisierung in der EU verbessern will, verweigert sie sich der Harmonisierung bei der Berichterstattung über ihre Rüstungsexporte. Sie berichtet über den wertmäßig größten Teil deutscher Exporte nur in Form der Genehmigungspraxis, nicht aber über die tatsächlichen Exporte.


Europäische Union und Vereinte Natio-nen: Wie wichtig ist die internationale Politik für den deutschen Rüstungsexport?

Internationale Politik kann für den deutschen Rüstungsexport sehr wichtig sein – im Guten wie im Bösen. Restriktionen, die international vereinbart werden, wird sich die Bundesregierung aufgrund ihrer an Multilateralität orientierten Außenpolitik kaum entziehen können. Auch, wenn es wie bei den Anti-Personenminen oder den Streumunitionen starke nationale Widerstände gibt – letztlich macht Deutschland mit. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist nicht so schön: In der EU droht ständig die Einigung auf den kleinsten gemein-samen Nenner und damit der Verzicht auf restriktivere deutsche Standards. Hinzu kommen vier weitere Faktoren mit Negativeinfluss: Erstens wird der Handel mit Rüstungsgütern innerhalb der EU immer weiter erleichtert und zugleich die Verantwortung für Exportgenehmigungen in Drittstaaten immer häufiger in die Länder verschoben, die fertige Waffensysteme mit Komponenten aus etlichen EU-Ländern exportieren. Zudem wird zweitens schrittweise in immer mehr Fällen innerhalb der EU auf Genehmigungen verzichtet oder diese werden pauschal und vorab erteilt, sodass diese Exporte aus der deutschen Statistik ganz herausfallen und der Rüstungsexport per Statistiktrick abnimmt. Drittens wurde die EU wiederholt vergrößert und dies sicher nicht um Länder mit besonders strikten Standards. Schließlich bietet die EU allen Firmen, die in mehreren Ländern agieren, die Möglichkeit, heikle Exporte in dem EU-Land zu beantragen, in dem die Genehmigung auf die kleinsten Hindernisse trifft. Von dieser Möglich-keit wird immer häufiger Gebrauch gemacht, selbst, wenn es um die Umgehung von Embargos geht.


G36 in Georgien, neue Produktionsstätten in Saudi-Arabien: Wie wird sich der Kleinwaffenexport entwickeln?

Das ist relativ schwer vorherzusagen, weil die Finanzkrise auch in diesem Bereich Folgen hat. So manche Beschaffung wird verschoben. So manche schon gewonnene größere Ausschrei-bung wird zum Schubladenauftrag, weil derzeit kein Geld in der Kasse ist. Auch Heckler & Koch – soweit ich hörte – macht diese Erfahrung und steht vor nicht gerade rosigen Zeiten. In den vergangenen Monaten suchte H&K weitere Eigentümer oder gar einen Aufkäufer.
Die Entscheidung, das G-36 in Saudi-Arabien produzieren zu lassen, weckt bei mir ungute Erinnerungen an die Lizenzproduktion des G-3 in Pakistan. Damals argumentierten Befürworter im Auswärtigen Amt, eine solche Lizenzproduktion erspare ihnen viele unangenehme Exportentscheidungen. Sollte die Lizenzproduk-tion in Saudi-Arabien mit einer Reexportgenehmigung einhergehen, dürfte das G-36 künftig auch an vielen Orten auftauchen, an denen wir es – wie in Georgien – lieber nicht sehen würden. Die Bundesregierung weiß ja angeblich immer noch nicht, wie die G-36 nach Georgien gelangten.

Das Interview führte André Maertens


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS