Demokratiedefizite in britischer und amerikanischer
Armee
Friedbert Meurer im Gespräch mit Otfried Nassauer
Friedbert Meurer: Herr Nassauer, wenn wir das
alles hören aus London und aus Washington, was läuft schief in der britischen und in der
amerikanischen Armee?
Otfried Nassauer: Zunächst einmal ist es offensichtlich so, dass es hier
massive Verletzungen der Genfer Konvention gegeben hat. Schlimmer noch: Dass diese
Verletzungen tatsächlich versucht worden sind unter den Teppich zu kehren und sie nur
dadurch an die Öffentlichkeit kommen, dass ein paar sehr engagierte Soldaten der
US-Armee, die damit nicht klargekommen sind, das öffentlich gemacht haben. Was hier
schief läuft, ist, dass der Krieg als Ort, an dem der Mensch schon immer gedacht haben
mag, man könne ungestraft, sagen wir es ungeschützt, die Sau rauslassen, tatsächlich
wieder in unser Bewusstsein zurückkehrt. Dabei ist besonders schlimm, dass sich zeigt,
dass auch die Armeen demokratischer Staaten nicht gänzlich gegen so etwas gefeit zu sein
scheinen.
Meurer: Und da stellt sich ja die Frage, welche Einstellungen,
welcher Geist muss dann in solchen Armeen herrschen?
Nassauer: Zunächst einmal scheinen die amerikanischen und britischen
Soldaten im Irak tatsächlich gesagt zu haben, wir sind hier im Krieg, und wir benehmen
uns wie Krieger, wir benehmen uns so, wie man uns erzählt hat, dass sich unser Feind
benehmen wird. Das muss natürlich Ursachen haben, und diese Ursachen sind in den Armeen
Großbritanniens und der USA wahrscheinlich etwas leichter vorzufinden als bei der
Bundeswehr, aber umgekehrt muss man natürlich auch sagen, auch bei der Bundeswehr kann
man das nicht ausschließen. Diese Ursachen sind auf der einen Seite Dinge wie die
Tatsache, dass in den amerikanischen und britischen Streitkräften die Befehlstaktik gilt,
also Befehl und Gehorsam im Vordergrund stehen, und nicht so etwas wie die Auftragstaktik.
Zweitens hat es Fehler bei der Rekrutierung gegeben. Die Rekrutierung wird hauptsächlich
in diesen beiden Ländern im unteren Drittel der Gesellschaft durchgeführt, und oft auch
in strukturschwachen Regionen, speziell in Amerika sogar im mittleren Westen, also in sehr
stark religiös geprägten Gegenden. Dann kommt die interventionistische Tradition in
beiden Armeen hinzu, und letztlich - das ist entscheidend - ein fehlendes System, das dem
Soldaten lehrt, dass er nicht nur Soldat, sondern gerade auch Staatsbürger in Uniform
eines demokratischen Staates ist.
Meurer: In der Bundeswehr gibt es den Wehrbeauftragten, es gibt
Beschwerdemöglichkeiten. Gibt es so etwas nicht in der amerikanischen Armee
beispielsweise?
Nassauer: Die amerikanische Armee hat in all diesen Punkten sehr viel
schwächere Strukturen. Da kommt es mehr auf Engagement und auf den Mut des einzelnen an,
sich zu exponieren und zu sagen, da läuft gerade etwas schief. Diesmal ist es gut
gegangen. Auf der anderen Seite, denken Sie bitte daran, auch in der Bundeswehr bin ich
vorsichtig. Sie sammelt erst ihre ersten Erfahrungen mit Auslandseinsätzen. Die
Bewährungsproben kommen wohl erst noch. Zweitens kann man beim Umgang mit Rechtsradikalen
auch nicht sagen, dass die Bundeswehr hundertprozentig sauber funktioniert. Letztlich gibt
es auch bei der Bundeswehr die Gefahr, dass die konservative Revolution in den achtziger
Jahren dazu geführt haben könnte, dass sich bei vielen Köpfen in der Bundeswehr, bei
vielen Soldaten das Bild des Soldaten als Kämpfer durchgesetzt hat, nicht das des
Soldaten als Staatsbürger in Uniform. Umgekehrt wäre es eigentlich richtig. Wir sind
zunächst einmal Staatsbürger in Uniform, müsste der Soldat sagen, und dann erst einer,
der auch gegebenenfalls kämpfen kann. Dieses Defizit haben jetzt eine ganze Reihe von
Leuten in der Bundeswehr wegen der Auslandseinsätze erkannt und deswegen auch
insbesondere eine Reform der Ausbildung, speziell der Offiziers- und
Generalstabsoffiziersausbildung in Angriff genommen. Der Staatsbürger wird eher wichtiger
als unwichtiger.
Meurer: Da ist ja das Erschreckende, wenn man den Berichten aus
Washington folgt, dass gerade von oben sozusagen der Befehl erteilt wird, zweifelhafte
Verhörtechniken anzuwenden oder die Häftlinge zu präparieren, damit man sie dann
später entsprechend mit Erfolg verhören kann. Was muss anders werden?
Nassauer: Also das ist ganz sicher richtig. Genau das ist das Problem.
Ich denke zunächst einmal, dass das, was anders werden muss, darin besteht, dass, wenn
wir als westliche Industrienationen überhaupt uns das Recht herausnehmen wollen,
militärisch zu intervenieren, dann aber auch tatsächlich im klassischen Bild der inneren
Führung dies nur geht, wenn die Soldaten selber ein Verständnis davon haben, dass sie
Bürger eines demokratischen Staates sind, der diese Demokratie, so wie Amerika ja
eigentlich auch im Nahen und Mittleren Osten argumentiert, tatsächlich auch
implementieren oder ermöglichen will. Aber wir haben hier einen Widerspruch zwischen Ziel
und Anspruch.
Meurer: Um das zu personalisieren, ist ausgerechnet Donald Rumsfeld
der richtige, das Prinzip der inneren Führung in der US-Armee einzuführen?
Nassauer: Ich glaube, Herr Rumsfeld weiß nicht mal, dass es die innere
Führung bei der Bundeswehr gibt.
Meurer: Er könnte sich ja vielleicht nach anderen Vorbildern richten
oder selbst auf die Idee kommen, dass es so nicht weitergeht.
Nassauer: In der Tat, das könnte er. Ich hoffe auch, dass diese
Ereignisse in gewisser Weise zu einem Umdenken führen, aber das Problem besteht im Moment
noch an einer anderen Stelle, nämlich dass hier ein Legitimationsmuster für einen Krieg
aufgebaut worden ist, das fast missionarischen Charakter hat. Wir wollen den Nahen und
Mittleren Osten demokratisieren. Dort sitzen Terroristen, muslimische Extremisten etc. Mit
diesem Bild wird man es garantiert nicht erreichen. Da wird man genau das Umgekehrte
erreichen, nämlich dass die eigenen Soldaten, die auch zum Teil ja aus Bereichen Amerikas
kommen, die wirklich selbst extrem religiös und konservativ geprägt sind, sich genauso
verhalten, wie man das vom Gegner "erzählt bekommen hat".
Meurer: Ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass nach deutschen
Maßstäben ein Verteidigungsminister kaum zu halten wäre, wenn man hört, dass
Bundeswehrsoldaten Häftlinge foltern oder vergewaltigen. Zwei Drittel der Amerikaner sind
gegen einen Rücktritt Rumsfelds. Wie erklären Sie sich das?
Nassauer: Das erkläre ich mir genau so, dass wir da in Amerika
tatsächlich eine andere innenpolitische Debatte als eine außenpolitische Wahrnehmung
haben. In Amerika "nützt" der Regierung Bush in gewisser Weise das Bild selbst
marodierender amerikanischer Soldaten, weil das nämlich in der Öffentlichkeit zunächst
einmal so wirkt, als sei es die Fortsetzung des Patriotismus auf missionarischer Mission.
Meurer: Aber was hat Marodieren, Plündern und Quälen mit
missionarischer Mission zu tun?
Nassauer: Es geht zunächst mal darum, dass der amerikanische Soldat
brav, tapfer und in Ordnung ist und das Gesamtziel stimmt. Es ist eine innenpolitische
Debatte, die völlig anders in Amerika wahrgenommen wird und auch in Amerika wirkt, als
die Debatte, die wir hier in Europa beispielsweise über amerikanisches Verhalten in
solchen Situationen führen.
Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische
Sicherheit (BITS).
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