Deutschlandfunk - Interview
19. März 2003

'Zweite Front aus der Türkei wäre von großer Bedeutung'
Stefan Heinlein im Gespräch mit Otfried Nassauer

 

Heinlein: Das Ultimatum läuft. Nur noch wenige Stunden Zeit für Saddam Hussein, das Land zu verlassen. Doch es ist klar: Der irakische Machthaber wird nicht klein beigeben. George Bush behält den Finger am Abzug und wird wohl noch in dieser Woche den Angriffsbefehl auf Bagdad erteilen. Fast verzweifelt der Versuch der Vereinten Nationen, mit einer Sitzung heute im Weltsicherheitsrat doch noch eine friedliche Lösung zu erreichen. Die amerikanische Regierung scheint unbeeindruckt von der internationalen Kritik. Das fehlende neue UNO-Mandat ändert nichts an der Entschlossenheit des US-Präsidenten. Alle Zeichen stehen somit auf Krieg und über das, was die Welt in den kommenden Tagen erwartet, wollen wir jetzt mit Otfried Nassauer sprechen, dem Direktor des Informationszentrums für transatlantische Sicherheit.
Herr Nassauer, Donnerstag Nacht 2:00 Uhr endet das Ultimatum. Werden unmittelbar danach die ersten Bomben auf Bagdad fallen?

Nassauer: Es kann so sein. Es muss nicht so sein. George W. Bush hat ja in seiner Rede den Angriffszeitpunkt offengelassen. Er hat gesagt, ab da fühlen wir uns frei, das zu machen, aber er hat nicht gesagt, ab da legen wir los.

Heinlein: Welche Faktoren sind denn ausschlaggebend für den Beginn des Krieges?

Nassauer: Ich denke, da ist zum Einen die militärische Vorbereitung Washingtons zu berücksichtigen, der Aufmarsch, die Bereitschaft der einzelnen Einheiten, und es gibt noch Einheiten, die wirklich für diese Operation, so wie sie geplant ist, besonders wichtig, die da noch nicht ganz so weit sind, wie sie vielleicht sein sollten. Es ist also durchaus denkbar, dass es noch zwei, drei oder vier Tage dauert, bis dieser Krieg dann wirklich beginnt, weil diese Faktoren natürlich auch eine Rolle spielen genauso wie die Tatsache, dass wenn es kürzere Sandstürme geben sollte, das mit Sicherheit ein Punkt ist, wo man sich überlegt, ob das jetzt der ideale Zeitpunkt ist.

Heinlein: Das Pentagon rechnet ja mit einem raschen Sieg. Teilen Sie diese optimistische Einschätzung?

Nassauer: Die militärischen Operationsplanungen des Pentagons gehören natürlich zu den bestgehüteten Geheimnissen, aber es kann durchaus sein, dass Washington hier mit einer Strategie des wirklich schnellen Sieges Erfolg haben wird. Nur: das können wir kaum vorhersagen. Es ist genauso gut möglich, dass innerhalb dieser Planung das Eine oder Andere so vorgesehen ist, dass der Zufall oder der berühmte Mr. Murphy zuschlägt, und dann kommt, wie es bei Murphys Gesetzt eben so ist, etwas ganz Anderes bei einer Operation heraus, als man ursprünglich geplant hat, und es gibt Verzögerungen und Probleme. Es gibt in dem, was wir heute über diesen Aufmarsch und die militärischen Planungen wissen, ein paar Anlässe zu zweifeln, dass diese Planung wirklich so schnell zum Erfolg führen wird, wie das die amerikanischen Militärs hoffen. Die Punkte, die ich da benennen würde, ist zum Einen die Geschwindigkeit, mit der das vonstatten gehen soll. Man stellt natürlich unglaubliche Anforderungen an den Nachschub. Ob das bei den großen Entfernungen, die zu überbrücken sind, wirklich klappt, muss man mal sehen. Das Zweite ist die Hoffnung auf einen schnellen Zusammenbruch zumindest des größten Teils der irakischen Streitkräfte. Wenn sie sich als widerstandsfähiger erweisen sollten, dann kann es auch Probleme geben, und schließlich und endlich setzten die amerikanischen Streitkräfte natürlich ganz stark auf ihre Hochtechnologie, und diese soll ihnen da die entscheidenden Vorteile bringen. Das kann sein. Das muss aber nicht unbedingt so sein.

Heinlein: Wie wichtig wäre denn in diesem Zusammenhang eine zweite Front aus der Türkei? Diese Wahrscheinlichkeit ist ja eher gering.

Nassauer: Die zweite Front aus der Türkei heraus hätte das Problem der langen Wege ein Stückchen weit reduziert. Dafür wäre sie von großer Bedeutung gewesen. Jetzt müssen sie, vorausgesetzt, dass es nicht doch aufgrund einer Änderung der türkischen Position zu einer Stationierung amerikanischer Soldaten in der Türkei kommt, aus dem Süden, aus Kuwait heraus auch ihre Operationen im Nordirak planen, und das ist ein wesentlicher Teil dessen, wo ich darauf hinwies, dass es ein logistisches Problem geben kann, ein Nachschubproblem, weil große Mengen an Material in diese nördliche Region geschafft werden müssten, was allerdings dann wirklich zu einer Herausforderung für die Militärs wird, die das umsetzen müssen.

Heinlein: Die Amerikaner - Sie haben es gesagt - setzen auf ihre militärische Überlegenheit, auf ihre Hochtechnologie. Saddam Hussein auf der anderen Seite versucht, die Amerikaner dann in Häuserkämpfe in Bagdad, in den Großstädten zu verwickeln. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass es zu diesen Häuserkämpfen kommen wird und wie hoch wird dann der Blutzoll der amerikanischen Soldaten sein?

Nassauer: Meiner Einschätzung ist diese Frage ein bisschen überbetont. Die ist so ein bisschen zum Muster geworden für die Fragestellung, ist es sinnig oder unsinnig. Bagdad ist nicht eine Stadt wie, sagen wir mal, irgendeine mittelalterliche Stadt. Bagdad hat keine engen Gassen, sondern relativ viele große Alleen, große Paradestraßen, und ist insofern ein für gepanzerte Verbände, in der städtischen Umgebung gesehen, noch fast ideales Operationsfeld. Da gibt es andere Städte, die wirklich ein größeres Problem wären. Aber trotzdem ist der Städtekampf natürlich immer ein Problem, weil er erstens in den meisten Kriegen der jüngeren Vergangenheit für die amerikanischen Streitkräfte so nicht vorgekommen ist, und zum Zweiten, es spielt natürlich auch eine Rolle, welche Art von Städtekampf geplant ist. Wenn es den Amerikanern im Wesentlichen darum geht, die irakische Führung unfähig zu machen, also quasi zu enthaupten, dann müssen sie nicht mit großen Mengen Soldaten, Panzern und gepanzerten Fahrzeugen nach Bagdad fahren, sondern dann werden sie versuchen, gezielt Kommandozentralen und Führungszentralen etc. auszuschalten und zu besetzen und dann zu versuchen, die irakischen Einheiten, die diese Stadt verteidigen, nur insofern zu besiegen, dass man die eigenen Truppen, die man zum Besetzen dieser Kernpunkte in die Stadt geschickt hat, auch versorgen kann.

Heinlein: Verlassen wir für einen Moment die militärische Ebene und wenden uns der übergeordneten politischen Ebene zu. Erleben wir denn gegenwärtig eine Art Zeitenwenden, den Beginn eines US-amerikanischen Hegemoniestrebens und damit das Ende der transatlantischen Partnerschaft, wie wir sie aus den vergangenen 40, 50 Jahren kennen?

Nassauer: Wir erleben zunächst einmal ein verändertes Verhalten der Führungsmacht beziehungsweise Supermacht USA. Washington hat sich entschieden, mit seinen Partnern in multilateralen Institutionen sehr anders umzuspringen als in der Vergangenheit. Die Haltung heißt heute, wir entscheiden, was richtig ist, und ihr könnt entscheiden, ob ihr dabei mitmacht, ob ihr das legitimiert, ob ihr uns die Rechtfertigung dafür gebt, oder nicht, wir werden das auf jeden Fall tun. Die UNO, aber auch die NATO sind in den letzten Monaten mit dieser Haltung konfrontiert worden. Manche nennen das Multilateralismus a la carte, das heißt de facto, Washington entscheidet und die Anderen werden zu Erfüllungsgehilfen. Das könnte den Anderen natürlich nicht passen, weil multilaterale Institutionen, also NATO und UNO, natürlich Institutionen sind, in denen die Kleinen auch mitentscheiden und nicht nur mitreden wollen. Deswegen sind sie besonders wichtig für den Schutz der Interessen der Kleinen. Und das ist mit Sicherheit ein Schaden, der jetzt auch die UNO betrifft, und über den man sich in den nächsten Wochen und Monaten gewaltig Gedanken machen wird, um nämlich zu überlegen, wie unter diesen Umständen die Vereinten Nationen tatsächlich noch eine größere Rolle spielen können.

Heinlein: Eine hypothetische Frage zum Schluss: Würde der amerikanische Präsident heute Al Gore und nicht George Bush heißen, stünden wir dann ebenfalls am Vorabend eines Krieges?

Nassauer: Mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit Nein. Al Gore wäre meiner Einschätzung nach nicht bereit gewesen, einen durchs Völkerrecht nicht abgedeckten Angriffskrieg zu führen.

Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.

 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).