Spanien nähert sich in Irak-Politik an andere
europäische Staaten an
Stefan Heinlein im Gespräch mit Otfried Nassauer
Stefan Heinlein: Herr Nassauer, Fahnenflucht oder
mutige Entscheidung? Wie werten Sie die Entscheidung der spanischen Regierung?
Otfried Nassauer: Es ist zunächst einmal eine Erfüllung eines
Wahlversprechens, aber es ist auch die Rückkehr Spaniens beziehungsweise die Umkehr
Spaniens zu der Haltung der meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien, nämlich
zu sagen, dieser Krieg war illegal, und er hat zu größeren Problemen geführt als er
denn Probleme gelöst hätte. Da zeigt sich im Moment, dass Herr Zapatero ganz
offensichtlich eine Linie verfolgt, die es ihm ermöglichen soll, zunächst einmal einen
Abzug der Truppen unter US-Kommando zu ermöglichen, und dann in einem zweiten Schritt
gegebenenfalls im Rahmen der EU wieder tätig zu werden.
Heinlein: Also ist Spanien auf dem Weg zurück zum alten Europa.
Unter Aznar gab es eine sehr enge Partnerschaft mit Washington. Wie sehr könnte denn der
jetzige Schritt die Beziehungen zum Weißen Haus beeinträchtigen?
Nassauer: Der Schritt kann die Beziehungen zum Weißen Haus durchaus
beeinträchtigen. Nur: Man muss natürlich bedenken, dass mit der These, die ETA habe
diese Attentate in Madrid begangen, die Regierung Aznar, die mit Washington sehr eng
befreundet ist, im Prinzip Herrn Bush das schlimmere Wahlkampfgeschenk gemacht hat, denn
das ist im Prinzip das Wiederaufleben der Kriegsgründedebatte gewesen und damit auch
einer Diskussion, die es für Herrn Zapatero in gewisser Weise noch leichter macht, den
Schulterschluss mit dem so genannten alten Europa, das ich in der Form nicht sehe, zu
suchen.
Heinlein: 1300 Soldaten hatte oder hat Spanien noch im Irak. Wie
groß ist denn die Lücke, die Spanien durch diesen Truppenabzug hinterlässt?
Nassauer: Militärisch gesehen, ist diese nicht besonders groß. Es ist
deutlich weniger als ein Prozent aller im Irak tätigen ausländischen Truppen. Mit
anderen Worten: Es ist nicht in dem Sinne militärisch relevant. Politisch symbolisch ist
es natürlich sehr viel relevanter, und zwar einfach deswegen, weil Spanien damit das
erste Mitglied der Kriegskoalition der Amerikaner wird, das seine Truppen zurückzieht und
in gewisser Weise sagt, die Strategie ist gescheitert.
Heinlein: Wie groß ist denn die Gefahr, dass diesem politischen
Beispiel andere Staaten aus dieser Koalition der Willigen nun folgen?
Nassauer: Die Möglichkeit ist durchaus gegeben. Es gibt ja eine ganze
Reihe Länder, die darüber nachdenken, ob sie weiterhin in dieser Koalition der Willigen
tätig sein sollten. Das sind Länder praktisch rund um den ganzen Globus, wobei auch
dabei jeweils die militärische Relevanz eines solchen Rückzuges geringer wäre als die
politische, denn die meisten Staaten, die im Irak militärisch tätig sind, haben ja nur
wenige Hundert Soldaten dort im Einsatz. Er sind ja im ganz Überwiegenden Briten und
Amerikaner, die dort stationiert sind.
Heinlein: Warum weigert sich denn Washington vor dem Hintergrund der
Gefahr, die Sie gerade geschildert haben, standhaft nun der Vereinten Nationen eine
größere Rolle zu geben? Denn ein UN-Mandat wäre ja für Spanien ein Grund gewesen, ihre
Truppen im Lande zu belassen.
Nassauer: Ich denke, dass diejenigen, die George W. Bush veranlasst
haben, diesen Krieg zu führen, der Auffassung sind, sie müssten auch auf der Strategie,
die sie damals angesetzt haben, jetzt auch zum militärischen beziehungsweise politischen
Erfolg kommen, und dass jedes Zurückweisen dabei ein Problem darstelle, das letztlich
"als Sieg der Aufständischen" dargestellt werden könnte. Das kann natürlich
die Rolle für die Zukunft für die Vereinten Nationen erheblich erschweren, weil sie
natürlich die Frage beantworten müssen, ob sie denn nun als eigenständigen Neuansatz
dort tätig werden würden, oder ob sie der verlängerte Arm der Vereinigten Staaten
werden würden. Das steht auch noch mal mit zur Debatte. Wenn man sich diese Situation
genauerer anguckt, dann wird man feststellen, dass es für die Vereinten Nationen genau
wie für Washington jetzt eine ganz schwierige Entscheidung sein wird. Washington muss
sich entscheiden, ob es die politische, militärische und wirtschaftliche Verantwortung
für den Irak teilt, und die Vereinten Nationen, also New York, müssen entscheiden, ob
die Bedingungen, zu denen diese Verantwortung geteilt oder übergeben werden wird,
tatsächlich Erfolg versprechend sind, nämlich so Erfolg versprechend, dass die Vereinten
Nationen dieses Risiko auch übernehmen.
Heinlein: Wir haben es in dem Bericht über die Situation im Irak
gehört, es gibt Verhandlungen zwischen der US-Armee und den Schiiten und den
Aufständischen der Sunniten. Glauben Sie, dass es eine Chance besteht für eine
Verhandlungslösung, dass man weniger auf die militärische Karte jetzt setzt?
Nassauer: Ich würde im Moment erwarten, dass die Chance besteht zu einer
gewissen Beruhigung der Lage. Ob daraus in einem zweiten Schritt die Tür hin zu einer
politischen Lösung geöffnet werden kann, das ist im Moment noch nicht zu sagen. Ich habe
aber große Zweifel, dass das mit der bisherigen Strategie erreicht werden kann.
Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische
Sicherheit (BITS).
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