Deutschlandfunk - Interview
25. November 2005


Politologe: US-Verteidigunsministerium hält Verletzung von Menschenrechten für legitim

Interview von Dirk Müller mit Otfried Nassauer

Gegen die CIA sind neue Vorwürfe laut geworden. Nach Ansicht von Otfried Nassauer, Politikwissenschaftler am Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit, wird von der US-Regierung die Verletzung von Menschenrechten Gefangener bewusst zugelassen. Die politische Führung wolle aber die Details gar nicht wissen, damit im Zweifelsfall rangniedrigere Beschäftigte dafür gerade stehen müssten.

Dirk Müller: Der amerikanische Geheimdienst CIA gerät jetzt noch weiter unter Druck und damit auch indirekt die deutschen Behörden, ja vielleicht sogar die deutsche Bundesregierung. Denn es gibt inzwischen Berichte über angebliche Transporte von Gefangenen Terrorverdächtigen, die über Flughäfen in Deutschland gelaufen sein sollen. Zugleich verdichten sich die Hinweise auf mehrere Gefängnisse der CIA in Europa. Mitgehört hat Otfried Nassauer vom Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit. Herr Nassauer, macht der amerikanische Geheimdienst was er will oder was er darf?

Otfried Nassauer: Er macht zweierlei. Nämlich erstens, was ihm in unreichend genauen Vorschriften von der politischen Seite indirekt erlaubt worden ist. Und zweitens, er macht, was passiert, wenn eine politische Ebene einen Krieg, eine militärische Auseinandersetzung damit rechtfertigt, dass sie den Gegner, den militärischen Gegner zum - nennen wir es mal - inhumanen Opponenten erklärt. Wenn beispielsweise darüber geredet wird, dass die El-Kaida-Kämpfer halt sich verhalten wie Tiere, dann ist auf der anderen Seite nicht verwunderlich, wenn amerikanische Soldaten oder amerikanische Geheimdienstler glauben, sich in diesen Kontexten genauso verhalten zu können und zu sagen: Da brauchen wir uns auch nicht ans Recht zu halten.

Müller: Alles das, was wir an Details gehört haben - auch eben in dem Korrespondentenbericht von Siegfried Buschlüter -, weiß das alles die amerikanische Regierung?

Nassauer: Ich glaube, die politische Führung weiß die Details nicht - und will die auch gar nicht wissen. Sondern sie weiß im Grundsatz, dass sie ein sehr weitgehendes Vorgehen, auch weitgehend Menschrechte verletzendes Vorgehen nicht ausgeschlossen hat und nicht explizit verboten hat. Und ansonsten sollen doch bitte schön die Kleinen, die das durchführen, die abhängig Beschäftigten, dafür geradestehen, wenn es rauskommt.

Müller: Wie groß ist denn, wenn wir das so ausdrücken wollen, die politische Toleranz in Washington? Also anderer politischer Parteien und Gruppierungen, die das durchgehen lassen?

Nassauer: Also zunächst einmal ist die politische Toleranz bei Herrn Rumsfeld und bei Herrn Goss sicher sehr, sehr groß. Die lassen diese Dinge, meiner Einschätzung nach, relativ bewusst zu - und wollen deswegen auch nicht so detailliert informiert sein. Auf der anderen Seite gibt es im Senat und auch im Kongress Abgeordnete, die sagen: Also das schädigt das Bild Amerikas in der Welt mehr, als wir mit der Bekämpfung des Terrorismus an Positivem vielleicht erreichen können. Und da gibt es einen wachsenden Widerstand, nicht nur bei Menschenrechtsgruppen, sondern auch auf der politischen Ebene, die explizit Folter ausschließen wollen. Es gibt ja dieses Gesetz, was im Kongress eingebracht worden ist - und in einem der beiden Häuser auch schon durch ist -, wo der amerikanische Präsident die Hilfe der republikanischen Parteiführung brauchte, um eine Abstimmungsniederlage zu vermeiden, mit dem der Regierung explizit die Folter solcher Gefangener verboten worden wäre.

Müller: Nun sagen einige Stimmen in Europa: Was empört Ihr Euch so hier in Europa mit Blick auf die Methoden des CIA, mit Blick auf die Methoden der amerikanischen Militärs? Die da sagen: Das hat es schon seit Jahrzehnten, spätestens seit dem Vietnam-Krieg gegeben. Haben die Recht?

Nassauer: Das hat es mit Sicherheit seit Jahrhunderten gegeben. Folter war immer auch ein Instrument kriegerischer Auseinandersetzungen. Nur, wir haben seit vielen Jahren und Jahrzehnten inzwischen völkerrechtliche Regeln entwickelt, an die sich insbesondere doch die Staaten halten sollten, die der Auffassung waren, dass man auch den Umgang im Krieg ein ganz klein bisschen zivilisieren sollte. Und dass gerade die Vereinigten Staaten immer wieder über diese Grenze hinausgehen, das schädigt nicht nur diese Bemühungen, sondern das führt auch dazu, dass möglicherweise andere wieder es für rechtmäßig halten beziehungsweise für nicht verwerflich halten, wenn man so vorgeht. Also, das ist eine Frage: Welche grundsätzliche Haltung hat man gegenüber der Frage der Menschenrechte? Wenn Menschenrechte nun mal das sind, was wir auf unsere Fahnen schreiben, müssen wir uns gefälligst auch daran selber halten. Und das ist genau die Gefahr, die auch die amerikanischen Senatoren sehen, die sagen: Das schädigt den Ruf Amerikas, wenn so was rauskommt und wenn es überhaupt passiert.

Müller: Den Ruf Amerikas geschädigt hat ja nun definitiv auch Abu Ghraib, also die Folterungen in irakischen Gefängnissen, ganz konkret in diesem Gefängnis in Bagdad. Hat die amerikanische Führung daraus nicht lernen wollen?

Nassauer: Ich glaube, dass die politische Führung es eher als eine Panne ansah, dass Abu Ghraib rausgekommen ist, dass es öffentlich wurde. Im Prinzip ist das eine politische Führung, insbesondere im Verteidigungsministerium, die ein solches Vorgehen für legitim hält. Und von daher ist deren größte Sorge, dass sie sich öffentlich dafür rechtfertigen muss, wenn so was passiert. Und dass es jetzt auch die CIA erwischt hat, das ist - ja, sagen wir mal - gewissermaßen ein negatives Abfallprodukt. Also ich glaube, es gibt in allen staatlichen Sicherheitsbehörden immer Menschen, die solche Linien - in Anführungsstrichen - für legitim halten und Grenzüberschreitungen bereit wären zu begehen. Und wenn die halt das Sagen kriegen, dann kann so was passieren.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS