Russische Streitkäfte sind in vielen Bereichen veraltet
Interview mit Otfried Nassauer
Wie ernst muss man die Rüstungspläne des russischen Präsidenten
nehmen?
Nassauer: Wladimir Putin hat meines Wissens weitgehend bekannte
Rüstungsvorhaben beschrieben. Dazu zählen unter anderem neue Langstreckenraketen, die
die US-Raketen-Abwehr knacken können, neue U-Boot- und Flugzeug-Typen sowie neue
konventionelle Waffen. Dazu muss man aber wissen, dass die russischen Streitkräfte in
vielen Bereichen veraltet sind.
Inwiefern?
Die Lebensdauer vieler Atom-Raketen läuft bald aus, gegenwärtig hat Moskau gerade mal
12 funktionstüchtige Raketen-U-Boote, von denen sechs wenigen Jahren außer Dienst
gestellt werden müssen. In den konventionellen Bereich wurde 17 Jahre kaum investiert.
Modernisierungen sind überfällig und die USA setzen ihre Modernisierungsplane ja
bereits um.
Erleben wir einen neuen Rüstungswettlauf?
Ich denke nicht, dass das das russische Ziel ist. Das wäre viel zu kostspielig, und
die russischen Ressourcen werden an anderer Stelle, beispielsweise für die Infrastruktur,
viel dringender gebraucht. Putin will aber erreichen, dass der Westen Moskau als
gleichberechtigten Partner ernst nimmt. Nach einer Phase der innenpolitischen
Konsolidierung will Russland als Großmacht zurück auf die internationale Bühne.
Passen dazu die Drohungen, Abrüstungsverträge zu kündigen,
beziehungsweise nicht zu verlängern?
Moskau droht mit Kündigungen, hat aber auch Gesprächsbereitschaft über neue
Abrüstungsverträge signalisiert, sowohl bei den Nuklearwaffen - beim INF- und beim
START-1-Vertrag, als auch beim KSE-Vertrag, den konventionellen Waffen in Europa.
Auffällig ist, dass Putin die endgültige Entscheidung über diese Verträge zeitlich in
die Hände seines Nachfolgers gelegt hat. Offenbar soll der künftige Präsident ab 2008
einen großen Spielraum haben, selbst zu entscheiden wie sich Russland langfristig
positioniert.
Eigene Akzente setzt der russische Präsident auch gegenüber Teheran.
Kann Moskau tatsächlich einen Atom-Staat Iran tolerieren?
Russland hat ein starkes Interesse, dass an seiner Grenze keine weitere Nuklearmacht
entsteht. Aber Moskau sieht es bislang nicht als erwiesen an, dass Teheran tatsächlich
den Weg zur Atombombe geht. Zum gleichen Urteil könnte auch die IAEO, die internationale
Atomenergiebehörde, kommen, die das grade untersucht. Russland hat wirtschaftliche
Interessen im Iran. Aus Putins Sicht wäre es sm besten, wenn Russland eine Lösung
entwickelt, die garantiert, dass das iranische Atomprogramm rein zivil bleibt.
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Das Interview führte Anja Schmiedeke |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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