Ein Jahr nach dem Irakkrieg: Ist die Welt unsicherer
geworden?
Michael Castritius: Fangen wir mit dem Positiven an. Die Welt hat einen
brutalen Diktator weniger. Irakische Kurden etwa oder irakische Schiiten können
durchatmen. Erkennen Sie das als positiven Effekt an?
Ottfried Nassauer: Absolut, ein Diktator weniger ist meistens ein guter Schritt nach
vorne. Die Frage ist nur, ob es sinnvoll ist, einen Diktator abzusetzen mit militärischen
Operationen, die nicht durch die Vereinten Nationen legitimiert sind und mit falschen
Argumenten.
Michael Castritius: Ist es für Sie nach wie vor also ein illegaler Angriffskrieg
gewesen?
Ottfried Nassauer: In der Tat, das ist kein Krieg gewesen, den die Vereinten Nationen
gerechtfertigt haben. Es ist ein weitgehender Alleingang der Vereinigten Staaten mit ihren
Verbündeten gewesen und er hat die internationalen Organisationen, insbesondere die
Vereinten Nationen sehr stark geschwächt, weil damit zum ersten Mal nach längerer Zeit
wieder die Entscheidungsgewalt darüber, welche Kriege legitim sind und welche nicht,
angeblich von New York nach Washington umgezogen ist.
Michael Castritius: George Bush aber argumentiert ja bis heute, es war legitim,
weil die USA angegriffen wurden am 11. September.
Ottfried Nassauer: Nein, das hat er über den betroffenen Irak nie behauptet, er hat
höchstens behauptet, dass es zwischen der irakischen Regierung und Al Kaida Verbindungen
gegeben haben soll, die er aber bisher auch nicht belegen konnte.
Michael Castritius: Der Krieg gegen den Terror aus Afghanistan, dann der Krieg
gegen Irak. Ist da insgesamt der Terror bekämpft worden. Ist er in der Praxis dadurch
weniger geworden, oder wie Gegner sagen, ist der Terror sogar befördert worden?
Ottfried Nassauer: Das ist das Problem mit dem Vorgehen, das die amerikanische Regierung
gewählt hat. Viele Kritiker haben nicht nur vor dem Irak-Krieg, sondern auch schon vor
Afghanistan gewarnt, ihr mögt zwar in der Lage sein, diese Konflikte militärisch zu
gewinnen, die Frage ist nur, könnt ihr den Frieden anschließend gewinnen? Hier zeigt
sich, dass in beiden Fällen möglicherweise die ungewollte Nebenwirkung ist, dass das was
ausgerottet werden sollte, sogar stärker geworden ist. Wenn wir uns die Destabilisierung
im Nahen und Mittleren Osten seither anschauen, und wenn wir uns die weltweite Terrorlage
angucken, dann können wir eigentlich im Moment nur feststellen, bisher sind die
Nebenwirkungen diesbezüglich stärker gewesen als die Wirkung.
Michael Castritius: Nun können wir die Uhr nicht zurück drehen um ein Jahr. Der
Krieg ist geführt worden. Wie muss es jetzt im Irak weiter gehen? Wäre es das Beste, die
US-Truppen möglichst schnell durch Blauhelmsoldaten zu ersetzen?
Ottfried Nassauer: Das Wichtigste ist, glaube ich, dass wir zunächst einmal anerkennen,
dass es auch in unserem westeuropäischen Interesse nur sein kann, dass die Vereinigten
Staaten letztlich Erfolg haben. Das scheint mir ein Widerspruch in sich. Aber politisch
gesehen ist es auch im Interesse der westeuropäischen Staaten. Insofern ist in der Tat
eine Lösung, die die politische und wirtschaftliche Verantwortung für die Zukunft des
Iraks in die Hände der Vereinten Nationen legt, diese damit wieder in ihre Rechte
einsetzt, das was eigentlich angemessen wäre, und das, was wirklich passieren müsste. Ob
die amerikanische Regierung zu diesem Schritt bereit sein wird, das kann im Moment noch
keiner genau sagen, ob dieser Schritt nicht möglicherweise zu spät kommt, dieser Schritt
von sehr vielen Garantien für die Vereinten Nationen begleitet sein müsste, die
vielleicht schon gar nicht mehr gegeben werden können, das steht noch auf einem zweiten
Blatt.
Michael Castritius: Andere Kriegsgegner argumentieren dagegen, dieser Krieg soll
gerade keinen Erfolg haben, damit die USA nicht animiert werden, einen möglichen weiteren
zu führen.
Ottfried Nassauer: Ich glaube, das ist ein bisschen kurzsichtig, weil dieser Krieg
sozusagen auf der einen Seite zeigt, dass der Westen für den Umgang mit den islamischen
Staaten insgesamt noch keine Strategie hat und da erst mal sehr viel lernen muss. Aber da
kann es nicht die Konsequenz sein, dass man sozusagen dem Fehler auch den totalen
Misserfolg wünscht. Denn wenn Amerika mit seiner Politik scheitert, dann ist das auch
für Westeuropa meistens zum großen Nachteil.
Michael Castritius: Haben Sie den Eindruck, dass Europa ein Alternativkonzept
zumindest gegen den Terror hat?
Ottfried Nassauer: Europa versucht, Alternativkonzepte zu entwickeln, sowohl gegen den
Terror als auch gegen andere sogenannte asymmetrische Bedrohungen, wie z.B. die
Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Das geht relativ langsam, weil Europa aus
so vielen Staaten besteht, die noch keine voll integrierte Außen- und Sicherheitspolitik
haben und es geht manchmal auch deswegen langsamer, weil die Vereinigten Staaten sich alle
Mühe geben, Europa auseinander dividiert zu halten.
Michael Castritius: Ziehen wir noch kurz den Schlussstrich nach einem Jahr
Zwischenbilanz. Zumindest Wolfgang Schäuble von der CDU hat heute Morgen im infoRADIO
gesagt, das Glas ist zumindest halb voll nach dem Krieg gegen den Irak, sprich: Die
Vorteile überwiegen so gerade knapp die Nachteile. Würden Sie sich da anschließen -
oder ist für Sie das Glas halb leer?
Ottfried Nassauer: Ich drehe den Satz von Herrn Schäuble um und sage, es ist mindestens
halb leer.
ist
freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische
Sicherheit (BITS).
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