Der Westen zeigt in Georgien wenig Augenmaß
Interview von Peter Wolter mit Otfried Nassauer
USA und NATO wollen das Land wieder aufrüsten. Seit 2002 stiegen Militärausgaben fast ums 50fache.
Peter Wolter: Nach der vernichtenden Niederlage gegen Rußland will
die Nato Georgien jetzt wieder aufrüsten. Womit? Und wie lange würde
das dauern?
Otfried Nassauer: Die Nato und die USA machen zur Zeit eine Bestandsaufnahme.
Beschlüsse gibt es noch nicht. Die USA sind sicher bereit, viel zu
liefern, die Bundesrepublik wird eher vorsichtig agieren. Die NATO selbst
kann beim Wiederaufbau der Infrastruktur helfen, aber nicht mit Waffen.
Der Konflikt hat gezeigt, daß die Russen in der Lage sind, zupackend
zu reagieren. Ist eine erneute Aufrüstung Georgiens nicht ein Spiel
mit dem Feuer?
In der Tat. Bisher zeigte der Westen wenig Augenmaß. Man kann
nur hoffen, daß bald politische Klugheit einkehrt und der georgischen
Führung nicht signalisiert wird, daß sie für ihr Vabanquespiel
auch noch belohnt wird.
Inwieweit wäre die Bundesregierung willens, mäßigend einzuwirken?
Begrenzt. Sie muß mit einem Fehler leben, den sie beim Nato-Gipfel
in Bukarest gemacht hat: Sie stimmte zu, daß Georgien Mitglied werden
soll. Nur der Zeitpunkt blieb offen. Dahinter kann sie nicht zurück.
Deshalb spielt sie auf Zeit und versucht, einen Beschluß zu verzögern.
Berlin will nicht, daß die Nato Staaten aufnimmt, die offene Grenzfragen
haben. Wenn der Pakt Georgien jetzt aufnehmen würde, wäre das
ein falsches Signal an andere Länder: »Riskiert und verliert
ein Scharmützel mit Rußland und ihr seid bald drin.«
Dann würde die Nato ein sehr destabilisierender Faktor sein.
Die russischen Truppen wollten die militärische Infrastruktur Georgiens
zerdeppern. Wie weit ist das gelungen?
Die Bodentruppen haben die Stützpunkte in der Nähe Abchasiens
und Südossetiens zerstört. Aus der Luft wurden entferntere Basen
z.B. bei Tbilissi angegriffen. Rußland wollte Georgien signalisieren:
»Das macht ihr so schnell nicht wieder!« Zurückgelassene
Waffen wurden zerstört oder abtransportiert.
Der Konflikt mit Rußland war augenscheinlich von langer Hand geplant.
Mit welchen Waffen ist Georgien versorgt worden?
Er kam jedenfalls nicht aus heiterem Himmel. Georgien hat unter Präsident
Michail Saakaschwili massiv aufgerüstet. Der Verteidigungshaushalt
lag 2002 noch ungefähr bei umgerechnet 20 Millionen US-Dollar, in
diesem Jahr betrug er 989 Millionen! Ausbildungshilfe und Geld kamen aus
der Türkei, den USA und Israel. Georgien kaufte seit 2004 eine Vielzahl
zusätzlicher Panzer, Raketenwerfer, und Artilleriegeschütze.
Und Kleinwaffen. Im wesentlichen gebrauchtes oder modernisiertes Gerät
aus der Ukraine, Tschechien und anderen Staaten. Modernere Ausrüstung
wie Aufklärungsdrohnen und Raketenwerfer kam dagegen meist aus Israel.
Welche Absichten verfolgt Israel? Steckt eine Strategie dahinter oder
ging es vorwiegend um das Geschäft?
Die israelische Industrie hat sicher gut und gerne verdient. Aber erklärt
das das starke Engagement? Sicher spielte eine Rolle, daß einige
georgische Minister die israelische Staatsbürgerschaft und vielleicht
Geschäftsinteressen haben. Es gibt allerdings auch Gerüchte,
daß Israel für den Fall eines Luftangriffs auf den Iran hoffte,
georgische Luftwaffenstützpunkte nutzen zu können.
Welche Rolle spielten deutsche Waffenlieferungen?
Anscheinend eine geringe, jedenfalls so weit sie in der Verantwortung
der Bundesregierung liegen. Sie bestreitet, daß sie die Lieferung
der in Georgien aufgetauchten G 36-Gewehre genehmigt hat. Die Ablehnung
ist auch aktenkundig.
Ist es denn so schwer, herauszufinden, woher diese Gewehre kommen? Man
braucht dazu nur einen Blick auf die Seriennummer zu werfen.
Richtig. Dann wäre es ein Leichtes, herauszufinden, wer Erstempfänger
der Waffen war. Aber das Aufklärungsinteresse der Regierung ist offenbar
sehr begrenzt.
Hat die russische Armee auch Waffen erbeutet, die die Nato lieber nicht
in deren Händen sähe?
Im wesentlichen erbeutete sie Waffen, die die Russen kennen. Einige
Beutestücke könnten aber spannend sein. Rußland fielen
z.B. einige Hummer-Fahrzeuge des US-Marinekorps mit moderner Kommunikationselektronik
in die Hände, die nach einem Manöver in Poti auf ihren Abtransport
warteten. Da darf man gespannt sein, in welchem Zustand sie irgendwann
zurückgegeben werden.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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