Interview zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr
Interview mit Otfried Nassauer
Lübecker Nachrichten: Soll die Bundeswehr abziehen oder bleiben?
Otfried Nassauer: Das ist die falsche Alternative. Entscheidend für
Afghanistan ist, ob der Westen eine neue Strategie entwickeln kann. Die Afghanen müssen
überzeugt werden, dass die dort stationierten Soldaten ihnen helfen, politisch und
wirtschaftlich einen neuen Staat aufzubauen.
LN: Aber diese Doppelstrategie gibt es doch schon.
Nassauer: Ja, nur mit einem deutlich falschen Schwerpunkt. Fast überall wird
argumentiert, Stabilität sei Voraussetzung für Entwicklung. Dass aber auch Entwicklung
zu Stabilität führt, kommt nicht wirklich zum Tragen. Das meiste Geld fließt in die
sicherheitspolitische Stabilisierung des Landes.
LN: Was wären die dringlichsten zivilen Maßnahmen?
Nassauer: Zum einen der Infrastrukturausbau, zum anderen den Menschen eine
Perspektive zu geben, wie sie jenseits des Drogenanbaus wirtschaftlich überleben können.
LN: Nämlich?
Nassauer: Zum Beispiel durch die Wiederbelebung der Landwirtschaft. Oder durch den
stärkeren Einsatz afghanischer Kräfte bei Infrastrukturprojekten. Zurzeit ist es öfter
so, dass China Ausschreibungen gewinnt und die Arbeiter aus China mitkommen, weil nur sie
unter den Bedingungen arbeiten können, zu denen der Preis kalkuliert wurde. Die Afghanen
bleiben außen vor weil weltweit ausgeschrieben werden muss. Auch das ist
Globalisierung.
LN: Also ist ein Truppenabzug keine wirkliche Option?
Nassauer: Eine Option ist er immer. Aber so lange keine gute, wie noch eine Chance
besteht, in Afghanistan ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen. Und diese Chance sehe
ich noch, auch wenn die Zeit immer knapper wird. Die Bundesregierung hatte die Chance, die
Doppelpräsidentschaft von EU und G8 für eine neue strategische Ausrichtung für
Afghanistan zu nutzen. Sie hat darauf verzichtet, weil sie Streit mit den Amerikanern
vermeiden wollte, die ja ganz darauf setzen, die Taliban militärisch zu besiegen.
LN: Der Bundeswehrverband sagt, bislang könne man in Afghanistan nur die
Wahlen als positiv für die Bilanz vorweisen.
Nassauer: Das ist formal richtig, aber für die Afghanen kein Maßstab. Unser
Demokratieverständnis wird dort nicht geteilt. Es gibt eine gewisse Stabilisierung im
Norden, allerdings zu einem hohen Preis: Niemand legt sich mit den Drogenbaronen und
Warlords an.
LN: Verteidigen wir wirklich unsere Sicherheit am Hindukusch?
Nassauer: Nein. Die Argumentation der Nato, der euro-atlantische Raum umfasse alle
GUS-Staaten und grenze damit an Afghanistan, ist sehr künstlich. Wenn der damalige
Verteidigungsminister Struck das so gesagt hat, war das vor allem dem 11. September
geschuldet.
LN: Wie lange müssen die Isaf-Truppen noch bleiben in Afghanistan?
Nassauer: Wenn man Optimist ist und eine neue Strategie zugrunde legt, fragt man:
Wie lange müssen sie noch bleiben? Ich rechne nicht unter fünf Jahren. Ist man Pessimist
und fragt, wie lange sie noch bleiben können, würde ich von drei bis fünf Jahren
ausgehen. Das hängt davon ab, wie schnell sich die Taliban immer wieder regenerieren und
wie lange wir uns eine Strategie antun, bei der es nichts zugewinnen gäbe. Momentan
können die Taliban keinen militärischen Entscheidungskampf suchen. Aber sie können
demonstrieren, dass es im ganzen Land keine Sicherheit gibt.
LN: Könnte ein Abzug ein Vakuum für den Iran hinterlassen?
Nassauer: Der Iran hat sich bislang in Sachen Afghanistan weitgehend kooperativ
gegenüber dem Westen verhalten. Die Führung in Teheran hat an einer Destabilisierung
Afghanistans kein Interesse. In Pakistan dagegen gibt es islamistische Kräfte, die ein
solches Vakuum gut fänden.
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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