Münchener Merkur
23. Juli 2007


"Regierung steht vor unlösbarem Dilemma"

Interview mit Otfried Nassauer

Münchener Merkur: Nach dem Tod einer deutschen Geisel in Afghanistan bemüht sich die Bundesregierung fieberhaft um die Freilassung des zweiten Entführten. Warum fordern die Kidnapper den Abzug der Bundeswehr, obwohl sie wissen, dass Berlin nicht auf ihre Forderung eingehen wird?

Nassauer: Die Forderung der Entführer ist in der Tat absurd. Wer auch immer die Täter sind: Ihnen muss klar sein, dass ein Bundeswehr-Kontingent von mehr als 3000 Soldaten nicht innerhalb von wenigen Stunden abgezogen werden kann. Die Entführer wissen das. Sollten Taliban hinter der Tat stehen, so wollen sie durch ihr Vorgehen politische Aufmerksamkeit erzielen. Handelt es sich aber um Clan-Mitglieder, dann versuchen sie möglicherweise an ein hohes Lösegeld zu kommen.

...wie das häufig auch in der irakischen "Entführungsindustrie" der Fall ist.

Nassauer: Auch in Afghanistan gibt es eine Entführungsindustrie, allerdings noch in kleinerem Umfang.

Hat die Bundesregierung richtig gehandelt, indem sie nicht im Ansatz auf die Forderungen der Entführer eingegangen ist?

Nassauer: Eine Regierung kann in so einem Fall weder komplett richtig noch komplett falsch handeln. Sie steht vor einem unlösbaren Dilemma. Jede Regierung versucht in einem Entführungsfall, die Freilassung der Geiseln zu erreichen, ohne nach Außen den Anschein zu erwecken, einer Forderung nachzugeben, weil sie dann ja erpressbar erschiene. Die Zahlung von Lösegeld wurde bisher offiziell stets geleugnet, auch sie indirekt eingeräumt wurde.

Die Bundeswehr ist seit über fünf Jahren in Afghanistan. Wie bewerten Sie die Effizienz dieses Einsatzes?

Nassauer: Der Einsatz der Bundeswehr ist längst nicht so effizient wie er sein könnte. Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert. Die Strategie ist eine falsche.

Muss die Zahl der Soldaten in Afghanistan erhöht werden?

Nassauer: Nein. Wer in Afghanistan – wie die USA - glaubt, erst den Gegner völlig niederkämpfen zu müssen, bevor intensiv Wiederaufbau geleistet werden kann, irrt und macht sich auf Dauer die Bevölkerung zum Feind. Falsch ist es auch, die Zentralregierung in Kabul und manche Kriegsherren bedingungslos zu unterstützten, egal wie tief sie in Drogenwirtschaft und Korruption verstrickt sind. All das kostet Effizienz und trägt dazu bei, dass die im Norden eingesetzten deutschen Soldaten Gefahr laufen, nicht als Gäste und Wiederaufbauhelfer gesehen zu werden, sondern als Besatzer.

Die Nato steht vor einem Dilemma: Einerseits ist den Taliban nur durch massive Militäreinsätze beizukommen, andererseits werden dabei immer wieder Zivilisten getötet, was den Widerstand gegen die westlichen Truppen erhöht.

Nassauer: Richtig. Und: Die Taliban hätten in Afghanistan politisch weniger Erfolg, wenn man ihnen nicht nur massiv militärisch begegnen würde. Gäbe es einen erfolgreichen wirtschaftlichen Wiederaufbau ohne Drogenwirtschaft in Landesteilen, die die Taliban nicht kontrollieren, dann würden sie auf Dauer auch da an Unterstützung verlieren, wo sie heute wieder stark sind.

Die Taliban sind auf dem Vormarsch, der Drogenanbau blüht, außerhalb der Hauptstadt Kabul regieren lokale Kriegsherrn. Ist die Nato in Afghanistan schon gescheitert?

Nassauer: Die Nato ist noch nicht gescheitert, aber auf dem besten Wege dazu. Der Westen muss sich dringend etwas einfallen lassen, wie den Afghanen, die heute noch vom Drogenanbau leben, eine wirtschaftliche Alternative geboten werden kann.

Das Interview führte Holger Eichele.


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS