"Regierung steht vor unlösbarem Dilemma"
Interview mit Otfried Nassauer
Münchener Merkur: Nach dem Tod einer deutschen Geisel in Afghanistan
bemüht sich die Bundesregierung fieberhaft um die Freilassung des zweiten Entführten.
Warum fordern die Kidnapper den Abzug der Bundeswehr, obwohl sie wissen, dass Berlin nicht
auf ihre Forderung eingehen wird?
Nassauer: Die Forderung der Entführer ist in der Tat absurd. Wer auch immer die
Täter sind: Ihnen muss klar sein, dass ein Bundeswehr-Kontingent von mehr als 3000
Soldaten nicht innerhalb von wenigen Stunden abgezogen werden kann. Die Entführer wissen
das. Sollten Taliban hinter der Tat stehen, so wollen sie durch ihr Vorgehen politische
Aufmerksamkeit erzielen. Handelt es sich aber um Clan-Mitglieder, dann versuchen sie
möglicherweise an ein hohes Lösegeld zu kommen.
...wie das häufig auch in der irakischen
"Entführungsindustrie" der Fall ist.
Nassauer: Auch in Afghanistan gibt es eine Entführungsindustrie, allerdings
noch in kleinerem Umfang.
Hat die Bundesregierung richtig gehandelt, indem sie nicht im Ansatz auf
die Forderungen der Entführer eingegangen ist?
Nassauer: Eine Regierung kann in so einem Fall weder komplett richtig noch
komplett falsch handeln. Sie steht vor einem unlösbaren Dilemma. Jede Regierung versucht
in einem Entführungsfall, die Freilassung der Geiseln zu erreichen, ohne nach Außen den
Anschein zu erwecken, einer Forderung nachzugeben, weil sie dann ja erpressbar erschiene.
Die Zahlung von Lösegeld wurde bisher offiziell stets geleugnet, auch sie indirekt
eingeräumt wurde.
Die Bundeswehr ist seit über fünf Jahren in Afghanistan. Wie bewerten
Sie die Effizienz dieses Einsatzes?
Nassauer: Der Einsatz der Bundeswehr ist längst nicht so effizient wie er sein
könnte. Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich
verschlechtert. Die Strategie ist eine falsche.
Muss die Zahl der Soldaten in Afghanistan erhöht werden?
Nassauer: Nein. Wer in Afghanistan wie die USA - glaubt, erst den Gegner
völlig niederkämpfen zu müssen, bevor intensiv Wiederaufbau geleistet werden kann, irrt
und macht sich auf Dauer die Bevölkerung zum Feind. Falsch ist es auch, die
Zentralregierung in Kabul und manche Kriegsherren bedingungslos zu unterstützten, egal
wie tief sie in Drogenwirtschaft und Korruption verstrickt sind. All das kostet Effizienz
und trägt dazu bei, dass die im Norden eingesetzten deutschen Soldaten Gefahr laufen,
nicht als Gäste und Wiederaufbauhelfer gesehen zu werden, sondern als Besatzer.
Die Nato steht vor einem Dilemma: Einerseits ist den Taliban nur durch
massive Militäreinsätze beizukommen, andererseits werden dabei immer wieder Zivilisten
getötet, was den Widerstand gegen die westlichen Truppen erhöht.
Nassauer: Richtig. Und: Die Taliban hätten in Afghanistan politisch weniger
Erfolg, wenn man ihnen nicht nur massiv militärisch begegnen würde. Gäbe es einen
erfolgreichen wirtschaftlichen Wiederaufbau ohne Drogenwirtschaft in Landesteilen, die die
Taliban nicht kontrollieren, dann würden sie auf Dauer auch da an Unterstützung
verlieren, wo sie heute wieder stark sind.
Die Taliban sind auf dem Vormarsch, der Drogenanbau blüht, außerhalb
der Hauptstadt Kabul regieren lokale Kriegsherrn. Ist die Nato in Afghanistan schon
gescheitert?
Nassauer: Die Nato ist noch nicht gescheitert, aber auf dem besten Wege dazu.
Der Westen muss sich dringend etwas einfallen lassen, wie den Afghanen, die heute noch vom
Drogenanbau leben, eine wirtschaftliche Alternative geboten werden kann.
Das Interview führte Holger Eichele. |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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