news.de - Interview
02. April 2009


Der Werkzeugkasten der USA

Interview mit Otfried Nassauer

Die Nato wird 60 und hat sich stark gewandelt. Ob sie gereift ist oder eher in Frührente gehen sollte und welche Strategien ihr gut zu Gesicht stünden, darüber sprach news.de mit dem Friedensforscher Otfried Nassauer.


news.de: 60 Jahre Nato: Ist das ein Grund zum Feiern?

Nassauer: Wer 60 wird, soll auch feiern. Er muss sich aber auch fragen, ob er nicht den Weg in die Frührente gehen sollte. Die Nato muss aufpassen, dass sie sich nicht zu Lebzeiten überlebt. Der US-Politiker Richard Lugar Richard Lugar, geboren 1932, gehört der Republikanischen Partei an. Von 1987 bis 1995 und von 2003 bis 2007 war er Vorsitzender des US-Senatsauschusses für Außenpolitik.hat ihr vor 15 Jahren den Rat gegeben, «out of areaGemeint ist, die Nato soll Einsätze außerhalb des Hoheitsgebietes ihrer Mitgliedsstaaten durchführen dürfen.» zu gehen, wenn sie nicht «out of businessGemeint ist, sie Nato soll entsprechend handeln, wenn sie ihre Daseinsberechtigung nicht verlieren möchte.» gehen wolle. Heute kann man fragen, ob die Nato Gefahr läuft, «out of business» zu gehen, weil sie ihre Aufgaben zu sehr «out of area» sucht.


Was soll das denn heißen?

Nassauer: Als die Nato das Territorium ihrer Mitglieder schützen sollte und nie Krieg führen musste, war es einfach, den Konsens im Bündnis zu wahren oder Kompromisse zu schließen. Heute werden angesichts der Auslandseinsätze und der Erweiterung der Nato viele Differenzen sichtbar. Sie höhlen die Nato von innen aus. Um sie in den Griff zu kriegen, müsste die Nato sich massiv reformieren.


Wer streitet sich?

Nassauer: Konflikte allerorten – nur drei Beispiele: Durch den Beitritt vieler neuer Mitglieder, die früher im Warschauer Pakt waren, steht die Nato plötzlich wieder vor dem Problem, ob sie Sicherheit in Europa vor oder mit Russland gestalten will. Da wollen die neuen Mitglieder die alte Nato und viele alte eine neue, weil der Kalte Krieg vorbei ist. Zweitens: Wie funktioniert die Nato? Nach acht Jahren George W. Bush ist die Nato nicht mehr der Ort, an dem man gemeinsam diskutiert und entscheidet, um gemeinsam zu handeln. Zuletzt war sie ein Ort, an dem im günstigsten Fall konsultiert wurde, bevor nationale Entscheidungen in Washington fielen und dann Koalitionen der Willigen geschmiedet wurden. Viele alte Nato-Staaten in Europa lehnen das ab.


Und drittens?

Nassauer: Die Nato-Auslandsoperationen begannen als Unterstützung der Uno, mittlerweile werden aber auch Interventionen ohne UN-Mandat gemacht – Stichworte Kosovo und Irak. Darüber gibt es in vielen Nato-Staaten keinen öffentlichen Konsens. Die Nato hat nach innen viel Legitimation verloren.


Welche Legitimation hat denn die Nato überhaupt noch?

Nassauer: Je nach Mitglied eine unterschiedliche. Viele neue Mitglieder sehen sie als Rückversicherung gegen Russland. Die USA haben sie zuletzt als Werkzeugkasten betrachtet, aus dem man sich militärische Instrumente leihen kann. Und sie ist auch eine Rückversicherung gegen Konflikte unter den Mitgliedern. Aber eines steht fest: Der Kurs der vergangenen 15 Jahre kann so nicht weiter gefahren werden. Er höhlt die Nato immer weiter aus.


Und was jetzt?

Nassauer: Wenn die Nato eine neue Legitimation bekommen soll, dann geht das nur, wenn die breite Öffentlichkeit in die Diskussion einbezogen wird und den Sinn und Zweck wieder mitträgt, der der Nato für die Zukunft gegeben wird. Dazu müsste man sie eigentlich komplett umstrukturieren und das Ergebnis zumindest den Parlamenten zur Abstimmung vorlegen. Aber das riskiert wohl niemand, weil es der Nato dann so gehen könnte wie der EU – irgendeiner lehnt den neuen Vertrag schon ab.


Und was wird Ihrer Meinung nach beim Gipfel passieren?

Nassauer: Man wird sich selbst feiern, argumentieren, dass Frankreichs Rückkehr zeigt, wie lebendig und notwendig die Nato ist. Wer kritisiert schon gerne ein Geburtstagskind? Die Konflikte und offenen Fragen werden in die Diskussion über eine neue Nato-Strategie verlagert und damit vertagt. Ich sähe zwar lieber, wenn die Probleme klar benannt würden und nicht um den heißen Brei herum geredet würde. Aber das wird wohl nicht passieren.


Was sollte die Nato idealerweise leisten?

Nassauer: Idealerweise müsste sich die Nato zu einem System kollektiver Sicherheit weiterentwickeln, in dem man sich zusätzlich das Versprechen kollektiver Verteidigung gibt. Unter Einschluss Russlands und anderer. Klar, dann wäre die Nato eine ganz andere. So könnte sie dazu beitragen, dass mehr Konflikte ohne Waffengewalt gelöst werden, dass wirksame Lösungen für die globalen Probleme multilateral gesucht werden und der Tatsache Rechnung getragen wird, dass unsere Welt multipolarer wird und deswegen nach kooperativen Lösungen gesucht werden muss. Eine solche Funktion könnte aber auch eine neue Institution erfüllen.


Welche Rolle könnte Deutschland einnehmen?

Nassauer: Eine vermittelnde und ideengebende Rolle - zum Beispiel was die Kooperation mit Russland betrifft. Seit der Entspannungspolitik haben sich viele nützliche Erfahrungen angesammelt. Oder in Sachen Sicherheitspolitik der EU: Deutschland kann glaubhaft argumentieren, dass eine eigenständige handlungsfähige EU nicht den Zweck hat, die USA aus der europäischen Sicherheitspolitik herauszuhalten. Deutschland kann sich auch dafür stark machen, dass endlich verstanden wird, dass für die meisten aktuellen Konflikte primär nicht-militärische Lösungen und Fähigkeiten erforderlich sind.

Das Interview führte Andrea Schartner


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS