Ostseezeitung
04. April 2010


Taktische Atombomben -
Relikte mit politischer Symbolik

Interview mit Otfried Nassauer


OZ: Wie viele Atombomben gibt es noch in Deutschland?

Nassauer: Bei Büchel in der Eifel lagern zehn bis 20 nukleare US-Bomben, die im Kriegsfall durch Tornado-Kampfflugzeuge der Bundeswehr zum Einsatz gebracht werden können. Die Waffen haben eine Sprengkraft von 0,1 bis 170 Kilotonnen. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Stärke von 12,5 Kilotonnen.


OZ: Warum sind taktische Kernwaffen vom neuen Abrüstungsvertrag nicht erfasst?

Nassauer: Weil der neue Start-Vertrag nur strategische Kernwaffen mit Reichweiten über 5500 Kilometern betrifft.


OZ: Sind taktische Atomwaffen in Europa aus militärischer Sicht noch notwendig?

Nassauer: Nein. Diese Waffen sind eindeutig Relikte des Kalten Krieges. Ihre Bedeutung liegt in der politischen Symbolik. Erstens, weil sie - wie vor allem von den neuen NATO-Mitgliedern gewünscht - eine sichtbare Abschreckung Russlands darstellen und Distanz zu Moskau signalisieren sollen. Zweitens, weil sie Ausdruck einer Risiko- und Lastenteilung in der Nato sind. Allerdings weisen Kritiker zu Recht darauf hin, dass die Weitergabe der Verfügungsgewalt über US-Kernwaffen an Piloten aus nicht-nuklearen NATO-Ländern ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag wäre. Selbst die Bundeswehr sagt, dass ihren Soldaten der Atomwaffeneinsatz völkerrechtlich verboten ist.

OZ: Wovon hängt der Verbleib der Waffen in Europa ab?

Nassauer: Vordergründig könnte man meinen: von den Amerikanern. Doch das ist zu einfach. Ob die taktischen Atomwaffen in Europa bleiben, hängt vor allem davon ab, ob Bedingungen daran geknüpft werden und wie die NATO über diese Frage entscheidet. Für die neuen Nato-Mitgliedstaaten sind diese Bomben ein besonders starker Ausdruck der amerikanischen Sicherheitsgarantie.

OZ: Heißt das, die neuen Nato-Mitglieder haben ein Vetorecht, wenn es um den Abzug von Atomwaffen geht?

Nassauer: Diese Frage muss sich die Nato stellen. Das wäre ja auch ein Veto gegen den Willen der Staaten, die diese Waffen von ihrem Territorium abgezogen haben wollen. Bei der Suche nach einer Lösung muss zudem einkalkuliert werden, dass der „nuklearer Schirm“ für Europa nicht nur aus den atomaren Bomben, sondern auch aus amerikanischen und britischen Atom-U-Booten besteht. Im Übrigen werden die US-Pläne für eine Raketenabwehr in Europa, die bei den Russen große Sorge auslösen, von fundamentaler Bedeutung für die Zukunft atomarer Abrüstung bleiben.


OZ: Wäre denn eine Verlagerung der taktischen Atombomben in osteuropäische Staaten - etwa nach Polen oder Rumänien - vorstellbar?

Nassauer: Nein. Eine Verlagerung dieser Waffen ist durch politisch verbindliche Zusagen der USA gegenüber Moskau im Kontext der ersten Nato-Osterweiterung 1997 ausgeschlossen worden.


OZ: In den USA gibt es aber Pläne, die taktischen Kernwaffen zu modernisieren.

Nassauer: Zumindest gehört der republikanische Verteidigungsminister Robert Gates und die Nationale Nukleare Sicherheitsagentur NNSA zu den Befürwortern einer Modernisierung der Bomben unter dem Motto „Lebensdauerverlängerung“. Hier bahnt sich für Präsident Obama ein heftiges Tauziehen ab. Lenkt er ein, wäre das ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust für ihn.

Das Interview führte J. Burmeister


 

ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS