Taktische Atombomben -
Relikte mit politischer Symbolik
Interview mit Otfried Nassauer
OZ: Wie viele Atombomben gibt es noch in Deutschland?
Nassauer: Bei Büchel in der Eifel lagern zehn bis 20 nukleare US-Bomben,
die im Kriegsfall durch Tornado-Kampfflugzeuge der Bundeswehr zum Einsatz
gebracht werden können. Die Waffen haben eine Sprengkraft von 0,1
bis 170 Kilotonnen. Zum Vergleich: Die Hiroshima-Bombe hatte eine Stärke
von 12,5 Kilotonnen.
OZ: Warum sind taktische Kernwaffen vom neuen Abrüstungsvertrag
nicht erfasst?
Nassauer: Weil der neue Start-Vertrag nur strategische Kernwaffen mit
Reichweiten über 5500 Kilometern betrifft.
OZ: Sind taktische Atomwaffen in Europa aus militärischer Sicht
noch notwendig?
Nassauer: Nein. Diese Waffen sind eindeutig Relikte des Kalten Krieges.
Ihre Bedeutung liegt in der politischen Symbolik. Erstens, weil sie -
wie vor allem von den neuen NATO-Mitgliedern gewünscht - eine sichtbare
Abschreckung Russlands darstellen und Distanz zu Moskau signalisieren
sollen. Zweitens, weil sie Ausdruck einer Risiko- und Lastenteilung in
der Nato sind. Allerdings weisen Kritiker zu Recht darauf hin, dass die
Weitergabe der Verfügungsgewalt über US-Kernwaffen an Piloten
aus nicht-nuklearen NATO-Ländern ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag
wäre. Selbst die Bundeswehr sagt, dass ihren Soldaten der Atomwaffeneinsatz
völkerrechtlich verboten ist.
OZ: Wovon hängt der Verbleib der Waffen in Europa ab?
Nassauer: Vordergründig könnte man meinen: von den Amerikanern.
Doch das ist zu einfach. Ob die taktischen Atomwaffen in Europa bleiben,
hängt vor allem davon ab, ob Bedingungen daran geknüpft werden
und wie die NATO über diese Frage entscheidet. Für die neuen
Nato-Mitgliedstaaten sind diese Bomben ein besonders starker Ausdruck
der amerikanischen Sicherheitsgarantie.
OZ: Heißt das, die neuen Nato-Mitglieder haben ein Vetorecht,
wenn es um den Abzug von Atomwaffen geht?
Nassauer: Diese Frage muss sich die Nato stellen. Das wäre ja auch
ein Veto gegen den Willen der Staaten, die diese Waffen von ihrem Territorium
abgezogen haben wollen. Bei der Suche nach einer Lösung muss zudem
einkalkuliert werden, dass der „nuklearer Schirm“ für Europa nicht
nur aus den atomaren Bomben, sondern auch aus amerikanischen und britischen
Atom-U-Booten besteht. Im Übrigen werden die US-Pläne für
eine Raketenabwehr in Europa, die bei den Russen große Sorge auslösen,
von fundamentaler Bedeutung für die Zukunft atomarer Abrüstung
bleiben.
OZ: Wäre denn eine Verlagerung der taktischen Atombomben in osteuropäische
Staaten - etwa nach Polen oder Rumänien - vorstellbar?
Nassauer: Nein. Eine Verlagerung dieser Waffen ist durch politisch verbindliche
Zusagen der USA gegenüber Moskau im Kontext der ersten Nato-Osterweiterung
1997 ausgeschlossen worden.
OZ: In den USA gibt es aber Pläne, die taktischen Kernwaffen
zu modernisieren.
Nassauer: Zumindest gehört der republikanische Verteidigungsminister
Robert Gates und die Nationale Nukleare Sicherheitsagentur NNSA zu den
Befürwortern einer Modernisierung der Bomben unter dem Motto „Lebensdauerverlängerung“.
Hier bahnt sich für Präsident Obama ein heftiges Tauziehen ab.
Lenkt er ein, wäre das ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust
für ihn.
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Das Interview führte J.
Burmeister |
ist freier Journalist und leitet
das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS
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